Ringvorlesung Wintersemester 2002/03

 

Der Berg.

Vorstellung und Wirklichkeiten
im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

Donnerstag 19-20 Uhr s.t.,
Neue Universität, Hörsaal 14,
Beginn: 24. Oktober 2002

 

 


Von den Edelsteinen
aus Konrad von Megenbergs "Buch der Natur",
um 1455
Heidelberg, UB: Cpg. 300, fol. 320v

 

 

Im Wintersemester 2002/03 ist es mit der Ringvorlesung zum Berg gelungen, die verschiedenen Disziplinen für ein Thema zu interessieren und hier ihre unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden einzubringen. Es soll dabei die Rede sein vom Gebirge sowohl als realem Umstand, etwa im Bergbau oder als zugleich schreckliche und heilsame Gegend, wie auch vom Berg als Vorstellung und als Symbol, das etwa für ein höheres Ansehen, für gesteigerte Gottesnähe oder erhabene Selbstfindung steht.

Im Rahmen anderer Heidelberger Veranstaltungen zum Thema des Berges, insbesondere auch im Hinblick auf die Ausstellung des Kunstvereins, hat man an jedem Donnerstagabend des Wintersemesters Gelegenheit, den Berg des Mittelalters aus einem der verschiedenen Blickwinkel von Heidelberger und eingeladenen Wissenschaftlern zu sehen und so an ihrer Suche nach einem Verständnis jener uns so fern erscheinenden Zeit teilzuhaben.

24. Oktober 2002
Bergbau - Recht, Metall, Macht
Prof. Dr. Dieter Hägermann (Bremen)

Der Bergbau gehört seit dem Hochmittelalter zu den wichtigsten Bereichen juristischer, gesellschaftlicher und technischer Innovation und Veränderung. Rechtskodifizierungen leiten ein neues Verhältnis zwischen Besitz und Arbeit ein; Metalle, gemünzt zu Silber- und Goldmünzen, verbürgen Macht, die Arbeit am und im Berg schafft soziale Differenzierung, die Beherrschung technischer Prozesse weist in die Zukunft einer Grundindustrie.

Mittwoch, 30. Oktober 2002, Neue Universität, Hörsaal 9
Berg und Gesundheit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit
Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart (Heidelberg)

In der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Medizin kommen Berg, Berglandschaft und Gebirge eine Reihe von Bedeutungen zu. Im Kontext der Diätetik liefert die Berglandschaft klare und saubere Luft (aer) als erste der sechs res nonnaturales, während das Wasser aus dem Berg nicht nur den reinen Trank (potus) liefert, sondern auch das Element des Bades.

Den Gebirgsbädern (z.B. Gastein, Pfeffers) und ihren frühen Beschreibungen wird daher Rechnung zu tragen sein. Der Berg ist darüber hinaus bedeutender Lieferant edler Steine und Mineralien, die im Kontext magisch-lithotherapeutischer Vorstellungen thematisiert werden sollen. Schließlich wurde der Berg in seinem Innersten auch als Träger von Giftstoffen erkannt, die die in ihm arbeitenden Bergleute mit typischen Bergkrankheiten versehen konnten; deren Beschreibung von Paracelsus bis Ramazzini soll ebenfalls nachgegangen werden.

07. November 2002
Berg, Burg und Herrschaft im hohen Mittelalter
Prof. Dr. Stefan Weinfurter (Heidelberg)

Hierarchische Ordnungsvorstellungen im hohen Mittelalter mußten durch die "Höhe" sinnfällig gemacht werden. Das hohe Mittelalter ist die Epoche der Höhenburgen, die auf dem Berg errichtet wurden. Jüngere Überlegungen deuten darauf hin, daß sie wie die gleichzeitigen Geschlechtertürme oder die Ministerialen-Motten kaum fortifikatorische Bedeutung besaßen. Sie mußten nur hoch sein oder in der Höhe liegen. Sie bildeten also symbolische Signale, mit denen Herrschaft, Vorrang und Autorität zum Ausdruck gebracht wurden. Diese Entwicklung, kennzeichnend für das hohe Mittelalter, ist damit zu erklären, daß sich die Gesellschaft in ihrer gedachten und etablierten Ordnung hierarchisch ganz fundamental umzubauen begann.

14. November 2002
Die spätmittelalterliche Adelsburg auf dem Berge. Eine Institution zu Schutz und Trutz und zum Prestige eines Hauses.
Prof. Dr. Jürgen Miethke (Heidelberg)

Zahlreiche Burgruinen zeugen von vergangenem Leben, das nicht im romantischen Schimmer einer idealisierenden Sicht vergoldet werden sollte. Die Burg ist ein Charakteristikum des spätmittelalterlichen Niederadels. Sozialgeschichtlich gehört sie als Statussymbol zu der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte dieses wichtigen Standes, muß freilich auch die Intensivierung der Herrschaftsverhältnisse in den Ländern durch besondere Maßnahmen (Öffnungsrecht, Lehnrecht) spezifisch ertragen und mitgestalten.

