RAN Newsletter 02/2024 „Heidelberg bietet eine unvergleichliche Plattform für intellektuelles Wachstum und interkulturellen Austausch“
Dr. Pamela Karimi, Professorin für Kunstgeschichte und Architektur & Dr. Robert Fisher, Professor im Fachbereich Physik, an der University of Massachusetts Dartmouth in Dartmouth/USA
Von Oktober 2023 bis Juli 2024 Gastforschende am Zentrum für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS) der Universität Heidelberg & am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS)
Sie sind gemeinsam für einen Forschungsaufenthalt nach Heidelberg gekommen. Wie kam es dazu?
Pamela Karimi (PK): Wir haben irgendwann im Frühjahr und Sommer 2022 mit der Planung unseres Sabbaticals begonnen. Dabei haben wir uns verschiedene Orte angeschaut, die Liste aber bald auf eine kleine Handvoll von Universitäten reduziert.
Robert Fisher (RF): Ja, wir haben uns für Heidelberg entschieden, weil die Universität hier eine der wenigen weltweit ist, die sowohl in den Geisteswissenschaften als auch in den Naturwissenschaften – unseren beiden disziplinären Bereichen – herausragend ist.
An welchem Institut, welcher Institution arbeiten Sie? Und was sind Ihre Ziele für Ihre Zeit in Heidelberg?
PK: Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien der Universität Heidelberg arbeite ich an einem Buchprojekt, das innovative architektonische Lösungen untersucht, die im Nahen Osten und in Nordafrika (MENA-Region) als Reaktion auf die Wüstenumgebung entstanden sind. Trotz der klugen und umweltfreundlichen Praktiken, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben, wurden diese nachhaltigen Lösungen von den Kolonialmächten oft abgelehnt und durch die zunehmende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und modernen Technologien im 20. Jahrhundert untergraben. Während der Ölkrise und des Aufschwungs der Umweltbewegungen gewann die wüstenfreundliche Architektur der MENA-Region entscheidend an Bedeutung und inspirierte zu Vorschlägen für autarke Katastrophenschutzbauten und Mondsiedlungen. Das Buch kontrastiert die gut finanzierten Projekte von US-Experten mit den Beiträgen von Randfiguren wie dem iranisch-amerikanischen Architekten Nader Khalili, der die autarke Lehmarchitektur des Iran und ihre Anwendungsmöglichkeiten untersucht hat. Anhand verschiedener Fallstudien stellt mein Forschungsprojekt die Vorstellung in Frage, dass postapokalyptische Designlösungen ausschließlich die Domäne weißer/euro-amerikanischer Experten sind, und hebt die Bedeutung des architektonischen Erbes der MENA-Länder und die Arbeit unterrepräsentierter Innovatoren angesichts globaler Herausforderungen und apokalyptischer Szenarien hervor.
RF: Ich arbeite am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS), wo ich, unterstützt durch ein DAAD-Stipendium, von Prof. Dr. Friedrich Röpke betreut werde. Prof. Röpke leitet seit vielen Jahren eine äußerst erfolgreiche, weltweit führende Forschungsgruppe für theoretische Astrophysik, die sich mit Sternexplosionen und Sternverschmelzungen beschäftigt. Dieses Sabbatical gibt mir die Möglichkeit, eng mit den Postdocs und Studierenden in der Arbeitsgruppe zusammenzuarbeiten und eine Grundlage für gemeinsame Forschungsprojekte zu schaffen.
Warum haben Sie sich für die Universität Heidelberg entschieden?
