Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern | Verbundprojekte „Frühe Kindheit im 20. Jahrhundert“
Verbundprojekte „Frühe Kindheit im 20. Jahrhundert“
Seit dem Jahr 2013 gibt es in der Bundesrepublik einen Rechtsanspruch auf Tagesbetreuung ab dem ersten Lebensjahr. Neben der tatsächlichen Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen bei Tageseltern und in Krippen hat seitdem die Frage der Qualität von Sorgearbeit im Säuglings- und Kleinkindalter an neuer Brisanz gewonnen. Die gegenwärtigen Debatten kennzeichnen Diskurse und Praktiken, die zunächst neu erscheinen, aber wie die historische Untersuchung verdeutlicht, grundlegende Fragen aktualisieren, die seit der Nachkriegszeit kontrovers debattiert wurden. Die gesellschaftliche Diskussion zur frühkindlichen Bildung und Sorgearbeit im Krippen- und Tagespflegewesen erfolgte bisher allerdings weitgehend ohne historische Grundlagen. An der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Historischen Seminar der Universität Heidelberg werden im Rahmen mehrerer Projekte die Geschichte von Sorgearrangements und Sorgebeziehungen der frühen Kindheit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erforscht. Ziel ist es, Wandlungsprozesse, Zäsuren, vorherrschende Konzepte sowie gesellschaftliche Bedingungen von Sorge für Kinder in historischer Perspektive zu beleuchten. Alle Projekte nehmen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen die sozialpolitische, familiäre, personelle sowie die institutionelle Seite der Kleinkindbetreuung in den Blick. Als Akteurinnen und Akteure in der Rahmung und Gestaltung von Sorgebeziehungen in der Kindheit werden ministeriale und kommunale Amtsträgerinnen und Amtsträger, Eltern, Betreuerinnen und Betreuer oder Erziehungseinrichtungen sowie Kinder betrachtet. Die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Untersuchungen umfassen regionalgeschichtliche Schwerpunkte, einen deutsch-deutschen Vergleich und die Perspektive intergenerationeller Beziehungen. Durch interdisziplinäre Kooperationen und Oral History-Interviews wird ein wichtiger Quellenbestand für die historische Erforschung von Sorgebeziehungen zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen aufgebaut und damit Erfahrungen und Perspektiven aus einer zentralen Umbruchszeit der Kindheitsgeschichte des 20. Jahrhunderts gesichert. Dies dient dem weiteren Ausbau des historischen Forschungsschwerpunkts zur frühen Kindheit an der Universität Heidelberg.
Teilprojekte und beteiligte Wissenschaftler/innen:
- Tagesmutter oder Krippe. Eine Oral History-Studie zur Kleinkindbetreuung in den 1970er Jahren (Laura Moser, M.A., abgeschlossen)
- Als Mutter zum Beruf wurde. Das Modellprojekt ,Tagesmütter' 1974 – 1978 (Laura Moser, M.A.)
- Aushandlungsprozesse und Betreuungspraktiken in der frühen Kindheit. Eltern als (Haupt-)Akteure in der Kleinkindbetreuung zwischen 1960 und 1990 (Kathrin Kiefer, M.A.)
- Post-Doc-Projekt: Praktiken der Sorge im gesellschaftlichen Wandel. Kleinkindbetreuung in den 1970er Jahren im deutsch-deutschen Vergleich (Dr. Max Gawlich, abgeschlossen)
- Projekt: Zeit mit (Groß-) Vätern. Zeitbudgets und Formen männlicher Elternschaft im Strukturwandel der 1970er Jahre (Dr. Gina Fuhrich und Hannah Schultes, M.A.)
- Interdisziplinäres Projekt: Elternschaft im Wandel – Transforming Parenthood (Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, Mirjam Lober, M.A.)
