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Beirut – Zerstörung und Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg

Während des libanesischen Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 wurde das Beiruter Stadtzentrum teilweise zerstört. Nach dem Ende der Kämpfe wurden sehr schnell rund 80 Prozent der Häuser abgerissen, um Platz für einen großzügigen und modernen Wiederaufbau zu schaffen. Dies geschah zum Teil noch ohne jegliche gesetzliche Grundlage. Bei den früheren Eigentümern, aber auch bei Künstlern und Intellektuellen, stießen diese "Tabula-rasa-Aktionen" zunehmend auf Kritik. Das stadtgeographische Forschungsprojekt, geleitet von Hans Gebhardt vom Geographischen Institut der Universität Heidelberg, untersucht Akteure und Konfliktfelder des Beiruter Wiederaufbaus und seine Akzeptanz bei den verschiedenen Religionsgruppen.

"Enge Gassen, schreiende Händler, duftende Garküchen und Teehäuser, in denen Araber Wasserpfeife rauchen oder leidenschaftlich Trick-Track spielen", so schilderte der Geograph Helmut Ruppert noch im Jahr 1969 den ersten Eindruck, den das Beiruter Stadtzentrum auf europäische Besucher machte. Der Krieg hat von diesem geschäftigen Leben nicht mehr viel übriggelassen. Im Verlauf von 16 Kriegsjahren verwandelte sich die einst pulsierende libanesische Hauptstadt in eine von Flüchtlingen bestimmte, fragmentierte und von zahlreichen innerstädtischen Grenzen durchzogene Stadt. Besonders das Gebiet längs der "Green line" wurde zu einem menschenleeren, unpassierbaren Niemandsland im Schußfeld von Scharfschützen. Im Jahr 1989 galten 47 Prozent der Wohnungen in der Agglomeration Beirut als beschädigt, 15 Prozent waren völlig zerstört.

Im Verlauf des Bürgerkriegs war nach und nach die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit im Stadtzentrum zum Erliegen gekommen. Banken, Büros und Ministerien sowie der Handel wurden nach außerhalb verlagert, auch die Bewohner der Stadtmitte verließen fast vollzählig das umkämpfte Gebiet. Viele leerstehende Gebäude wurden verbarrikadiert und zu militärischen Stellungen ausgebaut. Für die Beirutis endete die Stadt an großen Sand- und Steinwällen, welche die früheren Hauptzufahrtsstraßen ins Stadtzentrum absperrten. Nach 16 Jahren Krieg hatten die jüngeren Stadtbewohner kein Bild, keine "mental map", der Stadtmitte mehr; sie war für sie – wie auch das jeweils zur "anderen Seite" gehörende Stadtgebiet – weitgehend eine "terra incognita" geworden.

Auch auf die Sozialgeographie Beiruts hatten die Kriegsereignisse einen tiefgreifenden Einfluß. Die zahlreichen Kontrollstellen der verschiedenen Milizen bestimmten die Aktionsräume der Bevölkerung und die innere Gliederung der Stadt. Die Wahrnehmung von Stadtgebieten, von Grenzen veränderte sich. Furcht und Angst vor gegnerischen Übergriffen außerhalb des eigenen Viertels bestimmten eine Situation, die der libanesische Soziologe Samir Khalaf als eine "Geographie der Angst" bezeichnete. Oft eng benachbarte Viertel, von früher her vertraute Wege und Gebiete wurden unzugänglich und unbekannt, umgekehrt wurden von den Milizen kontrollierte neue Trassen und Verbindungen zu den zunehmend religiös "homogenisierten" Vororten und Umlandgebieten angelegt. Mit dieser Entwicklung verbunden war ein zunehmender Rückzug in den privaten Lebensraum. Man suchte Arbeitsplätze, Märkte, Geschäfte und Schulen in unmittelbarer Nähe der Wohnung auf, die Familie ersetzte den Freundeskreis, man reduzierte seine Aktionsräume auf das Notwendigste.

