Post-Doc-Projekt | Praktiken der Sorge im gesellschaftlichen Wandel

Praktiken der Sorge im gesellschaftlichen Wandel. Kleinkindbetreuung in den 1970er Jahren im deutsch-deutschen Vergleich (abgeschlossen)

Forschungsprojekt an der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte von Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern am Historischen Seminar, gefördert durch die DFG

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Mitarbeiter 
 
Ehem. Mitarbeiter*innen:
Janina Bechtold, Sebastian Dörr, Eylul Tufan, Nicolas Vernola, Henrike Sophie Scharff

 

Thema

Eine Verbesserung der Betreuungs- und Erziehungssituation von kleinen Kindern kann sich aber nicht in einer solchen sozialplanerischen Perspektive erschöpfen. Unter pädagogischen Gesichtspunkten scheint es wichtig, die mit den jeweiligen Optionen verbundenen Konzepte und die pädagogische Qualität der jeweils konkreten Betreuungs­umwelten weiter zu entwickeln. In den 70er Jahren gegebene Forschungsanstrengungen wie z.B. das Erprobungsprogramm (vgl. Krappmann 1985) oder das Modellprojekt „Tagesmütter“ (vgl. BMJFG 1980a) haben weder eine Fortsetzung noch eine im Kern notwendige Ausweitung gefunden.

Tietze, Wolfgang/Roßbach, Hans-Günther: Die Betreuung von Kindern im vorschulischen Alter, in: Zeitschrift für Pädagogik 4 (1991), S. 555, hier S. 575 .

 

Der Umstand, auf den Tietze und Roßbach in dieser Veröffentlichung hinweisen, hebt die bemerkenswerte Leerstelle hervor, welche Kleinkindbetreuung und -forschung in der Bundesrepublik nach der "geistig-moralischen Wende" bis in die späten 1990er Jahre bildete. Erst Ende der 1990er und in den frühen 2000er Jahren veränderten unter anderem die politischen Programme der OECD zur individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung der Frühen Kindheit dieses Bild. Sie bilden die Grundlage des gegenwärtigen Booms der "Frühen Kindheit" in pädagogischen, psychologischen und darüber hinausreichenden Forschungsprojekten ebenso wie im familiären Bereich.

 

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"Gute Betreuung in Saalfelder Kinderkrippe" 1982, Kasper, Jan Peter;
Bundesarchiv Bild 183 Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst.

Doch Tietze und Roßbach weisen ebenfalls - wie jüngst Felix Berth nochmals dargestellt hat - auf ein aufgeflammtes Interesse an den Kleinkindern in den 1970er Jahren hin, welches in staatlichen Projekten wie den Tagesmüttern oder Kuno Bellers Krippenforschung in Westberlin seinen Ausdruck fand. Die im Vergleich dazu ungleich intensivere staatliche Forschung zur frühen Kindheit erfolgte in den USA, in Schweden, in Frankreich sowie in Großbritannien oder in der DDR, wo teilweise groß angelegte, vergleichende Forschungsvorhaben umgesetzt wurden. Neben den staatlichen Stellen erfolgten in vielfältigen privaten und autonomen Kontexten Versuche, das Leben von kleinen Kindern anders zu gestalten. Kinderläden ebenso wie die erneuten Debatten um das Stillen oder die gelungene Geburt ebenso wie die Einforderung von neuer Vaterschaft zugunsten der kindlichen Entwicklung sind Beispiele des neuen Problembewusstseins um die besondere Bedeutung der frühen Kindheit. Die historischen Akteure bemühten sich neue Formen der Sorge, der Beziehungen zum Kind, zu entwickeln, um eine Umgebung zu schaffen, in der Kinder "Ich-feste", "sicher-gebundene", selbstbewusste und soziale Individuen werden können. Auch in der DDR wurden spätestens mit der "Neuen Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" neue Ansprüche an eine professionelle und allseitig bildende Kinderkrippe formuliert. In beiden deutschen Gesellschaften wurde frühe Kindheit wissenschaftlich und politisch neue problematisiert. Der Slogan "das Private ist Politisch" entzündete sich besonders am Bereich der Kinderbetreuung, beschränkte sich aber keineswegs nur auf die Gewährleistung von Betreuungsplätzen, sondern auch an der Form und Gestalt der Sorge, die in der familiären und außerfamiliären Betreuung geübt wurde. Vor diesem Hintergrund können (ausbleibende) Problematisierungen des Stillens, des Kindertragens, der künstlichen Milchnahrung für Säuglinge, der Reinlichkeit oder der Selbstständigkeit in größere, wissenschaftliche und politische Zusammenhänge eingeordnet werden

 


Vorgehen

Im Zentrum des Vorhabens stehen zwei Untersuchungsgegenstände, erstens das Modellprojekt „Tagesmütter“ der Bundesregierung zwischen 1974 und 1980 sowie zweitens die Entwicklung eines Erziehungsprogramms und der begleitenden Krippenforschung am Institut für die Hygiene des Kindes- und Jugendalters der DDR zwischen 1968 und 1985. Das Projekt untersucht dabei die These, dass der Eindruck des sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandels der ‚langen 1970er Jahre‘ – die Hervorbringung neuer Produktions- und Konsumverhältnisse im Strukturwandel – ebenfalls neue Sozialisationsverhältnisse ermöglichte, in welchen eine andere frühe Kindheit entstand.

 

Quellen 

  • Fotografien - Visual Artefakte aus dem Kontext frühe Kindheit
  • Zeitzeugeninterviews mit ErzieherInnen und WissenschaftlerInnen 
  • Archivalische Überlieferung 
  • publizierte wissenschaftliche Begleitforschung

 

Mapping_Projekt

 

 

weitere Informationen (Lehrveranstaltungen, Publikation) 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 08.04.2024
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