Neudatierung der Bronzezeit?
22. Oktober 2015
(c) Ken Massy
Von einer möglichen neuen Datierung der Bronzezeit gehen Wissenschaftler der Universität Heidelberg aus. Danach hätte die sogenannte Mittlere Bronzezeit in Mitteleuropa schon rund 150 Jahre früher begonnen, als dies nach gängiger Lehrmeinung bisher angenommen wurde. Das legen die Ergebnisse von Untersuchungen nahe, die Privatdozent Dr. Philipp Stockhammer und Prof. Dr. Ernst Pernicka an rund 150 etwa 4.000 Jahre alten Gräbern in Bayern und Baden-Württemberg durchgeführt haben. Ihre Forschungen geben auch neue Aufschlüsse über die Himmelsscheibe von Nebra, deren bronzezeitliche Zuordnung den Forschern bisher Schwierigkeiten gemacht hat. Philipp Stockhammer forscht am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie und gehört dem Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext“ der Ruperto Carola an. Ernst Pernicka ist wissenschaftlicher und geschäftsführender Direktor des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie in Mannheim und hat zugleich die Klaus-Tschira-Stiftungsprofessur „Archäometrie“ am Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg inne. Bei ihren Forschungen arbeiteten Dr. Stockhammer und Prof. Pernicka mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena zusammen.
dpa-Veröffentlichung
Epoche des Umbruchs – Studie wirft neues Licht auf Bronzezeit in Deutschland
Die ausgefeilte Verarbeitung von Metallen, eine deutliche Ausweitung der Handelsnetze und eine stärkere Hierarchisierung: Die Bronzezeit war in Mitteleuropa eine Epoche des Umbruchs. Nun haben Forscher in einem Großprojekt etwa 4.000 Jahre alte Gräber in Süddeutschland analysiert. Die Datierung von rund 150 Gebeinen in Bayern und Baden-Württemberg stellt grundlegende Lehrmeinungen infrage. Sie gibt Aufschluss über das damalige Leben der Menschen und löst ein Rätsel um den Fund der Himmelsscheibe von Nebra. Das berichtet das Team um Philipp Stockhammer von der Universität Heidelberg und Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena im Fachblatt „PLOS ONE“.
Mit dem Ende der Kupfersteinzeit begann in Mitteleuropa das erste Stadium der Bronzezeit, die Frühe Bronzezeit (FBZ). Vorangegangen war eine massive Zuwanderung von Hirtenvölkern aus dem Schwarzmeer-Gebiet vor rund 4.500 Jahren, wie Ernst Pernicka vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim berichtet. Während der Frühen Bronzezeit, die Experten in Mitteleuropa bislang auf die Zeit von etwa 2300 v. Chr. bis 1550 v. Chr. datierten, etablierten sich Bronzelegierungen aus Kupfer und Zinn.
Seit mehr als 100 Jahren unterteilten Forscher diese Epoche in zwei klar getrennte Phasen: Anfangs bestand die Bronze demnach noch vor allem aus gehämmertem Kupfer mit allenfalls wenig Zinn, später – nach bisheriger Datierung ab etwa 2000 v. Chr. – wurde die Bronze aus beiden Metallen mit einem Mischungsverhältnis von etwa 9 zu 1 gegossen. Grundlage dieser zweigeteilten Chronologie war die Idee, dass sich Gesellschaften linear und zielgerichtet entwickeln, vom Einfachen hin zum Komplizierten. „Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der damaligen Evolutionslehre noch zeitgemäß“, sagt Stockhammer.
Die neue Untersuchung liefert nun ein anderes Bild: Die Forscher datierten rund 140 menschliche Gebeine aus Gräbern bei Augsburg. Südlich der Gegend erstreckt sich eine schmale Lössterrasse, an deren Rändern jahrhundertelang Familien in Gehöften mit drei bis vier Häusern lebten, neben denen sie ihre Toten bestatteten. Zudem untersuchten die Wissenschaftler zehn Gräber aus Singen in der Nähe des Bodensees.
Die Analysen zeigen eindeutig, dass die Frühe Bronzezeit in dieser Region recht einheitlich um 2150 v. Chr. begann – also später als bisher angenommen. Bis 1900 v. Chr. fanden die Wissenschaftler in den Gräbern sowohl Nadeln und Schmuck aus Knochen und Wildschweinhauern als auch Objekte aus Kupfer mit meist nur geringem Zinnanteil. Erst ab dieser Zeit enthalten manche Gräber Gegenstände aus der härteren, zum Teil aufwendig gegossenen Bronze.
Allerdings löste dieser komplexe Bronzeguss einfachere Verfahren – zumindest in Süddeutschland – keineswegs ab. Stattdessen blieben die Menschen in dieser Region grundsätzlich bei ihrer früheren, traditionellen Technik. Aufwendig gegossene Bronzeobjekte wurden demnach hauptsächlich von außen eingeführt.
