Galerie: Wir stellen uns vor
Interview Matthias Dyck (27.6.18)
Joséphine Jacquier: Lieber Herr Dyck, schön, dass Sie Zeit gefunden haben für ein kleines Interview, das den Interessentinnen und Interessenten an unserem Heidelberger komparatistischen Studiengang Klassische und Moderne Literaturwissenschaft zeigen soll, was wir hier eigentlich so machen. Vielleicht stellen Sie sich kurz vor und sagen uns, welche Schwerpunktfächer Sie gewählt haben?
Matthias Dyck: Mein Name ist Matthias Dyck, ich studiere im zweiten Mastersemester im Hauptfach Latinistik und im Nebenfach Klassische und Moderne Literaturwissenschaft mit den Schwerpunkten Gräzistik und Jüdische Studien, letztere an der in Heidelberg ansässigen Hochschule für Jüdische Studien. Mit dieser fachlich ja sehr breit aufgestellten Einrichtung zusammenarbeiten zu dürfen ist für die Ruperta Carola ein großer Glücksfall.
Joséphine Jacquier: Warum haben Sie sich gerade für die Heidelberger Komparatistik entschieden?
Matthias Dyck: Nun, Heidelberg war schon vorher mein Studienort, deshalb lag das zunächst nahe. Ein entscheidendes Merkmal der Heidelberger Komparatistik sind die weiten kombinatorischen Möglichkeiten und vor allem auch die enge Anbindung an die Altphilologie, die das komparatistische Anliegen um einen großen fachlichen wie theoretischen Anspruch erweitert, nämlich, auch die Konfrontation mit einem sonst schnell außen vor bleibenden Horizont zu suchen. Es fällt leicht, vielleicht zu leicht, das Altertum das „nächste Fremde“ zu nennen – wenn man sich die großen, komparatistisch arbeitenden Projekte wie Poetik und Hermeneutik anschaut, ist das Altertum eben oft ein fremdes Feld, das vor einer irgendwie anzusetzenden Epochenschwelle immer als das Andere figurieren muss. Dadurch gesteht man ihm eine privilegierte Stellung zu, setzt es aber in einen schon durch die eigene Erwartungshaltung festumschriebenen Rahmen, in dem es seine Funktionen für die jeweiligen Theoriegebäude übernehmen muss. Diese Rolle mag in vielen Hinsichten sinnvoll sein, ist aber auch infrage zu stellen, wenn man Komparatistik so grundsätzlich verstehen will, dass sie an einem radikal anderen, fast gewaltsam fremden Altertum (wie es etwa Nietzsche schon in seiner Basler Zeit als Altphilologe beschrieben hat) auch eine Kritik der eigenen Befähigung zum Vergleich entwickeln soll.
Joséphine Jacquier: Warum haben Sie sich genau für Ihre Fächer entschieden?
Matthias Dyck: Vor allem die Fächer Latein und Hebräisch begleiten mich schon sehr lange. Ich hatte das Glück, Hebräisch bereits in der Schule als Abiturfach wählen zu dürfen. Es war auch der altsprachliche Hebräischunterricht und seine Einbeziehung kulturgeschichtlicher wie philologischer Fragestellungen, die mich in der Entscheidung bestärkt haben, Gräzistik und Latinistik zu studieren. Die Rückkehr zu den Jüdischen Studien greift damit nicht nur gewissermaßen eine biographische Linie auf, sondern führt auch die Arbeit an einem Interessenhorizont weiter, der meinen altphilologischen Interessen schon lange wichtig war, auch wenn die Verbindungslinien nicht unbedingt sofort einleuchten mögen.
Wenn wir klassisch-hebräische Literatur lesen, dann ist diese eben nicht in jeder Hinsicht vergleichbar. Das Fach ist anders gelagert, Texte werden dort trotz ähnlicher Arbeitsweisen anders aufgearbeitet, die Texte der hebräischen Bibel unterliegen anderen historischen Transformationsprozessen, sind in vielerlei Hinsicht noch nicht so weit verstanden, wie wir manchmal meinen, das eint viele Texte. Trotzdem besteht gewissermaßen der Reiz bei der Wahl scheinbar weit auseinanderliegender Felder auch darin, dass es die größeren methodologischen Ansprüche an die komparatistische Arbeit stellt und einen vor gewissen Fallen zu warnen vermag, in die man tappen kann, beispielsweise zu schnell alles mit allem vergleichen zu wollen oder sich für den Vergleich einfach das Naheliegende auswählen zu wollen.