Die adligen Familien haben die Vererbung einer Burg in ihrer besonderen Konstruktion durch eine besondere Gestaltung der Eigentumsansprüche (Ganerbenrecht) zu handhaben versucht, was das alltägliche Leben auf den Burgen sehr komplizieren konnte. Der Vortrag soll diese Phänomene beleuchten und die Funktion und Entwicklung der Adelsburg zusammenfassend darstellen.

21. November 2002
Einsamkeit und Repräsentation: Kirchen und Klöster auf Berghöhen
Prof. Dr. Matthias Untermann (Heidelberg)

Dem Himmel näher sind Kirchen auf dem Berg. Engel und Heilige begegnen den Menschen auf Berghöhen, Einsiedler und Mönche ziehen sich in die Bergeinsamkeit zurück, heidnische Kultplätze auf "heiligen Bergen" müssen Kirchenbauten weichen, bedrohliche Burgen werden zu Stätten des Gebets umgewandelt.

Es gab viele Gründe, Kirchen und Klöster auf Bergen zu errichten und dabei Unwirtlichkeit, schwierige Versorgung und aufwendige Bauarbeiten in Kauf zu nehmen. Montecassino, der Mont-St Michel, die Comburg oder der Heiligenberg sind weithin bekannte und schon im Mittelalter hochbedeutende Kirchen und Klöster auf exponierten Bergen. Struktur und Wandel in Verhältnis von "Kirche" und "Berg" spiegeln einen sehr differenzierten Zugriff der Menschen des Mittelalters auf die sie umgebende Natur.

28. November 2002
Der atmende Berg
Prof. Dr. Lieselotte E. Saurma (Heidelberg)

Bedrohlich schieben sich die Berge der Insel Kolchos um den Abenteurer Jason, liebevoll umrahmen sie ein Liebespaar und schaffen ihm eine Nische scheinbarer Seligkeit, mitleidvoll beugen sie sich über den toten Helden oder erheben diesen in die Höhe seiner Erfolge.

Nicht um das Abbild des Berges nach der Natur geht es der mittelalterlichen Kunst, sondern er ist Attribut, Element der Erzählung, der hierarchischen Auszeichnung und wird nicht selten zu einem Träger von Gefühlen, einem aktiven Teilnehmer an den Ereignissen.

05. Dezember 2002
"In ain gebirg durch aventür"
Prof. Dr. Fritz Peter Knapp (Heidelberg)

Interesseloses Wohlgefallen an der Schönheit der Bergwelt, wie der Landschaft überhaupt, kommt in der mittelalterlichen Literatur nirgends einwandfrei zum Ausdruck. Während der Berg in seiner allegorischen Dimension durchaus präsent war, spielte er in der pseudorealen Erfahrung des Epos- oder Romanhelden in aller Regel eine periphere Rolle und dann nur als unkultivierte und antihöfische Gegenwelt, wo die feuerspeienden Drachen und die zauberkundigen, betrügerischen oder hilfsbereiten Zwerge hausen und dem Helden die Aufgabe des todesmutigen Befreiers und Beschützers zufällt.

12. Dezember 2002
Heilige Berge
Prof. Dr. Alessandro Nova (Frankfurt am Main)

Nach dem Fall von Konstantinopel im Jahre 1453 wurden die Reisen westlicher Pilger nach Jerusalem noch unsicherer. Um dieses Problem zu überwinden und den armen Leuten, die nicht die Mittel hatten, in das Heiligen Land zu reisen, die Möglichkeit einer Ersatzerfahrung zu geben, bauten die Franziskanerobservanten am Ende des 15. Jahrhunderts in der Lombardei den Heiligen Berg von Varallo.

Nach einer Erörterung der wichtigsten und zugleich ältesten Quelle über den Sacro Monte von Varallo, Questi sono li Misteri che sono sopra el Monte de Varalle, werden folgenden Punkte behandelt: die emotionale Erfahrung des damaligen Publikums, das Problem von 'High and Low' in der Produktion von Kunstwerken für die verschiedenen 'Stationen' des Heiligen Berges und der Begriff des 'Simulacrum'.

19. Dezember 2002
Von Giotto bis Gentile da Fabriano. Der Berg als kunsttheoretisches Studienobjekt in der Malerei des Trecento
Prof. Dr. Johannes Tripps (Bern / Heidelberg)

Seit dem späten Duecento hat die Darstellung des Berges bzw. des Gebirges mehr als nur attributive bzw. ikonographische Funktion. Scheinbar plötzlich erfüllt "der Berg" vielerlei kompositionelle Aufgaben. Er reflektiert das Licht der im Bilde dargestellten Tageszeit, dient der tiefenräumlichen Erschließung der Komposition oder suggeriert dem Betrachter einen erhöhten oder einen niedrigen Standpunkt und vieles mehr. Die Vorlesung möchte zeigen, was an wahren Kabinettstücken die jeweiligen Maler lieferten, was Fortsetzung fand und was erlosch.

