Literaturwissenschaftliche Exkursion des Hauptseminars zu Thomas Kling
Auf den Spuren Thomas Klings im Rheinland
der feuerwände eleganz. verführung, bollwerk, camouflage.
geschleiftes blickn. Das, augnfang, die netzhaut rüber-
zieht mit ostlicht westlicht, frühwarnzeitn. Belichtungs-
messer, das den einstich führt auf blendende verblendete
betonfassaden in gläsernem gelände, kaschiert, wo sich
bei anvisiertem funkgestammel die formen sammeln, flüsternd
abgetrennte elektronik, amputate, die bizepsmäßig in den
lehmen liegen. kabelsalat, zerhackte doppelbelichtete
sendung im krumen-, im funknflug anschein verflogener
koordinatn, schwarzkiefern, winde redn mit und greife,
rüttelnd, die den aufwind nutzen, um ungeschützte dünen
wallanlagn, anzupeilen und jählings tief hinunterstoßn.
(GELÄNDE camouflage, III)
Ende Januar 2017 hat sich ein guter Teil des Hauptseminars zum Lyriker Thomas Kling, der 2005 mit 47 Jahren an Krebs verstorben ist, unter der Leitung von Friederike Reents zusammen mit einer kleiner Truppe Kling-Begeisterter um Tobias Bulang aufgemacht, um im Rheinland wesentliche Wirkungsstätten des ‚Sprachinstallateurs‘, der dezidiert an die Tradition der historischen Avantgarden anknüpfte und sich infolgedessen auch mit seinen Dichter-Performances hervortat, zu besuchen.
In Düsseldorf, der ersten Station des Ausflugs, verbrachte Kling seine Schulzeit und frühe Studienjahre. Im Anschluss an eine Führung durch die Ausstellung „Romantik und Revolution“ im Heinrich-Heine-Institut nahm die Gruppe Einsicht in frühe Korrespondenzen Thomas Klings, die im dortigen Archiv der Eremitenpresse, des Verlags seines Bandes erprobung herzstärkender mittel aufbewahrt werden. Die Briefe zeigten, dass der, zwischenzeitlich offenbar von Depressionen und Existenznot geplagte Kling, dank guter Fürsprache (u.a. durch Friederike Mayröcker), vor allen aber dank seiner auch in den Briefen bereits erkennbar eigenen Stimme bald die ersten publizistischen Erfolge hatte. Zeitgenössische Fotos illustrierten die Musikszene und das Nachtleben im Punkmilieu der 1980er Jahre rund um den damals berühmt-berüchtigten Ratinger Hof, dem heutigen „Stone“.
nachtperformance, leberschäden,
[…] unser sprachfraß echt junkfood […]
geschiebe, man sieht nichts aber: über
gabe/rüberreichen von telefonnummern
(JETZT LECKEN!)
[…] vollgestopft mit guten
pillen werden sie dann unter vorrückende
tanks gejagt, „haste ma ne mark für taxi“);
gerädert, bei steiler fülle, OP-bläue,
pechschwarz, schädelraster, ums ganze
haarregister laberschäden [.]
(ratinger hof, zettbeh (3))
Nach Aufenthalten in Wien und Finnland kehrte Kling später ins Rheinland zurück und lebte seit 1994 auf der ehemaligen Raketenstation Hombroich in der Nähe von Neuss bei Düsseldorf, auf der ein Mäzen Künstlern bis heute Wohn- und Arbeitsräume bietet. Heute befindet sich dort u.a. das Thomas Kling Archiv, in dem der Nachlass des Dichters gepflegt wird. Seine Witwe, die bildende Künstlerin Ute Langanky, lebt immer noch dort und führte unsere Gruppe durch das Haus. Sie konnte uns einiges aus dem Leben, zur Arbeitsweise und zum Charakter Klings erzählen, während wir in der Arbeitsbibliothek die große und breite Auswahl der Bände des poeta doct(issim)us bestaunten. Umfassende Kenntnisse über Botanik, Sagen und Mythen, geschichtliche Stoffe und Gemälde sind für die Interpretation der meisten, sehr avancierten Gedichte Klings ebenso absolut unabdingbar wie die Belesenheit in großen Teilen der Weltliteratur – die Rezeption und ‚Vorzeitbelebung‘ Klings reicht von lateinischen Autoren wie Catull und Vergil über Walther von der Vogelweide und Oswald von Wolkenstein zu Moscherosch, weiter von Hölderlin, Droste-Hülshoff, George, Benn, den Dadaisten und Celan bis hin zu Friederike Mayröcker – womit einige wesentliche Einflüsse genannt wären.
nicht von
antschel: herzgespann. weich
behaarte, hohe lippen-
blütler.
so gehz
weiter; ödlandkönig, farbenlehre:
starkes gelb im löwn! Lattich,
hufmaul, -zahn, so nah-
z
(DAS HEIL. („paulum, ein wenig“))
In ihrem Atelier schließlich zeigte Langanky ein Ergebnis der fruchtbaren Zusammenarbeit, eine gemeinsame Text-Bild-Arbeit (ZINNEN). Zum Abschluss konnte die Truppe von der Dichterwarte, dem ehemaligen Turm der Raketenstation, aus das Gelände begutachten. Eine kleine Stärkung und letzte Impressionen – Bisamratten, Gemälde von Lovis Corinth, Skizzen von Rembrandt und Nilgänse – gab es im benachbarten Museum Insel Hombroich, einem ambitionierten Projekt der Wechselwirkung von Kunst und Natur. (LeoSch)