Projektbeschreibung
Die an der „Internationalen Koordinationsstelle Theorie der Philologie“ koordinierten Forschungen sollen die Theorie der Philologie, dieses große unabgeschlossene Projekt des späten achtzehnten, frühen neunzehnten Jahrhunderts, unter den Bedingungen einer veränderten Wissenschaftslandschaft aufgreifen, konsequent weiterentwickeln und so in der kaum mehr übersehbaren Identitätskrise der philologischen Wissenschaften das enorme Anregungspotential philologischen Denkens gegenwärtig halten.
Die zerstreuten Ansätze zu einer Neubesinnung auf die genuin philologischen Möglichkeiten zu geistes- und kulturwissenschaftlicher Theoriebildung sind auf verschiedenen institutionellen Ebenen der Kooperation zusammenzuführen. Nur so kann die noch wenig ausgeschöpfte Kapazität philologischer Theoriebildung zur Geltung kommen. Die Universitäten Heidelberg und Campinas verfügen nunmehr über die institutionellen Voraussetzungen zur Pflege eines solchen Schwerpunkts. Die neue Koordinationsstelle ist ein Forum für den internationalen Austausch philologietheoretischer Ansätze und Arbeiten einerseits, die systematische theoretische Erforschung der Begriffe und Konzepte der Philologie andererseits.
Die hier koordinierten Arbeiten und Projekte sollen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß der theoretisch-methodische Unterbau der philologischen Wissenschaften in Auseinandersetzung mit den Methodologien anderer moderner Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften geprüft und in begriffs- und ideengeschichtlichen, sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Darstellungen untersucht werden kann.
Deutlich werden könnte so – in einer Zeit des lebhaften Umbruchs der Geistes- und Humanwissenschaften (und unter dem Druck wachsender Rechtfertigungsnöte) – das grundlagenwissenschaftliche Potential einer Philologie, deren Operationsfeld nicht länger nur das traditionelle „Material“ der Sprach- und Literaturwissenschaften ist, sondern deren Wirkung sich potentiell auch auf andere zentrale Bereiche des kulturellen Lebens erstreckt. Auch die formalen Disziplinen der Logik und Mathematik arbeiten mit „Sätzen“, deren paradigmatische und syntagmatische Anordnung Gegenstand philologischer Analyse werden kann. Das gleiche gilt für manche prominente Anwendungswissenschaften wie die Jura, die ihre Erkenntnisse in Sätzen formulieren, die desgleichen die philologische Aufmerksamkeit herausfordern müssen. Philologie erscheint in dieser Perspektive als eine – in ihren Wirkungen weithin unterschätzte – Beobachtungswissenschaft und Ordnungsinstanz, die den menschlichen Verkehr (sein Sprach- und symbolisches Handeln) in den komplexen Regelsystemen moderner Kommunikationswelten szientifisch begleiten kann.