Konzepte, Akteure, Konflikte

Aufgrund dieser Kriegserfahrungen wird die künftige Beiruter Stadtgestaltung von sehr großen Erwartungen der Bevölkerung begleitet. Immerhin symbolisiert Beirut für den Libanon sowohl die friedliche Koexistenz der verschiedenen Religionsgruppen in der Vorkriegszeit als auch die massiven Zerstörungen und Auseinandersetzungen des Bürgerkriegs. Der Wiederaufbau hat somit nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die innenpolitische Zukunft des Landes große Bedeutung. An Beirut wird sich zeigen, inwieweit die Zivilgesellschaft im Libanon wieder an innenpolitischem Einfluß gewonnen hat und wie weit die latente Konfliktbereitschaft der religiösen Gruppen inzwischen tatsächlich in den Hintergrund getreten ist.

Bereits während des Bürgerkriegs hatte es in den "ruhigeren Zwischenkriegsphasen" 1977 und 1983 Planungen zur Rekonstruktion von Beirut gegeben, die aber nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe zu den Akten gelegt werden mußten. Erst 1991 konnte das größte nahöstliche Planungsbüro Dar Al-Handasah mit einer Wiederaufbaustudie beauftragt werden, die von der Stiftung des libanesischen Multimilliardärs und heutigen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri vorfinanziert und im Juni 1991 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Dieser Projektvorschlag sah eine massive Umgestaltung des früheren Stadtzentrums vor. Nur knapp 20 Prozent der ursprünglichen Bebauung waren zur Erhaltung vorgesehen, ansonsten dominierte ein Neubau des gesamten Stadtzentrums mit einer futuristischen, an modernen westlichen Vorbildern orientierten Globalarchitektur. Durch eine Aufschüttung der "Trümmerinsel" in der Beiruter Bucht sollte die Gesamtfläche der Innenstadt um rund ein Drittel vergrößert werden. Drei zum Meer ausgerichtete städtebauliche Achsen, eine davon breiter als die Champs-Elysées in Paris, waren als Hauptverkehrsadern für den Individualverkehr vorgesehen. Planungen für einen öffentlichen Personennahverkehr wurden nicht vorgelegt.

Diese Planungen eines "Hongkong am Mittelmeer" lösten eine sehr kontroverse Debatte in der Öffentlichkeit aus. Es entstanden Oppositionsgruppen, vornehmlich natürlich aus den Reihen derer, die früher Eigentum im Stadtzentrum hatten und nunmehr enteignet wurden, aber auch von Intellektuellen und Stadtplanern.Trotz dieser Kritik unterschied sich der endgültige, im Jahr 1994 per Dekret vom Ministerrat beschlossene Wiederaufbauplan kaum von den Vorstellungen von Dar Al-Handasah, abgesehen von der Tatsache, daß die vorgesehene Aufschüttungsfläche vor der Küste nochmals auf jetzt 608 000 Quadratmeter vergrößert wurde.

Mitte der neunziger Jahre waren die zur Neubebauung vorgesehenen Flächen weitgehend geräumt und es wurden mit Hochdruck die Ver- und Entsorgungseinrichtungen erneuert. Die Rekonstruktion der innerstädtischen Suqs (Märkte) ist bis zum Jahr 2000 vorgesehen, die Bebauung des übrigen Stadtzentrums und die Inwertsetzung der Aufschüttungsflächen vor dem Hafen sollen in den Jahren darauf folgen. Mitte des Jahres 1997 existierte jedoch erst ein einziger Neubau.

Welche Interessen stehen hinter diesem sehr drastischen Wiederaufbaukonzept, welche Akteure spielen hierbei welche Rolle?

Die treibende Kraft und Hauptakteur des Wiederaufbauprozesses ist ohne Zweifel der libanesische Ministerpräsident Hariri mit seiner einflußreichen Administration. Die wichtigsten Institutionen im Wiederaufbauprozeß wie der staatliche Wiederaufbaurat (Council for Development and Reconstruction, kurz CDR) und insbesondere die privatwirtschaftlich organisierte Grundstücksgesellschaft Solidere sind seinem Einflußbereich zuzurechnen. An der rechtlichen Verankerung des Beiruter Wiederaufbauprozesses waren zunächst noch das Parlament und die Regierung Sohl beteiligt, deren Handeln allerdings zunehmend eine Kompetenzabtretung zugunsten Hariris erkennen ließ. Seine Planungsvorschläge kamen 1991/92 angesichts eines schwachen, finanziell überforderten Staates mit einer ineffektiven Verwaltung nicht ungelegen.

