Präziser Beschuß mit schweren Ionen
Die Radiologische Klinik der Universität Heidelberg, das Deutsche Krebsforschungszentrum und die Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt haben sich zusammengetan, um in einem modellhaften Gemeinschaftsprojekt die Behandlung von Krebspatienten zu verbessern. Ihre Kooperation soll einen neuen Meilenstein in der Strahlentherapie setzen. Mit dem an der GSI entwickelten "intensitätsgesteuerten Rasterscan-Verfahren" kann jeder beliebige Tumor präzise mit einer vorgegebenen Dosis-Verteilung bestrahlt werden, unter weitgehender Schonung des umgebenden gesunden Gewebes. Das Verfahren erlaubt, die biologische Wirkung des Strahls punktgenau zu variieren, also gezielt von "reparablen Schäden" auf "vorwiegend tödliche Schäden" umzuschalten. Bereits im Sommer 1996 sollen die ersten Patienten mit Schwerionenstrahlen behandelt werden. Günther Gademann, Gerhard Kraft, Hans-Joachim Specht und Michael Wannenmacher berichten.
Das ungelöste Problem der Krebstherapie führt zu vielen unterschiedlichen Forschungsansätzen. Trotz der wachsenden Hoffnung auf Behandlungen auf genetischer und immunologischer Basis wird die lokale physikalische Primärtherapie in Form einer Operation oder Bestrahlung auch künftig den Anfang der meisten Tumorbehandlungen bilden. Bei knapp 60 Prozent der Krebspatienten wird zunächst ein isolierter Tumor festgestellt. Mehr als 40 Prozent der Tumorerkrankungen können heutzutage geheilt werden. Meist sind dies lokal verbliebene Krebsstadien. Die Strahlentherapie hat - teilweise in Kombination mit der Chirurgie - etwa zur Hälfte Anteil an den Heilungen. Für 18 Prozent potentiell heilbarer Patienten - das sind in Deutschland etwa 50-70000 pro Jahr - reicht die Wirksamkeit moderner Therapien jedoch nicht aus; die Tumoren wachsen erneut und bilden dann verstärkt Absiedlungen in anderen Organen.
Trotz des Einsatzes hochmoderner bildgebender Verfahren, der immer genaueren Darstellung und Selektion der Zielvolumina sowie der Berechnung und Optimierung der Strahlenwirkung ist die heutzutage hauptsächlich verwendete ultraharte Röntgenstrahlung sowohl hinsichtlich der Möglichkeit der Konzentration auf das Tumorgebiet als auch der biologischen Wirksamkeit für Tumoren unzureichend. Das Maximum der Dosisabgabe ist bei diesen Strahlen zwar in die Tiefe von etwa drei Zentimetern verlagert, der Strahl durchdringt jedoch das gesamte Gewebe vor und hinter dem Zielvolumen und belastet entsprechend gesunde Strukturen. Der biologische Effekt auf die Zellen entsteht hauptsächlich durch Induktion biochemischer Prozesse, gegen die die Zellen teilweise hochwirksame Reparatursysteme besitzen. Die Reparatur ist für gesundes Gewebe durchaus erwünscht, für Tumorzellen birgt sie die Gefahr des Rezidivs.