PK: Obwohl es in den USA zahlreiche Möglichkeiten für ein Sabbatical gibt, reizte mich die Aussicht, in ein neues und herausforderndes Umfeld einzutauchen. Die Entscheidung, die vertrauten Grenzen des amerikanischen Universitätssystems zu verlassen, hat sich als sehr lohnende Erfahrung erwiesen, sowohl persönlich als auch beruflich. Mein Sabbatical an der Universität Heidelberg hat mir unschätzbare Einblicke in das Innenleben des deutschen Hochschulsystems gewährt. Dadurch konnte ich ein tieferes Verständnis für die spezifischen Perspektiven und Prioritäten gewinnen, die den Ansatz der europäischen Gemeinschaft zur Bewältigung der kritischen Umweltherausforderungen des 21. Jahrhunderts prägen. Die Möglichkeit, mich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Herkunft und Disziplinen auszutauschen, hat mein Verständnis für diese komplexen Themen sehr bereichert und mich dazu herausgefordert, über die Grenzen meines eigenen akademischen Hintergrunds hinaus zu denken. Hätte ich mich dafür entschieden, in der Komfortzone des amerikanischen akademischen Systems zu bleiben, wäre mir diese transformative Erfahrung entgangen. Die Universität Heidelberg bietet eine unvergleichliche Plattform für intellektuelles Wachstum und interkulturellen Austausch, die es mir ermöglicht hat, meinen Horizont zu erweitern und neue Kooperationen mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt aufzubauen.
Was haben Sie in Heidelberg gelernt? Welche Erfahrungen waren besonders wertvoll?
PK: In einer historischen europäischen Stadt zu leben, die den Zweiten Weltkriegs nahezu unbeschadet überstanden hat, war für mich als Architekturhistorikerin ein außergewöhnliches Privileg. Diese intensive Erfahrung hat mir ein tiefes Verständnis dafür vermittelt, wie diese alten Städte funktionieren und wie sie menschliche Werte in ihrem Stadtgefüge in den Vordergrund stellen. Der krasse Gegensatz zwischen diesen fußgängerfreundlichen, auf den Menschen ausgerichteten Städten und den moderneren, auf das Auto ausgerichteten Stadtlandschaften war eine Offenbarung und verdeutlicht, wie wichtig es ist, Städte so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen und dem Wohlbefinden ihrer Bewohnerinnen und Bewohner gerecht werden. Während meiner Zeit hier hatte ich das Privileg, die reichen historischen Stätten zu erkunden, die die Stadt umgeben. Jeder Besuch war eine aufschlussreiche Reise, die es mir ermöglichte, tief in die Geschichte Deutschlands einzutauchen und ein besseres Verständnis für das kulturelle Erbe des Landes zu entwickeln. Vom beeindruckenden Schloss und Garten in Schwetzingen bis zur bedeutenden Weißenhofsiedlung in Stuttgart hat jedes Wahrzeichen eine Geschichte zu erzählen und bietet einen Einblick in das Leben und die Bestrebungen früherer Visionäre und Architekten.
RF: Ich muss sagen, dass meine bleibenden Erinnerungen persönlicher Natur sein werden. Ich bin vor kurzem EU-Bürger geworden, da meine Mutter italienischer Abstammung ist und nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA eingewandert ist. Durch meinen Vater, dessen Vorfahren in den 1740er-Jahren in die USA immigriert sind, habe ich auch einen sehr entfernten deutschen Hintergrund. Als jemand, der während des Kalten Krieges aufgewachsen ist, weiß ich es sehr zu schätzen, mich als EU-Bürger in einem lebendigen, vereinten Deutschland aufzuhalten.
Was gefällt Ihnen besonders gut hier, wo haben Sie Verbesserungsvorschläge?
PK: In Heidelberg zu leben ist ein absolutes Vergnügen und ich lasse mich ständig von der lebendigen Atmosphäre inspirieren, die jeden Winkel der Stadt durchdringt. Für mich als Architekturhistorikerin ist der Zugang zur malerischen Altstadt wie ein wahr gewordener Traum. Aber Heidelberg ist nicht nur eine Stadt, die sich auf ihrem historischen Ruhm ausruht. Was ich an Heidelberg am bemerkenswertesten finde, ist, wie nahtlos es seine reiche Geschichte mit einer zukunftsorientierten, kosmopolitischen Perspektive verbindet. Es ist eine Stadt, in der das Leben pulsiert, nicht zuletzt dank der dynamischen und vielfältigen Studierendenschaft. Das Engagement der Stadt für Kunst und Kultur ist ebenso beeindruckend. Ich bin besonders dankbar für die außergewöhnlichen Kinos, die ein vielfältiges Angebot an Filmen aus der ganzen Welt bieten.
