„Wissenschaft war nie eine lokale Angelegenheit und ist es heutzutage noch weniger“
Prof. Dr. Ignacio Barradas, Professor für Mathematik am Centro de Investigación en Matemáticas (CIMAT), in Guanajuato/Mexiko
Promotion am Institut für Angewandte Mathematik der Universität Heidelberg von 1981 bis 1985
Wann, wie lange und in welcher Position waren Sie an der Universität Heidelberg tätig?
Ich kam im April 1981 an das Institut für Angewandte Mathematik in Heidelberg. Mein Ziel war es, auf dem Gebiet der Mathematik und der Biologie zu promovieren, was ich im Juli 1985 gemacht habe.
Warum haben Sie sich für die Ruperto Carola entschieden?
Ich hatte 1978 die Stadt als Tourist besucht und sie schien mir sehr interessant. Ich habe andere Möglichkeiten in Betracht gezogen, aber die Tatsache, dass Heidelberg eine Forschungsgruppe in Biomathematik hatte, war entscheidend für mich. Ich hatte ein Interview mit Prof. Dr. Willi Jäger und er war extrem hilfsbereit und wollte mich in seine Gruppe aufnehmen.
Welche Erfahrungen haben Sie in Heidelberg gesammelt?
Die Liste der neuen und aufregenden Erfahrungen, die ich machen durfte, ist so lang, dass ich mir der meisten davon höchstwahrscheinlich nicht mehr bewusst bin. Ich werde versuchen, einige zu beschreiben:
Ganz am Anfang war mir alles fremd: die Essenszeiten, das Essen, die Menschen, die Öffnungszeiten der Geschäfte – alles war verwirrend und anders, als ich es gewöhnt war. Eine große Überraschung für mich war zum Beispiel die Tatsache, dass hübsche junge Mädchen in der Mensa allein gegessen haben, ohne dass jemand ein Gespräch mit ihnen anfangen wollte. Das wäre in Méxiko nie passiert.
Die Leute waren sehr stark daran interessiert, mit Ausländern, besonders aus „exotischen Ecken“, zu sprechen. Ich wurde mehrmals zum Abendessen eingeladen, weil ich aus Mexiko kam. Das war für mich sehr schön, aber unverständlich. Die für mich extreme deutsche Pünktlichkeit fand ich sehr interessant, aber fast obsessiv. Ich sah ein, wie effizient sie sein konnte, aber manchmal hatte ich den Eindruck, als ob mehr auf die Uhr als auf die Menschen geachtet würde.
Ich habe viele neue Freunde getroffen und dabei auch erfahren (aber mich nie daran gehalten), dass man Freunde nicht einfach so besuchen kann, wenn man Lust dazu hat (was absolut üblich in meiner Kultur ist). So habe ich den Ausdruck „sich bei jemanden anmelden“ gelernt. Ein sehr guter deutscher Freund hat mir erklärt, dass „es nicht geht, wenn Du einfach bei jemandem an der Tür auftauchst“. Dieser Freund empfängt mich bis heute immer noch mit einem Lächeln, wenn ich ihn unangemeldet besuche.
Ich habe zudem erfahren, dass Menschen aus fremden Länder vielleicht oberflächlich anders aussehen mögen oder sich anders verhalten können, aber dass wir am Ende alle daran interessiert sind, glücklich zu sein, mit Anderen Erfahrungen auszutauschen und vor allem etwas zu der Menschheit beizutragen und sie so vielleicht ein kleines bisschen besser zu machen. Der Pass, die Sprache und das Aussehen sind Zufälligkeiten – es sind die Menschen, die wichtig sind.
Außerdem habe ich meine liebe Frau in Deutschland kennengelernt und geheiratet. Was kann man sonst noch als Erfahrung aufzählen? „I really lost my heart in Heidelberg“, auf verschiedene Art und Weise.
Wie ist Ihr weiterer Karriereweg danach verlaufen und welchen Einfluss hatte dabei Ihr Aufenthalt in Heidelberg?
Nach dem Studium kehrte ich nach Mexiko zurück. Ich habe eine Arbeit an der Universität bekommen, aber immer wieder kam ich gern zurück nach Deutschland, besonders nach Heidelberg. Ein wichtiges Element dabei ist natürlich auch die Tatsache, dass meine Frau Deutsche ist und wir Familie in Deutschland haben, abgesehen von den sehr guten Freuden. Mehrere meiner Studenten wurden in Deutschland promoviert und sind sogar in Deutschland geblieben. Die Verbindung zu Deutschland und besonders zu Heidelberg ist immer da. Ich habe wegen meiner Arbeitsinteressen aber auch mehrere Forschungssemester in anderen Ländern verbracht.
Wie beurteilen Sie das deutsche Wissenschaftssystem im Vergleich zu Ihrem Heimatland oder anderen Ländern, in denen Sie bereits geforscht haben?
In der Mathematik glaube ich nicht, dass es große Unterschiede gibt in all den Ländern, die ich kenne. Wir haben ähnliche Ziele und sehr ähnliche Arbeitswege. Wir treffen Kollegen, die auf dem gleichen Gebiet arbeiten, wir besuchen uns gegenseitig, wir gehen zu den gleichen Kongressen. Und wir leiden unter den gleichen Moden – etwa Punktesystemen zur Förderung der Forschung.
Für wie wichtig halten Sie internationalen Austausch für Wissenschaftler?
Wissenschaft war nie eine lokale Angelegenheit und ist es heutzutage noch weniger. Vor 30 Jahren wäre es schon unmöglich gewesen, auf einem Gebiet etwas Interessantes beitragen zu wollen, ohne Kontakt mit ausländischen Kollegen zu pflegen – heute wäre es absolute Zeitverschwendung, ein Forschungsprojekt in Isolierung zu betreiben.