Es gibt Strahlen, die beide Nachteile auszugleichen vermögen. Seitdem in den vierziger Jahren Beschleuniger für schwere geladene Teilchen (Ionen) entwickelt und in Betrieb genommen wurden, kennt man das Verhalten von schnellen Teilchen in Materie. Durch die hohe Geschwindigkeit treten beim Eintritt zunächst relativ wenige Wechselwirkungen mit der Materie auf, die sich allmählich mit zunehmender Eindringtiefe steigern und sich während des eigentlichen Bremsvorgangs förmlich überschlagen. Ein dadurch gebildetes Maximum der Energieübertragung, der Dosis, wird "Bragg-Peak" genannt und ist auf wenige Millimeter begrenzt. Seine Lage im Körper läßt sich durch die Anfangsgeschwindigkeit des Strahls und die steuerbare Seitablenkung sehr genau in das Zielvolumen lokalisieren. Hinter dem "Bragg-Peak" fällt die Dosis steil auf Null ab. Zusätzlich ist die biologische Wirksamkeit durch den hohen Energieübertrag in diesem Bereich stark erhöht, was vor allem durch die massiven Induktionen von Doppelstrangbrüchen der DNS (Desoxyribonukleinsäure) zu erklären ist. Ein Ion mittlerer Schwere - Kohlenstoff-12 bis Neon-20 - stellt einen für die medizinische Anwendung in der Krebstherapie nahezu idealen Strahl dar, der alle Möglichkeiten der Strahllenkung bietet, im Zielvolumen zusätzliche biologische Wirksamkeit entfaltet und die Reparaturmechanismen der Zellen im gesunden Gewebe weitgehend unangetastet läßt. Die Möglichkeiten, mit diesem Strahl Tumoren lokal hochwirksam zu behandeln und gleichzeitig umgebendes Normalgewebe zu schonen, das heißt funktionserhaltend und nebenwirkungsfrei zu behandeln, sollten erheblich besser als bei konventioneller Bestrahlung sein. Die Zusammenarbeit der drei Institute dient dazu, diese Erwartung klinisch zu belegen.
Bereits Anfang der achtziger Jahre - während der Planungsphase des großen Teilchenbeschleunigers SIS bei der GSI - wurden erste Kontakte zur Radiologischen Universitätsklinik geknüpft. Aufbauend auf den ersten Erfahrungen eines ähnlichen klinischen Projekts in Berkeley, Kalifornien, entstanden Pläne für eigene Forschungen mit einem technisch wesentlich verbesserten Gerät im Raum Heidelberg/Darmstadt unter Mitwirkung des Deutschen Krebsforschungszentrums. Die Voraussetzungen sind hervorragend. Die teilnehmenden Institute bieten eine Vielfalt und Intensität an wissenschaftlichen Aktivitäten und technischer Anwendung. Die Aufgabenteilung entspricht den Forschungsgebieten und ist eindeutig. Die Gesellschaft für Schwerionenforschung hat zwangsläufig die meisten Aktivitäten in der Vorphase auf sich konzentriert, die Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums bilden die Verbindung zur Medizin durch ihre medizinphysikalischen Arbeiten, während die Uniklinik derzeit die Patientenbehandlungen vorbereitet, klinische Studien ausarbeitet und mit anderen Instituten abstimmt.
Die hauptsächlichen Aufgaben der GSI sind zunächst die physikalischen und strahlenbiologischen Vorarbeiten, die sich bereits über mehr als 15 Jahre erstrecken, sowie die technische und apparative Vorbereitung der Therapie.
