Von Mirjam Mohr
Während seiner Lehrzeit in Göttingen Anfang der 1950er-Jahre stand Herbert Wettig (Foto: privat) oft vor der Universitätsbibliothek und träumte davon, hineinzugehen und seinen Wissensdurst zu stillen. „Ein damals aussichtsloser Traum, denn ohne Abitur war ein Studium ausgeschlossen“, erinnert sich Wettig, dem die Eltern keine Gymnasialausbildung finanzieren konnten.
60 Jahre später hat der 77-Jährige eine beeindruckende Karriere hinter sich. Nachdem er sich zum Gründer eines Unternehmens hochgearbeitet und dieses nach 30 Jahren erfolgreicher Führung schließlich an seine Nachfolger übergeben hatte, erwarb Herbert Wettig als 62-Jähriger doch noch die Hochschulreife und erfüllte sich seinen Jugendtraum: Er studierte an der Ruperto Carola Psychologie und wurde im Jahr 2007 magna cum laude promoviert.„Ich wusste genau, was ich wollte – und warum“, erklärt Wettig seine Motivation als einer der ältesten Studenten der Universität Heidelberg. Auch mit 77 Jahren hat er sich noch lange nicht zur Ruhe gesetzt: Die während seiner unterschiedlichen Karrieren gesammelten Erfahrungen als Gründer, Unternehmer, erfolgreicher Problemlöser der eigenen Unternehmensnachfolge, Diplompsychologe und Wirtschaftsmediator bündelt Wettig in seiner derzeitigen Arbeit. Mit der Herbert Wettig GmbH berät er Mandanten in Fragen der Unternehmensnachfolge und unterstützt sie als Mediator bei der Lösung von Konflikten.
Von Anfang an musste sich Wettig behaupten: „Ich bin mit fünf Jahren eingeschult worden – im Verlauf meiner Entwicklung hat sich dasselbe Muster immer wiederholt. Ich war der Jüngste, Kleinste, Unauffälligste, aber oft auch der Ausdauerndste.“ Mit 17 Jahren begann er eine kaufmännische Lehre in einer pharmazeutischen Fabrik, wo er bereits während der Lehrzeit immer wieder die Leiter der Versand- und der Werbeabteilung vertrat. „Damals habe ich aus eigenem Antrieb die schlecht organisierte Werbeabteilung reorganisiert und neue Methoden der Direktwerbung bei Ärzten, Apotheken und Krankenhausverwaltungen eingeführt“, erinnert er sich. „Unmittelbar nach der Lehre hat man mir die Leitung der Werbeabteilung übertragen.“
Wenige Jahre später begann Wettig 1957 als Assistent in einer Stuttgarter Werbeagentur, in der er bald Gesellschafter und Mitgeschäftsführer wurde. „Damals haben wir bedeutende, jahrzehntelang wirksame Werbe- und Produktkonzepte entwickelt, beispielsweise den ‚Apfelbiss‘ in einer Zahnpasta-Werbung“, erzählt er. 1960 begann Wettig mit Zielgruppenforschung, die damals noch völlig unüblich war. „Die Folge: Die auf der Basis der Forschungsergebnisse planvoll beworbenen Produkte hatten deutlich wachsende Markterfolge.“
Folgerichtig gründete Herbert Wettig 1963 – „wissensorientiert wie ich war“ – ein Institut für psychologische Markt- und Werbeforschung, das Compagnon Marktforschungs-Institut in Stuttgart. Das Unternehmen wuchs schnell. Ende der 80er-Jahre stellte Wettig dann fest, „dass ich im Vergleich zum Alter der auftraggebenden Manager unserer Kunden immer älter wurde. Ich fragte mich, wie lange wohl diese immer jüngeren Verantwortlichen noch mit einem Auftragnehmer meines Alters zusammenarbeiten würden – und beschloss, systematisch meine Unternehmensnachfolge einzuleiten.“
Wettig bereitete zwei Mitarbeiter, eine Psychologin und einen Psychologen, auf ihre neue Führungsfunktion vor und übergab ihnen zum 1. Januar 1993 sein Unternehmen – um danach in ein Loch zu fallen. „An alles und alle hatte ich bei der Unternehmensübergabe gedacht, nur nicht an meine eigene Zukunft. Also habe ich mich gefragt, was für mich nun der Sinn im Leben sein könnte und mich an meine Jugendträume vor der Universitätsbibliothek in Göttingen erinnert.“
Zusammen mit Oberstufenschülern eines Gymnasiums bereitete sich Wettig von 1994 bis 1996 auf das Abitur vor, legte die Reifeprüfung ab und begann in Heidelberg mit dem Psychologiestudium, das er 2003 mit dem Diplom abschloss. Bereits während seines Studiums nahm er parallel zwei große Studien zur Wirkung der amerikanischen Therapieform „Theraplay“ auf verhaltensgestörte und sprachentwicklungsverzögerte Vorschulkinder und deren Eltern vor, über deren Ergebnisse er auch seine Dissertation schrieb. 2007 wurde er magna cum laude zum Doktor der Philosophie promoviert.
Großes Engagement bewies Wettig zudem in der Alumni-Arbeit: 1999 gründete er gemeinsam mit Prof. Dr. Joachim Funke die Alumni Psychologici, die erste Sektion der Gesellschaft der Freunde Universität Heidelberg. Nach zwölf Jahren als stellvertretender Vorsitzender zog er sich jetzt zurück: „Es wird Zeit, Jüngeren Platz zu machen“, sagt er. Schließlich kennt sich Herbert Wettig ja bestens aus mit dem Thema Führungsnachfolge.