Das Altertum studieren, um die Moderne zu verstehen
200 Jahre Klassische Philologie in Heidelberg: Das älteste Seminar der Ruperto Carola feiert Geburtstag – Mit alten Texten in die Zukunft der Disziplin – Preisverleihung
Genau 200 Jahre sind nun vergangen, seit 1807 – im Zuge des Neuanfangs nach den napoleonischen Kriegen – das Heidelberger Seminar für Klassische Philologie gegründet wurde. Den Neuanfang wagte Friedrich Creuzer, der Freund Goethes und Brentanos, der zugleich wissenschaftliches Renommee in die Neckarstadt brachte. Diese hatte gerade erst das Ende der Kurpfalz und den Wechsel zum Land Baden erleben müssen – große Geister wie Creuzer beherbergen zu dürfen, war auch ein wenig Balsam für die Seele der Heidelberger. In diesem Jahr nun feiert das älteste kontinuierlich bestehende Seminar der Universität das Jubiläum – mit einer Reihe interessanter Veranstaltungen.
Den Anfang macht diese Woche das "Mittelrheinische Symposion: Text und Intuition". Eröffnet wird es durch die Verleihung des Förderpreises für klassisch-philologische Theoriebildung an Susanne Gödde von der FU Berlin, die am 18. Januar in der Alten Aula der Universität für ihre Habilitationsschrift "euphêmia. Konstruktionen des Guten in Kult und Literatur der griechischen Antike" ausgezeichnet wird.
Susanne Gödde von der FU Berlin wird am 18. Januar in der Alten Aula der Universität für ihre Habilitationsschrift ‚euphêmia. Konstruktionen des Guten in Kult und Literatur der griechischen Antike’ mit dem Förderpreis für klassisch-philologische Theoriebildung ausgezeichnet.
Foto : privat
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Die Berliner Gräzistin und Religionswissenschaftlerin arbeitete sich im Rahmen ihrer Forschung durch die griechische Literatur von Homer bis Platon und untersuchte hierbei vor allem die traditionell als Schweigegebot verstandene "Rede vom Guten" – "euphêmia" – als Figur der Grenze zwischen guter und schlechter, zwischen eigentlicher und uneigentlicher Rede. In textnahen Analysen entwarf sie dabei das faszinierende Panorama einer Literatur, die in der Beobachtung ritueller und gesellschaftlicher Redenormen immer zugleich die Möglichkeit ihrer Überschreitung mitbedenkt. Das zeugt von unkonventionellem Forschergeist, was den Stiftern des Preises wichtig ist, wie Prof. Jürgen Paul Schwindt erklärt. Der Direktor des Seminars für Klassische Philologie ist seit Jahren mit dem Förderpreis beschäftigt und freut sich mit den prominenten Gastjuroren Michael Theunissen und Rainer Warning über engagierte Nachwuchswissenschaftler wie Susanne Gödde, die der Klassischen Philologie durch genaue, dabei originelle Relektüren alter Texte neue Theoriebausteine und vielleicht sogar -horizonte erschließen. "Für den eiligen Karriereleser wie den Freund stromlinienförmiger oder zeitgeistnaher Lektüren sind wir die falsche Adresse."
Der Preis ist mit 1500 Euro dotiert, die vom Universitätsverlag Winter gestiftet werden. Der Verlag ermöglicht zudem die Publikation in der angesehenen "Bibliothek der Klassischen Altertumswissenschaften". "Mit Herrn Dr. Barth vom Universitätsverlag wissen wir uns einig in der Einschätzung, dass das wissenschaftstheoretische und intellektuelle Erbe der Romantik, der beide Institutionen, Verlag und Seminar, nach ihrer Herkunft verpflichtet sind, noch lange nicht ausgeschöpft ist", erläutert Jürgen Schwindt.
Immerhin entwickelten Creuzer und seine Kollegen August Böckh sowie der jüngere Voß in engem Kontakt mit den anderen großen Disziplinen der Heidelberger Romantik – wie den juristischen, historischen und theologischen Fächern – eine neue und bis heute aktuelle Wissenschaftslehre von weltweiter Ausstrahlung, in dezidierter Abwendung von den weltanschaulichen Prämissen der klassischen Periode.
"Noch das poststrukturalistische Zeitalter und die in immer neuen Nostalgieschüben sich häutende neoromantische Gegenwart zeugen von der ungebrochenen Virulenz diverser methodologischer Einstellungen der Romantik", so Schwindt, der zugleich betont: "Es ist schön und notwendig, das Altertum zu studieren, um das Altertum zu verstehen. Noch schöner und notwendiger aber ist es, das Altertum zu studieren, um die Moderne zu verstehen. Dabei interessiert uns weniger der charismatische Gelehrte und Künstlerphilologe Creuzer als der Schöpfer einer überfachlich organisierten philologischen Grundlagenwissenschaft."
Am Seminar selbst wird seit geraumer Zeit an der kategorialen Grundlegung einer klassisch-philologischen Literaturwissenschaft gearbeitet, wie Direktor Schwindt erklärt: "Eine moderne, international ausgerichtete Literaturforschung hat Konsequenzen für unser Verständnis der griechischen und lateinischen Literatur- und Kulturgeschichte wie auch für das Selbstverständnis der Philologie und das gerade von ihr transportierte Menschenbild."
Allerdings zielen Heidelbergs Klassische Philologen nicht nur auf die programmatische Erneuerung eines ehedem ins Abseits geratenen Faches, sondern auch auf die Ausbildung kritischer Zeitgenossen: "Wenn wir es schaffen, unsere Visionen von einer in den modernen Wissenschaften vom Menschen fest verankerten Klassischen Philologie durchzusetzen, dann schaffen wir es nur deshalb, weil wir kluge, hellwache Nachwuchswissenschaftler und Studenten haben, die mit ihrer kreativen Unruhe jede Neigung zur Sklerosebildung schon im Keim ersticken", freut sich Schwindt, der auf die 140 Neueinschreibungen im laufenden Semester verweist. Hier liegt der Grundstein dafür, die Klassische Philologie in der Moderne und in der Zukunft lebendig zu halten. 200 Jahre sind lange nicht genug.
© Rhein-Neckar-Zeitung
Info: Die Verleihung des Heidelberger Förderpreises für klassisch-philologische Theoriebildung findet statt am Donnerstag, 18. Januar, 18.15 Uhr, in der Alten Aula der Universität, Grabengasse 1. Den Festvortrag hält der Münchner Komparatist Rainer Warning zum Thema "Goethe und Diderot".
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