Rätselhafte Mona Lisa
Wer ist die geheimnisvoll lächelnde Dame auf Leonardo da Vincis Bild?
von Veit ProbstBei der Katalogisierung der Heidelberger Inkunabeln kam in einer Cicero-Ausgabe von 1477 eine Randnotiz ans Licht, in der Agostino Vespucci, ein Mitarbeiter des florentinischen Kanzlers Niccolò Machiavelli, im Oktober 1503 festhält, dass Leonardo da Vinci gerade Lisa del Giocondo porträtiere. Diese neue Quelle macht es möglich, eine bis heute umstrittene Frage zu beantworten: Wen stellt die Mona Lisa – das berühmteste Gemälde der Welt – dar?
Gott ausgenommen, ist wahrscheinlich über keinen Künstler so viel geschrieben worden wie über Leonardo.“ Mit diesem ironischen Satz leitet Daniel Arasse, einer der führenden Spezialisten für die Kunst der Renaissance, seine jüngste Werkmonographie über Leonardo da Vinci ein. Bereits seinen Zeitgenossen galt Leonardo als überragender Künstler und innovativer Genius; in unseren Tagen schlagen sein Leben und sein vielgestaltiges Werk die gelehrte Forschung ebenso in Bann wie das interessierte Laienpublikum.
Mit Abstand am meisten Aufmerksamkeit beansprucht jedoch Leonardos Mona Lisa. In eigentümlichem Gegensatz zur Bekanntheit, die Leonardos berühmtestes Porträt heute in aller Welt genießt, steht die Unklarheit darüber, wer auf dem Gemälde eigentlich dargestellt ist. Ein glücklicher Quellenfund in der Universitätsbibliothek Heidelberg kann diese Frage nun klären.
Bislang stellte sich die Quellenlage folgendermaßen dar: Die annäherungsweise Datierung des Porträts in die Zeit von Leonardos zweitem Florenzaufenthalt zwischen 1500 und 1506 und die Identifizierung der Dargestellten als Lisa del Giocondo stützt sich von alters her auf die Angaben von Giorgio Vasari. Er schreibt in seinen 1550 erstmals erschienenen Künstlerviten: Von Francesco del Giocondo übernahm Leonardo dann den Auftrag für das Porträt seiner Frau Mona Lisa. Er mühte sich vier Jahre mit diesem Werk und ließ es dann unvollendet. Heute befindet es sich im Besitz des Königs Franz von Frankreich in Fontainebleau.
Vasari nennt keine exakte Datierung, setzt die Mona Lisa aber in eine chronologische Abfolge nach einer um 1501 entstandenen Anna Selbdritt und vor das Wandgemälde der Schlacht von Anghiari, an dem Leonardo zwischen 1503 und 1506 arbeitete.
Vasaris Ausführung ist die bisher einzige Quelle, die dem Porträt einen Namen gibt und zugleich eine ungefähre Datierung ermöglicht. Und doch ist sie fast ein halbes Jahrhundert jünger als ihr Gegenstand. Generell gilt, dass man sich Vasaris Angaben mit Vorsicht zu nähern hat. Seine Daten sind häufig ungenau, und er liebt gelegentlich die rhetorisch zugespitzte Anekdote auch dann, wenn sie zu Lasten der Faktenlage geht. Deshalb wundert es nicht, dass die Frage, wie zuverlässig Vasaris Angaben im Falle der Mona Lisa sind, die Forschung jahrzehntelang beschäftigt hat. So hat Martin Kemp, einer der führenden Leonardo-Forscher, 1981 mit einiger Ratlosigkeit konstatiert: I cannot disprove this [Vasaris] identification, at least it is not positively daft …. Were the painting not so famous …, we would have no difficulty in accepting it as yet another portrait from the Renaissance of a sitter unkown to us.
Heute folgt ein beträchtlicher Teil der Kunsthistoriker den Argumenten Frank Zöllners, der Vasaris Identifizierung als erwiesen ansieht. Demnach handelt es sich bei der Mona Lisa um die aus einer Mittelklassefamilie stammende am 15. Juni 1479 in Florenz geborene Lisa Gherardini, die am 5. März 1495 den florentinischen Kaufmann Francesco del Giocondo heiratete. Die Auftragsvergabe an Leonardo setzt Zöllner in das Frühjahr 1503.
