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Wenn Angehörige pflegebedürftig werden

Die Unterstützung von Beschäftigten, die Angehörige pflegen, ist eines der Ziele, die sich die Universität Heidelberg im Rahmen des Audits „Familiengerechte Universität“ gesetzt hat. Wie sie das erreichen will und welche außeruniversitären Partner die Ruperto Carola dabei unterstützen, erläutern Ulrike Beck, Bärbel Fabig und Aline Moser im Gespräch.

Seit 2007 gibt es das Bündnis für Familie Heidelberg, einen Zusammenschluss mit inzwischen mehr als 230 Beteiligten aus 130 Unternehmen, lokalen Institutionen, Verwaltung und Politik. Das Netzwerk engagiert sich für mehr Familienfreundlichkeit und entwickelt Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Universität und die Stadt Heidelberg waren von Beginn an dabei, die Heidelberger Dienste koordinieren das Projekt. Frau Beck, Frau Fabig, Frau Moser – Sie sind gemeinsam in einer Arbeitsgruppe „Vereinbarkeit von Beruf und Angehörigenpflege“ im Bündnis für Familie Heidelberg aktiv: Wie hat sich dieser Schwerpunkt im Bündnis herausgebildet?

Aline Moser: Das Bündnis hat sich anfangs vorwiegend mit den Themen Kinder- und Ferienbetreuung, Ausbildung in Teilzeit bzw. familienfreundliche Unternehmen auseinandergesetzt. Vor zweieinhalb Jahren haben wir eine Arbeitsgruppe mit dem Aspekt Beruf und Angehörigenpflege gebildet und gesagt: Wir starten mit einer Sensibilisierungsphase für dieses Thema.

Bärbel Fabig: Angehörigenpflege ist noch kein Thema für Arbeitgeber – obwohl mittlerweile schon jeder zehnte Arbeitnehmer von der Pflege eines nahen Angehörigen betroffen ist. Da gibt es ein ganz großes Informationsdefizit.

Ulrike Beck: Nachdem das Thema Kinderbetreuung hier an der Uni durch die Kinderhaus-Servicestelle gut verankert war, hatte ich gemerkt, dass das Thema Angehörigenpflege für mich unbedingt als nächstes auf der Agenda stand. An unseren einzelnen Einrichtungen ist es noch kein Thema, das brennt. Es im Bündnis zu platzieren, bedeutet, unsere Kapazitäten und unser Wissen zu bündeln.

Moser: Es ist eine ganz große Stärke des Bündnisses zu sagen: Wir tun uns zusammen und bringen so ein Thema voran. Natürlich kann da jede Institution auch einen Mehrwert haben, das ist legitim und wichtig.

Was bedeutet das konkret für die Universität? Was hat sich dort getan?

Beck: Erste Angebote zu diesem Thema habe ich 2008 in der universitären Weiterbildung gemacht. Daneben haben wir im Rahmen des Bündnisses einen Flyer zur Information über Angehörigenpflege zusammengestellt. Diese wird übrigens in der Regel nur mit der Elterngeneration assoziiert wird, obwohl es auch um chronisch kranke Kinder oder früh chronisch kranke Partner geht. Wir informieren, wo es Anlaufstellen gibt, an wen man sich wenden kann. Wir müssen nicht das ganze Wissen aus der Universität selbst schöpfen. Für eine Beratung, für bestimmte Situationen kann man sich an unsere kompetenten Partner im Sozialamt der Stadt, im Pflegestützpunkt oder der Betreuungsbehörde wenden. Im Frühjahr 2010 ist aus einer Idee der Gleichstellungsbeauftragen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und mir zudem die öffentliche Veranstaltungsreihe „Beruf und Angehörigenpflege – das geht!“ hervorgegangen: Abendveranstaltungen, eine Podiumsdiskussion und ein Informationstag.

Welche Erfolge haben diese Veranstaltungen gebracht?

Beck: Es hat eine Sensibilisierung für das Thema eingesetzt – bei den Beschäftigten, aber auch bei Vorgesetzten sowie in der Personalabteilung und in der Universitätsverwaltung. Wenn wir die Personalverantwortlichen im Boot haben, dann kommt das Thema an. Und wir merken: Wenn an einer Dienststelle, sagen wir bei einer Kollegin im Labor, ein Pflegebedarf auftritt, und die Möglichkeit besteht, dass sie die Form der Flexibilisierung der Arbeitszeit, die sie braucht, auf der niedrigsten Ebene mit ihrem Vorgesetzten regeln kann, dann läuft das bei uns erst gar nicht als Problemfall auf.

Fabig: Es gibt gesetzliche Rahmenbedingungen, die diese Prozesse erleichtern: Man kann sich für die Pflege der Angehörigen zehn Tage im Jahr freistellen lassen, allerdings ohne Fortzahlung der Bezüge. Daher nehmen die Betroffenen lieber Urlaub, um das zu organisieren. Eine gesetzliche Regelung, die wirklich entlastend ist, gibt es noch nicht. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Vorgesetzten informiert sind, wenn man auf dem kleinen Dienstweg versucht, Lösungen zu finden.

Welche Angebote haben Sie für die Zukunft geplant?

Beck: Für das Jahr 2012 konzipieren wir im Bündnis eine neue Weiterbildungsreihe. Wir entwickeln die Reihe für das universitäre Weiterbildungsprogramm, und alle Partner, die jetzt bei der Konzeption dabei sind, bieten sie auch in ihren jeweiligen Einrichtungen an. Diese koordinierte Weiterbildungsveranstaltung ist ein Informations- und Trainingsangebot in Modulen zu einzelnen Themen aus dem Bereich Angehörigenpflege.