Dazu gehören vor allem:
- der Aufbau eines Bestrahlungsplatzes am
SIS mit Strahlführung und Diagnose-Einheiten sowie der Aufbau von Räumen für
Ärzte und Patienten,
- die strahlenbiologischen und physikalischen Vorarbeiten,
die den geeigneten Therapiestrahl festlegen, die biologische Wirkung im Tumor
bestimmen und die Nebenwirkung im gesunden Gewebe minimieren,
- die Entwicklung
geeigneter Strahlapplikationsmethoden, die eine präzise und sichere Bestrahlung
des Patienten gestatten. Dies bedeutet sowohl die Erhöhung der Betriebssicherheit
der Beschleuniger als auch den Bau und Test geeigneter Diagnose-Elemente, die
die Sicherheit des Patienten gewährleisten,
- die Entwicklung und Erprobung
eines neuartigen Bestrahlungssystems, den "intensitätsgesteuerten
Rasterscanner". Um den vom Arzt festgelegten Bezirk genau zu bestrahlen,
muß der Querschnitt und die Eindringtiefe des Strahls an das Zielvolumen
angepaßt werden. Bei der konventionellen Therapie wird aus einem größeren
Strahlungsfeld durch Blenden und Abschwächer der Strahlquerschnitt seitlich
begrenzt. Eine Tiefenanpassung ist mit konventionellen Strahlen nur sehr beschränkt
möglich, so daß immer auch ein größeres Volumen im gesunden Gewebe mit einer
hohen Dosis belegt wird. Ein Teilchenstrahl läßt sich prinzipiell auch mit den
Methoden herkömmlicher Strahlentherapie an das Tumorvolumen anpassen. Diese
passiven Verfahren werden zur Zeit in allen existierenden Teilchentherapien
angewandt. Dadurch wird die Dosisanpassung gegenüber konventioneller
Bestrahlung erheblich verbessert, ist aber noch weit von einer optimalen
Ausnutzung der günstigen Eigenschaften der Teilchenstrahlen entfernt. Außerdem
erfordert die passive Strahlanpassung für jeden Patienten die arbeits- und
damit kostenintensive individuelle Anfertigung von Strahlformungsteilen.
Das aktive, extrem tumorkonforme Bestrahlungsverfahren, das in der Biophysik der GSI entwickelt wurde, nutzt die physikalischen Eigenschaften der geladenen Teilchen optimal aus, so daß erstmals die Dosisverteilung exakt an das Zielvolumen angepaßt werden kann. Zur seitlichen Auslenkung dienen Ablenkmagnete, zur Tiefenvariation wird die Strahlenergie am Beschleuniger geändert. Das Zielvolumen wird in Schichten gleicher Teilchenreichweite zerlegt. Beginnend mit der hintersten Schicht tastet der Strahl, geführt von einem Paar schneller magnetischer Ablenker, jede Schicht rasterförmig ab. Dies ist im Prinzip dasselbe Verfahren wie in jedem Fernsehgerät, bei dem ein Elektronenstrahl in Zeilen über die Bildfläche gerastert wird. Beim Fernsehen ist jede Zeile in einzelne Bildpunkte aufgeteilt, und die Helligkeit jedes Punktes wird über die Intensität des Elektronenstrahls geregelt. Auch beim Ionen-Rasterscanverfahren wird jede Zeile in einzelne Bildpunkte (Pixel) aufgeteilt. Die Dosis wird hierbei von Pixel zu Pixel dadurch variiert, daß der Strahl so lange auf einem Pixel bleibt, bis der vorberechnete Sollwert erreicht ist. Mit dieser Methode des "intensitäts-gesteuerten Rasterscans" läßt sich jede Teilchenverteilung mit beliebiger äußerer Kontur auf einer Fläche nachzeichnen, ähnlich wie auf dem Fernsehschirm jedes beliebige Bild erzeugt werden kann.
Die hohe Flexibilität des GSI-Verfahrens ist Voraussetzung für eine exakte Bestrahlung von dreidimensionalen Volumina: Bei der Aufteilung eines Volumens in Schichten verschiedener Reichweite werden die vorderen Schichten bereits ganz oder teilweise vorbestrahlt, wenn die hinteren Schichten mit Teilchen belegt werden. Dies muß dann durch eine entsprechende inhomogene Bestrahlung der vorderen Schicht korrigiert werden. Mit dem intensitätsgesteuerten Rasterscan-Verfahren kann jedes beliebige Tumorvolumen präzise mit jeder vorgegebenen Dosis-Verteilung bestrahlt werden, ohne das gesunde Gewebe seitlich oder hinter dem Tumor zu belasten. Außerdem erlaubt die hohe Flexibilität des Verfahrens, die unterschiedliche biologische Wirkung innerhalb und außerhalb des Zielvolumens von Punkt zu Punkt zu berücksichtigen.