Seit André-Charles Coppier 1914 die Frage aufgeworfen hatte La Joconde est-elle le portrait de Mona Lisa? hat jedoch eine Reihe bedeutender Kunsthistoriker Vasaris Identifizierung verworfen. So hat jüngst Jack M. Greenstein Zöllners Rekonstruktion grundlegend in Zweifel gezogen und dafür geworben, in der Mona Lisa a fictive smiling woman zu sehen, die Leonardo aus eigenem Antrieb ohne jeden Auftrag geschaffen habe. Die italienische Bezeichnung La Gioconda mit ihrer lateinischen Wurzel iucunda (erfreulich, anziehend; französisch La Joconde) sei im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts zu einem Gattungsbegriff geworden und keineswegs ein Individualname. Andere, vor allem italienische Forscher, haben durchaus weiterhin an ein konkretes Modell für Leonardos Porträt gedacht.
Die meisten Autoren, die mit ihren Alternativvorschlägen Vasaris relativ spätes 1550 publiziertes Zeugnis ablehnen, stützen sich auf den einzigen Gewährsmann, der die Mona Lisa zu Leonardos Lebzeiten in seinem Besitz gesehen hat. Es handelt sich um die bisher früheste bekannte Quelle zur Existenz der Mona Lisa aus dem Jahr 1517: Antonio de Beatis, der Sekretär des Kardinals Luigi von Aragon, schildert in seinem Reisetagebuch den Besuch, den er am 10. Oktober 1517 zusammen mit seinem Kardinal in Leonardos Atelier in Cloux bei Amboise unternahm: In einem der Dörfer besuchte der Herr mit uns den Meister Leonardo Vinci aus Florenz, einen Greis von mehr als 70 Jahren, einen der ausgezeichnetsten Maler unserer Zeit, der seiner Hochwohlgeboren drei Gemälde zeigte, eines von einer gewissen florentinischen Dame, nach der Natur gemalt auf Anregung des verstorbenen Magnifico Giuliano de’ Medici; das andere zeigt einen jungen Johannes den Täufer, und noch eines, eine Madonna und ihr Kind, die beide auf dem Schoß der heiligen Anna sitzen: alle sind vollkommen.
Unbestritten ist inzwischen, dass es sich bei den drei genannten Gemälden um Johannes den Täufer, die Anna Selbdritt sowie das Porträt handelt, das heute Mona Lisa heißt. De Beatis Schilderung hat der Forschung hinsichtlich der dargestellten Dame jedoch einen breiten Interpretationsspielraum eröffnet. Während das Prädikat eine gewisse florentinische Dame ohne weiteres zu Vasaris Lisa del Giocondo passt, lädt sein Verweis auf die Anregung Giulianos de’ Medici zu alternativen Identifizierungen ein. Da Giuliano als Mitglied der exilierten Medici-Familie zwischen 1494 und 1512 nicht in Florenz weilte, Leonardo jedoch während seines Romaufenthaltes 1513 bis 1515 in Giulianos Diensten stand, scheint sich aus Beatis Bemerkung eine im Vergleich zu Vasari deutlich spätere Datierung für die Mona Lisa zu ergeben.
Die Kunsthistoriker, die dieser Fährte folgen, sehen in der dargestellten Dame dann scheinbar folgerichtig Giulianos Mätresse Pacifica Brandano oder Isabella Gualanda, mit der der Medici in Rom ebenfalls Umgang hatte. Außerdem wurden Isabella d´Este und Costanza d´Avalos ins Spiel gebracht.
Nur beiläufig erwähnt werden sollen an dieser Stelle zwei weitere Quellen von eher sekundärem Wert. Die eine belegt, dass bereits 1525 für das Porträt die Bezeichnung „La Gioconda“ geläufig war, die andere, dass der Familienname del Giocondo bereits 1540 mit einem von Leonardo gemalten Porträt in Verbindung gebracht wurde.
Kommen wir nun zu der neuen Quelle, die Armin Schlechter während der von ihm geleiteten Katalogisierung der Heidelberger Inkunabeln gefunden und bereits im Jahr 2005 in einem kurzen Katalogbeitrag publiziert hat.
