High-Tech im Innenohr
Das Gehör nimmt unter den Sinnesorganen des Menschen eine besondere Stellung ein. Es dient nicht nur der Vermittlung eines ständigen und nicht abschaltbaren Informationsaustausches zwischen Umwelt und Gehirn, sondern ist außerdem die Grundvoraussetzung für jede zwischenmenschliche Kommunikation und daher für das soziale Zusammenleben wichtiger als jedes andere Sinnesorgan. Für beidseitig ertaubte Menschen gibt es nur eine bewährte Hilfe, das Cochlea-Implantat. Sebastian Hoth aus dem Team von Professor Hagen Weidauer an der Heidelberger Hals- Nasen- und Ohrenklinik berichtet über den bisher einzigen künstlichen Ersatz für ein Sinnesorgan.
Worte wie gehorchen, hörig und gehören, deren Zusammenhang mit der auditorischen Wahrnehmung uns meist gar nicht bewußt ist, sowie die sprichwörtlichen Auswirkungen der babylonischen Sprachverwirrung machen deutlich, daß das Gefüge der menschlichen Gesellschaften ganz wesentlich vom Senden und Empfangen akustischer Signale mitbestimmt wird. Auf einer ganz anderen Ebene, zum Beispiel beim Genuß von Musik, trägt das Gehör zur Freude und seelischen Ausgeglichenheit bei. Wohl am wichtigsten für die Entwicklung eines jeden menschlichen Individuums ist aber, daß der größte Teil der Lernvorgänge, und damit die Ausbildung der Intelligenz, nur durch ein funktionierendes Gehör ermöglicht wird. Die Verwandtschaft der deutschen Wörter taub und doof läßt sich über die englischen und holländischen Vokabeln deaf und doof nachvollziehen, welche beide den Zustand der Gehörlosigkeit bezeichnen. Es ist dem Hörenden wohl nicht möglich zu ermessen, was es bedeutet, auf das Gehör verzichten zu müssen. Der Zustand einer vollständigen akustischen Isolation und der weitgehende Verlust der zwischenmenschlichen Kontakte haben bei den Betroffenen häufig seelische Instabilität und schwere Depressionen zur Folge.
Gegenwärtig existiert nur ein einziges bewährtes Verfahren, beidseitig ertaubten Patienten wieder zu Höreindrücken zu verhelfen: die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat. An der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Universität Heidelberg arbeiten wir seit dem Jahr 1986 mit dieser Methode. Das Cochlea-Implantat ist kein Hörgerät im herkömmlichen Sinn, bei dem die Schallsignale verstärkt und auf akustischem Weg dem geschädigten Ohr zugeführt werden. Vielmehr wird als Ersatz für das nicht mehr funktionsfähige Innenohr ein elektronisches Gerät implantiert, das eine elektrische Stimulation des Hörnerven bewirkt. Es besteht aus einem verkapselten Mikroprozessor mit einem Durchmesser von etwa zwei Zentimetern, der in eine künstlich geschaffene Vertiefung in den Knochen hinter dem Ohr eingesetzt wird. Am verkapselten Gehäuse sind eine schleifenförmige Empfängerspule und ein Permanentmagnet befestigt, außerdem ein dünner schlauchförmiger Fortsatz mit 22 Platinelektroden an der Spitze. Sie werden bei der Operation i n die untersten eineinhalb Windungen der Hörschnecke, der Cochlea, eingeführt. Die räumliche Anordnung der Elektroden innerhalb der Schnecke ist der natürlichen Tonhöhenverarbeitung des Innenohrs angepaßt: Eine elektrische Reizung über die vorderste Elekt rode löst den Eindruck eines tiefen Tons aus, während die hintersten Elektroden am unteren, breiten Ende der Hörschnecke Hochtoneindrücke vermitteln. Zusätzlich zum Implantat außen zu tragen bekommt der Patient einen Sprachprozessor und ein "Headset". Es besteht aus einem Mikrophon, das - einem Hörgerät ähnlich - in einem Gehäuse hinter der