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Forschungsstelle Antiziganismus
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Aktuelle Publikationen
Laura Hankeln: Antiziganismus im baden-württembergischen Staatsapparat 1945–1970
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Ulrich F. Opfermann: „Stets korrekt und human“ Der Umgang der westdeutschen Justiz mit dem NS-Völkermord an den Sinti und Roma
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Forschungsstelle Antiziganismus

Was ist Antiziganismusforschung?

Sinti und Roma zählen zu den größten Minderheiten in einem gesellschaftlich vielfältigen Europa. Doch sind Angehörige dieser Communitys massiven Diskriminierungen ausgesetzt. Diese beruhen auf einer anhaltenden Stigmatisierung, die eine lange, bisher wenig beachtete, dabei aber heute noch wirkmächtige Geschichte aufweist. Von Vorurteilen geleitete Einstellungsmuster und daraus resultierende Exklusionsmechanismen richten sich nicht nur gegen Sinti und Roma, sondern auch gegen andere soziale Gruppen, die als „Zigeuner“ wahrgenommen und als fundamental „Andere“ konstruiert werden. Diese Prozesse historisch fundiert zu untersuchen, ist eine Aufgabe von großer wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Dringlichkeit. Die Antiziganismusforschung ist ein noch junges, interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsfeld, das sich vor allem nach der Jahrtausendwende dynamisch entwickelt hat.


Fortlaufend findet ein kritischer Diskurs hinsichtlich zentraler Begrifflichkeiten statt; dies gilt auch für den Terminus „Antiziganismus“ selbst, der erst seit jüngerer Zeit in der Forschung verankert ist. Der Begriff umfasst sowohl mehrheitsgesellschaftlich konstruierte Bilder und negative Stereotype als auch die daraus hervorgehenden Praktiken der Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung bis hin zum Völkermord unter dem NS-Regime. Die Wirkungsweise von Antiziganismus liegt in einer Homogenisierung, Stigmatisierung und Abwertung der betroffenen Individuen mittels Zuschreibung insbesondere devianter, vormoderner oder archaischer Eigenschaften, teils auch in romantisch-verklärender Form. Zu den Folgen für die davon Betroffenen zählen gesellschaftliche, staatliche und institutionelle Benachteiligung in Bereichen wie Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohnen bis hin zu physischer Gewalt.


Forschungsprofil der FSA


Die FSA vertritt ein weites Verständnis von Antiziganismusforschung und führt vielfältige Perspektiven auf das historisch gewachsene Phänomen des Antiziganismus wie auch verschiedene methodische Ansätze zusammen. Sie will Impulse für die weitere (Grundlagen-)Forschung geben und legt einen starken Akzent auf den gesellschaftlichen Transfer.


In analytischer Hinsicht lassen sich unterschiedliche Ebenen und Bereiche der Antiziganismusforschung skizzieren. Zu diesen zählen einerseits soziale und institutionelle Praktiken, politische Handlungsmuster und historische Rahmenbedingungen. Andererseits gilt es, die ideologischen Grundlagen des Antiziganismus, die Spezifik von dessen Vorurteilsstruktur und die komplexe Genese von „Zigeuner“-Stereotypen zu untersuchen. Das Erkenntnisinteresse richtet sich im Besonderen auf die vielschichtigen miteinander verwobenen medialen Repräsentationen des Antiziganismus in der europäischen Kulturgeschichte, nicht zuletzt in der Populärkultur. Zudem sollen auch Emanzipations- und Empowermentstrategien von Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Institutionen – als Reaktion auf die Erfahrung von Antiziganismus – in den Blick genommen werden. Es versteht sich von selbst, dass diese unterschiedlichen (Analyse-)Ebenen in sozialen oder historischen Prozessen zusammenwirken und daher in ihrem inneren Zusammenhang betrachtet werden müssen. Das gilt insbesondere für das Wechselverhältnis zwischen antiziganistischen Diskursen und Praktiken. Das Paradigma des Antiziganismus kann mittels Vergleich und Kontextualisierung zur Forschung über Rassismus und Stereotype, zur Rolle von Nationalismus und kollektiver Identität, wie auch zu Migration sowie gesellschaftlicher Inklusion beitragen und so über ihren Gegenstand hinausweisen – hinein in die Geschichte und Gegenwart der europäischen Vielfaltsgesellschaften.


Aufgrund der Anbindung an das Historische Seminar sind die hauseigenen Forschungen in erster Linie historisch ausgerichtet. Die historische Antiziganismusforschung richtet den Fokus auf die komplexen Tradierungslinien dieses Macht- und Gewaltphänomens und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Transformationsprozesse. Kontinuitäten sowie der Wandel antiziganistischer Repräsentationen, Denk- und Handlungsmuster werden über unterschiedliche Epochen hinweg untersucht, um den Mechanismen der antiziganistischen Vorurteilsbildung sowie den sich daraus ableitenden sozialen bzw. institutionellen Praktiken auf den Grund zu gehen.
Zentral ist dabei die Frage nach den politischen, kulturellen oder ideologischen Funktionen des Antiziganismus in unterschiedlichen Kontexten. Besonderes Augenmerk liegt auf der dynamischen Wechselbeziehung von Fremd- und Selbstbild, also der Instrumentalisierung des Konstrukts „Zigeuner“ für – etwa nationale – Identitätskonzepte oder Ordnungsvorstellungen. Dabei geht es immer auch um die Erfahrungen der Menschen, die von Stigmatisierung, Ausgrenzung und Verfolgung betroffen sind.


Folgende thematische Schwerpunkte haben sich seit Gründung unserer Einrichtung herausgebildet:


1. Visueller Antiziganismus (mit Schwerpunkt Film und Fotografie)
2. NS-Völkermord an den Sinti und Roma
3. Kontinuitäten des Antiziganismus nach 1945
4. Emanzipations- und Bürgerrechtsbewegungen
5. Antiziganismus in der Populärkultur


Das Forschungsthema erfordert eine selbstreflexive und kritische Perspektive, die in der Lage ist, auch eigene Positionen immer wieder in Frage zu stellen und zu diskutieren – insbesondere mit den von Antiziganismus Betroffenen und ihren Selbstorganisationen. Nicht zuletzt dadurch grenzt sich die Antiziganismusforschung deutlich ab von den essenzialisierenden und ahistorischen Deutungsmustern der traditionellen „Zigeunerforschung“ bzw. Tsiganologie und sieht es auch als ihre Aufgabe an, den Beitrag der Wissenschaft zur Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma kritisch aufzuarbeiten und die Teilhabe von Sinti und Roma im Wissenschaftsbetrieb zu fördern.


Im Mai 2022 wurde die Arbeit der FSA wissenschaftlich evaluiert. Die Kommission aus sechs Gutachterinnen und Gutachtern urteilte, dass die Forschungsstelle „ihren Pionieraufgaben auf hervorragende Weise nachgekommen“ sei und empfahl die weitere Förderung „ohne jeglichen Vorbehalt und mit größtem Nachdruck“.

 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 23.08.2024
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