Als Quelle vermuten die Forscher vor allem das Mittelelbe-Saale-Gebiet. Diese Region zählt zur sogenannten Aunjetitz-Kultur – benannt nach dem Ort Aunjetitz (Únětice) bei Prag. Sie bildete das Zentrum der Frühen Bronzezeit in Mitteleuropa und zog sich über Westpolen, Böhmen und Mähren bis nach Niederösterreich. Die Menschen dort hatten das Bronzegießen schon um 2200 v. Chr. entwickelt. Dabei verwendeten sie Pernicka zufolge Zinn aus dem Erzgebirge, aber auch aus dem südenglischen Cornwall, der größten Zinn-Lagerstätte Europas.
Gegossene Objekte gelangten demnach aus Ostdeutschland über soziale Beziehungen und Handelswege nach Süddeutschland. Die härtere Bronze verbreitete sich jedoch im Augsburger Raum – im Gegensatz zu früheren Annahmen – keineswegs flächendeckend. „Dies hing ab von der Bereitschaft und der Fähigkeit der Menschen, Neuerungen zu übernehmen“, sagt Stockhammer. Diese Bereitschaft war offenbar begrenzt. Nur in wenigen Gräbern fanden die Forscher solche Objekte. Letztlich, so folgern die Wissenschaftler, existierten beide Varianten jahrhundertelang nebeneinander.
„Unsere Ergebnisse stellen die absolute und relative Chronologie der Frühen Bronzezeit und die darauf beruhende Annahme einer linearen und allmählichen Entwicklung für Süddeutschland grundsätzlich infrage“, schreiben die Forscher. Die Entwicklung sei komplexer gewesen.
Auch wenn die Frühe Bronzezeit in Ost- und Süddeutschland vermutlich zu verschiedenen Zeiten begann, so endete sie in beiden Regionen fast gleichzeitig um 1700 v. Chr., vermutet Stockhammer. „Die Daten aus Süddeutschland passen gut zu denen aus Mitteldeutschland und Böhmen.“
Somit begann die Mittlere Bronzezeit (MBZ) in Mitteleuropa nicht erst um 1550 v. Chr., sondern schon 150 Jahre früher. „Wenn so ein früher Anfang der Mittleren Bronzezeit auf breiterer Datenbasis bestätigt würde, hätte dies größeren Einfluss auf die historische Darstellung der mitteleuropäischen Bronzezeit“, schreiben die Autoren. „Eine solche Neu-Datierung würde das Rätsel lösen, dass die Mittlere Bronzezeit in Mitteleuropa eine eher kurze Phase ist, gemessen an den grundlegenden sozialen Veränderungen während dieser Zeit.“
Tatsächlich war gerade die Mittlere Bronzezeit, die bis etwa 1300 v. Chr. reichte, eine Epoche fundamentaler Umwälzungen, die sämtliche Lebensbereiche durchdrangen. In dieser Epoche finden Archäologen erstmals etwa Schwerter und Dolche, Gräber enthalten komplexeren Schmuck und verziertere Gewänder, insbesondere von Frauen. Ab dieser Zeit sind die Gesellschaften auch in Süddeutschland wesentlich stärker sozial geschichtet. Hügelgräber lösen die bis dahin vorherrschenden Flachgräber ab. Handelsbeziehungen reichen bis nach Südskandinavien, wovon etwa Bernsteinfunde zeugen.
Die neue Chronologie könnte auch ein Rätsel um den Fund der Himmelsscheibe von Nebra lösen. Diese weltweit älteste Darstellung des Firmaments wurde in einer Bodenschicht entdeckt, die auf etwa 1640 v. Chr. datiert wird – nach bisheriger Lesart also in die Frühe Bronzezeit fällt. Die Fundschicht enthielt aber auch zwei Bronzeschwerter, die zu den ältesten derartigen Funden der Welt zählen. Deren Zuordnung zur Frühen Bronzezeit bereitete Forschern bislang Kopfzerbrechen, da Schwerter erst in der Mittleren Bronzezeit entstanden. Die neue Datierung löst den vermeintlichen Widerspruch auf. Die Himmelsscheibe selbst, die mehrfach umgearbeitet wurde, ist vermutlich einige Jahrhunderte älter – sie stammt eindeutig aus der Frühen Bronzezeit.
So viele Probleme die neue Chronologie löst, sie wirft neue Fragen auf. Die Siedlungen bei Augsburg waren über einen Zeitraum von 800 Jahren durchgängig bewohnt, wie Stockhammer betont. Diese kontinuierliche Besiedlung endete plötzlich während der frühen Mittleren Bronzezeit. Den Grund für diese Zäsur kennen die Forscher noch nicht. „Die Böden haben sich ja nicht geändert“, sagt Pernicka. Auch deute nichts auf kriegerische Auseinandersetzungen hin. „Etwas anderes muss sich geändert haben.“
Autor: Walter Willems
Quelle: dpa-Dossier Wissenschaft
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