Mit Abstand am meisten Aufmerksamkeit beansprucht jedoch Leonardos Mona Lisa. In eigentümlichem Gegensatz zur Bekanntheit, die Leonardos berühmtestes Porträt heute in aller Welt genießt, steht die Unklarheit darüber, wer auf dem Gemälde eigentlich dargestellt ist. Ein glücklicher Quellenfund in der Universitätsbibliothek Heidelberg kann diese Frage nun klären.
Bislang stellte sich die Quellenlage folgendermaßen dar: Die annäherungsweise Datierung des Porträts in die Zeit von Leonardos zweitem Florenzaufenthalt zwischen 1500 und 1506 und die Identifizierung der Dargestellten als Lisa del Giocondo stützt sich von alters her auf die Angaben von Giorgio Vasari. Er schreibt in seinen 1550 erstmals erschienenen Künstlerviten: Von Francesco del Giocondo übernahm Leonardo dann den Auftrag für das Porträt seiner Frau Mona Lisa. Er mühte sich vier Jahre mit diesem Werk und ließ es dann unvollendet. Heute befindet es sich im Besitz des Königs Franz von Frankreich in Fontainebleau.
Vasari nennt keine exakte Datierung, setzt die Mona Lisa aber in eine chronologische Abfolge nach einer um 1501 entstandenen Anna Selbdritt und vor das Wandgemälde der Schlacht von Anghiari, an dem Leonardo zwischen 1503 und 1506 arbeitete.
Vasaris Ausführung ist die bisher einzige Quelle, die dem Porträt einen Namen gibt und zugleich eine ungefähre Datierung ermöglicht. Und doch ist sie fast ein halbes Jahrhundert jünger als ihr Gegenstand. Generell gilt, dass man sich Vasaris Angaben mit Vorsicht zu nähern hat. Seine Daten sind häufig ungenau, und er liebt gelegentlich die rhetorisch zugespitzte Anekdote auch dann, wenn sie zu Lasten der Faktenlage geht. Deshalb wundert es nicht, dass die Frage, wie zuverlässig Vasaris Angaben im Falle der Mona Lisa sind, die Forschung jahrzehntelang beschäftigt hat. So hat Martin Kemp, einer der führenden Leonardo-Forscher, 1981 mit einiger Ratlosigkeit konstatiert: I cannot disprove this [Vasaris] identification, at least it is not positively daft …. Were the painting not so famous …, we would have no difficulty in accepting it as yet another portrait from the Renaissance of a sitter unkown to us.
Heute folgt ein beträchtlicher Teil der Kunsthistoriker den Argumenten Frank Zöllners, der Vasaris Identifizierung als erwiesen ansieht. Demnach handelt es sich bei der Mona Lisa um die aus einer Mittelklassefamilie stammende am 15. Juni 1479 in Florenz geborene Lisa Gherardini, die am 5. März 1495 den florentinischen Kaufmann Francesco del Giocondo heiratete. Die Auftragsvergabe an Leonardo setzt Zöllner in das Frühjahr 1503.
Seit André-Charles Coppier 1914 die Frage aufgeworfen hatte La Joconde est-elle le portrait de Mona Lisa? hat jedoch eine Reihe bedeutender Kunsthistoriker Vasaris Identifizierung verworfen. So hat jüngst Jack M. Greenstein Zöllners Rekonstruktion grundlegend in Zweifel gezogen und dafür geworben, in der Mona Lisa a fictive smiling woman zu sehen, die Leonardo aus eigenem Antrieb ohne jeden Auftrag geschaffen habe. Die italienische Bezeichnung La Gioconda mit ihrer lateinischen Wurzel iucunda (erfreulich, anziehend; französisch La Joconde) sei im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts zu einem Gattungsbegriff geworden und keineswegs ein Individualname. Andere, vor allem italienische Forscher, haben durchaus weiterhin an ein konkretes Modell für Leonardos Porträt gedacht.