Bisherige Ergebnisse der Projekte
Blog: Elternschaft nach dem Boom
Der Blog entsteht im Rahmen des Forschungsprojekts „Zeit mit GroßVätern“, das die sozialen Rollen und Praktiken männlicher Elternschaft zwischen 1960 und 1990 untersucht. Das Projekt nähert sich dem Thema aus einer geschlechterhistorischen ebenso wie aus einer familiengeschichtlichen Perspektive und richtet den Blick sowohl auf die Normen und Formen von Männlichkeit als auch auf die Beziehungen von Männern zu ihren Kindern und Enkeln. Der Blog dient der Perspektiverweiterung und porträtiert die Veränderungen im Selbstverständnis und im Alltagshandeln von Eltern sowie in der Sorgearbeit an (Klein)Kindern zwischen 1960 und 1990.
https://grossvater.hypotheses.org/
Aufbau eines Interview-Archivs zur Frühen Kindheit
Bislang haben wir über 70 Oral History-Interviews mit Tagesmüttern, Erzieherinnen und Erziehern, Eltern und Großeltern rund um das Thema „Kleinkindbetreuung im Wandel“ geführt. Die Gespräche werden nach Abschluss der Projekte dem Universitätsarchiv Heidelberg übergeben und stehen für wissenschaftliche Zwecke zu einer Zweitnutzung zur Verfügung. Derzeit arbeiten wir an der Vorbereitung eines Interview-Archivs zur Frühen Kindheit, das neben den Audiodateien auch Hintergrundinformationen zu den Interviewpersonen, inhaltliche Zusammenfassungen der Gespräche sowie (Teil-)Transkripte enthalten wird. Alle datenschutzrechtlichen Bestimmungen werden dabei selbstverständlich eingehalten und alle personenbezogenen Angaben anonymisiert.
Zudem befinden sich mehrere Publikationen in Vorbereitung.
Veranstaltungen
Kindheit, Elternschaft, Reproduktion. Historisches Forschungskolloquium seit 12/2020, Heidelberg
Marsilius kontrovers mit Katja Patzel-Mattern u.a.: Diskussionsabend zum Thema „Ab in die Krippe! Wer profitiert?“, 04.07.2019, Heidelberg, Link zur Aufzeichnung (https://www.youtube.com/watch?v=ZYof_FcPqt4) Workshop: Oral History und die historische Forschung zur frühen Kindheit. Quellen, Methoden, interdisziplinäre Perspektiven, 19.11.2018, Heidelberg
Pressespiegel
Neue Väter, alte Rollen: „Geschlechterbilder wandeln sich nur sehr langsam” - SWR2: Vom strafenden Familienoberhaupt zum zugewandten Familienmitglied: Das Selbstverständnis von Vätern habe sich seit den 70er Jahren stark gewandelt, sagt die Historikerin Katja Patzel-Mattern in SWR2.
Neues Forschungsprojekt zum Vatersein im historischen Wandel, Katholische Nachrichtenagentur Basisdienst, 20.4.2021.
https://www.uni-heidelberg.de/de/newsroom/neue-vaeter-mit-mehr-zeit-fuer-ihre-kinder
Vernetzung
Um das Feld der Kindheitsgeschichte auszubauen, formte such 2023 der Arbeitskreis Kindheitsgeschichte. Seit Sommer 2024 ist er eine Arbeitsgemeinschaft im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V.
Auch unsere Forschungsprojekte sind Teil der Arbeitsgemeinschaft; vor allem für Prae- und Postdocs bietet die Arbeitsgemeinschaft wertvolle Anregungen.
Mehr Informationen finden sich hier.
