Geheimnisvolle Gestalt aus der Tiefe der Geschichte
23. Februar 2008
Schwindel erregende Zeitdimensionen: Der Heidelberger Assyriologe Stefan M. Maul präsentierte im DAI das legendäre Gilgamesch-Epos
Tauchgang in den Alten Orient: Die neuassyrische Darstellung eines löwenbezwingenden Riesen (um 710 v. Chr.) ist Ausschnitt aus einem 4,45 m hohen Steinrelief, das am Eingang zum Thronsaal des assyrischen Königs Sargon II. (722-705 v. Chr.) in Chorsabad bei Ninive (Irak) angebracht war.
Foto: Titelbild-Ausschnitt von Mauls Gilgamesch-Übersetzung
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Wenn Günter Netzer auf dem Fußballfeld aus der Tiefe des Raumes kam, so kommt die geheimnisvolle Gestalt des Gilgamesch wahrlich aus der Tiefe der Geschichte – und das entsprechende Epos beginnt auch noch mit den Worten: "Der, der die Tiefe sah ..." Nun präsentierte der Heidelberger Assyriologe und Leibniz-Preisträger Stefan M. Maul diesen "ältesten literarischen Stoff, der uns bekannt ist", im Heidelberger Deutsch-Amerikanischen Institut unter starkem Publikumsandrang. Der Wissenschaftler entführte in die Welt des Alten Orients, das mesopotamische Zweistromland mit Euphrat und Tigris im gegenwärtigen Irak, das die älteste Hochkultur der Menschheitsgeschichte hervorgebracht hat und "heute in traurigem Zusammenhang in aller Munde ist". Im Wechsel mit dem Schauspieler Jens Koch vom Theater Heidelberg, der Auszüge aus Mauls Übersetzung des Jahres 2005 las, führte der Altorientalist kommentierend in das Gilgamesch-Epos ein und ließ die bis in vorsintflutliche Zeiten zurückreichende Überlieferung in der ihr eigenen elementaren Wucht und Kraft lebendig werden.
Denn in ihrer Widersprüchlichkeit und menschlichen Zerrissenheit wirkt die Figur des Gilgamesch, des Königs von Uruk, bis heute seltsam "modern": Durch Irrungen und Wirrungen hindurch muss der Zwei-Drittel-Gott, der seine Kräfte mit der ganzen Welt messen will, die ihm gezogenen Grenzen erkennen lernen, um auf seinen Lebensweg zu finden. Und damit zeichnete die Gilgamesch-Gestalt schon in uralter Zeit ein immer noch gültiges Daseinsmuster vor.
Besonders beeindruckend ist die Tiefe der schließlich Schwindel erregenden Zeitdimensionen, die im Kontext dieses Epos eine Rolle spielen. Alles begann 1872, als der britische Assyriologe George Smith das Bruchstück einer Keilschrift-Tontafel vorstellte, das er in den Ruinen der assyrischen Hauptstadt Ninive im Schutt des Palastes des Assyrerkönigs Assurbanipal (668-627 v. Chr.) gefunden hatte. Es erzählt die Geschichte von der Sintflut, mit der hier aber nicht Noah, sondern Uta-napischti zu kämpfen hat. Die bis in Einzelheiten reichenden Parallelen zeigten enge Verflechtungen des biblischen mit dem uralten mesopotamischen Gedankengut und stellten die Autorität der deutlich jüngeren Bibel-Überlieferung in Frage.
Man erkannte dann, dass das Sintflut-Fragment aus Ninive Teil eines großen Epos ist, das jedoch in Abertausende von Bruchstücken zersplittert war. Die Rekonstruktion der insgesamt zwölf Tafeln mit weit über 3000 Versen ist auch nach mehr als 130 Jahren nicht abgeschlossen – es fehlt immer noch ein gutes Drittel.Der Tauchgang in die Geschichte führt zunächst zu dem Dichter Sinleqe-unnini, dessen Gilgamesch-Epos im letzten Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand. Aber Sinleqe-unnini lag wohl schon eine frühere altbabylonische Version aus dem 18. vorchristlichen Jahrhundert vor. Weitere Textfunde deuten darauf hin, dass sich unter den ältesten Keilschrifttexten in sumerischer Sprache aus dem 26. Jahrhundert v. Chr. dichterische Werke befinden, die bereits von Gilgamesch, dem König von Uruk, künden. Endgültig gesprengt wird der historische Rahmen durch die "Sumerische Königsliste", die im ausgehenden dritten vorchristlichen Jahrtausend entstand. Die damaligen Gelehrten des Zweistromlandes hatten genaue Vorstellungen von Gilgamesch. Demnach war im Anschluss an eine graue Vorzeit "das Königtum vom Himmel herabgekommen". Dann haben acht extrem langlebige Fürsten bis zur Sintflut insgesamt 241 200 Jahre regiert. Bis Gilgamesch in Uruk den Thron bestieg, um die Kultur der neu erstandenen Welt wiederherzustellen, sollen dann noch 26 554 Jahre vergangen sein. Schließlich habe Gilgamesch als fünfter König der nachsintflutlichen Dynastie von Uruk 126 Jahre lang geherrscht. Und noch weiteren derlei phantastischen Zeitvorstellungen begegnet man im kulturgeschichtlichen Umfeld des Epos.
