Promotionsprojekte
- Christina Lucas, Poetologie des Gedankengangs. Der Flaneur unterwegs in antiken Textwelten (Arbeitstitel)
Der Gedankengang wird nicht erst seit dem gegenwärtigen Achtsamkeitstrend durch die Generationen X, Y und Z im virtuellen spiritual place gehypter Meditationsapps wie Headspace verfolgt: Die Interdependenz von Gehen und Denken beherrscht seit jeher den diskursiven Raum philosophisch-literarischer Textwelten und fügt sich desgleichen in die soziologische Theoriebildung ein. Der Flaneur, der sich abseits der Moderne natürlicherweise in anthropologisch anderer Formung und Denotation zeigt, soll im hier angestrebten Versuch einer Archäologie der flânerie bestimmend sein.
Als besonders eindrückliches Beispiel für die aktuelle Relevanz des Forschungsprojektes mag das Pandemiegeschehen während der Jahre 2020 bis 2023 gelten. Dieses kann und konnte in seiner Brisanz sowohl kreativer Provokationspunkt sein, als auch aufgrund des dadurch bedingten Mangels an Kontakt und Austausch geistige Konfrontation als denkanstoßendes Hindernis unterbinden: Wie ist und war dieser Situation der Enge und des Beschränkt-Seins oftmals besser zu entkommen als durch das Hinausgehen ins Freie, wenngleich mit dem erforderlichen Abstand zum Gegenüber? Der Spaziergang in all seinen Facetten boomt, er erlebt eine Renaissance. Vor diesem Hintergrund ist die im Gedankengang angelegte Möglichkeit zur Erkundung des existentiell intellektuellen Bedürfnisses des Gehens und Denkens nicht nur in einer möglichen Retrospektive aktueller denn je zuvor. Zugleich stellt dies ein Desiderat in der Forschung dar, konzentrieren sich die (literatur-)wissenschaftlichen Studien doch bisher auf die westlichen Literaturen der Moderne und in Teilen auf diejenigen der Gegenwart.
Ziel dieses Dissertationsvorhabens ist es, mittels eines Textkonvoluts aus der lateinischen Literatur durch die komparatistische Kontrastfolie europäischer moderner Literaturen zu untersuchen, inwiefern der Flaneur einen literarischen Typus darstellt, der in seinem spezifischen Modus des Gehens und Denkens bereits in antiken Texten präfiguriert ist. Das Postulat des Flanierens als intellektueller Gestus erweckt die zentrale Forschungsfrage, inwiefern ein Archetypus des Flaneurs als poetologisches Konstituens an der Textoberfläche antiker Literatur manifest wird oder als bloße Motivik des Gehens angelegt ist. Die Untersuchung der jeweiligen Aspekte kann in einer Poetologie des Gedankengangs münden.
Betreuung: Jürgen Paul Schwindt / Joséphine Jacquier
- Isabel Mand, Zerstückelte Körper und entstellte Gesichter - Ästhetisierte Gewalt in lateinischer und französischer Kriegsliteratur und ihr Potenzial für die ästhetisch-literarische Bildung (Arbeitstitel)
Das Ziel meines Promotionsvorhabens ist es, Beschreibungen verstümmelter Körper in lateinischer und französischer (Bürger-)Kriegsliteratur zu untersuchen, die ihnen eigene Ästhetik offenzulegen und davon ausgehend das Potenzial dieser Texte für den schulischen Literaturunterricht auszuloten. Als Grundlage möchte ich zwei Texte aus Antike und Moderne heranziehen: Lucans unvollendetes Bürgerkriegsepos De bello civili und Andréas Beckers 2015 erschienene Erzählung Gueules, welche die im Gesicht verletzten und entstellten Soldaten der Grande Guerre, die sog. gueules cassées, thematisiert.
Die vergleichende Lektüre von Lucan und Becker soll zu vier Themenkomplexen erfolgen: (1) Körper und Identität, (2) der Mensch als monumentum, (3) Individuum und Kollektiv sowie (4) Sprache, Körper und Gewalt. Ich möchte im Rahmen dieser philologischen Analyse aufzeigen, welche Ästhetisierungsverfahren in literarischen Texten zur Anwendung kommen, wenn Gewalthandlungen im Zusammenhang von Krieg zum Thema werden. Davon ausgehend möchte ich diskutieren, welchen spezifischen Reiz die ästhetische Erfahrung solcher Texte bieten und wie diese in den schulischen Literaturunterricht integriert werden kann.
Mein Dissertationsprojekt zeichnet sich durch einen innovativen Ansatz aus: Er verbindet die philologische Analyse eines antiken und modernen Textes mit einer Reflektion der aus der Lektüre gewonnenen Erkenntnisse vor dem Hintergrund psychologischer, (empirisch) ästhetischer und literaturdidaktischer Forschung. Im Anschluss möchte ich skizzieren, wie anhand der analysierten Texte ästhetisch-literarische Bildungsprozesse im fremdsprachlichen Unterricht angestoßen werden können. Damit spiegelt mein Projekt mein Interesse an Fragestellungen wider, die sich an der Schnittstelle von Literaturwissenschaft, Literaturdidaktik und (empirischer) Ästhetik bewegen und sich im Laufe meines Lehramtsstudiums der Latinistik, Französistik und Psychologie entwickelt haben.
Betreuung: Joséphine Jacquier/Herle-Christin Jessen
- Ilaria Pinzo, Ovid-Calvino: Sechs Interpretationsvorschläge für die Metamorphosen
Italo Calvino, ein Schriftsteller von großer literarischer Sensibilität, entwickelt in seinen Sechs Vorschlägen für das nächste Jahrtausend (1988) eine Vorstellung von Literatur, die auf sechs grundlegenden Eigenschaften besteht, welche jedem großen Werk gemein sind: Leichtigkeit, Geschwindigkeit, Genauigkeit, Sichtbarkeit, Vielfältigkeit und Konsistenz (unvollendet).
Calvino folgt den Spuren einiger der einflussreichsten Autoren der Antike und der Moderne, um diese sechs Qualitäten der Literatur zu thematisieren, die, so sein Wunsch, auch in die literarischen Werke der Zukunft hineinwirken sollen.
Unter den in diesem Werk vertretenen Autoren gibt es einen, den der italienische Schriftsteller besonders schätzt und in dessen Meisterwerk all die in den Sechs Vorschlägen theorisierten Merkmale der Literatur vorhanden sind: Dieser Autor aus der Vergangenheit, der mit zukünftigen Perspektiven beladen wird, ist Ovid.
Basierend auf diesen Qualitäten der Literatur bietet Calvino brillante interpretative Einblicke in die ovidischen Metamorphosen an: das Ziel meines Promotionsprojekts ist es, diese Gedankenkeime zu fundierter literaturkritischer Forschung weiterzuentwickeln.
Obwohl der italienische Autor nur das Vorhandensein einiger dieser Grundmerkmale in Ovids Werk konstatiert, ermöglicht seine Vision nichtsdestoweniger eine neue Perspektive, aus der man die Metamorphosen auf unerwartete, überraschende Weise betrachten kann, beispielsweise indem man einen Einblick in die auf die Literatur angewandte (Natur-)Wissenschaft wagt, wie Calvino vorzuschlagen scheint.
Calvinos Werk soll mir als Kompass dienen, um mich in dem besser zu orientieren, was in Ovids Werk noch unerforscht ist, und mir dabei helfen, innovative Interpretationsschlüssel zu finden, um ein neues Verständnis des ovidischen Gedichts zu erlangen.
Betreuung: Jürgen Paul Schwindt