Die zweite wesentliche Innovation des GSI-Therapie-Verfahrens ist die strikte Ausnutzung der Änderung der biologischen Wirkung eines Teilchenstrahls mit seiner Energie. Grundsätzlich möchte man erreichen, daß der Strahl möglichst wenig Schäden produziert, solange er durch das gesunde Gewebe geschossen wird, und daß er dann beim Eindringen in den Tumor seine biologische Effektivität schlagartig erhöht und Tumorzellen besonders effektiv abtötet. Das "Umschalten" der biologischen Wirkung von "besonders schonend" im Eingangskanal auf "besonders effektiv" im Tumor klingt zunächst mehr wie eine Wunschvorstellung. Mit Teilchenstrahlen kann diese Vorstellung in hohem Maße realisiert werden. Grundsätzliche Voraussetzung ist dabei ein tieferes Verständnis der biologischen Wirkung von Teilchenstrahlen, das es erlaubt, den optimalen Strahl für die Therapie zu bestimmen.
Paradoxerweise war dieses generelle Verständnis, das dann zur Wahl eines relativ leichten Ionenstrahls wie Kohlenstoff für die Therapie führte, erst möglich, nachdem alle Ionenstrahlen, vor allem aber die sehr schweren Ionen bis zum Uran, für strahlenbiologische Experimente zur Verfügung standen. Die Untersuchungen haben vor 20 Jahren am Unilac der GSI begonnen. Mehr als 100 000 biologische Proben wurden bestrahlt. In Experimenten, die zunächst auch der Aufklärung der biologischen Wirkung von kosmischer Strahlung bei Weltraumflügen galten, konnte gezeigt werden, daß es ein typisches teilchenspezifisches Reaktionsverhalten gibt, welches weitgehend unabhängig von den biologischen Objekten ist. Trägt man die Wahrscheinlichkeit einer biologischen Reaktion als Funktion der Energieabgabe der Teilchen auf, dann findet man nichtlineare Abhängigkeiten, die für alle biologischen Reaktionen wie die Abtötung von Säugetier-, Hefe- oder Bakterienzellen, aber auch für Chromosomenschäden oder DNS-Doppelstrangbrüche sehr ähnlich sind. Die Ähnlichkeit dieser Kurven, die als "Darmstadt-Haken" in die wissenschaftliche Literatur eingingen, zeigt, daß für Teilchenstrahlen die physikalischen Prozesse der Energieabgabe für die biologische Wirkung bestimmender sind als der Unterschied zwischen den verschiedenen biologischen Objekten.
Rein qualitativ zeigt sich die unterschiedliche Wirkung verschiedener Teilchen beim Vergleich der Schäden, die eine Protonen- und eine Kohlenstoffspur in der Struktur eines DNS- Moleküls hervorrufen. Für die meisten biologischen Reaktionen, vor allem aber für die Zellabtötung, stellt die DNS den eigentlichen Zielpunkt dar. Während die überwiegende Mehrzahl aller durch Strahlen induzierten DNS-Schäden repariert werden kann, ist die Reparatur von Doppelstrangbrüchen, also von gegenüberliegenden Schäden am Rückgrat der DNS, schwierig und oft unmöglich, dies führt dann zum Zelltod. In der Kohlenstoffspur wird die Schadensdichte so hoch, daß zwei oder mehr Schäden korreliert an zwei gegenüberliegenden DNS-Strängen sehr wahrscheinlich werden, während in der Protonenspur im wesentlichen einzelne, isolierte Schäden erzeugt werden. Kohlenstoffspuren sind somit effektiver in der Zellabtötung als Protonenspuren. Für ein festes Ion hängt die Zahl korrelierter Schäden von der lokalen Energieabgabe ab: Für hohe Energien sind die Wahrscheinlichkeiten zunächst klein und steigen mit abnehmender Geschwindigkeit an. Damit läßt sich die biologische Wirkung gezielt von "reparablen Schäden" auf "schlecht reparierbare", das heißt tödliche Schäden im letzten Teil der Teilchen-Reichweite umschalten. Dies ist ein neuer Freiheitsgrad, verschiedene Teile des Zielvolumens biologisch besonders effektiv zu bestrahlen.