In Mesopotamien mit seiner bis ins 5. vorchristliche Jahrtausend reichenden Geschichte galt Gilgamesch "als größter Herrscher aller Zeiten", der die dortige Kultur lange nach der Zerstörung durch die Sintflut wieder errichtete, indem er seine Stadt Uruk mit einer gewaltigen schützenden Mauer umgab und seiner Heimat die Welt erschloss.
Dass die damals erfundene Schrift bis in unsere Gegenwart gelangen konnte, liegt Maul zufolge an dem besonders robusten Medium. Denn der luftgetrocknete oder gebrannte Ton ist neben Stein oder Gold das einzige Material, das im Erdboden auf Dauer übersteht und vermutlich auch in Zukunft überstehen wird: "Unter den Ruinen des Britischen Museums werden die zerbrochenen Tontafeln immer noch liegen, in Jahrtausenden, wenn von unseren Schriftzeugnissen vielleicht nicht mehr viel übrig geblieben sein wird."
Info: "Das Gilgamesch-Epos". Neu übersetzt und kommentiert von Stefan M. Maul. Verlag C. H. Beck, München 2005. 191 S., 19,90 Euro.
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Denn in ihrer Widersprüchlichkeit und menschlichen Zerrissenheit wirkt die Figur des Gilgamesch, des Königs von Uruk, bis heute seltsam "modern": Durch Irrungen und Wirrungen hindurch muss der Zwei-Drittel-Gott, der seine Kräfte mit der ganzen Welt messen will, die ihm gezogenen Grenzen erkennen lernen, um auf seinen Lebensweg zu finden. Und damit zeichnete die Gilgamesch-Gestalt schon in uralter Zeit ein immer noch gültiges Daseinsmuster vor.
Besonders beeindruckend ist die Tiefe der schließlich Schwindel erregenden Zeitdimensionen, die im Kontext dieses Epos eine Rolle spielen. Alles begann 1872, als der britische Assyriologe George Smith das Bruchstück einer Keilschrift-Tontafel vorstellte, das er in den Ruinen der assyrischen Hauptstadt Ninive im Schutt des Palastes des Assyrerkönigs Assurbanipal (668-627 v. Chr.) gefunden hatte. Es erzählt die Geschichte von der Sintflut, mit der hier aber nicht Noah, sondern Uta-napischti zu kämpfen hat. Die bis in Einzelheiten reichenden Parallelen zeigten enge Verflechtungen des biblischen mit dem uralten mesopotamischen Gedankengut und stellten die Autorität der deutlich jüngeren Bibel-Überlieferung in Frage.
Man erkannte dann, dass das Sintflut-Fragment aus Ninive Teil eines großen Epos ist, das jedoch in Abertausende von Bruchstücken zersplittert war. Die Rekonstruktion der insgesamt zwölf Tafeln mit weit über 3000 Versen ist auch nach mehr als 130 Jahren nicht abgeschlossen – es fehlt immer noch ein gutes Drittel.Der Tauchgang in die Geschichte führt zunächst zu dem Dichter Sinleqe-unnini, dessen Gilgamesch-Epos im letzten Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand. Aber Sinleqe-unnini lag wohl schon eine frühere altbabylonische Version aus dem 18. vorchristlichen Jahrhundert vor. Weitere Textfunde deuten darauf hin, dass sich unter den ältesten Keilschrifttexten in sumerischer Sprache aus dem 26. Jahrhundert v. Chr. dichterische Werke befinden, die bereits von Gilgamesch, dem König von Uruk, künden. Endgültig gesprengt wird der historische Rahmen durch die "Sumerische Königsliste", die im ausgehenden dritten vorchristlichen Jahrtausend entstand. Die damaligen Gelehrten des Zweistromlandes hatten genaue Vorstellungen von Gilgamesch. Demnach war im Anschluss an eine graue Vorzeit "das Königtum vom Himmel herabgekommen". Dann haben acht extrem langlebige Fürsten bis zur Sintflut insgesamt 241 200 Jahre regiert. Bis Gilgamesch in Uruk den Thron bestieg, um die Kultur der neu erstandenen Welt wiederherzustellen, sollen dann noch 26 554 Jahre vergangen sein. Schließlich habe Gilgamesch als fünfter König der nachsintflutlichen Dynastie von Uruk 126 Jahre lang geherrscht. Und noch weiteren derlei phantastischen Zeitvorstellungen begegnet man im kulturgeschichtlichen Umfeld des Epos.
In Mesopotamien mit seiner bis ins 5. vorchristliche Jahrtausend reichenden Geschichte galt Gilgamesch "als größter Herrscher aller Zeiten", der die dortige Kultur lange nach der Zerstörung durch die Sintflut wieder errichtete, indem er seine Stadt Uruk mit einer gewaltigen schützenden Mauer umgab und seiner Heimat die Welt erschloss.
Dass die damals erfundene Schrift bis in unsere Gegenwart gelangen konnte, liegt Maul zufolge an dem besonders robusten Medium. Denn der luftgetrocknete oder gebrannte Ton ist neben Stein oder Gold das einzige Material, das im Erdboden auf Dauer übersteht und vermutlich auch in Zukunft überstehen wird: "Unter den Ruinen des Britischen Museums werden die zerbrochenen Tontafeln immer noch liegen, in Jahrtausenden, wenn von unseren Schriftzeugnissen vielleicht nicht mehr viel übrig geblieben sein wird."
Heribert Vogt
© Rhein-Neckar-Zeitung
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Info: "Das Gilgamesch-Epos". Neu übersetzt und kommentiert von Stefan M. Maul. Verlag C. H. Beck, München 2005. 191 S., 19,90 Euro.
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