Die meisten Autoren, die mit ihren Alternativvorschlägen Vasaris relativ spätes 1550 publiziertes Zeugnis ablehnen, stützen sich auf den einzigen Gewährsmann, der die Mona Lisa zu Leonardos Lebzeiten in seinem Besitz gesehen hat. Es handelt sich um die bisher früheste bekannte Quelle zur Existenz der Mona Lisa aus dem Jahr 1517: Antonio de Beatis, der Sekretär des Kardinals Luigi von Aragon, schildert in seinem Reisetagebuch den Besuch, den er am 10. Oktober 1517 zusammen mit seinem Kardinal in Leonardos Atelier in Cloux bei Amboise unternahm: In einem der Dörfer besuchte der Herr mit uns den Meister Leonardo Vinci aus Florenz, einen Greis von mehr als 70 Jahren, einen der ausgezeichnetsten Maler unserer Zeit, der seiner Hochwohlgeboren drei Gemälde zeigte, eines von einer gewissen florentinischen Dame, nach der Natur gemalt auf Anregung des verstorbenen Magnifico Giuliano de’ Medici; das andere zeigt einen jungen Johannes den Täufer, und noch eines, eine Madonna und ihr Kind, die beide auf dem Schoß der heiligen Anna sitzen: alle sind vollkommen.
Unbestritten ist inzwischen, dass es sich bei den drei genannten Gemälden um Johannes den Täufer, die Anna Selbdritt sowie das Porträt handelt, das heute Mona Lisa heißt. De Beatis Schilderung hat der Forschung hinsichtlich der dargestellten Dame jedoch einen breiten Interpretationsspielraum eröffnet. Während das Prädikat eine gewisse florentinische Dame ohne weiteres zu Vasaris Lisa del Giocondo passt, lädt sein Verweis auf die Anregung Giulianos de’ Medici zu alternativen Identifizierungen ein. Da Giuliano als Mitglied der exilierten Medici-Familie zwischen 1494 und 1512 nicht in Florenz weilte, Leonardo jedoch während seines Romaufenthaltes 1513 bis 1515 in Giulianos Diensten stand, scheint sich aus Beatis Bemerkung eine im Vergleich zu Vasari deutlich spätere Datierung für die Mona Lisa zu ergeben.
Die Kunsthistoriker, die dieser Fährte folgen, sehen in der dargestellten Dame dann scheinbar folgerichtig Giulianos Mätresse Pacifica Brandano oder Isabella Gualanda, mit der der Medici in Rom ebenfalls Umgang hatte. Außerdem wurden Isabella d´Este und Costanza d´Avalos ins Spiel gebracht.
Nur beiläufig erwähnt werden sollen an dieser Stelle zwei weitere Quellen von eher sekundärem Wert. Die eine belegt, dass bereits 1525 für das Porträt die Bezeichnung „La Gioconda“ geläufig war, die andere, dass der Familienname del Giocondo bereits 1540 mit einem von Leonardo gemalten Porträt in Verbindung gebracht wurde.
Kommen wir nun zu der neuen Quelle, die Armin Schlechter während der von ihm geleiteten Katalogisierung der Heidelberger Inkunabeln gefunden und bereits im Jahr 2005 in einem kurzen Katalogbeitrag publiziert hat.
Die neue, in Heidelberg entdeckte Quelle findet sich in einem Wiegendruck, der Ciceros „Epistulae ad familiares“ beinhaltet und 1477 in Bologna erschienen ist. Die dort eingetragene handschriftliche Notiz ist für die Geschichte von drei Hauptwerken Leonardos, der Mona Lisa, der Anna Selbdritt und des Wandgemäldes der Schlacht von Anghiari, von großer Bedeutung.
Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg
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Sie findet sich in einem Wiegendruck, der Ciceros Epistulae ad familiares beinhaltet und 1477 in Bologna erschienen ist. Einer der ersten Eigentümer hat die Briefe mit zahlreichen handschriftlichen Kommentaren annotiert. Der für unseren Zusammenhang relevante Eintrag bezieht sich auf einen Brief, in dem Cicero über die halbherzige Unterstützung zahlreicher Senatoren klagt und schreibt: Dass diese Herren mich heil und gesund sehen wollten, ist ja sehr liebenswürdig, aber ich wollte, sie hätten sich herbeigelassen, nicht nur wie die Ärzte für mein Leben, sondern auch wie die Heilgymnastiker für die Wiederherstellung der Körperkräfte und einer gesunden Gesichtsfarbe zu sorgen. Jetzt aber haben gewisse Herren, wie Apelles an seiner Venus den Kopf und den oberen Teil der Brust kunstvoll ausgeführt, die übrigen Teile des Körpers jedoch unfertig gelassen hat, so sich nur um meinen Kopf bemüht und den übrigen Körper unvollendet und unbearbeitet gelassen.