Ohrmuschel getragen wird, und einer Senderspule, die mit einem Permanentmagneten ausgestattet ist, wie die Empf ängerspule des Implantats. Die beiden Magneten unterhalb und oberhalb der Kopfhaut gestatten es, die Außenspule durch die Haut hindurch zu justieren und zu fixieren. Der "Headset" ist über ein dünnes Kabel mit dem Sprachprozessor verbunden. Es überträgt d ie Mikrophonsignale abwärts und die Hochfrequenzpulse aufwärts. Die Schallsignale werden darin analog und digital verarbeitet und in eine für das Implantat verständliche Folge von einzelnen Hochfrequenzpulsen ver- schlüsselt. Elektroden und implantierte Elektronik reizen nicht selbständig den Hörnerven, sie führen nur die von Sprachprozessor und Senderspule erteilten Anweisungen aus. Dank dieses Konstruktionsprinzips können Patienten ohne erneute Operation an techn ischen Verbesserungen der externen Sprachsignalverarbeitung teilhaben: der Sprachprozessor wird gegen das verbesserte Modell ausgetauscht oder seine Sprachverarbeitung neu programmiert, das Implantat bleibt dasselbe. Der Energiebedarf des Implantats wird durch Hochfrequenzpulse gedeckt, die vom Sprachprozessor erzeugt und über die am Kopf getragene Senderspule durch die Haut hindurch übertragen werden. Nachoperationen für einen Batteriewechsel sind also nicht erforderlich. Die Hörhilfe ist für eine Verwen dung auf Lebenszeit konzipiert und funktioniert heutigen Erfahrungen zufolge weit über ein Jahrzehnt hinaus ohne technische Ausfälle. Mit einem Cochlea-Implantat werden Patienten versorgt, die entweder beidseitig vollständig ertaubt sind oder auf beiden Ohren so schwer hören, daß eine konventionelle Hörgeräteversorgung im Hinblick auf das Sprachverständnis keinen Gewinn erbringt. Die Er- folgsaussichten sind erfahrungsgemäß bei erst vor kurzer Zeit ertaubten Erwachsenen besonders günstig. Ist der Patient schon längere Zeit taub, so ist eine Operation dennoch möglich. Je länger der Zeitpunkt der Ertaubung aber zurückliegt, umso mehr verblaßt die Erinnerung an frühere Hörerlebnisse und umso schwerer wird es dem Patienten fallen, aus den verschlüsselten Sprachsignalen nützliche Information zu gewinnen. Auch bei gehörlos geborenen oder innerhalb der ersten Lebensjahre - prälingual - ertaubten Patienten ist die Implantation grundsätzlich möglich, im allgemeinen wird jedoch kein offenes Sprachverständnis erzielt. Die Behandelten müssen nach der Operation die Sprache in der vom Sprachprozessor erzeugten Form ohne verwertbare Vorkenntnisse erlern en. Das ist umso schwieriger, je älter der Patient ist, denn das Gehirn besitzt nur im Kindesalter die für die Bewältigung solch schwieriger Lernvorgänge notwendige Leistungsfähigkeit und Plastizität. Die prälinguale Ertaubung kann dabei sogar von Vorteil sein, denn die fehlende Hörerfahrung erspart dem Patienten viel von der Enttäuschung, die ein postlingual ertaubter Patient beim Vergleich zwischen den früheren und den neuen Höreindrücken erlebt. Vor einer Operation sind bestimmte Eignungstests nötig. Im Tonaudiogramm bestimmen wir die frequenzabhängige Hörschwelle und im Sprachaudiogramm das mit und ohne Hörhilfe erzielbare Sprachverständnis. Weiterhin prüfen wir die Funktion des mit dem Gehör en g verbundenen Gleichgewichtsorgans. Bildgebende Verfahren wie die hochauflösende Computertomographie und die Kernspintomographie geben darüber Auskunft, ob reguläre anatomische Verhältnisse vorliegen. Wichtig ist der Nachweis von flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen im Innenohr, da die