„Das deutsche Wissenschaftssystem ist eines der stärksten weltweit“
Prof. Dr. Javier Andreu Pintado, Historiker an der Universidad de Navarra in Pamplona/Spanien
2007/2008 als Humboldt-Stipendiat in Heidelberg, Januar bis Ende Mai 2020 Gastwissenschaftler am Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik
Wann, wie lange und in welcher Position waren Sie an der Universität Heidelberg?
Von Januar bis Ende Mai 2020 war ich als Gastwissenschaftler in Heidelberg tätig. Der Aufenthalt wurde mit dem renommierten Stipendium „Salvador de Madariaga“ der spanischen Regierung finanziert, das Mobilität für leitende Wissenschaftler*innen ermöglicht. Auch die Genehmigung meiner lokalen Fakultät war natürlich wichtig – in Spanien lehre ich Alte Geschichte an der „School of Humanities and Social Sciences“ an der Universität von Navarra.
Warum haben Sie sich für die Universität Heidelberg entschieden?
Vor etwa fünfzehn Jahren war ich bereits als Humboldt-Stipendiat in Heidelberg, so dass ich die Stadt und das wissenschaftliche Umfeld an der Universität bereits kannte. Während meiner Zeit als Doktorand an der Universität von Zaragoza gingen einige meiner Professoren aufgrund der sehr gut ausgestatteten Bibliothek des Seminars für Alte Geschichte nach Heidelberg – und natürlich wegen Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Géza Alföldy, der leider vor einigen Jahren verstarb. Die Heidelberger Bibliothek des Seminars für Alte Geschichte ist – meines Wissens nach – die beste Bibliothek für Alte Geschichte, Inschriftenkunde und Archäologie in Europa; vielleicht lediglich mit Konkurrenz aus Oxford. Außerdem wird die Bibliothek jedes Jahr von vielen Wissenschaftler*innen besucht, und Prof. Dr. Christian Witschel ist immer offen dafür, Gastwissenschaftler*innen zu empfangen. Darüber hinaus eignen sich die Einrichtungen der Universität Heidelberg (inklusive der Universitätsbibliothek, der Mensen und des Dezernats Internationale Beziehungen) besonders, um das Alltagsleben problemlos zu gestalten.
Was hat Ihnen hier besonders gut gefallen, wo haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Das war die Möglichkeit, mich auf das Forschen zu fokussieren, mit reichlich Ressourcen sowie einer fantastischen, frei zugänglichen Bibliothek – und all das in einer sehr charmanten, einladenden und gemütlichen Stadt mit einem sehr besonderen akademischen Umfeld. Als ich im Januar nach Heidelberg kam, wusste ich aufgrund meiner vorherigen Aufenthalte bereits viele Dinge, die ein Gastwissenschaftler wissen muss, um eine fruchtbare Zeit an der Universität Heidelberg zu verbringen. An einem Institut wie dem Seminar für Alte Geschichte, welches jeden Monat viele Besucher*innen empfängt, wäre jedoch eine Person sehr hilfreich, welche die Gastwissenschaftler*innen in Empfang nimmt und in den ersten Tagen beratend zur Seite zu steht.
Wie ist Ihr weiterer Karriereweg nach Ihrer Zeit in Heidelberg verlaufen?
Zurück an meiner Universität – welche letztes Jahr den dritten Platz im „European Teaching Ranking“ des „Times Higher Education Ranking“ erreichte – arbeiten wir nun am Umgang mit der Covid-Krise und daran, wie unser Lehrsystem die Studierenden noch mehr auf persönliche und kooperative Art und Weise in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rücken kann. Tatsächlich habe ich während meines Aufenthaltes in Deutschland viel dazu gelernt, wie sich die Lehre aufgrund der Krise verändert hat. Im Juli werde ich die Leitung einer Feldforschung wiederaufnehmen. Seit 2009 betreiben wir Ausgrabungen in der sehr beeindruckenden imperialen römischen Stadt Los Bañales de Uncastillo in Spanien. Darüber hinaus hoffe ich, die Ergebnisse meiner Forschungsarbeit in Heidelberg (mit einem Fokus auf die Entwicklung und den Verfall von Städten während des Römischen Reichs von der flavischen bis zur severischen Zeit) voraussichtlich als Monographie und natürlich auch in verschiedenen Papers und Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Die Forschungsaufenthalte an der Universität Heidelberg waren immer sehr inspirierend für meine tägliche Arbeit als Wissenschaftler und Dozent für Alte Geschichte. Und es gibt immer noch eine Menge, was ich verbessern kann, indem ich von einer führenden Universität lerne, wie es Heidelberg definitiv ist.
Wie beurteilen Sie das deutsche Wissenschaftssystem im Vergleich zu Ihrem Heimatland oder anderen Ländern, in denen Sie bereits geforscht haben?
Ich denke, dass in Deutschland Wissenschaft und Forschung, vor allem die humanistische und historische Forschung, eine große Bedeutung haben, auch für die Gesellschaft. Das Wissenschaftssystem verfügt über starke Ressourcen, und auch die Eindrücke, die ich im Austausch mit meinen deutschen Kolleg*innen gewinnen konnte, bestätigten, dass dieses System viele seine Mitglieder motiviert, ihr Bestes zu geben. Nach Forschungsaufenthalten in Portugal und Großbritannien – die ebenfalls sehr inspirierend und fruchtbar waren – denke ich, dass das deutsche Wissenschaftssystem eines der perfektesten und stärksten Systeme weltweit ist; zumindest aus meiner Perspektive. Tatsächlich fühle ich mich durch die lange Tradition der Alten und Römischen Geschichte in deutschen Universitäten in meiner Arbeit und in der Interaktion mit Wissenschaftlern vor Ort wertgeschätzt. Darüber hinaus ist das System der Lehre, das eigenständig lernende Studierende in den Mittelpunkt stellt, sehr spannend.
Für wie wichtig halten Sie internationalen Austausch für Wissenschaftler?
Die Rolle als Dozent ist derzeit sehr kompliziert, aber anregend. Manchmal benötigt man Zeit für die Lehre und die Vorbereitung, manchmal müssen Dinge im Zusammenhang mit der Abteilung, der Fakultät oder den eigenen Projekten geregelt werden, und manchmal muss man sich auf die Forschung konzentrieren, welche die Hauptquelle und Inspiration für die tägliche Lehre bildet. Die Möglichkeit zu haben, durch die Großzügigkeit meiner Heimatuniversität und die Unterstützung des spanischen Bildungsministeriums fast sechs Monate meines akademischen Jahres – in diesem Fall – meiner Forschung zu widmen, war eine phantastische Chance.
Empfehlen Sie einen Forschungsaufenthalt an der Universität Heidelberg an Ihre Studierenden bzw. innerhalb Ihres wissenschaftlichen Netzwerks?
Natürlich, und das tue ich oft. Die deutsche Sprache scheint manchmal ein Problem zu sein. Aber die Gastfreundlichkeit der Stadt und ihrer Menschen und selbstverständlich die Voraussetzungen der Bibliothek bilden die Quintessenz, um den Forschungsaufenthalt in Heidelberg zu einer phantastischen Erfahrung zu machen. Tatsächlich ermutige ich meine Studierenden, und vor allem meine Doktorand*innen, sich um deutsche Stipendien zu bewerben und an dem Abenteuer und Privileg des Forschens in Deutschland – und in diesem Fall besonders in Heidelberg – teilhaben zu können.