Nubiens christliches Jahrtausend
Die Geburt der nubischen Königreiche
Die Christianisierung Nubiens
Die arabische Expansion und ihre Folgen
Der Aufbau der nubischen Reiche
Das Ende des christlichen Nubien
Literatur
Die bei der Heidelberger Nubienunternehmung gemachten archäologischen Funde sind Zeugnisse der rund tausend Jahre andauernden christlichen Geschichte des mittleren Nilufers, welche heutzutage selbst in Fachkreisen weitgehend unbekannt ist. Vom 6. bis zum 15. Jahrhundert n. Chr., einem Zeitraum der ungefähr dem europäischen Mittelalter entspricht, wurde Nubien von christlichen Königen beherrscht, während die umliegenden Gebiete, allen voran Ägypten, schon bald zunehmend vom Islam dominiert wurden. Hier blühte eine Zivilisation, die einheimisch-afrikanische Elemente mit solchen des antiken Mittelmeerraums verband. Erstaunlicherweise scheint diese, trotz des Vorhandenseins einer hoch entwickelten Schriftkultur, keine eigene Geschichtsschreibung entwickelt zu haben. Um einen Eindruck von den Ereignissen im christlichen Nubien zu gewinnen, sind wir daher neben archäologischen Funden in hohem Maße auf Berichte von dessen nördlichen Nachbarn, den Byzantinern und den Arabern, angewiesen. Daraus ergibt sich, dass wir vor allem über die Verhältnisse in Nordnubien recht gut unterrichtet sind, während die Überlieferung zum Süden deutlich mehr Lücken aufweist.
Die Geburt der nubischen Königreiche (4. bis 6. Jahrhundert)
Während der Antike war Nubien über Jahrhunderte hinweg in Gestalt des Königreichs von Kusch politisch geeint, nachdem es zuvor für längere Zeit unter der Fremdherrschaft des pharaonischen Ägypten gestanden hatte. Im 4. nachchristlichen Jahrhundert bricht die Überlieferung zu diesem Reich ab. Die Einwanderung von Nomadenstämmen aus den umliegenden Wüstengebieten sowie Angriffe durch das Königreich Axum im heutigen Äthiopien scheinen das Ende des Staates herbeigeführt zu haben. In der Folgezeit begannen die eingewanderten Stämme, für die antike Historiker Namen wie Nobaden, Blemmyer oder Nuba überliefern, Nubien unter sich aufzuteilen. Dies führte zur Entstehung von drei unabhängigen Königreichen: Nobadia im Norden mit der Hauptstadt Faras, Makuria im Bereich des Nilknies mit der Hauptstadt Alt-Dongola und Alwa (teilweise auch Alodia genannt) im Bereich des Zusammenflusses von Weißem und Blauem Nil mit der Hauptstadt Soba-Ost. Später, wohl im Verlauf des 7. Jahrhunderts, wurden Nobadia und Makuria unter heute unklaren Umständen vereint, aus Nobadia wurde die makurische Provinz Maris. Während sich in den benachbarten Regionen, im römisch beherrschten Ägypten und im äthiopischen Axum, das Christentum zur dominanten Religion entwickelte, scheint Nubien noch für längere Zeit überwiegend heidnisch geblieben zu sein. Dies änderte sich erst im Verlauf des 6. Jahrhunderts.