RF: Ich liebe wirklich fast alles am Leben in Heidelberg. Vor allem genieße ich die Möglichkeit, von unserer Wohnung in der Altstadt aus sowohl zur Arbeit als auch zu den zahlreichen akademischen und kulturellen Veranstaltungen der Universität und der Stadt zu Fuß gehen zu können.
Wie beurteilen Sie das deutsche Wissenschaftssystem im Vergleich zu Ihrem Heimatland oder anderen Ländern, in denen Sie bereits geforscht haben?
RF: Was ich am deutschen Wissenschaftssystem besonders schätze, sind die großzügigen Investitionen in die Karrieren von Nachwuchsforscherinnen und -forschern. Hier in Deutschland können vielversprechende junge Forscherinnen und Forscher schon kurz nach ihrer Promotion Nachwuchsgruppen leiten. Ich halte dies für ein sehr kluges Vorgehen, da es dem kreativsten Nachwuchs ermöglicht, lebendige unabhängige Forschungsprogramme zu initiieren, noch bevor sie Professorinnen und Professoren werden. Außerdem erhalten die Universitäten so eine klare Vorstellung davon, wie sich die Kandidatinnen und Kandidaten für die Fakultät in ihrer wichtigen Rolle als Forschungsmentoren und Betreuerinnen schlagen werden. In den USA sind Postdocs oft eng mit Forschungsmentoren verbunden und bekommen nur selten unabhängige Stipendien. Daher kann es in den USA recht schwierig sein, abzuschätzen, wie gut sich Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler als unabhängige Wissenschaftlerinnen und Forschungsmentoren bewähren werden.
Für wie wichtig halten Sie internationalen Austausch in der Wissenschaft?
PK: In der heutigen hochgradig vernetzten und sich schnell entwickelnden globalen Landschaft ist der Aufbau starker Verbindungen zur internationalen Forschungsgemeinschaft zu einer absoluten Notwendigkeit geworden. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen wir erkennen, dass die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, über nationale Grenzen hinausgehen und gemeinsame Anstrengungen auf globaler Ebene erfordern. Nur durch den Austausch von Ideen, Fachwissen und Ressourcen können wir hoffen, in unseren jeweiligen Bereichen bedeutende Fortschritte zu erzielen und zur Verbesserung der Gesellschaft als Ganzes beizutragen. In diesem Zusammenhang heben sich Europa und insbesondere Deutschland als leuchtendes Beispiel für eine Region hervor, die sich erfolgreich als zentrale Drehscheibe für den globalen wissenschaftlichen Austausch positioniert hat.
Die zentrale Lage Deutschlands in Europa macht es zu einem idealen Ausgangspunkt für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der europäischen Forschungsgemeinschaft austauschen möchten. Die Attraktivität Deutschlands als globaler Forschungsstandort geht jedoch über seine geografischen Vorteile hinaus. Die starke Tradition der akademischen Freiheit im Land, gepaart mit großzügigen Finanzierungsmöglichkeiten und einer unterstützenden Forschungsinfrastruktur, schafft ein Umfeld, das bahnbrechende Ideen fördert und zu kühnem, interdisziplinärem Denken anregt.
RF: Der internationale Austausch ist für die Wissenschaft absolut unerlässlich. Wir alle teilen dieselbe Biologie, denselben Planeten, denselben Himmel. Keine einzelne Nation hat ein Monopol auf wissenschaftliche Talente. Der Austausch führt zu einer gegenseitigen Befruchtung kreativer Ideen; gerade an diesen Schnittstellen entstehen die spannendsten neuen Entwicklungen.
Empfehlen Sie einen Forschungsaufenthalt an der Universität Heidelberg an Ihre Studierenden bzw. innerhalb Ihres wissenschaftlichen Netzwerks?
Beide: Auf jeden Fall!
Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen das Research Alumni Netzwerk bietet? Nutzen Sie diese Möglichkeiten?
RF: Wir haben uns erst kürzlich für das Research Alumni Netzwerk angemeldet und sind beide sehr begeistert davon. Wir freuen uns darauf, während unserer verbleibenden Zeit in Heidelberg mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedenster Fachrichtungen in Kontakt zu treten und auch nach unserer Rückkehr in die USA weiter in Verbindung zu bleiben.