Gastwissenschaftler*innen an der Professur für Osteuropäische Geschichte
Krankenmorde in der Ukraine während der NS-Besatzung (1941-1944): Opfergruppen, Umstände der Vernichtung, Nachkriegsermittlunggefördert durch die Phillipp Schwartz-Initiative, November 2022 – Oktober 2024 bearbeitet von Prof. Dr. Dmytro Tytarenko |
Das tragische Schicksal von kranken und behinderten Menschen in der Ukraine während der NS-Besatzung wurde lange Zeit sowohl von der wissenschaftlichen Forschung als auch der breiteren Öffentlichkeit nur am Rande thematisiert. Der Zugang zu neuen Quellen eröffnet Historiker:innen die Möglichkeit, bisher nicht oder nur unzureichend beleuchtete Aspekte zu untersuchen.
Von besonderer Bedeutung sind folgende Fragen: Welche Verordnungen und Richtlinien bestimmten die NS-Politik gegenüber den Menschen mit Krankheiten und Behinderungen? Welche Behörden und Stellen führten die Tötungen durch? Wie reagierte man auf die Krankenmorde? Sowohl die sowjetischen als auch die deutschen Justizbehörden untersuchten die NS-Verbrechen nach dem Krieg. Wie unterschied sich die sowjetische und die deutsche Justiz- und Ermittlungspraxis in Bezug auf die Besatzer und die lokalen Kollaborateure, die zur Ermordung von Menschen mit Krankheiten und Behinderungen beigetragen hatten?
Das Ziel des Forschungsprojekts besteht darin, die wesentlichen Personengruppen zu identifizieren, die in den besetzten Gebieten der Ukraine aufgrund ihres Gesundheitszustandes ermordet wurden, Besonderheiten der Krankenmorde in der Ukraine während der NS-Besatzung zu charakterisieren und die Logik der deutschen und sowjetischen Ermittlungen nach dem Krieg zu analysieren. Das Projekt befasst sich auch mit Fragen der Erinnerung an die Krankenmorde in der Ukraine während der NS-Besatzung.
The Battle for Food in the Wartime Soviet Union: A Regional Perspectivegefördert durch die Gerda-Henkel-Stiftung, Dezember 2023 – Mai 2024 bearbeitet von Dr. Liudmila Novikova |
During World War II the Soviet home front experienced severe food shortages that critically threatened the country's ability to maintain production and wage the war. To combat the food provisioning crisis, the Soviet state, just like other participants in the war, strictly controlled food resources and introduced rationing. But it also delegated much of the responsibility for the population's survival to the local authorities and people themselves. Despite a growing body of scholarly work on the Soviet home front economy, we know little of how this de facto decentralization of authority worked on the grassroot level and how it affected the individual and collective efforts to procure food. Who organized and coordinated the localized "battle of food"? How did it affect societal networks and norms as well as popular attitudes to the Soviet regime? And how did the local population react to the initiatives of state structures, various institutions and active individuals to locate and use additional sources of nutrition, and to labor mobilizations that often accompanied such initiatives?
The current research project discusses these questions focusing on the desperate local efforts to gain additional food on the example of the Soviet northern city of Arkhangelsk, that was struck particularly hard by the wartime famine. It pays attention to the local initiatives to utilize all available local sources of food - from exploiting Arctic natural resources to local hunting possibilities, fishing and gathering, organizing kitchen gardens, etc. In addition, it discusses how active gray- and black-market exchange brought some resources to the city population, including spam, cigarettes and other supplies delivered by British and American sailors who came to the Arctic ports with lend-lease convoys. It also elaborates on the ideological impact of the locals' economic interactions with the representatives of the "capitalist" world.
Zeitenwende: Soziokulturelle und politische Prozesse im Donbass 1985-2014gefördert durch die Vector-Stiftung, April 2022 - März 2023 bearbeitet von Dr. Oksana Tytarenko
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Der militärischer Konflikt der letzten acht Jahre im Donbass (der inzwischen im Jahr 2022 zu einem groß angelegtem Krieg zwischen Russland und der Ukraine eskaliert ist) hat sowohl in der Ukraine als auch im Ausland zu einer Vielzahl widersprüchlicher Aussagen über die Ursprünge und das soziale Umfeld des Konflikts geführt. Häufig finden dabei allerdings weder die historische Besonderheit der Region, noch die Vielfalt und Dynamik der politischen, sozialen, ethnischen, kulturellen und zeitlichen Faktoren, die sich im Donbass im 20. und frühen 21. Jahrhundert manifestierten, ausreichend Beachtung. Im sowjetischen und spätsowjetischen gesellschaftspolitischen Diskurs wurde der Donbass traditionell als eine Avantgarde-Region wahrgenommen. In der unabhängigen Ukraine hingegen als zum großen Teil marginalisierte Region. Was sind die Gründe für diese Einschätzungen? Der Donbass war traditionell eine multiethnische Region mit einer Mehrheitsbevölkerung von Ukrainern und Russen (52 % bzw. 43 % nach der Volkszählung in der UdSSR von 1989). Gleichzeitig wurde hier in der sowjetischen Zeit die sowjetische Identität stark kultiviert. Nach der Erklärung der Unabhängigkeit verzeichneten die Volkszählungsdaten einen Anstieg der Bevölkerung, die sich als Ukrainer bezeichnete. Was war der Grund: Migration oder ein Identitätswechsel? Wie war das Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern in der Region? Was versteht man unter sowjetischer, ukrainischer nationaler und ukrainischer staatsbürgerlicher Identität?