Die Christianisierung Nubiens (6. Jahrhundert)
Nubiens Geschichte war immer aufs Engste mit der des nördlich angrenzenden Ägypten verknüpft, aus dem immer wieder die verschiedensten kulturellen Einflüsse ihren Weg nach Süden fanden. Seit der Christianisierung des Römischen Reichs geschah dies nicht zuletzt in Gestalt von christlichen Missionaren. Diese verbreiteten damals jedoch keinen einheitlichen christlichen Glauben, sondern waren jeweils Vertreter verschiedener Auffassungen des Christentums, die innerhalb des Spätrömischen Reiches miteinander konkurrierten. Eine heiß diskutierte Frage war beispielsweise die nach dem Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur innerhalb der Person Christi, bei der eine Partei eher eine Vermischung der beiden, die andere eher deren gleichgewichtiges Nebeneinander betonte. Das Konzil von Chalkedon hatte 451 zwar einen Kompromiss ausgehandelt, doch wurde dieser nicht von allen Christen akzeptiert, vor allem nicht von den Befürwortern der Vermischung der beiden Naturen, den sogenannten Miaphysiten. Die daraus resultierende Spaltung der römischen Bevölkerung in Anhänger des Konzils und dessen Gegner reichte bis hinauf ins Kaiserhaus. So saß von 527 bis 565 mit Iustinian I. ein Chalkedonier auf dem Thron, während seine Frau Theodora Miaphysitin war. Bei der Missionierung fremder Völker unterstützten Kaiser und Kaiserin folglich die Vertreter ihrer jeweils bevorzugten Glaubensrichtung und versuchten gleichzeitig, die Missionare der Gegenseite auszubooten. Daraus ergab sich, dass die Königreiche Nobadia und Alwa miaphysitisch missioniert wurden, während die Bevölkerung des zwischen ihnen liegenden Makuria mehrheitlich zum chalkedonischen Glauben übertrat. In der Folge bildete sich in Nubien eine Kirchenhierarchie aus, deren Aufbau sich an der des Römischen Reichs orientierte. Kirchenpolitisch waren die nubischen Bischöfe bis zum Ende der christlichen Epoche dem Patriarchen im ägyptischen Alexandria unterstellt und konnten nur von diesem eingesetzt werden. Im weiteren Verlauf des 6. Jahrhunderts konnte sich das Christentum fest genug am Nil etablieren, um ab dem 7. Jahrhundert einer neuen Herausforderung entgegentreten zu können: der Expansion des Islam.
Verbreitung des miaphysitischen Christentums um 560 n. Chr. (nach: Frend (1972) S. 258-259 Fig. 2)
Die arabische Expansion und ihre Folgen (7. bis 12. Jahrhundert)
Im 7. Jahrhundert veränderten die Eroberungszüge der unter dem islamischen Glauben erstmals geeinten Araberstämme die politische und kulturelle Landkarte des Mittelmeerraums und des Vorderen Orients grundlegend. Unmittelbar nachdem das römische Ägypten an die Invasoren gefallen war, erschienen arabische Heere auch in Nubien. Hier erlebten die siegesgewohnten Araber 642 und 652 jedoch erstmals schwere Rückschläge. Vor allem das Können der nubischen Bogenschützen war bei ihnen bald gefürchtet. Beide Seiten einigten sich schließlich auf einen Friedensvertrag, den sogenannten Baqt, der auch gegenseitige Tributleistungen vorsah. Obwohl sich in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche muslimische Dynastien in der Herrschaft über Ägypten ablösten, taucht die regelmäßige Einhaltung der im Baqt getroffenen Vereinbarungen bis zum Ende der christlichen Zeit in Nubien immer wieder in den Quellen auf. Dies verhinderte jedoch nicht, dass es auch weiterhin zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam. So belagerte etwa 748 der makurische König Cyriacus mit einem großen Heer das ägyptische Kairo, um die Freilassung des vom arabischen Gouverneur Ägyptens eingesperrten Patriarchen von Alexandria zu erreichen, als dessen Schutzherr sich der Nubier sah. Daneben gab es aber auch friedliche Kontakte zwischen beiden Völkern, wie etwa die Berichte mehrerer arabischer Besucher Nubiens belegen. Die Zeit nach der arabischen Eroberung Ägyptens kann sogar als Blütezeit des christlichen Nubiens betrachtet werden, in die die Entstehung fast aller überlieferten Kunstdenkmäler aus den christlichen Königreichen fällt. Der Miaphysitismus scheint sich damals in ganz Nubien durchgesetzt zu haben, wohl aufgrund der engen Kontakte zum ebenfalls miaphysitischen Patriarchen von Alexandria. Überhaupt waren die nubischen Königreiche durch die fortschreitende Ausbreitung des Islams nicht vollständig vom Rest der Christenheit abgeschnitten, wie die in mittelalterlichen Quellen erwähnte Anwesenheit nubischer Pilger in den großen christlichen Heiligtümern des Mittelmeerraums zeigt.