intracochleären Elektroden sonst nicht eingeführt werden können. Viele Erkrankungen, die zur Taubheit führen, gehen mit einer langsam fortschreitenden Verknöcherung der Cochlea einher. Ein Implantat muß deshalb so bald wie mögl ich eingesetzt werden, da sonst nur die Alternative von extracochleären Elektroden bleibt, mit denen der Patient im allgemeinen die aufbereiteten akustischen Informationen sehr viel schlechter differenzieren kann. Die Empfindlichkeit und das Auflösungsvermögen von Computer- und Kernspintomogramm reichen unglücklicherweise nicht immer aus, um einen absolut zuverlässigen Befund zu gewinnen. Eine beginnende oder partielle Verknöcherung der für die Implantation so wichtigen Scala tympani stellt daher oftmals erst der Operateur fest. Er muß dann im Einzelfall entscheiden, ob er die Elektroden stattdessen in die Scala vestibuli einführt oder auf extracochleäre Elektroden ausweicht. Eine wichtige Entscheidungshilfe für den Operateur ist der Promontoriumstest, die präoperative Elektrostimulation des Hörnerven, die Auskunft über seine Funktionsfähigkeit gibt. Dazu sticht der Untersucher eine Nadelelektrode vom äußeren Gehörgang her durch das Trommelfell, ihre Spitze liegt auf dem Promontorium beziehungsweise in der Nische des runden Fensters. Mit Hilfe eines Reizgeräts werden darüber elektrische Pulse variabler Stromstärke zugeführt. Für jede Reizfrequenz lassen sich, bei Stromstärke Null beginnend, durch langsame Erhöhung der Reizintensität sowohl die subjektive Wahrnehmungs- als auch die Unbehaglichkeitsschwelle des Patienten ermitteln. Daraus kann der Audiologe den Dynamikbereich berechnen, soweit die ausgelösten Empfindungen auditorischer Art waren. Günstige Voraussetzungen für die Implantation liegen vor, wenn die Wahrnehmungsschwellen niedrig und die Unbehaglichkeitsschwellen hoch sind, also eine große Dynamik verfügbar ist. Häufig bewirken Reize hoher Frequenz nur nichtauditorische Sensationen, wie Stechen oder Druckgefühl. Da der Ort der Reizung bei dem Test nicht mit dem der später implantierten Elektroden übereinstimmt, beinhaltet das Auftreten solcher Wahrnehmungen keine Kontraindikation zur Implantation. In Zweifelsfällen wird der Test zu einem späteren Termin wiederholt. Zusätzlich zum Dynamikbereich für Reizpulse unterschiedlicher Frequenz untersuchen wir im "gap detection test" das Zeitauflösungsvermögen: Der Patient muß unterbrochene Pulse von Dauerpulsen derselben Gesamtdauer unterscheiden. Gute Werte für die Zeitauflösung liegen zwischen zehn und 50 Millisekunden. Sie lassen eine vorsichtige Prognose zu, daß ein gutes Sprachverständnis erzielbar sein wird. Auf ähnliche Weise prüfen wir das Frequenzunterscheidungsvermögen. Für die Implantation des Mikroprozessors legt der Operateur hinter dem Ohr ein rundes Knochenbett an, in das er den verkapselten Mikrochip versenkt. Den Elektrodenträger führt er durch den ausgeräumten Warzenfortsatz und das Mittelohr in eine Öffnung unmittelbar vor dem runden Fenster in die Scala tympani ein, so daß die Elektrodenringe den peripheren Fasern des Hörnerven sowie den Spiralganglienzellen sehr nahekommen. Die vorderste Elektrode reicht etwa 20 Millimeter in die Schnecke hinein. Nach der Operation können die Ärzte die Lage der Elektroden röntgenologisch überprüfen. Die erste Funktionsprüfung ist nach etwa vier Wochen möglich, wenn das Implantat eingeheilt ist. Bis dahin kann der Patient ebensowenig hören wie vor der Operation, da er noch nicht mit dem Sprachprozessor ausgestattet ist. Gelegentlich