Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern | Projekt "Humanisierung des Arbeitslebens"

Aushandlung und Teilhabe im Programm “Humanisierung des Arbeitslebens“.
 

Eine Untersuchung innerbetrieblicher Reformvorhaben bei der Peiner AG, 1975-1984
 

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Rundarbeitstische der Blankmacherei in der Peiner AG.(AdsD Hausakten AKF 17086).

Die 1970er Jahre waren eine Zeit der ökonomischen Krise, gekennzeichnet durch eine sinkende Inlandsnachfrage und Beschäftigung bei gleichbleibender Inflation. Die Industrie reagierte mit Rationalisierungen; die Arbeiterschaft mit Streiks. In dieser Situation initiierten die Bundesministerien für Forschung und Technologie und für Arbeit 1974 das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ (HdA). Wettbewerbsfähigkeit sollte gestärkt, zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen vermittelt und zugleich in den Unternehmen Arbeitsbedingungen, Mittbestimmungsmöglichkeiten und Produktionsformen verändert werden.
 

Ziel unseres Projektes war es, Möglichkeiten und Grenzen der politischen Steuerung in ökonomischen Krisenverläufen auf Unternehmensebene sichtbar zu machen. Anhand der Umsetzung des HdA-Programms bei der Peiner AG, einem Maschinen- und Schraubenunternehmen mit Staatsbeteiligung, untersuchte es Aushandlungsprozesse bei der Implementation von Veränderungen. Da die Humanisierungsprojekte im Betrieb von Sozialwissenschaftler:innen wissenschaftlich gestaltet und begleitet wurden, entstand eine große Zahl von Quellen für die historische Arbeit, die Ergebnisse und Verlauf der Projekte dokumentieren: Protokolle, Fotografien und der Projektfilm „Die Anschneidemaschine“. Ergänzend zu diesen Quellen wurden im Zuge der Untersuchung zudem eine kleine Zahl oral-history-Interviews mit betrieblichen Akteuren sowie dem Projektleiter der HdA-Projekte in Peine durchgeführt.
 

Die Ergebnisse unseres Projektes lasse sich wie folgt zusammenfassen: Die Strukturen der betrieblichen Interessenvertretung und ihre Akteure wurden durch beide HdA-Projekte in Peine deutlich gestärkt. Dies hat seine Ursachen unter anderem in einer aktiven Parteinahme der Sozialwissenschaftler:innen für die Belegschaften, aber auch im produktiven Wechselspiel zwischen der Humanisierung und der zeitgenössischen Sozialgesetzgebung, wie dem schon vor dem HdA-Programm novellierten Betriebsverfassungsgesetz (1972). Die Gruppe der betrieblichen Führungskräfte verlor hingegen an Direktionsrechten. Diese Kräfteverschiebung verlangsamte mitunter Prozesse der Krisenbewältigung, ermöglichte jedoch die Einflussnahme aller betrieblichen Stakeholder in Bezug auf Umstrukturierungen. Die HdA-Projekte schufen neue Wege der Interessenverfolgung und qualifizierten die Beteiligten zu spezifischem Interessenhandeln, wodurch jedoch andere Formen delegitimiert wurden: Während es die Projekt- und Arbeitsgruppen des Humanisierungsprojektes vermochten auch betriebliche Randgruppen einzubinden, gelang dies innerhalb der etablierten Strukturen der Interessenvertretung, wie dem Betriebsrat, nur eingeschränkt.
 

Die intersektionale Perspektive, die Differenzkategorien wie Geschlecht, Alter oder Herkunft in die Untersuchung einbezieht, zeigt, dass weibliche und migrantische Mitarbeitende weniger von der Projektarbeit profitierten. Ihre prekären Beschäftigungsverhältnisse konnten nicht langfristig gesichert werden, sie standen darüber hinaus unter dem Druck der Krise. Zudem blieben ihnen Qualifikationsmöglichkeiten und Aufstiegsmöglichkeiten im Betrieb versperrt. Es zeigte sich eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Wissenschaftler:innen und den Interessen der Beschäftigten. Überzogen Erwartungen an betriebliche Solidaritäten kollidierten mit subjektiven Rationalitäten des betrieblichen Alltags, zu denen das Erlangen kleiner persönlicher Vorteile zählen konnte. Die zu Tage getretenen Binnenkonflikte wirkten sich hemmend auf die Projektziele des HdA-Vorhabens aus.
 

Es zeigte sich schließlich, dass die ökonomische Krise des Unternehmens den reibungslosen Ablauf der Humanisierungsprojekte behinderte. So schieden immer wieder Projektgruppenteilnehmer:Innen aufgrund der hohen Fluktuation innerhalb der Abteilungen aus. Auf der anderen Seite stärkte das Humanisierungsanliegen den betrieblichen Zusammenhalt. Neue Kommunikationsstrukturen wurden durch HdA etabliert und die Durchlässigkeit von Informationen innerhalb des Unternehmens deutlich verbessert.
 

Das Forschungsprojekt ist beendet und die Ergebnisse werden in einem Sammelband, der die Ergebnisse des Projekts im Forschungsfeld Arbeitsgestaltung und Krisenbewältigung verortet, einem Quellenband und einer Dissertation publiziert. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein wissenschaftlicher Austausch und eine Einbettung der Erkenntnisse in den aktuellen Forschungsstand finden sich auf der Website des interdisziplinären Arbeitskreises „Humanisierung der Arbeit“, insbesondere auf dem Blog.

Ein kurzes Video der Hans-Böckler-Stiftung zur Geschichte des Forschungsprogramms finden Sie hier.


 

Beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler:

Dr. Gina Fuhrich
Dr. Sebastian Knoll-Jung
Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern
Arne Schott, M.A.

 

 

 

 

 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 14.03.2022
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