Die Anmerkung in unserer Heidelberger Inkunabel zu dieser Stelle lautet:
Apelles pictor. Ita Leonardus Vincius facit
in omnibus suis picturis, ut enim caput
Lise del Giocondo et Anne matris virginis.
Videbimus, quid faciet de aula magni consilii,
de qua re convenit iam cum vexillifero.
1503 octobris.
Der Maler Apelles. So macht es Leonardo da Vinci in allen seinen Gemälden, wie z. B. dem Antlitz der Lisa del Giocondo und der Anna, der Mutter der Jungfrau. Wir werden sehen, was er bezüglich des großen Ratssaales machen wird, worüber er sich gerade mit dem Gonfaloniere geeinigt hat. Oktober 1503.
Diese Notiz ist für die Geschichte von drei Hauptwerken Leonardos, der Mona Lisa, der Anna Selbdritt und des Wandgemäldes der Schlacht von Anghiari von beträchtlicher Bedeutung. Der Autor dieser Zeilen ist der Florentiner Humanist und Kanzleischreiber Agostino Vespucci. Vespucci war ein enger Mitarbeiter Niccolò Machiavellis in der Staatskanzlei von Florenz. Dass Vespucci bei der Lektüre des Cicerobriefes von Apelles, dem berühmtesten Maler der Antike, auf Leonardo schließt, verwundert nicht. Seit sich Leon Battista Alberti (1404-1472) in seiner 1435/36 entstandenen kunsttheoretischen Schrift De pictura (Die Malkunst) intensiv mit dem 35. Buch von Plinius’ Naturgeschichte, quasi einer Kunstgeschichte der Antike, auseinandergesetzt hatte, galt Apelles der Renaissance als der künstlerische Maßstab, mit dem zu wetteifern war. Von Leonardos eigener Auseinandersetzung mit der antiken Kunstgeschichte und Apelles zeugt zum Beispiel die Plinius-Ausgabe, die sich in einer seiner Bücherlisten findet.
Für seine Zeitgenossen übertraf Leonardo da Vinci alle antiken Meister, sogar Apelles. So endet Giorgio Vasaris Leonardo-Biographie mit dem folgenden Lobeshymnus: Er allein besiegte alle anderen; er besiegte Phidias, er besiegte Apelles und ihre ganze siegreiche Schar.
Überprüfen wir nun zunächst, was Vespuccis Eintrag für das Wandgemälde der Schlacht von Anghiari hergibt.
Bekanntlich erhielt Leonardo im Herbst 1503 den öffentlichen Auftrag, die 1440 geschlagene Schlacht, in der die Florentiner ein Mailänder Heer besiegt hatten, an einer der Wände, wohl der Ostwand, des großen Ratssaales im Palazzo Vecchio darzustellen. Die Malfläche umfasste die ungeheure Dimension von circa siebzehn auf sieben Meter.
Sehr wahrscheinlich hat Machiavelli an der Auftragsvergabe maßgeblich mitgewirkt. Ein Dokument vom Oktober 1503, das die Auftragsvergabe von Seiten der Signoria und weitere Bestimmungen über Bezahlung oder Arbeitsfristen geregelt hätte, ist jedoch in den Archiven bis heute nicht aufgetaucht. Dass es eine solche Vereinbarung gegeben haben muss, erschließt sich aus dem umfangreichen Vertrag, den die Signoria am 4. Mai 1504 mit Leonardo abschloss, nachdem die Arbeiten an der Anghiarischlacht nur schleppend angelaufen waren. Dort heißt es: Da es Lionardo, Sohn des Ser Piero da Vinci ... vor mehreren Monaten übernommen hat, ein Bild im großen Ratssaal zu malen ...
Als Terminus ante quem für eine erste Vereinbarung darf der 24. Oktober 1503 gelten, der Tag, an dem
Leonardo der Schlüssel zum Papstsaal in Santa Maria Novella ausgehändigt wurde, wo er den Karton für das riesige Wandgemälde entwerfen wollte. Und was schreibt Agostino Vespucci im Oktober 1503? Wir werden sehen, was er bezüglich des Großen Ratssaales machen wird, worüber er sich gerade mit dem Gonfaloniere geeinigt hat. Das Futur (videbimus – wir werden sehen) signalisiert, dass Leonardo seine Arbeit noch nicht aufgenommen hat. Die Formulierung de qua re convenit iam cum vexillifero aus der Feder eines Kanzleibeamten der Signoria belegt eindeutig, dass es zwischen Leonardo und dem Gonfaloniere Piero Soderini eine gerade (iam) geschlossene schriftliche oder zumindest mündliche Verabredung gegeben hat, auf die sich dann der spätere Vertrag vom Mai 1504 bezog.