Vorträge
Laura Moser/Katja Patzel-Mattern: Warum Tagesmutter kein Beruf ist, Vortrag auf der Konferenz zum “Gender Pay Gap – Vom Wert und Unwert von Arbeit“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, am 22./23.4.2021
Katja Patzel-Mattern: Ab in die Krippe! Wer profitiert?, Diskutandin bei der Podiumsdiskussion im Rahmen von Marsilius kontrovers am 4.7.2019, Universität Heidelberg
Katja Patzel-Mattern: Beruf Mutter. Die Professionalisierung privater Kinderbetreuung, Vortrag am 3.7.2019 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Reproduktion, Ökonomie und Gesellschaft – Historische und ethische Perspektiven“ des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät, Universität Heidelberg
Laura Moser: Oral History als Quelle für die Geschichte der frühen Kindheit. Vortrag am 28.11.2019 im Rahmen des Workshops „Zugänge zu einer Sozial- und Kulturgeschichte der Adoption“, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin und Philipps-Universität Marburg
Laura Moser: „Solche Sachen soll man nicht für Geld machen“ – Professionalisierung und Praktiken häuslicher Kleinkindbetreuung in den 1970er Jahren. Vortrag am 12.02.2019 im Rahmen des Workshops „Perspektivwechsel – Protokolle und Oral History-Interviews als Quellen einer Neuen Geschichte (der Arbeit)“, Universität Heidelberg
Max Gawlich und Laura Moser: Beziehung statt Bindung – Kindheitsgeschichte als Beziehungsgeschichte. Vortrag am 25.01.2019 im Rahmen des Workshops „Kindheitsgeschichte(n) – Grenzen mit und überdenken“, Universitäten Hildesheim und Köln
Max Gawlich: Geschichte der frühen Kindheit als Beziehungsgeschichte? Vortrag am 19.11.2018 im Rahmen des Workshops „Oral History und die historische Forschung zur frühen Kindheit. Quellen, Methoden, interdisziplinäre Perspektiven“, Universität Heidelberg
Kathrin Kiefer mit Leyla Kirrstetter: Interdisziplinäre Forschungsmethoden: Kinder-Betreuer-Interaktionen in historischen Quellen und sozialwissenschaftlichem Material. Vortrag am 19.11.2018 im Rahmen des Workshops „Oral History und die historische Forschung zur frühen Kindheit. Quellen, Methoden, interdisziplinäre Perspektiven“, Universität Heidelberg
Laura Moser mit Wiebke Evers: Audio(-visuelle) Methoden und Quellen zur frühen Kindheit in der Geschichtswissenschaft und Entwicklungspsychologie. Vortrag am 19.11.2018 im Rahmen des Workshops „Oral History und die historische Forschung zur frühen Kindheit. Quellen, Methoden, interdisziplinäre Perspektiven“, Universität Heidelberg
Max Gawlich: Das Private und das Politische. Die Emanzipation zwischen Wahlrecht und Windeln wechseln 1918 und 1968. Vortrag am 09.11.2018 im Rahmen der Festwoche „100 Jahre Frauenwahlrecht der Universität Heidelberg“, Universität Heidelberg
Max Gawlich: „Familiäre Formen der Fremdbetreuung“ – Tagesmütter-Initiative und Ideale von Fremdbetreuung in den 1970er Jahren. Vortrag am 06.07.2018 im Rahmen der Tagung des Arbeitskreises Historische Familienforschung DGfE
Max Gawlich: Kleinkindbetreuung in den 1970er Jahren im deutsch-deutschen Vergleich. Vortrag am 06.10.2017 im Rahmen des Workshops „Kindheitsgeschichte(n) – dezentrierte Perspektiven, de- und rekonstruktive Lesarten“, Universität Köln
Katja Patzel-Mattern: Mutterschaft - Die Wirkung von obrigkeitlichen Regulierungen, sozialen Hierarchien und Wertzumessungen. Die historische Perspektive, Vortrag am 7.4.2017 auf dem Symposium „Leihmutterschaft - Aktuelle Entwicklungen und interdisziplinäre Herausforderungen“ des Marsilius-Kollegs, Universität Heidelberg
Max Gawlich: Geschichte der Kindheit, Vortrag am 21.04.2017 im Rahmenprogramm der Wanderausstellung „Verwahrlost und Gefährdet?“ Heimerziehung in Baden-Württemberg 1949-1975, Rastatt
Publikationen
Katja Patzel-Mattern/Sabina Pauen: How changes of gender roles in post-war Germany affect parental feelings of security regarding values associated with child rearing and child care, in: The impact of the family on character formation, ethical education and the communication of values in the late modern plural societies, hrsg. v. John Witte (in Vorbereitung). Leipzig: Evangelische Verlangsanstalt voraussichtlich Herbst 2021.
