Aktuelle Publikationen am Lehrstuhl
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Prof. Dr. Winfried Brugger, Dr. Michael Karayanni (Editors)Religion in the Public Sphere:A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law |
Inhaltsverzeichnis
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ZusammenfassungDie Rolle der Religion in Westeuropa war in den letzten Jahrzehnten lange durch mehrere Trends geprägt: Privatisierung, Relativierung, Pluralisierung sowie mehr Indifferenz als Vehemenz im öffentlichen religiösen Leben. Westeuropa im allgemeinen und Deutschland im besonderen standen unter dem Zeichen der Säkularisierung. Säkularisierung hat unterschiedliche Konnotationen, bei uns wurde sie oft als Hinwendung zu diesseitigen Werten unter Zurückdrängung des Religiösen ins Private oder gar Irrationale angesehen. Das hat sich mit dem Einbruch und dem Aufkommen des Islam in vielen Ländern Europas geändert. Plötzlich drängt eine Minderheitsreligion heftig auf Anerkennung und stößt auf ein verunsichertes christlich geprägtes Gemeinwesen, das sich neue Gedanken über die öffentliche Rolle von Religionen und das Verhältnis des Staates zu den Kirchen machen muß. Gleichzeitig muß die zweite ideengeschichtliche Wurzel Europas, die Aufklärung, sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, daß ihr Umgang mit dem Religiösen oft naiv war (in bezug auf Integration) oder sich als voreingenommen darstellt (in bezug auf die Einstufung des Religiösen als irrational). In Israel war die jüdische Religion keinem vergleichbar starken Privatisierungsprozeß ausgesetzt; sie war immer öffentlich präsent und politisch aktiv – in „progressiveren“, liberaleren und „konservativeren“, orthodoxen Varianten. Trotzdem stellt sich auch dort die Frage, wie mit a- oder antireligiösen Haltungen und Andersgläubigen umzugehen ist. Dies gilt in einer Hinsicht sogar schärfer als in Deutschland: Israel akzeptiert in seinem Staat-Kirche-Verhältnis bislang weit engere Beziehungen zwischen den beiden Mächten, als das Deutschland tut. Der israelische Staat war von der Gründung an als Heimstatt für alle Juden weltweit gedacht, was kulturell zu einer Art Nationalreligion führt, die auch in Rechtstexten Ausdruck findet. In Israel nehmen in einigen Teilbereichen des Rechts Rabbiner weltliche Macht wahr (etwa in familienrechtlichen Statusangelegenheiten), was im deutschen Modell von Scheidung-und-Kooperation nicht möglich ist. In beiden Ländern wird nicht nur über die Spannung zwischen Minderheits- und Mehrheitsrechten gestritten (etwa in bezug auf rechtliche Anerkennung, finanzielle Förderung, öffentliche Darstellung, die Rolle der Religion in der Moderne generell), auch strukturell herrscht heftiger Streit: Sollte im Staat-Kirche/Religionen-Verhältnis das bislang herrschende System partieller formeller Einheit (Israel) bzw. der Scheidung-plus-Kooperation (Deutschland) aufrechterhalten und verteidigt, ja vielleicht sogar vertieft werden, oder sollten sich beide Staaten angesichts zunehmender religiöser Pluralisierung und Fundamentalisierung auf ein strikteres Trennungssystem von Kirche und Staat à la Frankreich und USA zurückziehen? Wenn man sich für ein Trennungssystem und dessen Neutralität gegenüber allen Religionen stark macht: Ist diese Neutralität wirklich herstellbar oder eine „Mission Impossible“? Sollten die beiden Staaten für eine primär national bestimmte Lösung kämpfen, oder ist es besser, auf neuere europarechtliche (im Fall Deutschland) oder auch völkerrechtliche Tendenzen der Abgrenzung der beiden Mächte (Deutschland und Israel betreffend) zu setzen? Diese Debatte wird nicht nur im Grundsätzlichen geführt, sie kulminiert in hochumstrittenen Einzelfällen. Im Vordergrund stehen Streitigkeiten über die rechtliche Behandlung von „christlichen Gemeinschaftsschulen“ und „Kreuzen in der Schule“ sowie Bekleidungsvorschriften für Lehrerinnen (Kopftuch, Nonnentracht) oder auch Schülerinnen (Kopftuchverbot in Frankreich). Streitig ist auch, ob ein Land das Recht hat, Feiertage nur der dominanten Religion vorzusehen, oder ob es rechtlich geboten oder zumindest politisch klug ist, auch Minderheitsreligionen einen Feiertag zukommen zu lassen. Ferner stellt sich im Anschluß an die zunehmende rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Ehen (oder „Lebenspartnerschaften“) die Frage, ob diese Änderungen sich nicht nur auf das Geschlecht der Ehepartner, sondern auch auf deren Zahl beziehen sollten. Könnte, müßte nicht auch eine polygame Ehe oder Partnerschaft anerkannt werden, jedenfalls soweit diese durch den religiösen Glauben legitimiert ist? Schließlich können religiöse Anschauungen Anerkennung im Heilbereich und dessen rechtlicher Regelung verlangen, auch wenn sie den einschlägigen Rechtsvorschriften widersprechen: Welches Regime – Religion oder Recht – soll dann Vorrang haben? All diese Fragen werden auf der Konferenz erörtert. Die Themen behandeln zum einen allgemeine Fragen der Religionsfreiheit und des Staat-Kirche-Verhältnisses, zum anderen die genannten, für das friedliche und verständige Zusammenleben in der Gegenwart und Zukunft wichtigen, aber auch besonders umstrittenen Fälle. Die Rechtslage in Deutschland und Israel steht im Mittelpunkt. In mehreren Referaten wird aber auch Bezug genommen auf die europarechtliche und völkerrechtliche Beeinflussung des nationalen Rechts der beiden Staaten. Ferner wird auch das Staat-Kirche-System in Frankreich und den USA exemplarisch behandelt, da diese beiden Staaten ein Trennungssystem etabliert haben, während Deutschland ein Kooperationssystem etabliert hat und Israel in einer Zwischenlage von Nationalreligion-Kooperation-und-Scheidung angesiedelt ist. Der Zukunftsstreit dreht sich, wie oben erwähnt, darum, ob man die Kooperation beibehält, vielleicht sogar vertieft, oder ob eine striktere Trennung von Staat und Kirchen notwendig ist mit weitgehender, wenn nicht absoluter Neutralität des Staates den Religionen gegenüber. |