Grundzüge der europäischen Sozialpolitik

Bericht über das Treffen mit Ulrich Tiburcy, Leiter der EU-Vertretung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. in Brüssel am 21.01.2010

 

 

In der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAFG) arbeiten die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zusammen.
Hierzu zählen folgende Verbände:

 

  • Arbeiterwohlfahrt (AWO),
  • Deutscher Caritasverband (DCV),
  • Der Paritätische Gesamtverband,
  • Deutsches Rotes Kreuz (DRK),
  • Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW der EKD),
  • Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST)

 


Ihr gemeinsames Ziel ist die Sicherung und Weiterentwicklung der sozialen Arbeit durch gemeinschaftliche Initiativen und sozialpolitische Aktivitäten. Die BAGFW unterhält eine Geschäftsstelle in Berlin, eine Vertretung in Brüssel sowie die Abteilung Wohlfahrtsmarken in Köln.

Ulrich Tiburcy leitet die Vertretung der BAGFW in Brüssel. Die Arbeit dieses Europabüros umfasst im Wesentlichen Lobbyarbeit, Mitarbeit in verschiedenen Ausschüssen der EU-Institutionen, Veröffentlichung von eigenen Dispositionen und Papieren sowie die  Netzwerkarbeit in europäischen Zusammenschlüssen.

Im europäischen Kontext ergibt sich für die nationalen Wohlfahrtsverbände die Herausforderung, dass Gremien und Vertreter der EU kaum überschauen können, welche Organisationen welchen EU-Mitgliedsstaat vertreten. Um diese grundlegenden Hindernisse eines fruchtbaren Dialogs zu überwinden, schließen sich die freien Verbände europaweit zu Netzwerken zusammen, die dann gemeinsam (und wahrnehmbar) der EU gegenübertreten können. Darüber hinaus hat sich über die letzten Jahre allerdings auch das „Standing“ einiger nationaler Organisationen entwickelt, so dass etwa die BAGFW als deutscher Verband auftreten kann.

Als wichtigste Plattform für soziale EU-Politik ist der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) anzusehen, in dem neben je acht Mitgliedern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen acht weitere Plätze für Interessengruppen zur Verfügung stehen, von denen einer der BAGFW zufällt. Der EWSA ist als Beratungsgremium zu allen vertraglich vorgesehenen Fällen von Rat oder Kommission der EU zu hören, kann aber auch selbst initiativ werden und Stellungnahmen zu sozialen Fragen abgeben.

Aktuelle Themen wie Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung werden immer vor dem Hintergrund beleuchtet, inwiefern die EU eine Rolle in der Sozialpolitik spielt. Denn generell hat die EU keine direkte Zuständigkeit in sozialen Fragen. Es werden jedoch auf EU-Ebene einschlägige Themen behandelt, die alle Mitgliedsstaaten betreffen, z. B. Renten- und Arbeitslosenversicherung bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten mit dem Ziel der Verringerung der Ungleichheit zwischen Nationalstaaten.

Die Arbeitsweise der EU-Gremien verdeutlichte Ulrich Tiburcy am Beispiel der im März 2000 beschlossenen sogenannten Lissabon-Strategie. Ziel dieses Programms zur nachhaltigen Entwicklung des europäischen Wirtschafts- und Sozialraums war es, Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Zur Erreichung dieses Ziels wurden von Bildung und Wirtschaft Verbesserungen in allen Bereichen gefordert und für eine Dekade eine Agenda beschlossen, die u. a. folgende Teilziele beinhaltet: Erhöhung der Beschäftigungsquoten von Frauen, Benchmarking, Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Beseitigung von Diskriminierung sowie eine Verstärkung der sozialen Dienste. Die in diesem Fall begrenzte Weisungsbefugnis der EU („offene Methode der Koordinierung“, das heißt „die Mitgliedsstaaten berichten“ und „die EU-Kommission bewertet“) lässt sich gut am Beispiel Deutschland veranschaulichen. So sieht die Lissabon-Strategie die Einrichtung und Vorhaltung von Krippenplätzen für unter Dreijährige bereits für das Jahr 2010 vor, während die deutsche Politik als Zielvorgabe das Jahr 2013 vorgegeben hat. Dies ist damit zu erklären, dass die deutsche Bundesregierung unter der Führung Gerhard Schröders erst im Jahr 2005 – und, so Tiburcy, nach einem „dreifachen Rüffel“ – mit der Umsetzung einzelner diesbezüglich geforderter Maßnahmen begonnen hat. Die dann beschlossene „Agenda 2010“ lehnt sich eng an die Leitlinien der Lissabon-Agenda an. Solche Verbindungen und Abhängigkeiten nationaler von europäischer Politik würden laut Tiburcy von den Bürgern jedoch nur selten wahrgenommen und von den Politikern nur in negativen Fällen hervorgehoben. dieser Ziele wird als.

Die europäische Sozialpolitik lässt sich in drei Kategorien einteilen: Auf der einen Seite bestehen auf Grundlage der europäischen Vertragswerke (vor allem von Amsterdam, Nizza und Lissabon) Zuständigkeiten der EU. Demgegenüber stehen weite Bereiche nationaler Zuständigkeit, die sich der EU entziehen. Zwischen diesen beiden Räumen versucht die EU mit politischen Leitlinien sowie finanziell geförderten Programmen und Projekten zu agieren, die sich an den Leitlinien orientieren. Hierfür hat die EU u. a. entsprechende Strukturfonds eingerichtet, aus denen sich sowohl national wie europäisch angelegte Maßnahmen speisen lassen und für deren Mittel sich Organisationen und Einrichtungen mit ihren Projekten bewerben können. So profitierte etwa EURODIACONIA zuletzt immens von EU-Geldern: Infolge der Teilnahme an dem sogenannten PROGRESS-Programm für Beschäftigung und soziale Solidarität der EU trug diese 2008 60% des Jahreshaushalts von EURODIACONIA.

 

Matthias Waldhoff

 
Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 29.05.2018