"Ich bin ein ungewöhnlicher Senator"
Neuer Ehrensenator der Universität Heidelberg ist Nobelpreisträger Douglas D. Osheroff aus Stanford, Kalifornien. Von ihm erwartet die Universität "Rat, Unterstützung und Impulse", wie es im Senat hieß. Auf welchen Feldern wird Professor Osheroff mit Heidelberg kooperieren? Woran forscht der Physiker, der 1996 für seine Entdeckung und die Untersuchung von suprafluidem Helium-3 gemeinsam mit David M. Lee und Robert C. Richardson den Nobelpreis für Physik erhielt, zurzeit? Antworten gibt Osheroff im Gespräch mit Pressesprecher Michael Schwarz und Campus-TV-Redakteur Joachim Kaiser.
Professor Osheroff, Sie sind neuer Ehrensenator der Universität Heidelberg. Wie fühlen Sie sich dabei?
Prof. Dr. Douglas D. Osheroff: Als ein etwas ungewöhnlicher Senator. Ich bin nicht sicher, welche Aufgabe mir zufallen wird. Aber ich freue mich auf all das, was ich für die Universität tun kann.
Was hat sie dazu bewogen, der Einladung der Universität nach Heidelberg zu folgen? Sie haben doch sicher Einladungen von zahlreichen anderen Universitäten in aller Welt.
Osheroff: Ich habe Freunde in Heidelberg, und ich liebe die Stadt. Derzeit arbeiten zwei Postdocs von der Universität Heidelberg in meiner Forschungsgruppe. Verbindungen sind also bereits vorhanden – und so lag es nahe, diese Verbindung zu vertiefen.
Wie denken Sie, können Sie zum wissenschaftlichen Fortschritt der Ruprecht-Karls-Universität beitragen?
Osheroff: Ich werde nach besten Möglichkeiten mit meinem Rat zur Verfügung stehen, und ich werde vor allem versuchen, die naturwissenschaftliche Arbeit der Universität zu unterstützen, weil dies mein eigenes Arbeitsgebiet ist.
Hätten Sie gerne Kontakt zu den Studenten hier, beispielsweise indem Sie Vorlesungen halten oder Seminare veranstalten?
Osheroff: So etwas mache ich sehr gerne. Ich hoffe nur, dass die Studenten hier gut genug Englisch verstehen ...
Im Jahr 1996 wurde Ihnen der Nobelpreis für Ihre Entdeckung der Suprafluidität von Helium-3 verliehen. Welche Anwendung findet diese Entdeckung im Alltag, welche Bedeutung hat sie für die Wissenschaft?
Osheroff: Die Suprafluidität von Helium-3 tritt bei so tiefen Temperaturen auf, dass es dafür keine kommerziellen Anwendungen gibt. Schon allein das Abkühlen ist einfach zu teuer. Einige Leute hoffen, mit suprafluidem Helium-3 die besten Kreiselkompasse der Welt entwickeln zu können. Einer meiner Kollegen, Richard Packard von der University of California in Berkeley, hat dies beispielsweise vor. Ich denke, dass die Suprafluidität von Helium-3 vor allem ein System ist, das sich hervorragend eignet, um die physikalischen Phänomene zu untersuchen, die in der Supraleitung auftreten.
Welche Bedeutung hat Ihre Entdeckung für die Physik?
Osheroff: Wir haben als erste gezeigt, dass auch in anderen Systemen – außer solchen von Elektronen – ein so genannter BCS-Phasenübergang stattfinden kann. Dabei bilden sich korrelierte Paare von Fermi-Teilchen, die sich dann wie Bose-Teilchen verhalten, welche wiederum in einen makroskopisch besetzten Zustand kondensieren können. Helium-3 hat sich zudem als ein bemerkenswert komplexes System herausgestellt. Es weist eine große Anzahl unterschiedlicher Symmetrien auf, und es hat eine Vielzahl von Phasen und Singularitäten, die mit der Struktur dieser Phasen zu tun haben. Man hat das System wegen seiner Komplexität beispielsweise verwendet, um Modelle des frühen Universums zu testen.
