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Brückenschlag zwischen
Ost und West

Georachäologische Summer School: Deutsch-chine­sische Forschungs­expedition mit neuen Erkennt­nissen zur alten Seidenstraße

 

Auf alten Pfaden Neuland betreten haben die Geographen der Universität Heidelberg. Bei einer deutsch-chinesischen Summer School zum Thema Geoarchäologie gingen sie an den beiden Grabungsstätten Jiaohe und Gaochang im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang der Frage nach, wie sich Klima und Landschaft über die Jahrtausende entwickelt haben. Dabei stand nicht nur der Technologietransfer in Form moderner Feldmethoden im Fokus. Auch der Austausch zwischen Wissenschaftlern und Studenten aus beiden Ländern sollte gefördert werden – ganz informell.

 

Unterwegs im Tuyugou Tal.

Foto: Koch

Turfan, rund drei Stunden entfernt von der westchinesischen Millionenstadt Urumqi. Hier verläuft die nördlichste von drei Routen der alten Seidenstraße, dieses ersten globalisierten Handelswegs, mitten durch ein empfindliches Wüstenökosystem. In den Flussoasen, die von den Gletschern des Tianshan-Gebirges gespeist werden, sprießen Rebstöcke, die Rosinenproduktion hat hier eine lange Tradition. Überall sonst offenbart der nackte Untergrund eine Chronik der Erdgeschichte. Ein Ökosystem, das seit jeher empfindlich auf Klimaänderungen reagiert. Bevor sie die Seidenstraße im Gelände erleben, bringen sich zwanzig deutsche und ebenso viele chinesische Teilnehmer mit Vorträgen über Botanik, Geographie und Archäologie auf einen gemeinsamen Wissensstand. Zwei Jahre Vorarbeit hat der Heidelberger Geograph Professor Olaf Bubenzer in diese Summer School gesteckt, gemeinsam mit Professor Cheng-Sen Li, einem Paläobotaniker von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking, und Professor Xiao Li, einem Archäologen der Academia Turfanica vor Ort. „Seit es die Hochseeschifffahrt und Flugzeuge gibt, spielt die Seidenstraße als Handelsweg kaum noch eine Rolle“, sagt Bubenzer. „Sie eignet sich aber als Metapher, denn wir wollen eine Brücke schlagen zwischen Ost und West – in Form von Wissenschaft.“ Cheng-Sen Li war vor zwei Jahren gezielt auf die Heidelberger Geographen zugegangen. „Sie sind bekannt für ihre Trockengebietsforschung, verwenden fortschrittliche Technologien und sind wie viele deutsche Forscher sehr kreativ im wissenschaftlichen Prozess“, sagt Li.

Foto: Bolten

Der erste Tag im Gelände. Olaf Bubenzer glättet mit einer von vier Arbeitsgruppen ein Bodenprofil in einem kleinen Seitental unterhalb der archäologischen Grabung Jiaohe. Die Siedlung, 1275 von Dschingis Khans Generälen zerstört, liegt auf einem Sporn aus Löß und Kies, dessen steile Flanken von zwei kleinen Flüssen angeschnitten werden. Dass sie in einer dieser Wände eine braune Schicht entdecken, einen fossilen Bodenhorizont, das ist Grund zur Aufregung – es ist ein eindeutiges Zeichen für einstmals feuchteres Klima. Solche Schichten werden als Archive genutzt. „So wie Historiker in Schriftwerken nachschlagen, kann uns diese dunkle Schicht erzählen, was in der Vergangenheit passiert ist“, erklärt Olaf Bubenzer. Mit Salzsäure lässt er die chinesischen Studenten den Kalkgehalt einzelner Bodenhorizonte überprüfen. Auch der pH-Wert wird bestimmt, und anhand von Farbe und Korngrößen können sie sich hier im Gelände ein erstes Bild machen, welche Sedimentschichten vom Wind bewegt und welche von fließendem Wasser abgelagert wurden.

Cheng-Sen Li entdeckt oberhalb des Bodenprofils noch ein Stück Knochen. „Er scheint noch an der Stelle in der Wand zu stecken, wo es ursprünglich mit fluvialen Sedimenten abgelagert wurde“, sagt Bubenzer und macht sich mit einem Taschenmesser ans Ausgraben. „Wenn sich über die Radiokarbonmethode das Alter bestimmen lässt, können wir die Sedimente zeitlich besser einordnen.“ Seine erste Vermutung indes: Der Boden ist älter als die letzte Vereisung, womöglich mehr als 100.000 Jahre. Die Seidenstraße war wohl schon zu ihrer Blütezeit zumindest in dieser Gegend extrem trocken. „Falls es aber damals doch Umweltveränderungen gab, wollen wir natürlich wissen, wie der Mensch darauf reagiert hat.“