Der Aufbau der nubischen Reiche
Von den Verhältnissen innerhalb des christlichen Nubiens und vom Aufbau seiner Königreiche lässt sich nur ein sehr allgemeines Bild entwerfen. An der Spitze des Staates stand der König als uneingeschränkter Herrscher und theoretisch auch Eigentümer allen Landbesitzes. Zwar sind nur männliche Herrscher bekannt, doch spielten Frauen zumindest bei der Erbfolgeregelung eine wichtige Rolle, da die Herrschaft immer zuerst an den Sohn der Schwester des Königs vererbt wurde, während seine eigenen Söhne erst an zweiter Stelle kamen. Die Herrscherhäuser von Makuria und Alwa scheinen enge Verbindungen unterhalten zu haben, zeitweise wurden beide Staaten vielleicht sogar in Personalunion regiert. Das nubische Königtum war stark sakral aufgeladen, indem die Könige gleichzeitig als Priester fungierten, ein Status, den sie jedoch verlieren konnten, sobald sie zum ersten Mal einen anderen Menschen getötet hatten. Die einzelnen Provinzen der nubischen Staaten wurden von Vasallenherrschern verwaltet, die ebenfalls den Königstitel trugen, jedoch den Königen in Alt-Dongola bzw. Soba-Ost unterstanden. Eine Ausnahme bildete die Region von Maris/Nobadia im äußersten Norden Nubiens, die nach ihrer Angliederung an das Königreich Makuria von einem Eparch mit Sitz in Faras bzw. Qasr Ibrim verwaltet wurde. Dieser war auch für die Kontrolle der Beziehungen zu Ägypten verantwortlich. Daneben existierten noch eine Reihe anderer Verwaltungsämter, deren Bezeichnungen genau wie die des Eparchen aus der byzantinischen Verwaltung entlehnt waren.
Darstellung eines nubischen Königs vor Christus, Südschiff der Kathedrale von Faras (Seipel (2002) S. 91 Kat-Nr. 23)
Das Ende des christlichen Nubien (12. bis 16. Jahrhundert)
Militärische Konflikte zwischen Nubien und den muslimischen Nachbarn im Norden gab es über die Jahrhunderte hinweg immer wieder. Ab dem 12. Jahrhundert geriet das Nordreich von Makuria jedoch zunehmend in die Defensive, vor allem, als 1250 in Ägypten die Dynastie der Mameluken an die Macht kam, die eine besonders aggressive Außenpolitik betrieben. Der modernen Bewaffnung der ägyptischen Truppen hatte man in Nubien nichts gleichwertiges entgegenzusetzen. Immer wieder folgten mamelukische Heere dem Nil südwärts und setzten in Alt-Dongola vom Sultan in Kairo abhängige Könige ein. Die christliche Bevölkerung Makurias wurde sogar gezwungen die Dschizya, die Kopfsteuer für Ungläubige, zu bezahlen. Zusammen mit der verstärkten Einwanderung muslimischer Nomaden aus den östlichen Wüstengebieten führte dies zu einer immer stärkeren Islamisierung und Arabisierung des Landes. Arabische Scheichs heirateten sogar in die Königsfamilien ein. Von 1324 bis 1333 herrschte mit Kanz ed-Dawla zum ersten Mal ein König muslimischen Glaubens für längere Zeit über Makuria. Der anhaltende militärische Druck durch Mameluken und arabische Nomaden sowie dynastische Streitigkeiten brachten das Königreich schließlich zu Fall. 1365/66 wurde Alt-Dongola aufgegeben. Weiter im Norden residierte noch bis ungefähr 1500 ein christlicher König in Daw / Jebel Adda. Das Ende des Südreichs Alwa scheint ähnlich verlaufen zu sein. Hier dürfte vor allem das aus dem Südsudan einwandernde Volk der Funj eine große Rolle gespielt haben, das um 1500 mit dem Sultanat von Sennar den ersten islamischen Staat auf sudanesischem Boden begründete. Als im frühen 16. Jahrhundert die türkischen Osmanen von Ägypten aus auch Teile Nubiens unter ihre Kontrolle brachten, war die tausendjährige christliche Geschichte des Landes bereits weitgehend Vergangenheit.
Thronsaal von Alt-Dongola, am 6. Juni 1317 in eine Moschee umgewandelt, 1967 (Foto: Diebner)
Literatur
- W. Y. ADAMS, Nubia. Corridor to Africa (1977) S. 382-591
- B. J. DIEBNER, Nubien als stronghold koptischen Christentums nach dem Arabersturm, in: W. Beltz (Hrsg.), Koptische Kirche in den ersten drei islamischen Jahrhunderten. Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft / HBO 36 (2003; ersch.: 2004) S. 71-85
- W. H. C. FREND, The Rise of the Monophysite Movement (1972)
- P. SCHOLZ, Kusch – Meroë – Nubien 2 (1987) S. 125-145
- D. A. WELSBY, The Medieval Kingdoms of Nubia. Pagans, Christians and Muslims along the Middle Nile (2002)