Weltberühmter Klassiker des Denkens
4. März 2008
Die Heidelberger Soziologin Uta Gerhardt im Grünen Salon über Max Weber – Einführung in das Werk des Sozialwissenschaftlers in dessen ehemaligem Domizil am Neckar
"In der feinen Architektur seiner Texte, die mit idealtypischen Begriffen arbeiten und dabei eine schier unglaubliche Breite historischer, zeitgenössischer, rechtlicher, politischer, wirtschaftlicher Zusammenhänge überblicken, liegt das Geheimnis des Denkens Max Webers", resümierte die Heidelberger Soziologieprofessorin Uta Gerhardt im Grünen Salon des Max-Weber-Hauses am Neckarufer. Auf Einladung der Literarischen Gesellschaft Palais Boisserée sprach die Wissenschaftlerin über die Heidelberger Geistesgröße, die Gerhardt zufolge "wie etwa Sigmund Freud eine Weltfigur" ist.
Dementsprechend hebt die Soziologin im Hinblick auf Weber hervor: "Das Faszinierende sind seine bis in den Wortgebrauch minutiös genauen Darstellungen, die kompromisslos auf exaktem Durchdenken der Sachverhalte beruhen... Das ist einzig in den Sozialwissenschaften. Darin liegt wohl seine Bedeutung als Denker – weltweit." Anders als der Bielefelder Soziologe Joachim Radkau, der 2005 in seiner Biographie "Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens" die Bedeutung der Weber'schen Körperlichkeit betonte, vertritt Gerhardt die Gegenthese: "Weber war leidenschaftlich um Objektivität in seinem Denken bemüht. Mehr nicht."
1897 Lehrstuhl in Heidelberg
Max Weber (1864-1920) studierte Jura, Wirtschaftswissenschaften und Geschichte in Heidelberg und Berlin. 1894 erhielt er einen Lehrstuhl für Nationalökonomie in Freiburg, 1897 für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Heidelberg. Aber schon 1898 gerät er in eine bis 1903 anhaltende Gesundheits- und Schaffenskrise, so dass er sich beurlauben lässt und danach 15 Jahre lang als Privatgelehrter in Heidelberg tätig ist. Ab 1904 ist er – gemeinsam mit Edgar Jaffé und Werner Sombart Mitherausgeber der Zeitschrift "Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik", in der fast alle seine zu Lebzeiten entstandenen Arbeiten erscheinen.
Hier entfaltet Weber zu Beginn mit dem berühmten Objektivitätsaufsatz ein Wissenschaftsprogramm, das bis heute gilt. Ein Jahr später wird im "Archiv" die bedeutende Abhandlung "Die protestantische Ethik und der ‚Geist' des Kapitalismus" publiziert. Zu Lebzeiten erscheint noch der erste Band der "Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie".
Und nach Webers Tod stellte dessen Frau, Marianne Weber, die vielfältigen Schriften in fünf Büchern zusammen – "und die sind das Werk": "Gesammelte politische Schriften" (1921), "Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der Sozialökonomik" (1922), "Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre" (1922), "Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" (1924), "Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik" (1924), außerdem insgesamt drei Bände "Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie" (1920/21/21). Dieses von der Witwe herausgegebene Werk "begründet Webers Ruhm". Schließlich schreibt Marianne Weber ihre Erinnerungen "Max Weber. Ein Lebensbild" (1926).
Es gab jedoch Zeiten in Heidelberg, in denen Max Weber als der Mann von Marianne Weber (1870-1954) galt, die eine renommierte Frauenrechtlerin war. Bis nach 1945 gab es keine angemessene Rezeption Webers in Deutschland. Dagegen hatte bereits in der Zwischenkriegszeit mit dem Amerikaner Talcott Parsons und dem Österreicher Alfred Schütz eine internationale Rezeption begonnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Weber dann "gewissermaßen über das transatlantische Exil nach Deutschland zurückgekehrt".
Ein Meilenstein war der Heidelberger Soziologentag 1964 zu Max Webers 100. Geburtstag, auf dem Theodor W. Adorno – mit Unterstützung Horkheimers und Habermas' – Kritik übte, wie Gerhardt referierte: "Weber sei ein Wegbereiter des Faschismus gewesen, denn sein Typus der bürokratischen Herrschaft rechtfertige Autoritarismus und Totalitarismus. Webers Begriffsbildung durch Idealtypen bewirke, dass die Vernunft in der Geschichte negiert werde... Deshalb müsse man vor Weber warnen." Nachdem Adorno dies auf dem Schloss vorgetragen hatte, waren Weber und sein Objektivitätsstreben jedoch mit aller Entschiedenheit insbesondere von Talcott Parsons, inzwischen Harvard-Professor, verteidigt worden.