Vespucci spielt in der Entstehungsgeschichte des Wandgemäldes der Schlacht von Anghiari eine kleine Nebenrolle, die jedoch seine Nähe zu Leonardo dokumentiert und damit den hohen Quellenwert seiner Anmerkung sichert. Leonardos Lateinkenntnisse waren bekanntlich bescheiden, um nicht zu sagen dürftig. Die historische Hauptquelle, die ihm sein Sujet, die Schlacht von Anghiari, näher bringen sollte, lag aber nur in lateinischer Sprache vor. Es handelt sich um das wohl 1443 entstandene Hexametergedicht des florentinischen Humanisten Leonardo Dati (circa 1401-1477). Diesen lateinischen Text übersetzte Agostino Vespucci auszugsweise ins Italienische und machte ihn Leonardo damit in seiner Muttersprache zugänglich. Vespuccis Übersetzung auf zwei Blättern mit insgesamt drei Seiten (die vierte nutzte Leonardo selbst für eigene Skizzen) fand Eingang in Leonardos Codex Atlanticus und ist in diesem überliefert.
Das weitere Schicksal des Wandgemäldes ist bekannt. Leonardo entwarf die Konzeption des Gemäldes auf einem riesigen Karton im Papstsaal der Santa Maria Novella. Regelmäßige Zahlungen der Signoria an verschiedene Handwerker wie Papierwarenhändler, Seiler, Tischler, Schlosser und Apotheker (für die Farben) über einen Zeitraum von anderthalb Jahren belegen einen langsamen, aber steten Fortschritt der Vorzeichnung auf dem Karton.
Als Leonardo mit der Übertragung des Kartons auf die Wand im Palazzo Vecchio begann, gab es ein fürchterliches Unwetter. In seinem Notizbuch heißt es: Am Freitag, den 6. Juni 1505, Schlag dreizehn Uhr [nach heutiger Stundenrechnung um neun Uhr vormittags] begann ich im Palazzo zu malen. In dem Moment, als ich den Pinsel ansetzte, wurde das Wetter schlecht und die Glocke des Gerichts erklang, um die Leute zu den Verhandlungen zu rufen. Der Karton zerriss, das Wasser wurde verschüttet, und das Gefäß, in dem das Wasser gebracht wurde, zerbrach. Und sogleich wurde das Wetter schlecht, und es regnete bis zum Abend in Strömen, und es blieb so dunkel wie in der Nacht.
So stand das Unternehmen für Leonardo unter einem Unstern. Ende Mai 1506 brach er es für immer ab, um sich nach Mailand zu begeben. Was aus dem wohl circa vier auf sieben Meter großen Gemäldetorso im Großen Ratssaal wurde, als Giorgio Vasari um 1560 eine Neugestaltung des Saales vornahm, ist unbekannt. Vor kurzem meldete die Presse, dass der Architektur- und Kunstdiagnostiker Maurizio Seracini begonnen hat, mit einem Neutronenscanner Vasaris Wandgemälde zu durchleuchten. Hinter der äußeren Wand vermutet er eine zweite Wand, auf dem sich die Reste von Leonardos Anghiarischlacht befinden könnten.
Betrachten wir nun die Perspektive, mit der Vespucci Leonardos Mona Lisa vermutlich wahrgenommen hat. Cicero hatte geschrieben (siehe oben): Jetzt aber haben gewisse Herren, wie Apelles an seiner Venus den Kopf und den oberen Teil der Brust kunstvoll ausgeführt, die übrigen Teile des Körpers jedoch unfertig gelassen hat ....