berichten Patienten allerdings von auditorischen Empfindungen im operierten Ohr, besonders bei heftigen Körperbewegungen oder Berührungen des Gesichts, die aber nicht mit akustischen Reizen korrelieren. Diese Sensationen sind wahrscheinlich auf elektrochemische Vorgänge im frisch operierten Innenohr zurückzuführen. Die Eröffnung der Innenohrräume wirkt sich bei vielen Patienten als eine, meist zeitlich begrenzte, Störung des mit der Hörschneckeeng zusammenhängenden Gleichgewichtsorgans aus. Nur selten klagen Patienten über chronischen Schwindel, der dann allerdings therapeutisch schwer kontrollierbar ist und für den Betroffenen sehr unangenehm sein kann. Auch die Anwendung elektrischer Reize in einer Region des Kopfes, in der sehr viele Nervenverbindungen zusammenkommen, kann Gleichgewichtsstörungen hervorrufen, wenn der Vestibularisnerv unbeabsichtigt elektrisch gereizt wird. Das Problem läßt sich - ebenso wie gelegentliche Facialisreizungen - bei der Einstellung der Stimulationsparameter erkennen und durch Stillegen der betreffenden Elektroden lösen. Etwa vier Wochen nach der Implantation erfolgt die Erstanpassung des Sprachprozessors. Mit Hilfe eines Computers, an den dieser angeschlossen ist, werden mit spezieller Hard- und Software zunächst für alle Elektroden die Schwellen- und Unbehaglichkeitswer te der elektrischen Reizpulse ermittelt und eingestellt. Hierbei kommt es auf eine konzentrierte Mitarbeit und auf qualifizierte Auskünfte des Patienten an. Falls einzelne Elektroden trotz hoher Stromstärke nicht zu einer auditorischen Empfindung führen, können sie bei dieser Prozedur identifiziert und von der Reizübertragung ausgeschlossen werden. Mit Hilfe der ermittelten Schwellenwerte erstellen wir ein Signalverarbeitungsprogramm, probieren es am Computer aus, modifizieren es und übertragen es schließlich in den Sprachprozessor des Patienten. Ähnlich der Anpassung eines Hörgeräts, aber noch eine Ebene höher in der Physiologie des Gehörs, wird bei diesem Vorgehen eine maßgeschneiderte Vorschrift definiert, die den Frequenz- und Intensitätsbereich externer Schallsignale auf das eingeschränkte "Hörfeld" des Patienten abbildet. Die in der Praxis am häufigsten angewandte Kodierungsstrategie des Sprachprozessors beruht auf dem Prinzip der Parameterextraktion. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß Cochlea-Implantat-Patienten infolge der apparativ begrenzten Zeit- und Frequenzauflösung die mit der sprachlichen Kommunikation verbundene hohe Informationsdichte nicht bewältigen können. Das normale Innenohr mit etwa 30 000 Sinneszellen und entsprechend hoher Frequenzauflösung sowie einer sehr leistungsfähigen Signalverarbeitung wird durch ein Gerät ersetzt , das nur etwa 20 Frequenzbereiche trennen kann. Gleichzeitige Stimulationen möglichst vermeidend, muß es die Schallintensität in den Frequenzbändern mit Hilfe relativ grober und im Dynamikbereich sehr eingeengter Strompulse verschlüsseln und dem in undef inierter Entfernung befindlichen Hörnerven zuführen. Der externe Sprachprozessor hat die Aufgabe, die Sprache auf ihre wesentlichen informationstragenden Bestandteile zu reduzieren. Bis heute sind aber die Details der cochleären Signalverarbeitung, deren Funktion mit Hilfe von Implantat und Sprachprozessor nachgeahmt werden soll, nicht vollständig verstanden. In dieser etwas unbefriedigenden Situation hat sich unter vielen denkbaren Möglichkeiten die Extraktion und Verschlüsselung von Grundfrequenz, erstem und zweitem Formanten sowie der Gesamtamplitude