„Mir hat diese Unterstützung sehr geholfen“
Projekt der Heidelberg School of Education: Lehramtsstudierende übernehmen Patenschaften für Flüchtlinge
Die erfolgreiche Integration schulpflichtiger Geflüchteter in das deutsche Bildungssystem stellt eine der großen gesellschaftlichen Aufgaben der kommenden Jahre dar. Auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen, die noch wenig oder gar kein Deutsch verstehen und teilweise mit anderen Schriftsystemen alphabetisiert wurden, sind viele Lehrerinnen und Lehrer nicht vorbereitet. Hier setzt ein aktuelles Projekt der Heidelberg School of Education (HSE) an: Es soll Lehramtsstudierende der Universität und der Pädagogischen Hochschule fit machen für die sprachliche Förderung und pädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund – und hilft bereits jetzt ganz konkret bei der aktuellen Eingliederung von Geflüchteten in das Heidelberger Schulleben.
Zentraler Bestandteil des Projekts für angehende Lehrer aller Fachrichtungen sind Sprachtandems, bei denen Studierende für ein Semester eine Förderpatenschaft für einen jungen Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund an einer Heidelberger Schule übernehmen. Diese Idee setzt Prof. Dr. Ingrid Dietrich vom Institut für Bildungswissenschaft bereits seit dem Sommersemester 2014 mit einem Seminar um, das Sprachtandems anbietet und begleitend Lehrkompetenzen im sprachdidaktischen und interkulturellen Bereich vermittelt. Die von Ingrid Dietrich betreuten Sprachtandems bilden den Kern des aktuellen HSE-Projekts, dazu kommen Lehreinheiten zur Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache, zur Lernbegleitung sowie zu traumapädagogischen Gesichtspunkten. Beteiligt sind Lehrende der Institute für Bildungswissenschaft und für Deutsch als Fremdsprachenphilologie sowie der Pädagogischen Hochschule.
Foto: Universität Heidelberg
Schüler und Studierende profitieren gleichermaßen
Gefördert werden Schülerinnen und Schüler in Vorbereitungsklassen an der Geschwister-Scholl-Schule und der Julius-Springer-Schule. Von den Sprachtandems können dabei Schüler und Studierende gleichermaßen profitieren: »Mir hat diese Unterstützung sehr geholfen«, sagt beispielsweise Abdulghafar Nurzaei. Der heute 18-jährige Afghane, der Ende 2014 mit seiner Familie nach Heidelberg kam, wurde auf Vermittlung von Ingrid Dietrich in die Vorbereitungsklasse aufgenommen, die seine beiden jüngeren Brüder besuchten. Alle drei Brüder bekamen Sprachpaten, und obwohl sie zunächst noch die lateinische Schrift lernen mussten, machten sie so gute Fortschritte, dass sie inzwischen wegen ihrer sehr guten Leistungen Schülerstipendien einer Stiftung erhielten.
Im Rahmen seines Sprachtandems traf sich Abdulghafar zweimal pro Woche mit seinem studentischen Paten, um gemeinsam mit ihm zu üben. »Da habe ich manches besser verstanden als in der Vorbereitungsklasse«, erzählt er. Die beiden kamen so gut miteinander aus, dass sie auch nach dem Ende des Seminars noch ein zweites Semester gemeinsam lernten – und das sehr erfolgreich, denn Abdulghafar macht gerade seinen Hauptschulabschluss. »Die Texte, mit denen man dafür umgehen muss, gehen weit über umgangssprachliche Kenntnisse hinaus. Dass Abdulghafar das nach eineinhalb Jahren schafft, ist ein großer Erfolg!«, betont Ingrid Dietrich. Abdulghafar will weiter lernen, das Abitur machen und anschließend Maschinenbau studieren.
Positive Entwicklung mitverfolgen
Ähnliche Erfahrungen hat die Lehramtsstudentin Sissy Geider gemacht, die als Sprachpatin tätig war und nun Tutorin im HSE-Projekt ist. Auch sie übte über das Semester hinaus weiter mit ihren Förderkindern und kann deren positive Entwicklung nun mitverfolgen. Gleich zu Beginn ihrer Arbeit mit den Kindern bemerkte sie, dass der von ihr aufgestellte Förderplan nicht funktionieren konnte und sie viel kleinschrittiger vorgehen musste. »Ich habe gelernt, mich auf die Bedürfnisse der Lerner einzustellen und auch meine Lehrmaterialien individuell anzupassen und flexibel in den Unterricht einzubringen«, erzählt sie. Inzwischen verfügt sie nicht nur über das notwendige Wissen zu Struktur und Grammatik der deutschen Sprache, das sie zur Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache braucht, sondern auch über die entsprechende Fachdidaktik. Das aktuelle HSE-Projekt bietet den Teilnehmern zusätzlich die Möglichkeit zur Evaluierung und Reflexion der eigenen Lernerfolge und Fähigkeiten, was Sissy Geider für den Lernprozess aus eigener Erfahrung für sehr wichtig hält.
Im Rahmen des Programms »PLACE aktuell« ist das Projekt zur sprachlichen Förderung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen zunächst auf das laufende Sommersemester begrenzt. Allerdings soll die Heidelberger Lehramtsausbildung verpflichtend ein Modul »Deutsch als Zweitsprache« (DaZ) erhalten. »Dabei geht es aber um eine bessere Förderung von Migrantenkindern generell, nicht nur von Flüchtlingskindern, die aktuell ohne Deutschkenntnisse zu uns kommen«, erklärt Juniorprofessor Dr. Giulio Pagonis vom Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie. Während Flüchtlingskinder »Seiteneinsteiger« in die deutsche Sprache und das deutsche Bildungssystem seien, nehme das in die Lehrerbildung implementierte DaZ-Modul in Deutschland aufgewachsene Kinder mit Migrationshintergrund in den Blick, die teilweise fließend Deutsch sprächen – aber dennoch im Bildungsbereich hinterherhinkten. »Dieses Phänomen hat Gründe im sprachlichen Bereich, die unabhängig von Intelligenz und sozioökonomischem Status dieser Kinder sind«, sagt Giulio Pagonis. »Hier wollen wir ansetzen, indem wir die künftigen Lehrer aller Fächer mit grundlegenden Kenntnissen im Bereich Deutsch als Zweitsprache ausstatten und sie so für einen sprachsensiblen Umgang im Fachunterricht qualifizieren.«
Programm »PLACE aktuell«
Das Programm PLACE – Partizipation langfristig absichern, Chancen erweitern – ist ein Vorhaben der Heidelberg School of Education, das vom Land Baden-Württemberg im Rahmen des Förderprogramms »Lehrerbildung in Baden-Württemberg« bis zum 30. September 2020 gefördert wird. Innerhalb des Programms »PLACE aktuell« konnten Lehrende und Studierende der Universität Heidelberg und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg in einem kompetitiven Verfahren Fördermittel für Projekte einwerben, in denen aktuelle gesellschaftspolitische Themen im Vordergrund stehen. In der ersten Förderphase im Sommersemester 2016 werden sieben Projekte gefördert, die sich mit Beiträgen des Bildungssystems und der Lehrerbildung zur aktuellen politischen Situation rund um die Phänomene Verfolgung, Vertreibung, Flucht, Migration und Asylsuche beschäftigen.
Mirjam Mohr
Dieser Artikel ist im UNISPIEGEL 2/2016 erschienen.