Cicero referiert hier die antike Tradition über die letzte Arbeit des Apelles, die Plinius in seiner schon genannten Naturgeschichte später in wenigen Sätzen zusammenfasst: Apelles hatte noch eine andere Aphrodite zu Kos begonnen, mit der er seine frühere noch übertreffen wollte. Als es zum Teil vollendet war, versagte ihm der Tod in seiner Missgunst die Fertigstellung, und es fand sich niemand, der an dem Werk nach den skizzierten Linien fortarbeiten konnte.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Agostino Vespucci den zu seiner Zeit viel diskutierten Plinius und damit den Apelles-Mythos genau kannte. Da er bei der Auftragsvergabe der Anghiarischlacht in Kontakt mit Leonardo stand, dürfen wir davon ausgehen, dass er im Laufe des Oktober 1503 die Mona Lisa in ihrem damaligen Fertigungszustand mit eigenen Augen gesehen hat.
Als gebildeter Humanist nahm er das Bild mit den ästhetischen Kategorien eines Antikenkenners wahr: Leonardo hat das Gesicht und den oberen Teil der Brust gemalt und zwar – das meint zumindest konnotativ der Vergleich mit Apelles – in einer herausragenden Qualität. Die Hände und vor allem der Hintergrund, über dessen Entstehungszeit und Gegenstände in der kunsthistorischen Forschung zahlreiche Theorien existieren, waren dagegen noch nicht gemalt. Leonardos Mona Lisa war also im Oktober 1503 ähnlich weit gediehen, wie die antike Tradition es über die Venus des Apelles berichtet.
Besonders wertvoll ist jedoch Vespuccis Hinweis auf die Identität der Dargestellten. Hier lässt seine Formulierung keine Zweifel offen: Es handelt sich um ein Porträt der Lisa del Giocondo (caput Lise del Giocondo). Damit bestätigt der florentinische Kanzleibeamte definitiv Giorgio Vasaris wesentlich jüngere Angaben von 1550, der geschrieben hatte: Von Francesco del Giocondo übernahm Leonardo dann den Auftrag für das Porträt seiner Frau Mona Lisa.
Wie verhält sich nun die neue Heidelberger Quelle zu den oben angesprochenen Quellen von 1517 (Reisetagebuch des Antonio de Beatis), 1525 (Notariatsurkunde über das Erbe des Salai) und 1540 (Angabe des Anonimo Gaddiano)?
Im Licht des Vespucci-Vermerks sind alle Interpretationen fragwürdig geworden, die aus den Angaben des Antonio de Beatis, also der Formulierung nach der Natur gemalt auf Anregung des verstorbenen Magnifico Giuliano de’ Medici die genannten Alternatividentifizierungen anbieten. Die Hypothesen, die Isabella Gualanda und andere Damen vorgeschlagen haben, sind mit der neuen Heidelberger Quelle nicht vereinbar. Die oben nur summarisch aufgeführten Quellen von 1525 und 1540 lassen sich dagegen problemlos mit dem Vespucci-Vermerk kombinieren. Der in der Forschung immer wieder diskutierten Position, dass die Mona Lisa gar kein echtes Porträt sei, sondern die Darstellung eines Frauenideals, ist somit die Grundlage entzogen.
Fortbestehen wird allerdings die theoretische Möglichkeit, dass Leonardo zwar ein Porträt der Lisa del Giocondo gemalt hat, dieses dann aber untergegangen ist. Das heute im Pariser Louvre hängende Gemälde hätte dann mit dem während Leonardos zweitem Florenzaufenthalt gemalten Bild nichts zu tun. Dieser letzte kleine Zweifel wäre nur dann gänzlich auszuräumen, wenn ein weiteres Porträt der Lisa del Giocondo existieren würde und wir die jeweils Dargestellten vergleichen könnten. Es spricht alles, nicht zuletzt Leonardos äußerst schmales malerisches Werk dafür, dass auf dem Gemälde im Louvre tatsächlich Lisa del Giocondo porträtiert worden ist.
Kommen wir nun noch einmal auf die Beziehung zwischen Leonardo da Vinci und Agostino Vespucci zurück, denn der Umgang zwischen beiden Männern überdauerte Leonardos Weggang von Florenz im Frühsommer 1506. Anfang 1507 starb Leonardos Onkel Francesco. Seine Halbbrüder machten ihm, der im Testament von 1504 als Haupterbe eingesetzt war, sein Erbteil streitig. Für den nun zu führenden Rechtsstreit sicherte er sich am 26. Juli 1507 zunächst ein Beistandsschreiben des französischen Königs Ludwigs XII., der die Signoria bat, den Prozess zugunsten von nostre chier et bien amé Leonard de Vincy, nostre paintre et ingenieur ordinaire zu beenden.
