Gender Mainstreaming - Frauenpolitik ganz anders
Auf die englische Bezeichnung muss deshalb zurückgegriffen werden, weil die englische Sprache im Gegensatz zur deutschen zwei inhaltlich verschiedene Begriffe für den deutschen Begriff Geschlecht hat, nämlich die Begriffe gender und sex. Gender ist der englische Begriff für die sozial und kulturell definierten Aspekte des Geschlechts. Gender bedeutet die soziale und kulturelle Geschlechterrolle. Im Gegensatz dazu steht für die biologisch definierten Aspekte des Geschlechts im englischen der Begriff sex. Weil der deutsche Begriff Geschlecht keine saubere Trennung zwischen den biologischen und den sozialen und kulturellen Aspekten erlaubt, gibt es keine adäquate deutsche Übersetzung für den Begriff des Gender Mainstreaming.
Die Strategie des Gender Mainstreaming geht davon aus,
- dass es um beide Geschlechter und das Verhältnis zwischen ihnen geht. Männer haben auch ein Geschlecht
und sind nur eines von beiden. Sie bilden nicht die allgemein menschliche Norm.
- dass die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern grundsätzlich als veränderbar anzusehen sind.
Das heißt, biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden nicht als Legitimation für gesellschaftliche
Unterschiede akzeptiert. Und es bedeutet auch, dass die sozialen und kulturellen Geschlechterrollen für
Männer und Frauen historisch gewachsen und politisch gestaltbar sind.
Gender Mainstreaming als Strategie bedeutet, dass in alle Entscheidungsprozesse in Politik, Wirtschaft und
Verwaltung die unterschiedliche Lebenssituation von Frauen und Männern einbezogen wird und die unterschiedlichen
Interessen und Bedürfnisse von Männern und Frauen berücksichtigt werden. Selbstverständlich ersetzt Gender
Mainstreaming nicht die politische Auseinandersetzung darüber, in welche Richtung die Geschlechterverhältnisse
verändert und politisch gestaltet werden müssen. Die Philosophie, die hinter dem Gender Mainstreaming steht, lautet:
Jede Gesellschaftsanalyse beinhaltet die Analyse der Geschlechterverhältnisse. Das heißt, bei allen
Entscheidungsprozessen muss analysiert werden, wie viele Männer und wie viele Frauen von der
Maßnahme betroffen sind. Was haben die Männer dabei für Vor- oder Nachteile?
Was haben die Frauen dabei für Vor- oder Nachteile?
Durch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenssituationen von Männern und Frauen bei allen
Entscheidungen ist Gender Mainstreaming ein weiteres Instrument zur Frauengleichstellung. Das Ziel ist, dass
ein politisches Problem nicht mehr auf eine reine Frauenfrage (und -sache) reduziert wird, sondern dass Frauen
und Männer gleichermaßen an einer Veränderung der Geschlechterverhältnisse arbeiten.
Wendet man die Gender Mainstreaming-Strategie konsequent in allen Bereichen an, kann dies eine qualitative
Verbesserung der Entscheidungsprozesse bedeuten. Denn diese Anwendung zwingt alle Beteiligten automatisch,
bestehende Strukturen auf ihre Benachteiligungen hin zu analysieren und sie, im Interesse beider Geschlechter, zu verändern.
Alte Zuschreibungen der traditionellen Frauenpolitik werden entkräftet durch die neuen Sichtweisen des Gender Mainstreaming:
Nicht mehr: Frauen haben spezifische Probleme.
Sondern: Gesellschaftlich hergestellte Bedingungen versetzen Frauen in problematische Situationen,
dafür sind Frauen nicht alleine verantwortlich.
Nicht mehr: Frauen haben aufgrund ihres Geschlechts spezifische Interessen.
Sondern: Spezifische Interessen sind Reflexe auf Lebensbedingungen, die Frauen wegen ihres Geschlechts zugewiesen bekommen.
Nicht mehr: Frauen haben Defizite, die beseitigt werden müssen.
Sondern: Frauen haben Stärken und Interessen, die Männer (noch) nicht haben.
Das wird anerkannt. Es werden Bedingungen geschaffen, damit dies zum Tragen kommt. Defizite sind aufgrund
der gesellschaftlich definierten Geschlechterrolle auch bei Männern vorhanden, aber nicht aufgrund des Geschlechts!
Nicht mehr: Frauenpolitik bezieht sich auf Randprobleme, die je nach Großwetterlage Konjunktur haben.
Sondern: Geschlechterdemokratie und Chancengleichheit der Geschlechter sind zentrale Politikfelder.
Nicht mehr: Frauen sind zuständig für die Lösung der Frauenprobleme.
Sondern: Frauen und Männer übernehmen die Verantwortung für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse.
Gender Mainstreaming ist eine Methode, eine Vorgehensweise, für die zunächst Analysen notwendig sind. Kosten-Nutzen-Analysen können belegen, in welchem Verhältnis Aufwand und Ertrag des geplanten Vorhabens für Männer und Frauen stehen. Wichtig für die Analysen sind geschlechtsspezifische Statistiken. In Schweden hat sich im kommunalen Bereich die sogenannte 3-R-Methode bewährt:
- Repräsentation
hier wird geprüft, wie viele Männer und Frauen von einem Vorhaben betroffen sind und wie viele Männer und Frauen daran mitwirken. - Ressourcen
hier wird gefragt, wie die im Vorhaben bewegten Mittel von Raum, Geld und Zeit zwischen den Geschlechtern verteilt werden. - Realisierung
hier wird nach den Ursachen der festgestellten Repräsentation und Ressourcenverteilung zwischen den Geschlechtern und ihren Veränderungsmöglichkeiten geforscht. Wenn die Gründe für die bestehenden Verhältnisse bekannt sind, können Konsequenzen für künftiges Handeln entwickelt werden.
Gender Mainstreaming ist ein Instrument, um das Ziel der Chancengleichheit zu erreichen. Es ersetzt nicht die bisher vorhandenen Instrumente, sondern ergänzt diese. Es erweitert bestehende Maßnahmen zur Frauengleichstellung, die sich auf die geschlechtergerechte Verteilung der Arbeit und der Positionen innerhalb eines Bereiches beziehen, um ein zusätzliches Feld.
Gender Mainstreaming verlagert die Sicht auf die Rahmenbedingungen, unter denen Männer und Frauen leben. Dadurch kann zur Verbesserung politischer Entscheidungen beigetragen werden. Spezielle Maßnahmen für Frauen sind in bestimmten Lebenssituationen so lange nötig, wie die unterschiedlichen Geschlechterverhältnisse noch so gravierend sind.
Erst wenn Frauen und Männer dieselben Probleme bzw. eben keine mehr z.B. mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben, ist ein Gender Mainstreaming-Prozess in diesem Bereich überflüssig.