Tagung
Geographien sozialer Krisen / Krisen sozialer Geographien
Wir leben provisorisch, die Krise nimmt kein Ende
ließ Erich Kästner seinen Fabian im Jahr 1931 sprechen. Diese Beobachtung scheint an Aktualität kaum verloren zu haben. Das gesellschaftliche Zusammenleben in Europa wird gegenwärtig verstärkt als krisenhaft wahrgenommen. Die Rede von der Krise lässt sich in den Sphären wirtschaftlicher, sozialer und politischer Zusammenhänge verstärkt ausmachen. Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zerrt am gesellschaftlichen Zusammenhalt. Austeritätspolitiken verschärfen sozialpolitische Krisen. Rechtsruck und die Renaissance der Identität als ernstgenommene politische Kategorie führen zur Krise tradierter Machtverhältnisse. Kaum scheint die sogenannte Flüchtlingskrise überwunden, verlagert sich das Gerede von der Krise in sicherheits- und integrationspolitische Diskurse. Der inflationär gebrauchte Begriff der Krise
flottiert frei in einer gesellschaftlichen Situation, deren atmosphärische Aufladung entweder von spannungsgeladenem Untergangspessimismus oder von hoffnungsvollem Umbruchsoptimismus geprägt ist.
Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund fallen der sozialwissenschaftlich ausgerichteten Geographie verschiedene Aufgaben zu. Zum einen werden gesellschaftliche Entwicklungen erfasst, beschrieben und interpretiert. Zum anderen gilt es theoretische und methodische Ansätze zu entwickeln, die eine zeitgemäße kritische Auseinandersetzung mit den genannten gesellschaftlichen Entwicklungen überhaupt erst ermöglichen.
In diesem Zusammenhang hat die Sozialgeographie ihr konzeptionelles Repertoire in den letzten Dekaden stark ausdifferenziert. Gleichwohl scheint es, dass das kritische Potential, in gesellschaftspolitischer Hinsicht zu ‚sozialen Fragen’ Stellung zu nehmen, derzeit noch zögerlich ausgeschöpft wird. Vielleicht ermöglicht die neue Vielfalt sozialgeographischer Ansätze aber auch, sich jenseits eines richtigen
Weges selbstbewusster in internationale, interdisziplinäre und öffentliche Debatten einzubringen.
In Anknüpfung an eine Tagung in Bonn im Jahr 2015 findet nun ein 2. Gespräch zur Sozialgeographie in Heidelberg statt und bringt Geograph*innen aus verschiedenen Instituten zur gemeinsamen Diskussion und multiperspektivischen Erörterung aktueller gesellschaftspolitischer Fragestellungen zusammen.
Keynote – Donnerstag, 06. Juli 2017, 18:15
Jürgen Oßenbrügge (Hamburg) | March for Sozialgeographie? Das Postfaktische als Zumutung, Herausforderung und Normalität der Humangeographie |
Hörsaal, Institut für Physik, Im Neuenheimer Feld 227 |