Am nächsten Morgen geht es nach Gaochang. Hier lag von 300 n. Chr. an das Zentrum der westlichen Han-Dynastie. Schon damals war es heiß und trocken, ein Großteil der Stadt wird unterirdisch vermutet. Doch wo genau? Geophysikalische Methoden sollen den Archäologen Hinweise liefern. Die Geographen stecken Metallspieße in den Boden und verbinden sie über lange Kabel. Dann wird Strom in den Boden eingespeist und so der Widerstand ermittelt, der sich in Abhängigkeit vom unterliegenden Sediment ergibt. „Feinkörnige Sedimente, die viel Wasser speichern können, haben sehr geringe Widerstandswerte, also eine hohe Leitfähigkeit“, erklärt Dr. Stefan Hecht, in Heidelberg der Fachmann für diese geoelektrische Tomographie. „Ein sehr trockenes Substrat, etwa ein grober Kies, hat entsprechend hohe Widerstandswerte“, ergänzt sein Kollege Bertil Mächtle. Bei ersten Untersuchungen im Vorjahr

Der Boden von Gaochang lässt mit sich reden: Mit Hammerschlägen werden kleine Erdbeben erzeugt. Die Signale, die im Seismo­gramm sodann zu sehen sind, zeigen die Tiefe von Schichtgrenzen im Untergrund an. So können die Wissenschaftler zum Beispiel herausfinden, wo das Festgestein beginnt.

Foto: Schenck

stießen sie auf einen verschütteten Tunnel. Kein Wunder, dass der Grabungsleiter vor Ort es kaum erwarten kann, dass die deutschen Forscher erneut ihre Spieße in den staubigen Boden von Gaochang rammen.

Niemand gibt gerne Geheimnisse preis, wenn man ihm einen Hammer auf den Kopf schlägt. Der Boden von Gaochang allerdings lässt mit sich reden. Auf einem früheren Acker nahe des alten Zentrums erzeugen die Geographen mit Hammerschlägen kleine „Erdbeben“. Die Schallwellen zeichnen sie mit ihren empfindlichen Geophonen auf, und die ersten Signale, die im Seismogramm zu sehen sind, zeigen die Tiefe von Schichtgrenzen im Untergrund – etwa, wo das Festgestein beginnt. „Die Geschwindigkeiten, mit der die Wellen die verschiedenen Gesteine durchlaufen, lassen Aussagen über die Sedimentmächtigkeiten und die Art der Gesteine im Untergrund zu“, erklärt Hecht. „Die Umwelt haben wir Archäologen in dieser Region lange vernachlässigt“, sagt Xiao Li von der Academia Turfanica. „Dieses Wissen hilft uns sehr.“

Um die Ergebnisse der Geophysik zu überprüfen, bohrt Gerd Schukraft mit einer Studentengruppe im ausgetrockneten Aiding-See. Er liegt 154 Meter unter der Meereshöhe und ist einer der tiefsten Punkte der Erde. Anhand der Schichtung im Bohrkern lassen sich feuchte und trockene Phasen unterscheiden. „Gerade Gips und Magnesiumssulfatkristalle verraten uns viel über frühere Wasserstände und damit über die Feuchtigkeitsverhältnisse im Einzugsgebiet“, erklärt Schukraft, der in Heidelberg das Labor für Geomorphologie und Geoökologie leitet. Die Bohrkerne werden aufgeteilt: Mehr als 18 Meter wandern nach Heidelberg, ebenso viele nach Peking, wo die Paläobotaniker um Cheng-Sen Li anhand der im Sediment konservierten Pollen die Vegetation früherer Jahrhunderte rekonstruieren. Die Geographen wiederum analysieren chemische und physikalische Parameter der Sedimente.

Vom Interesse der chinesischen Studenten ist Schukraft begeistert: „Ich bin überrascht, wie unkompliziert der Kontakt ist.“ Noch nie zuvor hat eine Gruppe in dieser Art Geländearbeiten in Westchina durchgeführt. Im nächsten Jahr wollen die Heidelberger eine internationale Konferenz ausrichten, dann soll ein Forschungsprojekt folgen. Für Olaf Bubenzer wäre es genau der richtige Zeitpunkt für einen Startschuss mit Signalwirkung: Im Wintersemester 2010/11 nämlich soll ein Masterstudiengang Geoarchäologie die ersten Studierenden aufnehmen.

Niklas Schenck
Aus: unispiegel, 4/2009, S. 3

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Letzte Änderung: 23.05.2018