Kohlrübe versus Jungfrau
Der Mathematiker Emil Gumbel war als homo politicus ein Mann mit Ecken und Kanten – 1932 wurde ihm die Lehrberechtigung entzogen
Das Universitätsarchiv ist das Gedächtnis der Ruperto Carola. In mehreren Folgen präsentiert der Unispiegel ausgewählte Dokumente und Themen aus sieben Jahrhunderten Geschichte der Universität Heidelberg. In dieser Ausgabe geht es um einen Wissenschaftler, der in den 1920er Jahren mit seinen politischen Aussagen polarisierte.
Emil Gumbel-Porträt von Emil Stumpp
Abb.: Universitätsarchiv
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Das Interesse an Emil Gumbel (1891–1966) lebt immer wieder auf. Es gilt jedoch fast ausschließlich dem engagierten Pazifisten und seiner Zivilcourage, weniger dagegen dem Wissenschaftler Gumbel, einem Mathematiker und Statistiker. Nach dem Studium der Nationalökonomie und der Mathematik in München und Berlin war er 1914 in seiner Heimatstadt München zum Dr. oec. publ. promoviert worden und hatte sich Ende 1922 am Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften (InSoSta) für Statistik habilitiert. An diesem Institut und für dieses Fach versah er als Privatdozent ab dem Sommersemester 1923 einen Lehrauftrag.
Politisch hatte er sich bereits 1917 mit seinem Eintritt in die USPD, die sich dann 1920 mehrheitlich mit der SPD vereinigte, auf dem linken Flügel des Parteienspektrums engagiert. Mit Publikationen und Vorträgen stellte er, 1914 selbst noch ein Kriegsfreiwilliger, nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges tradierte Wertbegriffe wie z. B. nationale Ehre, Vaterland, Heldentum und Opfertod immer wieder und nicht ohne Polemik in Frage. 1924 sprach er in der Heidelberger Stadthalle auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft („Nie wieder Krieg“) und äußerte sich auch über die Kriegstoten, die „ich will nicht sagen auf dem Felde der Unehre gefallen sind, aber doch auf grässliche Weise ums Leben kamen.“ Die allgemeine Empörung, vor allem aber die Entrüstung auf Seiten eines größeren Kreises von national-konservativ eingestellten Akademikern, war groß. Die Universität sah offenbar eine Gelegenheit gekommen, sich des längst umstrittenen, obendrein jüdischen Dozenten wieder zu entledigen. Nachdem Gumbel seine Äußerung („Feld der Unehre“) bedauert hatte, wurde die ministerielle Suspendierung nach mehrmonatiger Untersuchung aber wieder zurückgenommen.
Politisch hatte er sich bereits 1917 mit seinem Eintritt in die USPD, die sich dann 1920 mehrheitlich mit der SPD vereinigte, auf dem linken Flügel des Parteienspektrums engagiert. Mit Publikationen und Vorträgen stellte er, 1914 selbst noch ein Kriegsfreiwilliger, nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges tradierte Wertbegriffe wie z. B. nationale Ehre, Vaterland, Heldentum und Opfertod immer wieder und nicht ohne Polemik in Frage. 1924 sprach er in der Heidelberger Stadthalle auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft („Nie wieder Krieg“) und äußerte sich auch über die Kriegstoten, die „ich will nicht sagen auf dem Felde der Unehre gefallen sind, aber doch auf grässliche Weise ums Leben kamen.“ Die allgemeine Empörung, vor allem aber die Entrüstung auf Seiten eines größeren Kreises von national-konservativ eingestellten Akademikern, war groß. Die Universität sah offenbar eine Gelegenheit gekommen, sich des längst umstrittenen, obendrein jüdischen Dozenten wieder zu entledigen. Nachdem Gumbel seine Äußerung („Feld der Unehre“) bedauert hatte, wurde die ministerielle Suspendierung nach mehrmonatiger Untersuchung aber wieder zurückgenommen.
Emil Gumbel als Gegenstand erhitzter Berichterstattung im Heidelberger Tageblatt, 1927
Abb.: Universitätsarchiv
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Die Zugehörigkeit Gumbels zur Philosophischen Fakultät blieb allerdings für diese „durchaus unerfreulich“, doch auch mit weiteren Disziplinarverfahren (1925/26) wurde man ihn nicht los. Im Gegenteil: Gegen den Protest von Senat und Fakultät erhielt Gumbel im August 1930 die ministerielle Ernennung zum (außerordentlichen) Professor, die ihm nach langjähriger Lehrtätigkeit zustand. In der Folge erhielten Heidelberger Protestversammlungen gegen Gumbel im November 1930 und im Februar 1931, nun maßgeblich getragen von NSDAP und DNVP, einen beachtlichen Zulauf. Auch Teile der Studentenschaft bemühten sich jetzt, Gumbel mit einer Unterschriftensammlung um sein Amt zu bringen. Dies gelang schließlich mit einem erneuten Disziplinarverfahren, nachdem Gumbel Ende Mai 1932 auf einer Versammlung der Sozialistischen Studentenschaft Heidelberg erklärt hatte, „eine einzige große Kohlrübe“ (so seine Anspielung auf die Hungerjahre des Ersten Weltkrieges) sei für ihn ein sehr viel geeigneteres Kriegerdenkmal als „eine leichtbekleidete Jungfrau mit der Siegespalme in der Hand“. Im August 1932 wurde dem „Ruhestörer und Friedensbrecher des akademischen Gemeinschaftslebens“ (so heißt es im Senatsbeschluss) auf Antrag von Senat und Fakultät der Universität die Lehrberechtigung entzogen, diesmal endgültig.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Gumbel schon im August 1933 ausgebürgert. Die Emigration brachte ihn zunächst nach Frankreich, schließlich floh er 1940 in die USA, wurde Stipendiat der Rockefeller-Foundation und lehrte in New York. Seine erste Europareise, die ihn auch wieder nach Deutschland führte, unternahm Gumbel 1950. Er wurde Gastprofessor der Freien Universität Berlin (1953-1957 und 1959) und unternahm zahlreiche Vortragsreisen in Europa und Asien (bis 1965). 1955/56 erhielt er Wiedergutmachungszahlungen, und es wurde ihm die Pension eines Ordinarius gewährt. Zu seinen politischen Überzeugungen stand Gumbel bis zu seinem Tode 1966 – so war er auch Mitglied im ersten Komitee gegen den Vietnam-Krieg an der Columbia-Universität (New York).
Werner Moritz
Seitenbearbeiter:
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