Heidelberg – Welt-Hauptstadt der Philosophie
Prof. Dr. Jean Grondin, Université de Montréal/Kanada, Département de Philosophie
Studium der Philosophie, Klassischen Philologie und Theologie an den Universitäten Montréal, Heidelberg und Tübingen
Gadamer-Experte, Studienaufenthalte und zahlreiche Forschungsaufenthalte an der Ruperto Carola
Wann, wie lange und in welcher Position waren Sie an der Universität Heidelberg?
Als ich in den 1970er Jahren in Kanada studierte, schlug mir der damals bereits emeritierte Heidelberger Philosophie-Professor Hans-Georg Gadamer, der öfter zu Besuch kam, einen Studienaufenthalt in Heidelberg vor. Ein Stipendium machte dies möglich, ich kam danach öfter an die Ruperto Carola zurück und promovierte schließlich in Tübingen über Gadamer. Danach erhielt ich eine Stelle an der Université Laval in Québec, später wurde ich Professor in Montréal – mein Herz blieb aber immer in Heidelberg: Ich kam immer wieder zurück, um in Heidelberg zu forschen und Gadamer zu treffen. Auch nach Gadamers Tod 2002 pflegte ich weiter den Kontakt zu seiner Familie und zum Philosophischen Seminar. 2011 verbrachte ich als Konrad-Adenauer-Preisträger der Humboldt-Stiftung erneut ein wunderschönes Sommersemester in Heidelberg.
Warum haben Sie sich für die Ruperto Carola entschieden?
In gewissem Sinn kam Heidelberg zu mir, bevor ich mich für Heidelberg entschied: Gadamer faszinierte mich, und Heidelberg war die selbstverständliche Hauptstadt der Philosophie in der Welt. Die Ruperto Carola erfreut sich einer ruhmreichen jahrhundertelangen Geschichte und ist immer noch die führende deutsche Universität. Das trifft nicht zuletzt für die Philosophie zu: Außer Gadamer und Georg Wilhelm Friedrich Hegel wirkten dort Philosophen wie Karl Jaspers, Kuno Fischer, Heinrich Rickert und zahlreiche andere. Nach meiner Einschätzung will jeder deutsche Professor dorthin berufen werden.
Welche Erfahrungen haben Sie in Heidelberg gesammelt?
Ich war dort als Student, als junger Dozent, als Gadamer-Biograf und -forscher, als etwas erfahrener Forscher und Preisträger, ich habe dort viele Freunde gefunden. Die Philosophie und Gadamer-Ereignisse ragten immer hervor: Vor allem Gadamers 90. und 100. Geburtstag 1990 und 2000. Das alles waren Höhepunkte meines Lebens und meiner Forscherkarriere. Ich fühle mich einfach in Heidelberg zu Hause und preise mich glücklich deswegen. Gelegentlich empfinde ich heute in Heidelberg Wehmut, denn Gadamer und seine Art des Philosophierens fehlen mir sehr. Um jede Ecke finde ich ein Lokal, ein Café oder eine Kneipe, wo ich mit ihm oder einem seiner Schüler ein Gespräch hatte, über dies oder jenes.
Wie ist Ihr weiterer Karriereweg nach ihrer Zeit in Heidelberg verlaufen?
Heidelberg wird hoffentlich nie hinter mir liegen – ich will immer wieder dorthin zurückkehren! Meine Karriere habe ich größtenteils meiner Heidelberger Zeit und meinen Forschungen über Gadamer und seiner Biographie zu verdanken. Ich habe nie aufgehört, die Art philosophische Forschung, die ich dort erlernt habe, zu betreiben. Ich bekam Lehrstühle in Kanada, ein Stipendium, einige nationale und internationale Auszeichnungen, die alle etwas mit meiner Gadamer-Forschung und mit Heidelberg zu tun haben. Wenn ich heute Gastprofessor oder -redner in Südamerika oder Japan bin, will man von der Hermeneutik hören und das heißt im Grunde vom Heidelberger Geist. Gern bin ich, wenn Sie es so wollen, eine Art Botschafter Heidelbergs.
Empfehlen Sie einen Forschungsaufenthalt an der Ruperto Carola an Ihre Studierenden bzw. innerhalb Ihres wissenschaftlichen Netzwerks?
Unbedingt. Als ich dorthin ging, gab es freilich das Wort Netzwerk noch nicht. Meist schicke ich meine Studenten nach Heidelberg, damit sie zunächst Deutsch lernen (wie ich es getan habe), zweifle aber keinen Augenblick daran, dass sie sich von der Stadt und ihrem schönen liberalen Geist anstecken lassen und dort länger bleiben – so wie es mit mir geschah.