Architektur in Nubien
Bei den Grabungen 1968-71 wurden die Festungen und Siedlungen zwischen dem Wadi Halfa und Kulb sowie die christlichen Denkmäler auf Sunnarti, Turmukki, Tangur und Kulb untersucht.
Siedlungen
Die Siedlungen der Nilinseln Sunnarti, Tangur und Turmukki sowie die Siedlung Kulb sind kleine, einfache Orte. Sie geben Auskunft über ein Leben abseits der großen Städte. Auffällig ist hierbei, dass sich die Kirchen von Sunnarti, Tangur und Kulb nicht im Ort, sondern außerhalb der Siedlung befinden.
Tangur
▼ Siedlung am Ostufer von Tangur, Lageplan (Höhenlinien nur geschätzt) (Dinkler (1971) S. 138 Abb. 17)
Siedlung am Ostufer von Tangur, Eingang in Haus 6 (Dinkler (1971) S. 139 Abb. 18) ▲
Die Häuser von Tangur besitzen nur einen ovalen Raum und sind mit ihren 5 x 2-3 Metern sehr klein gehalten. Außergewöhnlich ist auch die Eingangssituation der Häuser: Der Eingang misst lediglich 50 x 80 Zentimeter, was wahrscheinlich als Schutz vor Sand zu interpretieren ist.
Turmukki
Auf der Insel Turmukki untersuchten die deutschen Archäologen zwei Türme aus der ‚spätchristlichen‘ Zeit (nach 1100) die ursprünglich als Wachtürme interpretiert worden waren. Turm A ist noch bis ins erste Obergeschoss erhalten, von Turm B steht nur noch das Erdgeschoss. Das Erdgeschoss ist aus Haustein, das Obergeschoss aus Trockenziegeln gebaut. Der wieder sehr klein gehaltene Einstieg befindet sich jeweils im oberen Drittel des Erdgeschosses und war nur über eine Leiter zu erreichen.
▼ Turmuki, Turm A, Ansicht von Westen (Dinkler (1971) S. 141 Abb. 22)
Turmuki, Turm A, links: Erdgeschoss, rechts: Obergeschoß (Dinkler (1971) S. 140 Abb. 21) ▲
Dass diese Bauten als Wachtürme gedient haben, stimmt sehr wahrscheinlich nicht, da sie eher versteckt liegen und die hufeisenförmige Raumfolge innerhalb der Türme eine ungeschickte Wehrsituation aufweist.
Kulb
▼ Kulb-Befestigung, Ansicht von Osten (Dinkler (1970) Abb. 278)
Kulb-Befestigung, Grabungen im Südostteil (Dinkler (1970) Abb. 283) ▲
Die Siedlung von Kulb gehört neben der Siedlung von Sunnarti zu den größten Siedlungen der Gegend. Sie liegt auf einem Felsplateau, das von Norden nach Süden in drei natürlichen Terrassen abfällt.
Kulb-Befestigung, Grundriß und Querschnitt (Dinkler (1970) S. 268 Fig. 37+38) ▼
Es konnten etwa 70 % von Kulb freigelegt werden. Neben der noch bis drei Meter hoch erhaltenen Umfassungsmauer fanden sich ca. 80-90 Wohnräume, die direkt auf den gewachsenen Fels errichtet wurden. Aus den Keramikfunden ist zu schließen, dass der Ort vom 9.-11. Jh. kontinuierlich besiedelt wurde. Ausgehend vom zentralen Platz 57 sind drei Wege zu erkennen. Sie führen auf die obere Terrasse (49) und zu den beiden Eingängen im Osten (1) und Südosten (11-70-74-83). Obwohl die Umfassungsmauer keine Türme aufweist, kann man gewisse Verteidigungsmaßnahmen erkennen. So besitzt der Ostteil der Mauer eine Brüstung sowie einen Wehrgang, die südwestliche Terrasse (80) kann Verteidigungszwecken gedient haben und von einem südöstlichen Raum (91) ist der gesamte Nordost-Lauf des Nils zu überblicken. Es gab durch den Fund einer Schenkungsurkunde die Vermutung, dass die Siedlung als Kloster genutzt wurde. Eindeutig gegen ein Kloster spricht aber das Fehlen einer Kapelle und das Fehlen von Gräbern mit monastischem Bezug im nahegelegenen Friedhof.
Sunnarti
Die Siedlung von Sunnarti wurde bereits 1956 von Chittick entdeckt und beschrieben aber erst 1967 genauer untersucht. Es handelt sich um eine annähernd dreieckige und mit vier Türmen befestigte Anlage im Südwesten der Insel. Die Ummauerung folgt den Geländegegebenheiten und verfügt über einen Wehrgang im Süden der Ostmauer. Der Haupteingang befindet sich in der Ostmauer in einem Mauerversprung, so dass eine differenzierte, leicht zu verteidigende Eingangssituation vorliegt, die von Turm A und D aus überwacht werden kann. Da Turm A über mehrere Räume verfügt, fungierte er wohl nicht ausschließlich als Wachturm sondern auch als Quartier, evtl. für einen Kommandanten.
▲ Sunnarti-Festung, Grundriß nach P. Grossmann (Dinkler (1970) S. 266 Fig. 36)
Wie die gesamte Architektur der Gegend sind sämtliche Mauern aus unbearbeiteten Steinblöcken errichtete, auf die Lehmziegelwände aufgemauert wurden.