Moser: Zum Beispiel für den Fall, dass ein Anruf kommt und man beispielsweise damit konfrontiert wird: Vater ist im Krankenhaus.

Beck: Eine Situation, in der von heute auf morgen etwas organisiert werden muss: Was mache ich als Betroffene, was bedeutet dieser Anruf für mich? Eine andere Veranstaltung hat das Thema „Meine Mutter fragt mich: ‚Wer sind Sie’?“. Hier geht es um den Umgang mit Demenz. Oder das Thema Depression im Alter – wenn mein chronisch kranker Vater oder Schwiegervater morgens nicht mehr aufstehen will. Darüber hinaus wollen wir auch praktische Hilfen wie Pflegetechniken anbieten und die finanziellen Aspekte ansprechen.

Fabig: Es ist ein wichtiges Zeichen, wenn der Arbeitgeber sagt: Ich implementiere das in mein Fortbildungsprogramm und die Beschäftigten werden dafür freigestellt. Damit wird das Thema zugleich enttabuisiert. Denn wenn mein Arbeitgeber so offensiv damit umgeht, dann habe ich auch selbst weniger Angst, meinen Vorgesetzten anzusprechen.

Beck: Wir wollen auch einen Leitfaden für Personalverantwortliche machen. Und es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass die Kolleginnen und Kollegen, die in der Universitätsverwaltung bzw. der Personalabteilung arbeiten und beraten, Informationen zur Angehörigenpflege in dem Moment zur Verfügung stellen können, wenn sie gebraucht werden. Ich möchte auch gern dauerhaft informieren, damit diejenigen, die jetzt von dem Thema noch nicht berührt sind, schon davon gehört haben, wenn es nötig werden sollte.

Moser: Das ist ein wichtiger Punkt: zu wissen, dass es Kollegen gibt, denen es ähnlich geht, die Tipps geben können. Es besteht ein ganz großer Bedarf nach Austausch. Nicht zuletzt hat das alles auch mit Prävention zu tun: Diese Doppelbelastung ist so groß, dass viele dabei auch selbst krank werden. Hier ist präventive Unterstützung nötig.

Damit sprechen Sie die Notwendigkeit der „Pflege der Pflegenden“ an.

Beck: Darauf ist ein sehr großer Fokus zu legen. Ich habe eine Kollegin, die ihre demente Mutter pflegte, gefragt, was ihr am meisten geholfen hat. Das war der kurze Draht zu ihrem Vorgesetzten, mit dem sie individuelle und punktuelle Regelungen finden konnte: einmal später kommen oder eine längere Mittagspause. Diese Unterstützung in der Flexibilisierung ist ein wichtiger Punkt, und wenn ich da auf ein offenes Ohr stoße und Kolleginnen und Kollegen um mich habe, bei denen ich mir nicht als Bittstellerin vorkommen muss, wenn ich frage, ob sie gelegentlich etwas für mich übernehmen können, dann haben wir gute Rahmenbedingungen geschaffen.

Fabig: Auch das richtige Sich-Einbringen und Sich-Abgrenzen-Können sind hier wichtig: Wie weit will ich mich einbringen? Darf ich auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und wie vertrete ich das gegenüber meinem Angehörigen? Es ist ein großer Schritt, etwa einem Partner zu sagen, du musst 14 Tage in die Kurzzeitpflege, weil ich eine Auszeit brauche. Es ist in Ordnung, professionelle Hilfen in dem Rahmen, in dem es möglich ist, auch anzunehmen, da muss ich kein schlechtes Gewissen haben.

Beck: Diesen gesunden Egoismus kann man erst entwickeln, wenn man sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt hat. Es ist wirklich wichtig, im Beruf zu bleiben und das auch als einen Wert zu sehen. Wenn ich mich entscheide, jemanden zu pflegen, weiß ich nicht, ob das drei Monate dauert oder drei Jahre. Ein Pflegefall bei einer Demenz zum Beispiel dauert laut Statistik 7 bis 17 Jahre. So lange Zeiträume hält man nicht einfach so durch – das ist wie einen Marathon laufen ohne vorher trainiert zu haben: es geht nicht. Und deswegen brauchen wir neben eigenem Wissen auch ein informiertes Umfeld und Unterstützung, also das, was wir hier zu installieren versuchen.

 

Vorstellung der Interviewpartnerinnen

Ulrike Beck

Ulrike BeckAls Beauftrage für Chancengleichheit der Ruperto Carola setzt sich Ulrike Beck für die Belange und Interessen der Beschäftigten aus Verwaltung, Labor und Technik ein.

Bärbel Fabig

Bärbel FabigBärbel Fabig ist Abteilungsleiterin für Senioren und Soziale Dienste der Stadt Heidelberg. Ihr Arbeitsbereich umfasst die aktivierende Altenhilfe, die Betreuungsbehörde, den Pflegestützpunkt für ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgung sowie den allgemeinen sozialen Dienst für Menschen im Erwachsenenalter.

Aline Moser

Sebastian SagerAline Moser ist bei den Heidelberger Diensten, einem sozialen Dienstleistungsunternehmen der Stadt, für den Bereich Beruf und Familie zuständig. Zu ihren Aufgaben gehört die Koordination des Bündnisses für Familie Heidelberg.

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Letzte Änderung: 18.11.2011
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