Parsons hatte lange Zeit Kontakt mit dem Herausgeber der Weber'schen Werke, dem Wissenschaftler Johannes Winckelmann in München, wo Weber kurz vor seinem Tod, 1919, einen Lehrstuhl erhalten hatte. Und über Winckelmann gelangte die gegenwärtige, auf 41 Bände angelegte Max Weber-Gesamtausgabe (MWG) an die Bayerische Akademie der Wissenschaften. So wurde Weber bis in die achtziger Jahre gegen Marxismus und Kritische Theorie gesetzt. Erst seit den neunziger Jahren – nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus – ist Weber nach Gerhardt "unangefochten auf der ganzen Welt als Klassiker anerkannt".
Heute ergibt sich nach Gerhardts Ausführungen jedoch ein neues Problem der Rezeption, "da Webers Weltberühmtheit nicht von Deutschland ausgegangen ist, sondern von Amerika, und in den USA zu Weber über 4000 Titel vorliegen" – oft wird der frühere Heidelberger Wissenschaftler sogar schon für einen Amerikaner gehalten. Daher werden in Deutschland die Übersetzungen dieser englischsprachigen Literatur immer wichtiger.
Gerhardt unterstrich, dass der modernen Soziologie eine objektive Erkenntnis nur möglich ist, wenn sie "perspektivisch und partikular auf ein bestimmtes Problem gerichtet ist". Deshalb ist die Fragestellung des Forschers mitbestimmend für das Verständnis des geschichtlichen Themas: "Genau diesen Gedanken macht sich Weber zu eigen. Im Objektivitätsaufsatz entwarf er erstmals 1904 die Begriffsbildung durch Idealtypen – das charakteristische berühmt-berüchtigte Verfahren der Weber'schen Analysen."
Dabei bildet der Forscher unter der Problemstellung ein hypothetisches Gedankenbild, das den geschichtlich-gesellschaftlichen Sachverhalt zeichnet. Zum Beispiel würde man einen idealtypischen Begriff der mittelalterlichen Stadtwirtschaft bilden, um die Frage zu klären, ob Augsburg im 16. Jahrhundert die Hochburg eines frühen Kapitalismus war. Über Abweichung vom und Nähe zum Idealtyp wird dann ein Untersuchungsergebnis erzielt. Gerhardt schließlich über Webers Vorgehensweise: "Es sind solche Analysen mittels Idealtypen, worin die Faszination seines Werkes besteht."
Rückfragen bitte an:
Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
Dementsprechend hebt die Soziologin im Hinblick auf Weber hervor: "Das Faszinierende sind seine bis in den Wortgebrauch minutiös genauen Darstellungen, die kompromisslos auf exaktem Durchdenken der Sachverhalte beruhen... Das ist einzig in den Sozialwissenschaften. Darin liegt wohl seine Bedeutung als Denker – weltweit." Anders als der Bielefelder Soziologe Joachim Radkau, der 2005 in seiner Biographie "Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens" die Bedeutung der Weber'schen Körperlichkeit betonte, vertritt Gerhardt die Gegenthese: "Weber war leidenschaftlich um Objektivität in seinem Denken bemüht. Mehr nicht."
1897 Lehrstuhl in Heidelberg
Max Weber (1864-1920) studierte Jura, Wirtschaftswissenschaften und Geschichte in Heidelberg und Berlin. 1894 erhielt er einen Lehrstuhl für Nationalökonomie in Freiburg, 1897 für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Heidelberg. Aber schon 1898 gerät er in eine bis 1903 anhaltende Gesundheits- und Schaffenskrise, so dass er sich beurlauben lässt und danach 15 Jahre lang als Privatgelehrter in Heidelberg tätig ist. Ab 1904 ist er – gemeinsam mit Edgar Jaffé und Werner Sombart Mitherausgeber der Zeitschrift "Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik", in der fast alle seine zu Lebzeiten entstandenen Arbeiten erscheinen.
Hier entfaltet Weber zu Beginn mit dem berühmten Objektivitätsaufsatz ein Wissenschaftsprogramm, das bis heute gilt. Ein Jahr später wird im "Archiv" die bedeutende Abhandlung "Die protestantische Ethik und der ‚Geist' des Kapitalismus" publiziert. Zu Lebzeiten erscheint noch der erste Band der "Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie".
