Die Variation der Tradition. Modalitäten der Ritualadaption im Alten Ägypten
Projekttitel: Die Variation der Tradition. Modalitäten der Ritualadaption im Alten Ägypten, Projekt B9 des SFB 619 „Ritualdynamik“
Teilprojektleiter: Prof. Dr. Joachim Friedrich Quack
Wiss. Mitarbeiter: Dr. Laetitia Martzolff (Ait Amrouche), Dr. Andreas Pries
Finanzielle Förderung: DFG
Förderungszeitraum: -
Das SFB-Teilprojekt untersucht den Umgang der alten Ägypter mit ihren Ritualen dezidiert unter dem Gesichtspunkt der Veränderung, die in einer intensiven Interaktion mit der überkommenden Tradition wahrzunehmen ist. Der Erfassungszeitraum erstreckt sich von etwa der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. bis in das 3. Jahrhundert n. Chr..
Insbesondere bei Kompositionen, die über sehr lange Zeit tradiert wurden, können bereits unintentional, d.h. rein infolge unaufmerksamer Abschrift, in ihrem Textbestand Schäden auftreten - als deren Folge man dann potentiell redaktionelle Arbeit annehmen kann, die aus dem zufällig entstandenen Wortlaut durch bewusste Arbeit wieder einen kohärent verständlichen Text erstellt. Daneben wurden vorliegende Ritualsprüche und Sequenzen sehr vielfältig in immer neue Gesamtgebilde eingearbeitet, insbesondere "neutrale" Szenentypen wie Reinigung mit Wasser und Weihrauch, Ankleidung und teilweise auch Speisepräsentationen, die sich in verschiedensten Festzusammenhängen einbauen ließen. Eine sehr intensive Umarbeitung von Ritualvorlagen für je konkrete Situationen ist im Rahmen der Dekoration von Tempeln ägyptischen Typs in der griechisch-römischen Zeit zu beobachten. Sehr häufig hat man hier auf vorliegende Langfassungen von Ritualsprüchen oder liturgischen Hymnen zurückgegriffen, daraus aber nur einzelne Phrasen oder Sätze herausgegriffen, neu zusammengemixt und stellenweise mit Versatzstücken anderer Herkunft verbunden. Damit liegt hier eine Situation vor, an der sich Ritualtransfer geradezu exemplarisch fassen lässt. Gleichzeitig bringt die vielfältige Einsetzbarkeit von Ritualen auch den Gesichtspunkt der Agency in den Vordergrund. Ähnliche Rituale sind im königlichen Umkreis und der Elite, aber auch in der weiteren Bevölkerung bis wenigstens in die Mittelschicht gut fassbar. Gleichzeitig ist geplant, über die im SFB auch jetzt schon fruchtbar gemachte Agency-Frage hinaus auch die Problematik der "zufallsbedingten" Überlieferungsveränderungen methodisch anzugehen.
Um das ausgesprochen reiche ägyptische Material für die Fragestellung des SFB ergiebig zu machen, sollte es sinnvollerweise in seiner doppelten Dimension der Dynamik genutzt werden. In einem ersten diachronen Teilprojekt werden Ritualsprüche mit sehr langer Bezeugungszeit untersucht. Es soll darum gehen, Veränderungen nicht einfach als Fehler zu verstehen, sondern auf ihre Aussage hinsichtlich eines veränderten Textverständnisses zu befragen. In einem zweiten, synchron ausgerichteten, Teil soll analysiert werden, wie man bei der Montage individueller, jeweils neuer Opfertableaus aus vorgefertigten Bausteinen verfährt.