Diese Änderungen des biologischen Verhaltens konnten inzwischen auf molekularer Ebene nachgewiesen werden. Dazu wurde in Säugetierzellen die Fragmentierung der DNS durch Doppelstrangbrüche direkt nach Bestrahlung und nach einer Reparaturzeit gemessen. Ganz eindeutig dominieren bei einem Kohlenstoffstrahl die nicht reparablen Schäden am Ende der Reichweite auf den letzten zwei Zentimetern, während davor Strahlenschäden optimal repariert werden können. Für schwerere Ionen, wie Argon, geht dieser Unterschied weitgehend verloren, da schon im Eingangskanal nicht reparierbare Schäden vorherrschen. Für leichtere Ionen, wie Protonen, ist der Bereich nicht reparabler Schäden sehr viel schmaler und deshalb weniger nutzbar. Das gilt nicht nur für Zellkulturen. Zusammen mit der Universität Dresden konnte die Wirkung von Kohlenstoffstrahlen auf der Haut von Miniatur-Schweinen, die menschlicher Haut sehr ähnlich ist, exakt berechnet und im Experiment nachgewiesen werden. Mit dem neuen quantitativen Verständnis der Strahlwirkung ist es jetzt auch möglich, die Wirkung der Dosisfraktionierung für die Patientenbestrahlung zu berechnen. Fraktionierungs-Rechnungen stimmen mit eigenen Zellexperimenten, aber auch mit in der Literatur beschriebenen Tierexperimenten mit fraktionierter Neutronen- und Kohlenstoffbestrahlung exakt überein. Weitere Zell- und Tierexperimente sind in Vorbereitung, um diesen Befund zu erhärten. Alle bisherigen Ergebnisse bestätigen, daß durch die langjährigen Physik- und Strahlenbiologie-Experimente und deren theoretische Verarbeitung an der GSI ein Wissensstand der Teilchenwirkung erreicht wurde, der zusammen mit der Präzision des Rasterscans eine neue Dimension der Strahlentherapie ermöglicht. Dieses Wissen wird jetzt in geeigneter Weise in die modernste Bestrahlungsplanung, das Voxelplan-System, integriert und damit den Ärzten zugänglich gemacht.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit seinem Schwerpunkt Radiologische Diagnostik und Therapie seit nahezu 20 Jahren mit wissenschaftlichen Aktivitäten befaßt, die direkt oder indirekt in das Projekt einfließen werden. In erster Linie ist dies die Bildgebung, die Informationsaufbereitung moderner Bilder für den Strahlentherapeuten, die Simulation von Bestrahlungsvorgängen und die Optimierung der Dosisverteilung im Körper. Die Darstellung derart komplexer Zusammenhänge ist nur durch den massiven Einsatz von Computern zu lösen. Es wurde mit dem Programm VOXELPLAN ein System entwickelt, das die anatomische Segmentierung des abgebildeten Körpers in allen Raumrichtungen ermöglicht, die Dosisverteilung darin mit Genauigkeiten von etwa einem Prozent berechnet und anschließend die Ausbreitung und Wirkung des Strahls im Körper bildlich darstellt. Dieses Bestrahlungsplanungsprogramm darf sich zu den modernsten und schnellsten der Welt rechnen und ist ideal als Gerüst für das Projekt. Durch Bestrahlungen von Phantomen mit Kohlenstoffionen an der GSI und deren CT- Untersuchungen im DKFZ werden Berechnungen für den Schwerionenstrahl entwickelt, die es erlauben, Dosisverteilungen später auch im menschlichen Körper hochpräzise vorauszusagen. Die am DKFZ entwickelten Systeme der Patientenlagerung und stereotaktischen Zielpunktbestimmung können für den Kopfbereich ohne Veränderungen übernommen werden, da sie bereits eine hinreichende Präzision bieten. Der Ausbau der Bildunterstützung für den Arzt während der Lagerung und Bestrahlung bildet einen weiteren wichtigen Beitrag des Schwerpunkts Radiologische Diagnostik. Die exakte Lagerung zu jeder Einzelbestrahlung muß durch millimetergenaue Bildkorrelation prüfbar sein, und feinste Bewegungen des Patienten während der Bestrahlung müssen erkannt und sofort korrigiert werden. Entsprechende Entwicklungen stehen schon als Prototypen und demnächst für die klinische Erprobung zur Verfügung.