Eine vielleicht schon etwas angestaubte, aber immer noch wirkmächtige Methodologie der Komparatistik stammt von Erich Auerbach; ihr zentrales Motiv ist der „Ansatz“, dessen gelungene Auswahl erst den Vergleich scheinbar weit auseinander liegender Phänomene oder Texte rechtfertigt. Das klingt fast schon wie die aristotelische Metaphernlehre, in der die guten Dichter eben Ähnlichkeiten sehen, wo andere sie nicht sehen. Ich denke, dass die Konfrontation von Horizonten, die sich zunächst einmal nicht vergleichen lassen, ein wichtiges Korrektiv dazu darstellt. Eine Position, die solche Vergleiche koordinieren könnte, wird man aber nur durch theoretische Arbeit gewinnen können.
Joséphine Jacquier: Gibt es in Ihrem bisherigen Studienleben einen Moment, in dem Sie sich gesagt haben: Wow, darüber habe ich jetzt noch nie nachgedacht. Also, ein intellektuelles Sahnehäubchen, ein Moment des „Jetzt-weiß-ich-warum-ich-das-alles-mache“?
Matthias Dyck: Ein innovativer, theoretischer Ansatz in diesem Fall zur lateinischen Liebeselegie war, die Texte durch das Nachdenken über den Fetisch zu erhellen. Damals war ich mit dem entsprechenden psychoanalytischen und kulturwissenschaftlichen Hintergrund gar nicht vertraut, aber in diesem Fall war es nicht die Abstraktion, sondern die Konkretion als herausforderndes, theoretisches Moment, das mich darauf stieß, an Texten auch das Unerwartete zu beobachten und auch scheinbar fernliegende, ihrem Inhalt und ihren Motiven nach scheinbar schon gut verstandene Texte eben dadurch neu lesen zu können, dass wir auch in ein theoretisches Verhältnis zu ihnen treten.
Joséphine Jacquier: Verraten Sie uns, welche Hausarbeit für Sie persönlich am prägendsten war und warum?
Matthias Dyck: Es handelt sich um eine Arbeit zu Horazens Pyrrhaode, Ode I, 5, in der ich glaubte, nicht nur verschiedene Beobachtungen an in diesem Fall einer Dreizahl von Texten treffen, sondern sie auch in einem größeren Umfang als bisher theoretisch einordnen zu können. Es war übrigens auch das erste Mal, dass ich mir wirklich sicher war, verschiedene Texte in vollem Recht miteinander vergleichen zu können.
Joséphine Jacquier: Wir haben ja jetzt seit einigen Wochen auf unserer Homepage das Item „Mon texte à moi“ oder MEIN TEXT. Die Idee dahinter war, dass die Studierenden der Komparatistik einen Text vorstellen, der Ihnen sehr viel bedeutet. Welcher Text, Herr Dyck, bedeutet Ihnen nicht nur viel, sondern ALLES 😊?
Matthias Dyck: Die Texte, die einem alles bedeuten, das können auch die Texte sein, die man eigentlich gar nicht interpretieren möchte, die in einem bestimmten Moment eine bestimmte Rolle spielen, die sie später vielleicht nicht mehr einnehmen können. Intensive Lektüreerfahrungen sind ja nicht unbedingt wiederholbar. In meinem Fall ist das ein Text, den ich glaube, gar nicht verstehen zu können. Es handelt sich um eine Begegnung mit einem eigentlich abweisenden, sperrigen Text, mit den vergilischen Georgica. Die Passage, die mich besonders anzugehen schien, war die Beschreibung des Gartenbaus im vierten Buch. Der Gartenbau ist eine gewissermaßen eingesprengte, kurze Episode zwischen den anderen großen Themenfeldern der Landwirtschaft, aber das war auch das Moment, das so einnehmend war, dass ein Text sich selbst gegenüber seinem Kontext verschließt, sich auch dem Leser gegenüber in seiner Funktion erst einmal verschließt. Diese Geste des Abweisens, des Rückzugs des Textes in sich selbst war vielleicht das eigentliche Faszinosum.