09. Januar 2003
Die Bergler
Dr. Claudius Sieber-Lehmann (Basel)

Die Eidgenossen gelten im Spätmittelalter für Außenstehende als kurioses Bergvolk mit barbarischen Zügen, wie eine Reihe von Quellenbelegen eindrücklich zeigt. Das Selbstverständnis von Eingeborenen unterscheidet sich aber bekanntlich stark von derjenigen Sicht, die von außen herangetragen wird. Im zweiten Teil des Vortrags werden deshalb Strategien eidgenössischer Selbstrepräsentation gezeigt, bei denen unter anderem Berge eine wichtige Rolle spielen.

16. Januar 2003
Der verborgene Berg in Dantes Vita nova
Prof. Dr. Christof Weiand (Heidelberg)

'Der' Berg Dantes ist der Läuterungsberg - "lo monte che salendo altrui dismala" (Purgatorio XIII 3). Er ist in neun Kreisen angelegt und hierarchisch funktionalisiert. In aufsteigender Linie nimmt das Unheil ab (dismalare), wächst das Heil. Der Berg der Läuterung liegt, weithin sichtbar (Inferno XXVI 134-35), im Jenseits. Er konnotiert gestuftes Sein - psychisch, heilsgeschichtlich, eschatologisch. Auch das Diesseits ist geprägt von der Heilssuche.

Dantes Jugendwerk, die Vita nova, rekapituliert deren amortheologische Stationen. Ihre Topographie ist erstaunlich plan. Kommt diese Welt irdischer mancanza (Vn VII v 18) unter himmlischem splendore (Vn XLII v 7) ganz ohne Berg aus? Der Text tut so, als ob. Er spart das Wort monte sorgsam aus. Kann es da gelingen, Dantes im Text verborgenen Berg sichtbar zu machen? Der Berg als hermeneutisches Experiment.

23. Januar 2003
Der Berg in der Biographie
Prof. Dr. Walter Berschin (Heidelberg)

Apollonius von Tyana, der heidnische Wundertäter des 1. Jahrhunderts nach Christus, zieht über Euphrat und Tigris durch das Land der Brahmanen, um endlich den Berg zu erreichen, "auf dem die Weisen wohnen… Er steigt aus der Ebene empor, und seine natürliche Lage und Beschaffenheit sichert ihn gegen jeden Angriff, da er rundherum gleichmäßig von einem mähtigen Felsen umgeben ist". Die 18 Weisen, die dort wohnen, sind keine Götter, sondern nur "gute Menschen".

Der Vortrag verfolgt von der Philosophenbiographie der Spätantike bis zu den Klostergründern des hohen Mittelalters das Motiv des Berges in der Lebensgeschichte.

30. Januar 2003
Der Berg als Ort der Gottesbegegnung
Prof. Dr. Adolf Martin Ritter (Heidelberg)

In der jüdisch-christlichen Überlieferung verbindet man mit der Bergeinsamkeit mit Vorliebe zum einen den Ort der Versuchung (vgl. Matthäus 4, 1-11 mit Parallelen), zum anderen und vor allem den Ort der Gottesbegegnung (vgl. 2. Mose 24; 1. Könige 19; Matthäus 17, 1-13).

Das Fortwirken dieser Überlieferung im Hochmittelalter und in der Renaissance soll an Franziskus von Assisi einerseits und Francesco Petrarca andererseits aufgezeigt werden.

06. Februar 2003
Der Gipfel der Betrachtung
Prof. Dr. Jens Halfwassen (Heidelberg)

"Der Gipfel der Betrachtung" (De apice theoriae) ist der Titel der letzten Schrift des Nikolaus von Kues, in dessen Denken die mittelalterliche Philosophie in gewisser Weise ihren Höhepunkt erreicht. In dieser Schrift blickt Cusanus auf seine eigene Denkentwicklung zurück und entfaltet zugleich einen neuen Begriff des Absoluten: das Können selbst als Prinzip der Welt und des Denkens. Mit dem Titel nimmt Cusanus eine antike und mittelalterliche Tradition auf, der zufolge ein besonderes Geistesvermögen: die Spitze des Geistes oder der Vernunft angenommen wird, durch die wir Gott erkennen.

13. Februar 2003
Der Kaiser im Berg. Bilder aus der politischen Mythologie der Deutschen
PD Dr. Ulrich Raulff (München)

"Solang die alten Raben noch kreisen um den Berg…" Es gab eine Zeit, da kannte jedes Kind die Verse und die Bilder vom Kaiser, der schon so lange im Berge schläft, daß sein Bart durch den Tisch gewachsen ist. Heute scheint diese alte Geschichte selbst einen Bart zu haben - aber man darf nicht vergessen, daß der Mythen- und Legendenkreis um den Kaiser der Endzeit zum festen Bestand der politischen Romantik und des politischen Messianismus in Deutschland gehört und im Kampf der Ideen höchste Wirksamkeit entfaltet hat: Diese Tradition soll ideengeschichtlich und ikonographisch nachgezeichnet werden.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 01.07.2009
zum Seitenanfang/up