Jede Strahlanwendung muß extrem genau kontrollierbar und biologisch der konventionellen Strahlentherapie vergleichbar sein. Nur so können die Erfahrungen der klinischen Forscher genutzt werden. Die Entwicklung neuer Meßsysteme für die klinische Dosimetrie und die Ausarbeitung von Meßprotokollen an speziellen Phantomen zur späteren Prüfung während der Patientenbehandlungen ist ein rechtlich geforderter Schritt der Qualitätskontrolle und Patientensicherheit. Diese Aktiviäten werden zur wichtigsten Vertrauensmaßnahme bei den klinischen Patientenbehandlungen.
Die Universitätsklinik Heidelberg wird erst in der sogenannten klinischen Phase des Projekts in den Vordergrund treten. Von Anfang an ist sie jedoch die wichtigste Stimme zur Festlegung der Randbedingungen zur Technik, Logistik und Ausarbeitung der klinischen Studien. Sie hält Kontakte zu den klinischen Partnern im Inund Ausland. Unterstützt durch die Europäische Gemeinschaft wurde durch sozioökonomische und epidemiologische Studien die Relevanz neuer Bestrahlungsmethoden untersucht. Die Bestrahlung mit Schwerionen käme danach bei engster Indikationsstellung in Deutschland pro Jahr rund 3000 Patienten zugute - eine Zahl, die von dem Projekt allein natürlich nie befriedigt werden kann.
Während einer bislang auf fünf Jahre begrenzten klinischen Phase sollen etwa 250 bis 350 Patienten behandelt werden. Die Zahl ist begrenzt, da die GSI ein Institut für weltweit kooperierende Gruppen der physikalischen Grundlagenforschung ist. Das Therapie-Projekt wird drei bis vier Blöcke Strahlzeit zu je drei Wochen pro Jahr erhalten und damit als Einzelprojekt am häufigsten den Beschleuniger belegen. Allerdings werden die Patienten-Bestrahlungen nur ein- oder zweimal pro Stunde etwa fünf Minuten Kohlenstoff-Strahl benötigen. Dazwischen steht der Strahl für andere physikalische Experimente uneingeschränkt zur Verfügung. Während eines Zeitblocks werden maximal 20 Patienten behandelt werden können, dies jedoch erst nach einer Einarbeitungszeit wegen der aufwendigen Lagerungsmethodik und der klinischen Forderungen einer Patientenstudie.
Aufgrund seiner Eigenschaften scheint der Schwerionenstrahl besonders für strahlenresistente und lokal problematische, das heißt inoperable Tumoren geeignet. Dies haben bereits Studien an ähnlichen Strahlen in den USA gezeigt. Das Chordom, ein seltener halb-maligner Tumor, der entlang des Hirnstamms und Rückenmarks entsteht, ist lokal in der Regel nicht vollständig zu entfernen. Seine Strahlenresistenz führt auch nach Operation und Bestrahlung mit konventionellen Strahlen zu einer Rezidivquote von 45 Prozent innerhalb der ersten fünf Jahre, von 70 Prozent nach zehn Jahren. Mit den Teilchenstrahlen erreicht man dagegen eine Rezidivfreiheit von zirka 85 Prozent. Andere Tumoren im Bereich des Rückenmarks zeigen eine ähnliche Bilanz für Teilchenbestrahlung, so daß diese Problemtumoren inzwischen international als feste Indikation für Teilchenbestrahlungen anerkannt sind und Patienten in die USA ziehen. Diese Patienten können mit der tumorkonformen Kohlenstoff-Bestrahlung bei der GSI auf eine noch bessere Behandlung hoffen. Neue Indikationen werden primäre Hirn- und Rückenmarkstumoren sein sowie Bauchraumtumoren des Kindesalters und lokale Rezidive im Beckenbereich. Die Behandlungen sollen im Sommer 1996 beginnen.