Joséphine Jacquier: Welche Antwort geben Sie besorgten Familienmitgliedern, wenn diese sich nach Ihren Berufswünschen erkundigen?
Matthias Dyck: Ich werde in der Familie mittlerweile nur noch selten gefragt. Trotzdem – die Frage nach dem Berufswunsch erhält man in diesen Studiengängen, zumindest in Deutschland, mindestens einmal im Monat. Unsere Vorstellungen vom prekären Leben nach einem akademischen Abschluss ohne festes Berufsbild sind vielleicht nicht völlig unberechtigt, werden aber durch die Wahrnehmung der Lage in anderen Ländern, etwa den USA, auch verzerrt. In Deutschland ist die Arbeitslosenquote unter Geisteswissenschaftlern nur wenig höher als in anderen Fachbereichen. Natürlich ist die Arbeitslage schwierig, man darf das nicht schönreden, Geisteswissenschaftler brauchen im Schnitt zehn Jahre länger, um einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten, sie verdienen im Schnitt weniger als Absolventen anderer Studiengänge.
Joséphine Jacquier: Nun ist es ja für die eigene Biographie nicht nur wichtig, was man studiert, sondern vielleicht auch wo. Vielleicht gibt es da ein Lied, das ihr Lebensgefühl in Heidelberg ganz gut beschreibt?
Matthias Dyck: Es gäbe da sicher verschiedene Möglichkeiten, erst einmal neigt die Stadt immer so zu einer antikisierenden Atmosphäre, Touristen laufen durch alte Kulissen, die so alt nicht sind, sondern zumeist erst aus dem 18. Jahrhundert stammen. Wir vergessen in der Heidelberger Altstadt oft, dass sie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eigentlich das alte Elendsviertel von Heidelberg war, bis um 1970 die Straßenbahn aus der Hauptstraße entfernt wurde. Zu der Zeit bekamen die meisten Wohnungen in der Altstadt überhaupt fließend Wasser. Heidelberg ist immer so ein Ort, mit dem man immer ringt, wenn man dort lebt. Nietzsche sagte einmal über die Deutschen, dass bei ihnen die Frage, was „deutsch“ sei, niemals aussterbe. In einer banaleren Form könnte Heidelberg eine Stadt sein, die sich selbst problematisch bleibt.
Man sollte es unbedingt vermeiden, einen dieser alten Heidelberg-Schlager zu nehmen. Heidelberg hat eine lebendige Swingtanzszene. Das Leben in einer so breiten Gegenwart, die verschiedene Jahrzehnte in sich aufzuheben versucht, funktioniert in Heidelberg, glaube ich, besonders gut. Deshalb wäre vielleicht so ein Anachronismus wie ein Electro-Swing-Song besonders typisch. Diese Stadt ist (hoffentlich) im Guten ebenso wie im Schlechten fähig zum Anachronismus.
Joséphine Jacquier: Ich verstehe. Zum Schluss, Herr Dyck, wäre jetzt noch die Gelegenheit, allen zukünftigen Heidelberger Komparatistinnen und Komparatisten etwas mit auf den Weg zu geben.
Matthias Dyck: Der Komparatistik in Heidelberg stellt sich ein Problem, das die Komparatistik allgemein hat, also ein Problem im emphatischen und positiven Sinne. Die souveräne Wahl ist etwas, das unbedingt nötig ist sowohl in der komparatistischen Arbeit als auch in der Wahl der zahlreichen Optionen im Studiengang selbst. Die Wahl gilt es gewissermaßen zu lernen, ohne beim Treffen der Wahl immer schon zu wissen, ob sich das Ergebnis den Kriterien der Wahl kommensurabel erweisen muss. Komparatistik ist im besten Sinne des Wortes gewagt.
Joséphine Jacquier: Danke, auch für dieses schöne Schlusswort!