„Das deutsche Wissenschaftssystem ist gleichzeitig außergewöhnlich modern und recht altmodisch“
Prof. Dr. Marcin Moskalewicz
Prof. Dr. Marcin Moskalewicz, Medizinische Universität Poznan in Poznan/Polen, zurzeit Gastwissenschaftler am Zentrum für Psychosoziale Medizin des Universitätsklinikums Heidelberg
Seit September 2022 bis Februar 2024 Humboldt-Stipendiat an der Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Sektion Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie
Seit wann und wie lange noch sind Sie in Heidelberg und was machen Sie während Ihrer Zeit hier?
Ich bin im September letzten Jahres angekommen und plane, bis 2024 zu bleiben. Ich arbeite als Humboldt-Stipendiat an einem Projekt in der Philosophie der Psychiatrie, das sich mit atypischer Zeiterfahrung beschäftigt. Mein Ziel ist es, die phänomenologische Erforschung von Ich-Erfahrungsstrukturen mit der empirischen Datenerhebung mittels objektivierender Befragungsinstrumente zu verbinden.
Warum haben Sie sich für die Universität Heidelberg entschieden?
Die Psychiatrische Klinik Heidelberg ist ein renommiertes Zentrum für die Forschung in der phänomenologischen Psychopathologie. Die von Prof. Dr. Thomas Fuchs geleitete Sektion verbindet in herausragender Weise Philosophie und Psychiatrie und zieht Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt an. Als ich vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal von Prof. Fuchs' Arbeit erfuhr, wagte ich nicht einmal davon zu träumen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Nun sind zehn Jahre vergangen und es ist soweit!
Welche Erfahrungen konnten Sie bisher in Heidelberg sammeln?
Die tägliche Arbeit hier, umgeben von und im Austausch mit erstklassigen Wissenschaftler:innen, ist an sich schon wertvoll. Auch die jüngeren Kolleg:innen sind exzellent, und ich bin beeindruckt von ihrer Aufgeschlossenheit und ihrem Engagement für die Wissenschaft. Ich liebe auch den internationalen Charakter der Stadt und die Geschichten, die die Menschen aus der ganzen Welt mitbringen.
Was gefällt Ihnen besonders gut hier, wo haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Ich mag das Wetter, die Radwege und die Tatsache, dass fast alles in Reichweite ist. Auch die Menschen sind sehr freundlich, nicht nur bei der Arbeit, sondern überall. Heidelberg ist mir als eine Stadt mit fröhlichen Menschen aufgefallen. Was Verbesserungen angeht, so wäre ein kleiner Flughafen einfach perfekt! Andererseits würde es dann seine besondere Qualität der Abgeschiedenheit von der „realen“ Welt verlieren, die ich besonders schätze.
Wie beurteilen Sie das deutsche Wissenschaftssystem im Vergleich zu Ihrem Heimatland oder anderen Ländern, in denen Sie bereits geforscht haben?
Es ist gleichzeitig außergewöhnlich modern und in mancher Hinsicht recht altmodisch. Die erstklassige Qualität der Forschung wird mit einer papierbasierten Bürokratie kombiniert, und es ist manchmal ein Albtraum, ein einfaches technisches Problem zu lösen. Auch die akademischen Hierarchien sind anders. Aber das Wichtigste sind die Menschen – und nach dem, was ich bisher erlebt habe, sind die Menschen sehr inspirierend!
Für wie wichtig halten Sie internationalen Austausch in der Wissenschaft?
Ohne Austausch kann man keine Forschung betreiben. Ich habe an Universitäten in den Niederlanden, der Schweiz, den USA, dem Vereinigten Königreich und Polen gearbeitet und bin deshalb viel gereist. Es ist nicht immer einfach, vor allem aus familiärer Sicht, aber ich glaube, es gibt keine andere Möglichkeit, wenn man erfolgreich sein will. Natürlich erzeugt der Tausch von Arbeitsplatzsicherheit gegen intellektuelle Abenteuer Ängste, aber es sind kreative Ängste, die das akademische Leben sowohl einfallsreich als auch sinnvoll machen.
Empfehlen Sie einen Forschungsaufenthalt an der Universität Heidelberg an Ihre Studierenden bzw. innerhalb Ihres wissenschaftlichen Netzwerks?
Ja, natürlich! Wir planen gerade einen Workshop, bei dem meine Doktorand:innen aus Polen die Gelegenheit haben werden, ihre Arbeit zu präsentieren. Zwei von ihnen werden im nächsten Jahr auch für ein Praktikum nach Heidelberg kommen. Ich hoffe auch, eine dauerhafte Zusammenarbeit für die Zukunft aufzubauen und nach dem Ende meines derzeitigen Stipendiums wieder hierher kommen zu können. Hoffentlich werden auch einige Kolleg:innen aus Heidelberg die Gelegenheit nutzen, Polen zu besuchen. Wir stehen erst am Anfang.