Die Patienten werden ausnahmslos über die Strahlenklinik der Universität Heidelberg der Behandlung zugeführt. Das Projekt hat allerdings durch den Ruf eines ehemaligen Mitarbeiters auch ein nördliches Standbein, die Universität Magdeburg. Beide Kliniken nehmen direkt Anfragen auf und untersuchen und beraten die Patienten oder Ärzte. Die Vorbereitungen finden dann allerdings ausschließlich in Heidelberg statt und nehmen etwa eine Woche in Anspruch. Sie werden teilweise an den Geräten des DKFZ mit der bereits erwähnten hochspeziellen Bildgebung und Bildkorrelation durchgeführt. Ein Flußdiagramm der sogenannten Patientenachse weist allein 60 Einzelschritte auf, bei denen alle drei Institute eng verknüpft sind. Für die statistischen Erhebungen und Auswertungen wurde das Institut für Biometrie des DKFZ gewonnen. Mit dieser Hilfe sollen am Ende der für klinische Studien kurzen Periode von nur fünf Jahren signifikante Aussagen über die bessere Wirkung und die geringere Nebenwirkung dieser Bestrahlungsart vorliegen.
Frühzeitig werden sich die Projektteilnehmer um die Ausweitung der Methode bemühen. Ein Beschleuniger für die Klinik muß nicht 200 Millionen Mark kosten und einen Durchmesser von 70 Metern besitzen. Weniger als ein Sechstel des Preises und nur 18 Meter Durchmesser genügen für eine Einrichtung, die in eine Klinik integriert werden kann. Auch hierfür liegen bereits Pläne vor. Heidelberg wäre der ideale Standort mit seinen vielfachen Aktivitäten auf dem Gebiet der Krebsforschung und seinem ausgezeichneten Ruf in der Patientenversorgung.
Autoren:
Prof. Dr.
Gerhard Kraft
GSI, Biophysik,
Telefon (06159)712607
Prof. Dr. Hans-Joachim
Specht
Physikalisches Institut, Philosophenweg 12, 69120 Heidelberg, derzeit
GSI,
Telefon (06159)712648
Prof. Dr. Günther Gademann
Klinik für
Strahlentherapie Magdeburg,
Telefon (0391)672791
Prof. Dr. Dr. Michael
Wannenmacher
Radiologische Universitätsklinik, Im Neuenheimer Feld 400, 69120
Heidelberg,
Telefon (06221)568200
Strahlenklinik der Universität Heidelberg Die strahlentherapeutische Abteilung der Radiologischen Universitätsklinik ist eines der größten Strahlentherapie- Institute in Deutschland und behandelt mehr als 2300 Patienten pro Jahr mit allen modernen Methoden ihres Fachs. Ihre Geschichte reicht weit in die Anfänge der Radiologie zurück. Initiiert 1906 als Krebsklinik durch Vincenz Czerny wurden bereits Anfang des Jahrhunderts, also kaum zehn Jahre nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen, beachtliche Forschungen mit den heilenden Wirkungen von Strahlen auf Krebszellen unternommen. Die Klinik war eine der ersten Einrichtungen Deutschlands mit einem Betatron in den 50er Jahren und jahrelang ein Zentrum für dessen Anwendung. Sehr frühzeitig wurde das Potential der Computertomographie für die Strahlentherapieplanung erkannt und seit 1980 genutzt. In enger Zusammenarbeit mit dem DKFZ - seit 1978 auf dem Gebiet der Neutronentherapie, seit 1983 in der stereotaktischen Strahlentherapie und seit 1988 in der dreidimensionalen Bestrahlungsplanung - weist es sich als weltweit beachtetes und wissenschaftlich hochaktives Institut aus.