bewährt, die "F0F1F2-Strategie". Die Lage der Formanten, das heißt der Frequenzbereiche hoher Intensität, mit deren Hilfe wir verschiedene Vokale unterscheiden, bestimmt die Auswahl der stimulierenden Elektroden. Die Grundfrequenz legt die Pulsrate auf den Elektroden fest. Und aus der über viele Frequenzen gemittelten Schallintensität ergibt sich - unter Einhaltung der patientenspezifischen Grenzen - die Stromstärke der Reizpulse. Der Hörnerv und die nachgeschaltete Informationsverarbeitung sind offenbar sehr flexibel und können sich an ganz unterschiedliche Kodierungsstrategien lernend anpassen. Davon machen wir bei der Arbeit mit den Patienten Gebrauch. Mit der "Multi peak-Strate gie" erzielen wir zum Beispiel in den meisten Fällen ein sehr viel besseres Konsonantenverständnis, indem hochfrequente Signalkomponenten zusätzlich verschlüsselt und auf drei an der Schneckenbasis liegende Elektroden übertragen werden. Innerhalb jeder Ko dierungsstrategie bestehen wiederum viele Freiheitsgrade: zum Beispiel die Zuordnung einer Referenzelektrode zu jeder aktiven Elektrode oder die Aufteilung des Frequenzbereichs auf die verschiedenen Elektroden, der Verlauf der Eingangs-Ausgangscharakteristik und die Lage der Schwelle für die Störgeräuschunterdrückung. Zugriff auf die zu den Freiheitsgraden gehörenden Parameter hat nur der Laborcomputer, über den der Sprachprozessor programmiert wird. Der Patient kann lediglich die Eingangsempfindlichkeit verändern und bei Bedarf eine Kompressionsschaltung aktivieren. Die Kunst der Anpassung besteht darin, unter den vielen Tausend verschiedenen Einstellungen, die denkbar sind, dem für den Patienten optimalen Parametersatz möglichst nahezukommen. Weil die technischen Möglichkeiten der heute verfügbaren Sprachverarbeitung so vielfältig und nicht mehr überschaubar sind, werden in den audiologischen Labors vieler Kliniken bereits adaptive Anpaßverfahren erprobt, bei denen in einem halbautomatischen Ablauf, nach programmierten Regeln und unter Einbeziehung der Rückmeldungen des Patienten, die günstigste Parameterkombination iterativ ermittelt wird. Bereits verfügbar und im Ansatz weitaus pragmatischer sind moderne psychoakustische Anpaßhilfen, die auf der Lautstärkeskalierung und auf Phonemerkennungstests beruhen. Unmittelbar nach der Erstanpassung, aber auch später, können sich die Schwellenwerte stark verändern, einerseits weil sich der Patient an die noch neuen Reize gewöhnt, andererseits durch Wechselwirkungen zwischen dem Implantat und dem umgebenden Gewebe. Deshalb wird in der Anfangszeit die Einstellung des Sprachprozessors täglich kontrolliert und aufgrund der subjektiven Aussagen des Patienten wenn nötig verändert. Nur wenn seine Angaben präzise und zuverlässig sind, können die Stimulationsparameter gezielt korrigiert werden. Vor allem bei Kindern, aber auch bei prälingual ertaubten Erwachsenen ist diese Voraussetzung häufig nicht erfüllt. Zur Ergänzung dienen dann objektive Messungen, zum Beispiel des elektrisch ausgelösten Stapediusreflexes oder der akustisch evozierten Potentiale, mit denen in der Heidelberger HNO-Klinik bereits umfangreiche Erfahrungen gesammelt wurden. Aus den Ergebnissen gewinnt der Audiologe Hinweise auf die Lage der akustischen und elektrischen Reizschwellen. Parallel zur Feinanpassung des Sprachprozessors beginnt der Patient mit dem Hörtrainingsprogramm. Hierbei erhält er die notwendige Unterstützung, um die neuartigen Eindrücke zu verarbeiten. Er beginnt mit einfachen Übungen zur Unterscheidung