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Meinung

Kreativität lässt sich nicht verordnen!
von Joachim Funke

Prof. Joachim Funke  
Foto: Friederike Hentschel, Heidelberg

„Allenfalls kann man Gelegenheit zur Kreativität schaffen. Dabei hilfreich sind intelligente Personen mit milden Formen der Besessenheit, viel Zeit und Muße.“


Der Begriff Kreativität ist in aller Munde. Besonders kreativ aber sollen Wissenschaftler sein. Auf also zum Kreativitätskurs! Lösen wir einen Gehirnsturm – ein „brain storming“ – aus und gehen wir mit einem genialen Einfall nach Hause. Kreativitäts-Workshops und Ideenbörsen, Zukunftswerkstätten oder Utopie-Gruppen – alle Welt will Kreativität fördern. Was wird nicht noch alles getan, um selbst den letzten Gedanken aus dem Gehirn zu kitzeln. Zugleich wird immer mehr evaluiert, kontrolliert, reglementiert und noch der letzte Rest an freier Zeit verplant. Zum anarchischen Wesen der Kreativität gehört es aber nun einmal, dass sie sich weder planen noch verordnen lässt. Allein von Disziplin wird die begehrte Muse auch nicht zum ersehnten Kuss verführt. Förderlich für die Kreativität hingegen sind mehr Zeit, mehr Vertrauen, weniger Druck. Dann wird man am Ende sehen können, ob sich ein interessanter Gedanke, etwas Neues entwickelt hat.

Betrachten wir das tatsächliche Umfeld derer, die kreativ sein sollen. Die viel gepriesene Drittmittelförderung gerät immer mehr zum starren Korsett. Was man als Wissenschaftler vor drei Jahren beantragt hat, muss in die Tat umgesetzt werden – andernfalls verlangt der Projektträger eine Begründung dafür, warum man nicht schon drei Jahre zuvor die bessere Idee gehabt habe. Einfacher macht man es sich, den einmal beschriebenen Arbeitsplan unverändert beizubehalten. Denn an alten Ideen haften zu bleiben, ist nicht begründungspflichtig. Neue Ideen aber – und damit Abweichungen vom Plan – kosten Zeit und Nerven.

Blickt man zurück in die Geschichte, zeigt sich, dass Innovationen gerade nicht das Ergebnis von Anreizprogrammen und ausgeklügelten Kreativitätsübungen sind. Häufig waren sie die Resultate intelligenter Eigenbrötler, die ihre Ideen mit teils milder, teils heftiger Besessenheit verfolgten und sich dabei meist nur wenig um die Meinung ihrer Zeitgenossen scherten. Die kreative Idee, die urplötzlich über ihren Entdecker hereinbricht und Außenstehenden wie ein göttlicher Geistesblitz erscheinen mag, stellt sich bei näherer Betrachtung oft als das Konzentrat langwieriger Vorarbeiten heraus, ganz im Sinne des Diktums von Thomas Edison: „Genius is one percent inspiration and 99 percent perspiration.“

Wie so oft, haben wir es auch bei der Kreativität mit der Wechselwirkung zwischen einer Person und ihrer Umwelt zu tun: Kreative Milieus sind leicht zu spüren, wenn man ihnen begegnet – sie sind jedoch nur schwer zu beschreiben und noch schwerer herzustellen. Allenfalls kann man Gelegenheit zur Kreativität schaffen. Dabei hilfreich sind intelligente Personen mit milden Formen der Besessenheit, viel Zeit und Muße.

So sehr wir alle uns viele kreative Milieus in kreativ ausgerichteten Organisationen wie den Universitäten wünschen: Am Ende ist es immer nur das Individuum, das mit seinen neuen Ideen die Wissenschaft voranbringt. Es wäre deshalb geraten, ihm von Seiten der Organisation mehr Freiräume zu geben und ihm mehr Vertrauen entgegenzubringen, sodass es Kreativität entwickeln und Mut zum Risiko zeigen kann.

Die Kreativität ist ein zartes Pflänzchen. Pflegt man es nicht stetig und geduldig, kommt nur ein dürres Gewächs heraus. Ein guter Gärtner hegt seine Pflanzen und liebt sie und weiß doch, dass schöne Blüten nicht zu erzwingen sind. Wenn aber das Klima stimmt, gibt es Grund zur Hoffnung.

Joachim Funke ist Professor für Allgemeine und Theoretische Psychologie, Sprecher des Senats, Marsilius-Fellow und Chairman der „PISA Expert Group on Problem Solving“.
Kontakt: joachim.funke@psychologie.uni-heidelberg.de

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 13.01.2012
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