Als Gegenpart zu Hariri sind eine ganze Reihe oppositioneller Akteure zu finden: Bürgerinitiativen, Interessengruppen, Wissenschaftler, Planer, aber auch Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler. Zentrale Konfliktfelder im Wiederaufbauprozeß lassen sich folglich leicht in der Schnittmenge zwischen Hauptakteur Hariri und den oppositionellen Akteuren ausmachen. An grundlegenden Konflikten sind zu nennen:

  • Der Umgang mit den Besitztiteln der "Alteigentümer" im Stadtzentrum, also der ehemaligen Eigentümer und Mieter. Deren Zahl hatte sich aufgrund von Weitervererbung während des Krieges auf über 120 000 Anspruchsberechtigte erhöht; diese wurden nunmehr enteignet und mit Aktien der neugegründeten Gesellschaft Solidere für ihre verlorenen Ansprüche entschädigt. Viele von ihnen schlossen sich in einem "Komitee der Enteigneten" zusammen; sie konnten sich bisher aber – nicht zuletzt aufgrund einer gewissen Affinität der Rechtssprechung zur Regierung – mit ihren Entschädigungsansprüchen nur unzureichend durchsetzen.
  • Der Erhalt von historischer Bausubstanz im Kontext der Neubauplanung. Um Planungsziele und -inhalte gab es insbesondere nach der Vorstellung des ersten Dar Al-Handasah-Plans im Juni 1991 eine breite öffentliche Debatte. Wortführer dieser Diskussion waren etwa fünfzehn libanesische wie internationale Wissenschaftler und Planer, die als "Professionals" Opposition zum aktuellen Wiederaufbauprojekt bezogen. Konfliktpunkte waren insbesondere der rüde Stil einer Flächensanierung, aber auch der "inselhafte" Charakter der Planung, der eine angemessene bauliche und funktionale Einbindung der umliegenden Viertel außer acht ließ und dem in den Kriegsjahren abgelaufenen Suburbanisierungsprozeß kaum angemessen Rechnung trug.
  • Auch Schriftsteller und Künstler beteiligten sich an der Diskussion über den Wiederaufbau des Stadtzentrums. So bezeichnete der libanesische Autor Elias Khoury in seinem Theaterstück "Die Erinnerungen von Jakob" über den Bürgerkrieg und das Ende des Stadtzentrums die Literatur als letzten Ort der Erinnerung: "Wie können wir das Gedächtnis dieses Ortes bewahren angesichts einer solch beängstigenden architektonischen Amnesie? In dieser Stadt, die systematisch vom Bürgerkrieg verwüstet wurde, ist die Literatur der einzige Ort, der für die Erinnerung bleibt."

Mit dem Verlust von historischer Bausubstanz im Stadtzentrum befaßt sich darüber hinaus die bereits im Jahr 1960 gegründete "Association pour la Protection des Sites et Anciennes Demeures" (APSAD). Bei den Abrißarbeiten von 1992 hatte deren jetzige Präsidentin Lady Cochrane massiv zum Erhalt des kulturellen Erbes der Stadt aufgerufen.

  • Grundbesitz der religiösen Stiftungen. Auch in Beirut besteht wie in vielen orientalisch-islamischen Städten Grundbesitz religiöser Stiftungen (awqaf). Neben den sunnitischen "Awqaf islamia" und der "Makassed" existieren auch christliche Stiftungen der Maroniten, Griechisch-Orthodoxen und Griechisch-Katholischen. Da der Besitz religiöser Stiftungen, solange er Gewinn abwirft, unveräußerlich ist, waren hier frühzeitig Konflikte bei einer Enteignung, Flächensanierung und Neubeplanung des Stadtzentrums abzusehen. Dem wurde dadurch Rechnung getragen, daß Kirchen und Moscheen bei den Neuplanungen grundsätzlich ausgenommen blieben. Ansonsten wurden Übereinkünfte getroffen, die entweder eine großzügige Entschädigung oder aber die Rückgabe von bebauten Stiftungsgrundstücken beziehungsweise Grundstücksakkumulierung von Besitzanteilen, also eine Art Flurbereinigung, vorsahen.
  • Die Bürgerkriegsflüchtlinge im Stadtzentrum. Mit Kriegsausbruch hatten sich die innerlibanesischen Wanderungsbewegungen massiv intensiviert, ihr Ziel war meist Beirut. Im Jahr 1978 löste die erste israelische Invasion eine große, schiitische Fluchtbewegung aus dem Südlibanon aus; im Nordlibanon führten Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen christlichen Clans zu Vertreibungen. Die israelische Invasion 1982 verursachte neue Schübe von Zwangsmigration, ebenso die Vertreibung der christlichen Bewohner aus dem Chouf-Gebirge und der innerchristliche Krieg zwischen libanesischer Armee und "Forces libanaises" Ende der achtziger Jahre. Insgesamt wurde mehr als ein Drittel der Bevölkerung zeitweise aus ihrer angestammten Regionen vertrieben. Ende 1992 waren noch 90 000 Familien mit insgesamt 450 000 bis 500 000 Personen als "displaced" registriert. Rasch nach dem Ende der Kampfhandlungen suchten vor allem die zahlreichen schiitischen Flüchtlinge aus dem von Israel besetzten Südlibanon im Stadtzentrum Beiruts eine Bleibe; dabei wurden auch teilweise zerstörte Häuser in unmittelbarer Nähe zur ehemals umkämpften "Green line" bezogen.