Charles d´ Amboise, der französische Statthalter in Mailand, schreibt am 15. August ebenfalls an die Signoria und fordert sie zur Unterstützung Leonardos auf, der möglichst bald zurückkehren solle, damit er die königlichen Aufträge ausführen könne. In Anbetracht der engen Beziehungen der Stadt zum französischen Hof und der Abhängigkeit vom Wohlwollen des französischen Königs waren diese beiden Schreiben weit mehr als eine bloße Bitte.
Leonardo dürfte im Laufe des frühen September in Florenz eingetroffen sein. Am 18. September schrieb er an den Kardinal Ippolito d´ Este, der Kardinal möge doch dem Herrn Raphaello, dem der Gonfaloniere die Führung des Rechtsstreites anvertraut habe, schreiben, dass er die Sache in Leonardos Sinne noch vor Allerheiligen abschließen möge. Über diesen Brief schreibt Charles Nicholl in seiner neuen Leonardo-Biographie: Dieses Dokument ist in einer Hinsicht einzigartig: Es ist der einzige Brief, von dem wir wissen, dass Leonardo ihn abschickte. Alle anderen kennen wir nur aus Entwürfen in Leonardos Papieren. Doch dieser Brief befindet sich wirklich und greifbar im Este-Archiv in Mantua. Leider stammt weder der Text noch die Unterschrift – Leonardus Vincius Pictor – von Leonardos eigener Hand. Wie bei anderen Dokumenten ... nahm er den Dienst eines anderen in Anspruch, der eine bessere Handschrift besaß – in diesem Fall Machiavellis Assistent Agostino Vespucci ...
So stammt aus der Feder unseres Agostino Vespucci nicht nur die in diesem Aufsatz analysierte Bemerkung zur Mona Lisa, sondern auch der einzige im Original erhaltene Brief von Leonardo da Vinci.
Offen ist nun noch die Frage, wie Vespuccis Cicero-Inkunabel in die Universitätsbibliothek Heidelberg gelangt ist.
Das Buch gehörte im späten 17. Jahrhundert in die Bibliothek des Altertumswissenschaftlers Johann Georg Graeve (lat. Graevius, 1632-1703). Graevius lehrte seit 1662 Rhetorik und Geschichte an der Universität Utrecht, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1703 wirkte. Für ihre Zeit bedeutend waren Graevius´ zahlreiche Klassikereditionen. Seine größte Leistung als Philologe war jedoch die Ausgabe von Ciceros Epistulae ad familiares, die in mehreren Auflagen seit 1676 in Amsterdam erschien. Für die Arbeiten an dieser Ausgabe zog Graevius auch die Cicero-Inkunabel des Agostino Vespucci heran.
Wie und wann er diese Ausgabe für seine Bibliothek erworben hat, muss offen bleiben. Die circa 5000 Bände umfassende Bibliothek des Johann Georg Graevius kaufte Pfalzgraf Johann Wilhelm (1690-1716) nach dessen Tod im Jahr 1703 auf und gab einen Teil der Bestände 1706 an seine Universität Heidelberg weiter.
Seit diesem Zeitpunkt, also seit über 300 Jahren, befindet sich Agostinos Vespuccis Cicero-Inkunabel mit dem für die Leonardo-Forschung so wichtigen Vermerk im Bestand der Heidelberger Universitätsbibliothek. Unsere neue Quelle belegt eindrucksvoll die weltweite Bedeutung der Heidelberger Buchbestände sowie den Wert systematischer Katalogisierungs- und Erschließungsarbeiten.
Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg
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Dr. Veit Probst studierte klassische Philologie, Philosphie und Geschichte an den Universitäten Heidelberg und Mannheim,war Stipendiat am Deutschen Historischen Institut Rom und schlug dann die Bibliothekslaufbahn ein. Seit 1991 nahm er verschiedene Leitungspositionen an der Universitätsbibliothek Heidelberg wahr, als deren Direktor er seit 2002 amtiert. Im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Interessen steht die Geschichte der Renaissance und des Humanismus.
Kontakt: probst@ub.uni-heidelberg.de und
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2008/410
Kontakt: probst@ub.uni-heidelberg.de und
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