Wird es in näherer Zukunft mehr praktische Anwendungen dieser Entdeckung geben?
Osheroff: Derzeit sehe ich keine Möglichkeit für eine industrielle Anwendung. Im Labor allerdings wird suprafluides Helium-3 mit großer Sicherheit künftig mehr Anwendungen finden, weil es ein reichhaltiges System mit vielen, ungewöhnlichen Eigenschaften ist.
Womit beschäftigen Sie sich derzeit?
Osheroff: Die Arbeit, für die ich den Nobelpreis erhalten habe, hat während meiner Promotion stattgefunden, also vor mehr als 30 Jahren. Ein bisschen arbeiten wir auch heute noch mit suprafluidem Helium-3. Ich mische da immer noch gerne mit. Außerdem beschäftige ich mich mit dem Tieftemperaturverhalten von Gläsern. Siegfried Hunklinger vom Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg und ich sind gute Freunde – und gewissermaßen Konkurrenten – im Bestreben, die Tieftemperatureigenschaften der ungeordnetesten Systeme der Welt zu verstehen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass festes Helium-3 – es bildet sich oberhalb eines Druckes von 34 Atmosphären – eine Reihe an nuklearen antiferromagnetischen Phasenübergängen durchläuft. Das ist wegen der darin vorkommenden stark unterschiedlichen Energieskalen ein sehr interessantes, magnetisch geordnetes System. Die Gitterschwingungen, genannt Phononen, und die Austauschenergie sowie die nukleare Dipol-Dipol-Wechselwirkung sind jeweils mindestens vier Größenordnungen voneinander entfernt. Damit hat man ein sehr sauberes System, mit dem man viele Phänomene untersuchen kann, die in anderen magnetisch geordneten Systemen nicht sichtbar sind.
Wie sehen Sie die Zukunft der Naturwissenschaften?
Osheroff: Besonders gut sieht momentan die Zukunft der biomedizinischen Forschung aus. Bei der Physik hingegen wissen manche Leute nicht so genau, warum sie gefördert werden soll. In den Vereinigten Staaten war man zur Zeit des Kalten Krieges der Ansicht, die Physik sei für die Landesverteidigung wichtig. Das ist nun aber vorbei. Ich wage zu behaupten, dass weitere fundamentale Entdeckungen in der Physik und Astrophysik bevorstehen – sie werden aber ausbleiben, wenn die Physik keine Unterstützung erfährt. Historisch betrachtet, ist die Physik diejenige Wissenschaft, welche zahlreiche technische Entwicklungen hervorgebracht hat, die anderen Gebieten zugute kamen. Ein Beispiel ist der Laser, ein anderes die magnetische Kernresonanz, die beide in der Medizin Anwendung finden. Die Physik ist eine sehr vielfältige Disziplin – und die Unterstützung, die ihr gewährt wird, hat sich noch immer bezahlt gemacht.
Gibt es in der Physik noch wirklich Fundamentales zu entdecken, oder sind alle Phänomene bereits mehr oder weniger bekannt?
Osheroff: Das Gegenteil ist der Fall. Was wir noch lange nicht verstehen, sind die Vorgänge in unserem Universum. Was wir dort auch immer ansehen, fast jedes Mal finden wir etwas, das wir nicht verstehen. Einige dieser Entdeckungen ändern unsere Denkweise fundamental, andere führen nur zu kleinen Korrekturen. Auf jeden Fall ist kein Ende dieser Entdeckungen abzusehen – wenn wir nur weiter suchen. Wir können heute die Natur mit nie zuvor verfügbaren Methoden betrachten, was ungeahnte Chancen eröffnet. Ich hoffe sehr, dass man uns auch weiterhin die Mittel bereitstellen wird, um diese spannenden Untersuchungen weiterführen zu können.
Professor Osheroff, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.