Das Flüchtlingsproblem im Innenstadtbereich wurde von der Aktien- und Grundstücksgesellschaft "Solidere" mit Geld gelöst. Zwischen ihr und den die Flüchtlinge vertretenden schiitischen Parteien (vor allem Hisbullah und Amal) entwickelte sich dabei rasch eine Auseinandersetzung um die Höhe der Entschädigungszahlungen. Die Flüchtlinge erkannten ihre Chance, sukzessive immer höhere Zahlungen bei der unter Zeitdruck stehenden Solidere herauszuholen. Über die offiziellen Entschädigungssummen zwischen 8 000 und 12 000 US-Dollar pro Flüchtlingsfamilie hinaus sollen in Einzelfällen bis zu 100 000 US-Dollar bezahlt worden sein. Letzten Endes hat Solidere das Stadtzentrum regelrecht leergekauft, um im Anschluß an die Evakuierung mit dem Abriß der Gebäude zu beginnen. Angesichts der politischen Brisanz des Flüchtlingsthemas – eine Rückkehr der häufig aus den israelisch besetzten Gebieten im Südlibanon stammenden Flüchtlingen war nicht möglich – ist es so zu einer verhältnismäßig hohen Gesamtentschädigung von 263 Millionen US-Dollar für die vielleicht 4 000 bis 5 000 Flüchtlingsfamilien gekommen. Kennzeichnend beim Wiederaufbau der Beiruter Innenstadt ist die fast vollständige Dominanz der Aktiengesellschaft Solidere, während gleichzeitig eine Partizipation der Bevölkerung weitgehend fehlt. Diese Tatsache läßt zunächst auf ein nicht unbeträchtliches, latentes Konfliktpotential schließen, steht doch zu vermuten, daß das unter Regie des sunnitischen Ministerpräsidenten entstandene Wiederaufbaukonzept von den christlichen und muslimischen Religionsgruppen in sehr unterschiedlichem Maße akzeptiert wird.

Eine erste von uns zu dieser Frage durchgeführte Voruntersuchung an 200 Probanden, in die etwa zu gleichen Teilen christliche und muslimische Bevölkerung einbezogen wurde, macht allerdings deutlich, daß diese Unterschiede keineswegs so groß sind, wie zunächst vermutet werden könnte. Generell läßt sich eine angesichts der öffentlichen Kritik erstaunlich breite Zustimmung zu den radikalen Wiederaufbauplänen von Solidere feststellen. 66 Prozent der Befragten stimmen den Planungen ganz oder überwiegend zu; nur 18 Prozent stehen ihnen völlig ablehnend gegenüber.

Natürlich gibt es gewisse Divergenzen zwischen den einzelnen Religionsgruppen, die angesichts der vorliegenden Fallzahlen gleichwohl nicht immer signifikant sind. Überdurchschnittliche Zustimmung findet das Solidere-Konzept bei der sunnitischen Bevölkerung, die es mit der Person des sunnitischen Premierministers Hariri assoziiert, während sich die christlichen Gruppen verhaltener äußern. Doch auch hier erreicht die Zustimmungsrate noch rund 50 Prozent.