▼ Sunnarti-Festung, Turm A und innere Bebauung (Dinkler (1968) S. 726 Abb. 4)
Sunnarti, Ostteil der Festung mit Lehmziegelhäusern (Dinkler (1968) S. 729 Abb. 7) ▲
In der Wohnbebauung der Siedlung kann man zwei Haustypen unterscheiden, die aber vermutlich parallel genutzt wurden. Bei Typ a handelt es sich um rechtwinklige Lehmziegelhäuser mit einem nicht überdachten Hof, bei Typ b um Steinhäuser ohne klaren geometrischen Grundriss, deren Räume immer an eine schon bestehende Mauer angesetzt wurden. Entgegen der nubischen Tradition bestand die Überdachung der Wohngebäude allerdings aus mit Lehm beworfenen Matten.
Die Besiedelungszeit von Sunnarti kann nur über die gefundene Keramik erschlossen werden, die in das 11.-12. Jh. datiert.
Kirchen
Sunnarti
▼ Sunnarti, Blick auf die Kirchenruine (Dinkler (1970) Abb. 266)
Sunnarti, Kirche, Nördliches Seitenschiff (Dinkler (1970) Abb. 270) ▲
Die kleine Kirchenruine von Sunnarti (12 x 7 m) vertritt den Typ 4 nach einer von W. Y. Adams aufgestellten Typologie der nubischen Sakralarchitektur (1050 bis 1400). Durch die Keramik und Funde von Textfragmenten ist die Datierung ins 12./13. Jh. zu präzisieren. Der dreischiffige Bau mit ‚Haikal’ (Sanktuarium), dessen Altar noch in situ ist, wird von zwei Nebenräumen flankiert. Im Westen befindet sich ein Querraum. Die Wände sind bis zum Gewölbeansatz aus Bruchstein errichtet. Die Tonnengewölbe sowie die beiden Kuppeln an den Enden des Mittelschiffes bestanden aus Trockenziegeln. Die Innenwände waren verputzt und mit einem Strichmuster verziert.
Sunnarti, Kirche, Grundriß (Dinkler (1970) S. 260 Fig. 33) ▼
Tangur
Die Kirche von Tangur befindet sich am Südosthang der Insel. Erhalten sind nur Wandreste des nördlichen Seitenschiffes mit Anschlüssen der Nachbarräume. Trotzdem kann der ursprüngliche Bau rekonstruiert werden. Es handelte sich ebenfalls um eine dreischiffige Anlage des Typs 4 nach Adams (14. Jh.). Im Osten schlossen sich drei kleinere Räume an, ein vorgelagerter Westraum war allerdings nicht vorhanden. Die Westwand gibt keine Hinweise auf einen Zugang, lediglich durch eine Tür in der Nordwand des Seitenschiffes konnte das Gebäude betreten werden. Ob sich symmetrisch ein weiterer Eingang im südlichen Seitenschiff befand ist nicht nachweisbar. Vergleichbare Kirchen lassen vermuten, dass das Mittelschiff überkuppelt war.
Tangur, Kirche, Grundriß (Dinkler (1970) S. 263 Fig. 34) ▼
Kulb
Die Wadi-Kirche von Kulb (11,5 x 6,5 m) hat in etwa dieselben Ausmaße wie die Kirche von Sunnarti. Im Grundriss zeigen sich aber erhebliche Unterschiede. So ist der Naos identisch mit dem ‚Haikal’, der von zwei Nebenräumen flankiert wird. Es muss offenbleiben, ob die Zwischenwände bis zur Decke reichten oder nur als Abschrankungen dienten. Westlich der Nebenräume befinden sich zwei Eckräume, deren Mitte sich zum ‚Haikal’ öffnet. Der quergelagerte Ostraum ist auf Grund vorhandener Mauerfugen klar als spätere Ergänzung zu erkennen. Unsicher bleiben die Art des Daches sowie eine klare Zuordnung des Kirchentyps nach Adams. Anhand der Keramikfunde wird die Kirche ins 11./12. Jh. angesetzt. Wie in Sunnarti wurden auch hier Strichmuster an den Innenwänden gefunden.
▼ Kulb, Wadi-Kirche, Blick von Nordosten (Diebner (1970) Abb. 284)
Kulb, Wadi-Kirche, Grundriß (Dinkler (1970) S. 264 Fig. 35) ▲
Literatur
- W. Y. ADAMS, Architectural Evolution of the Nubian Church. 500-1400 A. D., in: Journal of the American Research Center in Egypt 4, 1965, S. 87-139
- E. DINKLER – P. GROSSMANN – B. DIEBNER, Deutsche Nubien-Unternehmung 1967. Vorbericht, in: Archäologischer Anzeiger, 1968/4, S. 717-738
- E. DINKLER – P. GROSSMANN, Deutsche Nubien-Unternehmung 1968, in: Archäologischer Anzeiger, 1971/1, S. 122-146
- E. DINKLER – M. SCHARABI – J. ZÄNKER, Deutsche Nubien-Unternehmung 1969, in: Archäologischer Anzeiger, 1971/3, S. 456-491
- E. DINKLER, Die deutschen Ausgrabungen auf den Inseln Sunnarti, Tangur und in Kulb, in: E. Dinkler (Hrsg.), Kunst und Geschichte Nubiens in christlicher Zeit. ergebnisse und Probleme auf Grund der jüngsten Ausgrabungen (1970) S. 259-272
- G. S. MILEHAM, Churches in Lower Nubia (1910) bes. Kap.1 und 2