Am 13. März 2002 starb in Heidelberg der Philosoph Hans-Georg Gadamer, wenige Wochen, nachdem er seinen 102. Geburtstag feiern konnte. Hans-Georg Gadamer zählt zu den prägenden Gestalten der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Seit langem gilt er als Klassiker, nicht nur in Deutschland, sondern ebenso im romanischen und angelsächsischen Sprachraum. Gadamers Denken befruchtet heute Philosophen und Geisteswissenschaftler in allen zivilisierten Ländern der Welt, es beeinflusste Denker ganz verschiedener Ausrichtungen von Derrida bis Habermas und wurde in nahezu allen Geisteswissenschaften rezipiert, besonders intensiv in den Literaturwissenschaften.
1900 in Marburg geboren, studierte Gadamer in den intellektuell erregten und erregenden Jahren nach dem Ersten Weltkrieg Philosophie und Klassische Philologie. Bestimmt war der Geist jener Jahre nach dem Niedergang der neukantianischen Schulphilosophie von der machtvoll aufsteigenden Phänomenologie Husserls und Schelers sowie von der von Dilthey und Bergson ausgehenden Lebensphilosophie, dazu kam die Wirkung Kierkegaards, Strömungen, die auch Gadamer beeinflussten. Entscheidend wurde aber die Begegnung mit Martin Heidegger. Diese Prägung verbindet sich bei Gadamer mit einer lebenslangen Auseinandersetzung mit der Philosophie der Antike. Gadamers Doktorarbeit und seine Habilitationsschrift galten Platon, noch seine letzten Bücher behandeln den Anfang der Philosophie bei den Vorsokratikern. Auch Gadamers richtungweisendes Hauptwerk "Wahrheit und Methode", 1960 zuerst erschienen, erwuchs aus dem lebendigen Umgang mit dem Denken der Antike, aus der Erfahrung, dass die alten Texte zu uns sprechen, wenn wir uns nur auf sie einlassen. Nach der Habilitation wirkte Gadamer zunächst als Privatdozent in Marburg, 1939 wurde er Professor in Leipzig, wo er 1946 unter schwierigsten Bedingungen das Amt des Rektors übernahm. Gadamers Versuch, der Wissenschaft nach ihrer ideologischen Vereinnahmung durch die Nazis unter den neuen kommunistischen Machthabern einen Freiraum zu schaffen, war zum Scheitern verurteilt. 1947 ging er als Professor nach Frankfurt, zwei Jahre später als Nachfolger von Karl Jaspers nach Heidelberg, wo er mehr als ein halbes Jahrhundert wirkte, weit über seine Emeritierung (1968) hinaus, so dass heute Heidelberg in aller Welt mit dem Namen Gadamers verbunden wird.*
Noch zu seinen Lebzeiten wurde am Philosophischen Seminar die „Hans-Georg Gadamer – Professur“ mit dem Ziel einer lebendigen und produktiven Auseinandersetzung mit der Hermeneutik eingerichtet. So wurden in den Sommersemestern von 2001 an bedeutende zeitgenössische Geisteswissenschaftler eingeladen, im darauf folgenden Wintersemester fand eine Tagung statt.
Gäste waren:
Gadamer-Professur 2007: Eberhard Jüngel
Gadamer-Professur 2006: Wolfram Hogrebe
Gadamer-Professur 2005: Horst Bredekamp
Gadamer-Professur 2004: Jan Assmann
Die Lehrtätigkeit dieser Wissenschaftler konnte im Rahmen einer Gastprofessur mit Mitteln aus dem Stiftungsfonds der Deutschen Bank, des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, der Universität Heidelberg und des Fonds der Ehrenbürger der Universität Heidelberg für einige Semester finanziert werden. Seit 2007 sind diese Mittel ausgeschöpft.
*Den vollständigen Text von Prof. Dr. Halfwassen finden sie hier: Hans-Georg Gadamer - Nachruf