Kreativtät im Wechselspiel zwischen konventionellem Lernen und individuellem Freiraum
13. März 2014
Erkenntnisse aus Neurobiologie, Psychologie und Kulturwissenschaften zur Förderung kreativer Prozesse
Kreativität ereignet sich in einem Wechselspiel zwischen konventionellem Lernen und individuellem Freiraum. Neue Einsichten und Gedanken beruhen dabei auf dem geduldigen Erlernen „traditioneller“ Formen, die verinnerlicht, partiell dekonstruiert und anschließend neu zusammengesetzt werden. Dazu sind sowohl emotionale und intellektuelle Anspannung als auch Ruhe und Entspannung notwendig. Das sagt der Psychotherapeut und Kreativitätsforscher Prof. Dr. Rainer M. Holm-Hadulla von der Universität Heidelberg. Er hat eine Studie vorgelegt, in der er aus aktuellen neurobiologischen, psychologischen und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen praktische Konsequenzen für die Förderung kreativer Prozesse zieht.
Kreativität ist eine hochgeschätzte Eigenschaft des Menschen; ihre Förderung ist ein wichtiges Anliegen – sei es im Kindergarten, in der Schule oder im Beruf. Dabei herrschen zumeist jedoch unklare Vorstellungen darüber, was das „Schöpferische“ ausmacht, wie Prof. Holm-Hadulla betont. „Aus der Neurobiologie wissen wir, dass kreative Prozesse in einem Wechselspiel von kohärenter, das heißt zusammenhängender Strukturbildung und der Auflösung dieser Strukturen zustande kommen. Ohne Erinnerungen, also gespeichertes Wissen, können keine neuen Ideen entstehen. Neue Ideen treten aber nur dann auf, wenn bestehendes Wissen ,verflüssigt‘ wird“, so der Kreativitätsforscher. Ähnliche Erkenntnisse finden sich nach den Worten von Prof. Holm-Hadulla auch in Psychologie und Kulturwissenschaften. „Letztlich beinhalten diese Denkbilder ein dialektisches Konzept: Kreativität ereignet sich in einem Prozess von Stabilisierung und Labilisierung der Kohärenz. Dabei benötigt kreatives Denken Freiräume, in denen Gehirn und Psyche ungestört von äußeren Reizen arbeiten können.“
In seiner Studie beschreibt der Wissenschaftler, welche praktischen Konsequenzen daraus für die Förderung von Kreativität gezogen werden können. „Wir müssen Toleranz entwickeln für die sogenannte Kohärenzbildung – für geduldiges Lernen, bei dem ein kreativer Schub nur ansatzweise zu spüren ist. Gleichzeitig sind wir gefordert, auch Inkohärenz zu ertragen, während erlerntes Wissen und Können ihre Bedeutung verlieren und wir uns für Neues bereithalten“, sagt Prof. Holm-Hadulla. Diese Offenheit bereite nicht nur Spaß, sondern sei häufig auch mit Spannungszuständen verbunden. „Kreative Spannungen werden aber erträglicher in einer fördernden Umgebung, die das eigene Tun emotional verstärkt und interessiert anerkennt. Dabei muss das rechte Verhältnis von Disziplin und Freiheit im kreativen Prozess immer wieder neu gefunden werden.“
Rainer M. Holm-Hadulla ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Er lehrt an der Ruperto Carola und leitet die Psycho-Soziale Beratungsstelle des Studentenwerks Heidelberg. Daneben ist er als Psychoanalytiker, Berater und Coach tätig. Zum Thema Kreativität hat er mehrere Bücher veröffentlicht. Seine Studie „The Dialectic of Creativity: A Synthesis of Neurobiological, Psychological, Cultural and Practical Aspects of the Creative Process“ ist in der Fachzeitschrift „Creativity Research Journal“ erschienen.
Originalveröffentlichung:
R. M. Holm-Hadulla: The Dialectic of Creativity: A Synthesis of Neurobiological, Psychological, Cultural and Practical Aspects of the Creative Process. Creativity Research Journal 25(3), 1-7, 2013, doi: 10.1080/10400419.2013.813792