Katja Patzel-Mattern: Wert und Bewertung des Verleihens. Ein historischer Vergleich als Beitrag zur aktuellen Diskussion um Leihmutterschaft, in: Regulierung der Leihmutterschaft. Aktuelle
Entwicklungen und interdisziplinäre Herausforderungen, hrsg. v.Beate Ditzen und Marc-Phillippe Weller, Tübingen 2018, S. 9–21
Dies.: Der gemietete Bauch. Von Bestelleltern, Wunschkindern und Leihmüttern, zusammen mit Beate Ditzen und Marc-Phillipe Wellerin: Ruperto Carola. Forschungsmagazin. Themenheft „Frau und Mann“, Heidelberg 2017, S. 86–95.
Dies.: Eine Form körperlicher Erwerbsarbeit. Leihmutterschaft in historischer Perspektive, in: Herder-Korrespondenz Spezial (2017): Kinder, Kinder. Ethische Konflikte am Lebensanfang, S. 40–43.
Dies.: „Gesetz der Frauenwürde“. Else Kienle und der Kampf um den Paragrafen 218 in der Weimarer Republik, in: Bad Girls. Unangepasste Frauen von der Antike bis heute, hrsg. v. Anke Väth, Konstanz 2003, S. 177–199.
Dies.: „Volkskörper“ und „Leibesfrucht“. Eine diskursanalytische Untersuchung der Abtreibungsdiskussion in der Weimarer Republik, Körper mit Geschichte. Der menschliche Körper als Ort der Selbst-und Weltdeutung, hrsg. v. Clemens Wischermann und Stefan Haas, Stuttgart 2000, S. 191–222.
Lehrveranstaltungen und Exkursionen
Max Gawlich mit Birgit Nemec: Familie, Elternschaft und Generation (Übung im Wintersemester 2020/21)
Kathrin Kiefer: Diversität als Faktor für Wandel? Das Beispiel der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland (Quellenübung im Wintersemester 2020/21)
Laura Moser: Die Geschichte der Arbeit neu denken - race, class, gender und die Arbeit der Sorge in der modernen Arbeitsgesellschaft (Übung Wintersemster 2020/21)
Katja Patzel-Mattern: Frühe Kindheit im Wandel (interdisziplinäres Haupt- und Oberseminar mit Sabina Pauen/Psychologie im Sommersemester 2020)
Kathrin Kiefer und Laura Moser: Vom Bombensplittern, Barbiepuppen und Boybands. Kindheiten im 20. Jahrhundert (Quellenübung im Wintersemester 2019/20)
Kathrin Kiefer und Laura Moser: Exkursion zur Ausstellung „Verwahrlost und gefährdet? Heimerziehung in Baden-Württemberg 1949–1975“ (Tagesexkursion im Wintersemester 2019/20)
Max Gawlich mit Birgit Nemec: Chromosomen, Contergan und Kinderladen. Die Wissenschaftliche Neubestimmung des Kindes zwischen Boom und Krise der 1970er Jahre (Proseminar im Sommersemester 2018)
Max Gawlich: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“. Debatten zur Erwerbs- und Sorgearbeit in Deutschland und der Arbeitsmarkt für Frauen in den 1970er Jahren (Quellenübung im Sommersemester 2018)
Max Gawlich: Geschichte der Kindheit im 20. Jahrhundert (Quellenübung im Wintersemester 2016/17)
Bildnachweise zur Zeittafel:
1950er: Bundesarchiv, Bild-Nr. 183-S99403 | 1952: privat | 1961 / 1965: pixabay | 1965: Archiv O977 „In der Kinderkrippe, DDR, 1960er“ by Hans-Michael Tappen is licensed under CC BY-NC-SA 2.0 | 1966 (oben): Cover der Zeitschrift „Eltern“ 8 (1967) | 1966 (unten): Rhein-Neckar-Zeitung 80 (1965), S. 3 | 1973: pexels.com | 1974: tagesmütter. Informationen der Arbeitsgemeinschaft Tagesmütter für Pflegeeltern und Eltern 2 (1978), S. 5 | 1976: pixabay | 1980: pixabay | 1986: pixabay | 1990: privat