Das Jahr 1945 erwies sich für die deutschen Sinti und Roma nicht als signifikanter Bruch, denn auf gesellschaftlicher, aber vor allem auf staatlicher Ebene waren antiziganistische Vorurteilsstrukturen und Muster weiterhin handlungsleitend.
Die an diesem Prozess maßgeblich beteiligten Akteure, die die Exekutive, Judikative und Legislative repräsentierten, bildeten einen Querschnitt der Staatsgewalt auf Länderebene. Zahlreiche frühere Täter aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes stritten ihre Verantwortung für die Verfolgung von Sinti und Roma ab und wurden für ihre Beteiligung am Völkermord in den seltensten Fällen strafrechtlich belangt. In Spruchkammerverfahren nur als "Mitläufer" eingestuft konnten sie nach einer kürzeren Zwangspause wieder in den Staatsdienst zurückkehren. Auf eben diese von der baden-württembergischen Regionalforschung bislang kaum beachtete Personengruppe richtet sich das vorliegende Dissertationsprojekt.
Die Studie soll die Themenschwerpunkte Entnazifizierung und Reintegration des Personals in den Behörden, die justizielle Ahndung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, die Entschädigung der Überlebenden sowie deren erneute Ausgrenzung und Diskriminierung umfassen. Exemplarisch für den Verwaltungsapparat sollen verschiedene baden-württembergische Behörden wie etwa Ministerien, die Landesämter für Wiedergutmachung oder die Kriminalpolizeidienststellen stehen. Die Regionalstudie erstreckt sich über den Zeitraum zwischen 1945 und Beginn der 1970er Jahre.
Unter anderem sind folgende Fragen erkenntnisleitend:
Prägten die nationalsozialistische Ideologie/kriminalbiologische Paradigmen und antiziganistische Grundhaltungen die Handlungen des nach 1945 eingesetzten Personals? Wurde Antiziganismus offen kundgetan? Welches "Zigeuner"-Bild lag der Entscheidung den Beamten zugrunde? Setzten die Behörden ihre Beteiligung an der Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma nach Kriegsende fort oder lassen sich auch Brüche bzw. Zäsuren erkennen?