Und nach Webers Tod stellte dessen Frau, Marianne Weber, die vielfältigen Schriften in fünf Büchern zusammen – "und die sind das Werk": "Gesammelte politische Schriften" (1921), "Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der Sozialökonomik" (1922), "Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre" (1922), "Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" (1924), "Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik" (1924), außerdem insgesamt drei Bände "Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie" (1920/21/21). Dieses von der Witwe herausgegebene Werk "begründet Webers Ruhm". Schließlich schreibt Marianne Weber ihre Erinnerungen "Max Weber. Ein Lebensbild" (1926).
Es gab jedoch Zeiten in Heidelberg, in denen Max Weber als der Mann von Marianne Weber (1870-1954) galt, die eine renommierte Frauenrechtlerin war. Bis nach 1945 gab es keine angemessene Rezeption Webers in Deutschland. Dagegen hatte bereits in der Zwischenkriegszeit mit dem Amerikaner Talcott Parsons und dem Österreicher Alfred Schütz eine internationale Rezeption begonnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Weber dann "gewissermaßen über das transatlantische Exil nach Deutschland zurückgekehrt".
Ein Meilenstein war der Heidelberger Soziologentag 1964 zu Max Webers 100. Geburtstag, auf dem Theodor W. Adorno – mit Unterstützung Horkheimers und Habermas' – Kritik übte, wie Gerhardt referierte: "Weber sei ein Wegbereiter des Faschismus gewesen, denn sein Typus der bürokratischen Herrschaft rechtfertige Autoritarismus und Totalitarismus. Webers Begriffsbildung durch Idealtypen bewirke, dass die Vernunft in der Geschichte negiert werde... Deshalb müsse man vor Weber warnen." Nachdem Adorno dies auf dem Schloss vorgetragen hatte, waren Weber und sein Objektivitätsstreben jedoch mit aller Entschiedenheit insbesondere von Talcott Parsons, inzwischen Harvard-Professor, verteidigt worden.
Parsons hatte lange Zeit Kontakt mit dem Herausgeber der Weber'schen Werke, dem Wissenschaftler Johannes Winckelmann in München, wo Weber kurz vor seinem Tod, 1919, einen Lehrstuhl erhalten hatte. Und über Winckelmann gelangte die gegenwärtige, auf 41 Bände angelegte Max Weber-Gesamtausgabe (MWG) an die Bayerische Akademie der Wissenschaften. So wurde Weber bis in die achtziger Jahre gegen Marxismus und Kritische Theorie gesetzt. Erst seit den neunziger Jahren – nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus – ist Weber nach Gerhardt "unangefochten auf der ganzen Welt als Klassiker anerkannt".
Heute ergibt sich nach Gerhardts Ausführungen jedoch ein neues Problem der Rezeption, "da Webers Weltberühmtheit nicht von Deutschland ausgegangen ist, sondern von Amerika, und in den USA zu Weber über 4000 Titel vorliegen" – oft wird der frühere Heidelberger Wissenschaftler sogar schon für einen Amerikaner gehalten. Daher werden in Deutschland die Übersetzungen dieser englischsprachigen Literatur immer wichtiger.
Gerhardt unterstrich, dass der modernen Soziologie eine objektive Erkenntnis nur möglich ist, wenn sie "perspektivisch und partikular auf ein bestimmtes Problem gerichtet ist". Deshalb ist die Fragestellung des Forschers mitbestimmend für das Verständnis des geschichtlichen Themas: "Genau diesen Gedanken macht sich Weber zu eigen. Im Objektivitätsaufsatz entwarf er erstmals 1904 die Begriffsbildung durch Idealtypen – das charakteristische berühmt-berüchtigte Verfahren der Weber'schen Analysen."
Dabei bildet der Forscher unter der Problemstellung ein hypothetisches Gedankenbild, das den geschichtlich-gesellschaftlichen Sachverhalt zeichnet. Zum Beispiel würde man einen idealtypischen Begriff der mittelalterlichen Stadtwirtschaft bilden, um die Frage zu klären, ob Augsburg im 16. Jahrhundert die Hochburg eines frühen Kapitalismus war. Über Abweichung vom und Nähe zum Idealtyp wird dann ein Untersuchungsergebnis erzielt. Gerhardt schließlich über Webers Vorgehensweise: "Es sind solche Analysen mittels Idealtypen, worin die Faszination seines Werkes besteht."
Heribert Vogt
© Rhein-Neckar-Zeitung
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