Als Gründe für eine zustimmende Einschätzung werden vor allem die positiven wirtschaftlichen Effekte genannt. Durch den Wiederaufbau im Stadtzentrum erhoffen sich die Beirutis nicht nur günstige Auswirkungen auf Wirtschaft und Tourismus, sondern sehen auch allgemein Fortschritt, Verbesserung und Entwicklung in Beirut Einzug halten. Für nicht wenige stellt das alte Stadtzentrum mit dem "Place des Canons" (Platz der Märtyrer) schlechthin das Symbol des Bürgerkriegs dar, an den man nicht mehr erinnert werden will.

Dies erklärt sicher ebenfalls zum Teil die breite Zustimmung zu einer städtebaulichen Radikallösung. Negativ angemerkt wird, daß die historische Bausubstanz zerstört würde, daß das Projekt besonders Reiche und Ausländer begünstige und die Verkehrsprobleme Beiruts ungelöst blieben. Ein deutlicher Kritikpunkt ist auch die Form der Enteignung der Grundstücke im Stadtzentrum. Darüber hinaus ist die Meinung verbreitet, daß der Staat das Stadtzentrum überdurchschnittlich begünstige und andere Stadtteile benachteilige.

Deutlicher als religionsspezifische Bewertungsunterschiede fallen einige altersabhängige Divergenzen aus, ein Indiz dafür, daß auch im Libanon inzwischen altersspezifische Lebensstile Wahrnehmungen und Bewertungen weitaus deutlicher prägen als Herkunft oder traditionelle religiöse Orientierungen. In die Befragungen waren rund 45 Prozent Probanden unter 30 Jahren einbezogen worden, und gerade diese Gruppe steht den modernen Wiederaufbauplänen besonders aufgeschlossen gegenüber. Über 85 Prozent der unter 20jährigen und immerhin noch 73 Prozent der Gruppe unter 30 würden gerne selbst im neuen Stadtzentrum wohnen, während die älteren Befragten mit über 50 Jahren das Wohnen im Stadtzentrum zu 78 Prozent ablehnen. Selbst im Stadtzentrum zu wohnen oder zu arbeiten, ist vor allem für junge Beirutis attraktiv, für die das moderne Zentrum Ausdruck ihres eigenen, zunehmend an westlichen Vorbildern orientierten "Lifestyle" bildet.

Stadtentwicklung unter Streß

Die Wiederaufbauplanung Beiruts nach dem Bürgerkrieg läßt gewisse Ähnlichkeiten mit dem Wiederaufbau deutscher Städte nach dem Zweiten Weltkrieg erkennen. In beiden Fällen handelt es sich um eine "Stadtentwicklung unter Streß". Kennzeichen einer solchen Situation ist, daß einerseits ein großer Erwartungsdruck auf den Verantwortlichen lastet, daß aber andererseits rasch geplant und gehandelt werden muß, also Nutzungskonflikte nicht in einem langwierigen Prozeß moderiert werden können. Eine solche Situation eröffnet ähnlich wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die Chance, persistente bauliche Strukturen leichter zu durchbrechen, sie beschwört aber auch die Gefahr, daß aus einer kurzfristigen Planung heraus eine lange nachwirkende Hypothek für die künftige städtische Entwicklung geschaffen wird. Erinnert sei hier an das Leitbild der "baulichen Funktionstrennung", an die "autogerechte Stadt" und andere problematische Nachkriegsentwicklungen in Deutschland.

Solche Probleme werden innerhalb der verschiedenen Akteursgruppen des Beiruter Wiederaufbaus auch durchaus kontrovers diskutiert. Angesichts der langen Abschottung der Stadt während des Krieges und eines gewissen "mentalen Modernisierungsstaus" verwundert es gleichwohl nicht, daß eine unreflektiert "moderne" Stadtgestaltung bei den meisten Bevölkerungsgruppen – und zwar sowohl bei den christlichen wie den muslimischen – auf recht große Akzeptanz stößt. Hier wissen sich die Akteure der Wiederaufbaugesellschaft durchaus mit der Beiruter Stadtbevölkerung einig, welche mit Macht wieder an die alte Rolle Beiruts als Wirtschaftszentrum am Mittelmeer und des Libanons als der "Schweiz des Nahen Ostens" anknüpfen möchte.

Autoren:
Prof. Dr. Hans Gebhardt, Dipl.-Geogr. Heiko Schmid
Geographisches Institut der Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 348, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 45 47

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