von langen und kurzen sowie hohen und tiefen Tönen und übt möglichst bald, Sprachelemente zu erkennen. Drei Erfolgsstufen sind möglich: Eine akustische Orientierung, das heißt die Wahrnehmung und Erkennung von Umweltgeräuschen, ist bei allen Patienten zu erwarten. Eine Unterstützung beim Lippenablesen bietet das Implantat meistens auch den prälingual Ertaubten, während ein offenes Sprachverständnis ohne Blickkontakt zum Sprecher nur bei postlingual ertaubten Patienten erzielt wird. Die Krankheitsgeschichte ist aber nicht allein ausschlaggebend für den Rehabilitationserfolg. Vielmehr spielen der psychische Zustand und Lerneifer des Patienten eine große Rolle, seine Experimentierfreude und Frustrationstoleranz, die Eigen- und Fremdmotivation sowie mögliche noch nicht bekannte Auswirkungen der langjährigen akustischen Deprivation. Deshalb ist eine zuverlässige Prognose bis heute noch nicht möglich. Auch ein erfolgreich mit einem Cochlea-Implantat versorgter Patient ist als hochgradig hörgeschädigt einzustufen. Diese in verschiedenen Gerichtsurteilen getroffene Feststellung berücksichtigt den Umstand, daß ein Funktionsausfall oder eine leere Batterie des Sprachprozessors sowie die Ablösung der Kopfspule den Patienten jederzeit in den Zustand vollständiger Taubheit zurückversetzen kann. Im Schlaf und bei der Ausübung vieler Sportarten kann er den Prozessor grundsätzlich nicht benutzen. Außerdem bleibt ein Patient selbst bei optimal erfolgreicher Rehabilitation - also wenn ein rein akustisch vermitteltes offenes Sprachverständnis erzielt wird - wegen der grundsätzlich einohrigen Versorgung und der mangelhaften Störsignalunterdrückung in geräuschvoller Umgebung immer stark hörbehindert. Das Implantat selbst ist dank eines eingebauten Prüfprotokolls wenig anfällig für Störsignale und die Wahrscheinlichkeit, daß starke Hochfrequenzsender auditorische oder andere Wahrnehmungen auslösen, ist verschwindend gering. Rein vorsorglich sollen die Träger trotzdem elektromagnetische Metallsuchgeräte in der Flugsicherung umgehen. Im Flugzeug müssen sie ihren Sprachprozessor zumindest während Start und Landung ausschalten, damit Funkverkehr und Flugcomputer nicht gestört werden können. Cochlea-Implantat-Träger dürfen sich wegen der hohen Magnetfelder keiner kernspintomographischen Untersuchung unterziehen. Nach nunmehr etwa zwei Jahrzehnten praktischer Erfahrung gilt die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat als sichere, selten mit Nachoperationen verbundene, zuverlässige Rehabilitationsmaßnahme, bei der der taube Patient ohne ernsthaftes Risiko sehr viel gewinnen kann. Weltweit liegt inzwischen die Erfahrung mit vielen Tausend Personen vor. Der bisher einzige künstliche Ersatz für ein Sinnesorgan wird zunehmend mit großem Aufwand und beachtlichem Erfolg auch bei Kindern eingesetzt. Die besten Patienten sind im normalen Gespräch von gesunden Hörenden nahezu nicht zu unterscheiden. Eine zuverlässige Prognose des Erfolgs ist allerdings bis heute unmöglich. Gäbe es sie, so sollte man ihre Aussagekraft aber auch nicht überbewerten. Wenn man nicht nur die objektiven Kriterien des letztlich erzielten Sprachverständnisses, sondern auch die subjektive Zufriedenheit des versorgten Patienten mit einbezieht, so ist der Gewinn selbst dann unschätzbar hoch, wenn der ehemals taube Patient über eine grobe akustische Orientierung nicht hinauskommt.
Autor:
Dr. Sebastian Hoth
Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg,
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