Dr. Judith S. Birkenfeld
Foto: L'Oréal Spanien
Dr. Judith S. Birkenfeld forscht als Mitglied der „Visual Optics and Biophotonics“-Gruppe am Institut für Optik der Spanischen Nationalen Forschungsgemeinschaft (IO-CSIC) in Madrid. Sie studierte an der Universität Heidelberg Physik und Medizinische Physik und wurde an der Universität Complutense Madrid mit Auszeichnung promoviert. Anschließend forschte sie am Massachusetts Institute of Technology und der Harvard Medical School in Cambridge (USA), bevor sie 2018 mit einem Marie-Skłodowska-Curie-Stipendium nach Europa zurückkehrte. Für ihr Forschungsprojekt zur Früherkennung der seltenen Augenkrankheit Keratoconus am IO-CSIC wurde Judith Birkenfeld mit dem spanischen L’Oréal-UNESCO-„For Women in Science“-Award ausgezeichnet. Hier stellt sie ihre aktuelle Arbeit über den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Früherkennung verdächtiger Hautläsionen vor.
„Haut-Melanome sind für mehr als 75 Prozent der Todesfälle durch Hautkrebs verantwortlich. Die aktuelle Prognose für das Jahre 2021 (USA) ist, dass geschätzte 106.110 Patienten mit Melanom diagnostiziert werden, und 7.180 Patienten an einem Melanom sterben werden. Früherkennung ist der entscheidende Faktor zur Reduzierung der Melanom-Sterblichkeit und zur Senkung der Behandlungskosten, aber ein flächendeckendes Melanom-Screening ist derzeit nicht umsetzbar. In den USA zum Beispiel gibt es etwa 12.000 praktizierende Dermatologen, und jeder von ihnen müsste 27.416 Patienten pro Jahr untersuchen, um die gesamte Bevölkerung auf verdächtige pigmentierte Läsionen zu untersuchen.
Vor einigen Jahren hat das SCREEN-Projekt in Norddeutschland ermutigende Ergebnisse zur Effektivität von systematischen Hautscreenings gezeigt. Die Studie machte vor allem deutlich, dass ein konkreter Bedarf darin besteht, effiziente Methoden zur Identifizierung von Vorläuferläsionen („suspicious lesions“) zu entwickeln, die ein hohes Risiko für eine Progression zum Melanom aufweisen. Das Screening auf diese Vorläuferläsionen wird auch als Makro-Screening bezeichnet. In der Praxis wird das Makro-Screening normalerweise von einem erfahrenen Dermatologen durchgeführt, der durch seine tägliche Arbeit eine Intuition dafür entwickelt hat, welche Hautläsionen am Körper eines Patienten einer näheren Untersuchung unterzogen werden sollten. Ein trainiertes Auge kann ein komplettes Makro-Screening innerhalb von ein bis zwei Minuten durchführen und die verdächtigen Läsionen dann gegebenenfalls mittels eines Dermoskops genauer untersuchen.
Foto: IO-CSIC
Es besteht ein großes Interesse an der Entwicklung von computergestützten Diagnosesystemen (oder CAD Systemen, aus dem Englischen computer-aided diagnosis), die Bilder von Hautläsionen analysieren und Vorläuferläsionen automatisch identifizieren können. Diese CAD-Algorithmen werden trainiert, um Hautläsionen individuell auf verdächtige Merkmale hin zu bewerten. Die Bilddatenbanken bestehen hier typischerweise aus Nahaufnahmen einer Vielzahl von Läsionen.
Allerdings ist der erste Schritt eines Dermatologen beim Macro-Screening weniger die detaillierte Untersuchung einzelner Läsionen, sondern die so genannte „Suche nach dem hässlichen Entlein“: Hierbei werden jene Läsionen als melanomverdächtig bewertet, die nicht zum Patienten-spezifischen Naevusbild passen. Anders gesagt: Mehrere Läsionen eines Patienten werden miteinander verglichen und die visuell Auffallenden werden zur weiteren Untersuchung herausgefiltert. Bis heute gibt es in der Dermatologie keine CAD-Systeme, die diese „Regel des hässlichen Entleins“ (ugly duckling sign), also den ersten Schritt im Diagnoseprozess, imitieren. Tatsächlich analysieren alle bestehenden CAD-Systeme, die für die Identifizierung auffälliger Läsionen entwickelt wurden, diese Läsionen nur einzeln und lassen das Kriterium des „hässlichen Entleins“ völlig außer Acht.
In unserer aktuellen Arbeit, die in Science Translational Medicine veröffentlicht wurde, stellen wir ein neues CAD-System für Hautläsionen vor, das auf Convolutional Deep Neural Networks (CDNNs) basiert. Unser System konnte nicht nur Vorläuferläsionen von unauffälligen Läsionen mit einer Genauigkeit von etwa 90 Prozent unterscheiden, sondern wir führten auch zum ersten Mal eine „hässliches Entlein“-Metrik ein, die in 88 Prozent der Fälle mit der Diagnose von drei Dermatologen übereinstimmte.
Dieses neu eingeführte Basissystem analysierte immer noch die Merkmale einzelner Läsionen und nicht die Merkmale mehrerer Läsionen, wie es im Macro-Screening der Fall ist. Um die „Regel des hässlichen Entleins“ in unser Modell aufzunehmen, verwendeten wir die extrahierten Merkmale in einem zweiten Schritt, um eine 3D-Karte aller Läsionen in einem gegebenen Bild zu erstellen. Dann wurde berechnet, wie weit die Merkmale jeder Läsion vom „Typischen“ entfernt waren. Je „merkwürdiger“ eine bestimmte Läsion im Vergleich zu den anderen war, desto weiter war sie vom Zentrum des 3D-Raums entfernt. Dieser Abstand ist die erste quantifizierbare Definition der „Regel des hässlichen Entleins“ und dient als Ausgangspunkt für die Nutzung von Deep-Learning-Netzwerken, um die schwierige und zeitaufwändige Aufgabe zu bewältigen, die Unterschiede zwischen allen pigmentierten Läsionen eines einzelnen Patienten zu identifizieren und zu untersuchen.
Unsere Datenbank besteht aus 33.000 Fotos von Patienten, die vor einem beliebigen Hintergrund und unter verschiedenen Beleuchtungsbedingungen aufgenommen wurden. Mit dieser Art von Bildvariabilität wurde das CDNN so trainiert, dass es in der Lage ist, Fotos, die mit einer beliebigen Verbraucherkamera oder einem Smartphone aufgenommen wurden, zur Diagnose zu verwenden. Unsere Bilder enthalten sowohl Vorläuferläsionen als auch unauffällige Hautläsionen (identifiziert von drei zertifizierten Dermatologen). Unser System konnte Vorläuferläsionen mit einer Sensitivität von 90,3 Prozent und einer Spezifität von 89,9 Prozent von unauffällige Läsionen unterscheiden.”
Sind Sie interessiert an der Arbeit von Dr. Birkenfeld? Sie können Sie unter j.birkenfeld@io.cfmac.csic.es kontaktieren.
Foto: Soenksen et al.