Deutsches Krebsforschungszentrum Das Deutsche Krebsforschungszentrum basiert auf einer Idee und Initiative Karl Heinrich Bauers, Chirurg an der Universität Heidelberg in den 60er Jahren. 1975 wurde es als Großforschungseinrichtung ausgewiesen und seitdem zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert. In acht Schwerpunkten forschen viele unterschiedliche Institute allein auf dem Gebiet der Krebserkrankungen. Der Schwerpunkt Radiologische Diagnostik und Therapie existiert seit 1972, anfänglich unter dem Namen Nuklearmedizin. Sein Forschungsauftrag betrifft vor allem die bildgebenden und die physikalischen Methoden in der Diagnostik und Therapie von Tumoren. 1978 wurde mit der Neutronentherapie begonnen, 1983 mit der stereotaktischen Strahlentherapie, in enger Zusammenarbeit mit der Strahlenklinik der Universität. Durch die Bearbeitung der stereotaktischen Methoden, der Dosimetrie, der dreidimensionalen Bestrahlungsplanung und die Entwicklung neuer Patientenfixationssysteme steht der Schwerpunkt weltweit im Interesse der Strahlentherapeuten.
Gesellschaft für Schwerionenforschung Die
Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) ist eine vom Bund und dem Land
Hessen getragene Großforschungseinrichtung mit Sitz in Darmstadt. Sie wurde
1969 gegründet, basierend auf einem Beschleunigerkonzept von Christoph
Schmelzer, damals Ordinarius für Angewandte Physik in Heidelberg. Die GSI
beschäftigt zur Zeit etwa 600 Mitarbeiter, darunter 250 Wissenschaftler und
Ingenieure. Zu ihren Aufgaben gehören Bau und Betrieb von Schwerionen-
Beschleunigeranlagen sowie die Forschung mit beschleunigten schweren Ionen.
Hierzu wurde eine Reihe von Großgeräten aufgebaut:
- der Linearbeschleuniger
UNILAC zur Beschleunigung von Ionen aller Elemente bis zum Uran auf eine
Maximalenergie von rund 20 MeV/u;
- das Schwerionensynchrotron SIS mit dem
UNILAC als Injektor, mit dem die Ionen auf eine Maximalenergie von bis zu 2
GeV/u beschleunigt werden können;
- der Fragmentseparator FRS zur Erzeugung
radioaktiver Strahlen mit Hilfe von Ionenstrahlen aus dem SIS;
- der
Experimentier-Speicherring ESR zum Speichern und Kühlen von Ionenstrahlen aus
dem SIS und vom FRS.
Mit diesen Großgeräten, insbesondere mit der in den Jahren 1986 bis 1989 errichteten Beschleunigeranlage SIS/ESR, steht bei der GSI ein weltweit einzigartiges Instrumentarium für die Grundlagenforschung im Bereich der Kern- und Atomphysik zur Verfügung. An der GSI wurden zum Beispiel die fünf schwersten Elemente des Periodensystems entdeckt. Darüber hinaus hat sie neue Perspektiven für anwendungsorientierte Forschungsarbeiten auf den Gebieten Plasmaphysik, Materialforschung sowie Biophysik eröffnet, einschließlich des hier beschriebenen Projekts zur Tumortherapie mit schweren Ionen. Das gesamte Spektrum der Forschungsarbeiten wird in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern von Universitäten und Forschungseinrichtungen des In- und Auslands durchgeführt. Insgesamt sind über 1000 Wissenschaftler und mehr als 100 Institute aus über 20 Ländern an den Forschungsvorhaben beteiligt.