Die Bergarbeiter- und Arbeiterstreiks der Gorbatschows Perestroika-Periode im Donbass (die auch politische Forderungen hatten) waren einer der Faktoren, die den Zusammenbruch der UdSSR beschleunigten. Am 1. Dezember 1991 stimmten 84 % der Bevölkerung der Region für die Unabhängigkeit der Ukraine. Umfragen in den 1990er und 2000er Jahren ergaben jedoch, dass ein erheblicher Prozentsatz der Menschen den Zusammenbruch der UdSSR bedauerte. Was könnte dieses Paradoxon erklären?
Im Jahr 2014 wurde der Donbass zum Epizentrum eines militärischen Konflikts, der sowohl durch externe als auch interne Faktoren verursacht wurde. Vor dem Hintergrund dieses Konflikts müssen die fatalen Fehler der sowjetischen und ukrainischen Macht in den vorangegangenen Jahren betrachtet werden. Sie scheinen im Bereich der Staatsbildung, der Regional-, Wirtschafts-, Sozial-, National- und Sprachpolitik, der Geschichtspolitik sowie der Weltpolitik zu liegen.
Das Ziel dieses Forschungsprojekts besteht darin: 1) die Besonderheiten der sozialen und ethnokulturellen Prozesse im Donbass während der Transformationen (einerseits die Perestroika in der UdSSR (1985-1991), andererseits die Zeit der Unabhängigkeit von 1991 bis zu 2014) zu charakterisieren; 2) die Faktoren, die die Wahrnehmung der Politik der zentralen und regionalen Behörden durch die Bevölkerung beeinflusst haben, zu identifizieren; 3) die Ursprünge von Mythen und Stereotypen, die die Beziehungen zwischen dem Zentrum und der Region (Kiew-Donbass) geprägt haben, zu analysieren.
Jews in Environmental History of the Early Soviet Union: Recycling in the Ukrainian SSRgefördert durch den DAAD (April-Mai 2022), gefördert durch die Volkswagenstiftung, Juni 2022 - Mai 2023 bearbeitet von Dr. Tetiana Perga
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The project aims to investigate the waste regime that formed in the early USSR taking the example of Ukraine. We intend to disprove the popular idea that recycling began to develop in the USSR during the Cold War period. The hypothesis is that due to resource hunger in the USSR already in the 1920-1930s, the role of waste was overestimated and reconceptualized. It was seen as a valuable resource for economy and export. Using the example of the Ukrainian SSR, that was the most developed Soviet republic after Russia, we will demonstrate the impact of waste on the formation of social relations in Soviet society during this period. We intend to identify how waste picking in a country with limited access to material resources and commodities influenced the relationship between different actors of the Soviet Society.
The purpose of the project is to study the role of Jews in the recycling of waste in the Ukrainian SSR in the 1920-1930s. We consider that despite the small size of this group (identity) and its dispersed residence in Ukraine, it has had a definite influence on the implementation and on the results of the waste reuse policy. In the process of project implementation, we plan to reveal Soviet practices of collecting various waste from population and industry in the 1920s, its continuities or ruptures with pre-revolutionary ones, and the role of Jews in their forming. The project will contribute to a better understanding of the ways of involving various actors and groups of modern society to recycling.
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Sowjetische Kriegsgefangene in der Ukraine unter deutscher Besatzunggefördert durch die Philipp Schwartz-Initiative (September 2022 - Februar 2024) und die Vector-Stiftung (Mai 2022 - Oktober 2022) bearbeitet von Dr. Tetiana Pastuschenko
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Das Projekt bearbeitet die in den letzten 10 Jahren in diversen Archiven und Privatsammlungen zusammengetragenen Materialien und bereitet eine Buchpublikation zum Thema Schicksale der sowjetischen Kriegsgefangenen vor. Im Mittelpunkt stehen Besonderheiten der Organisation des nationalsozialistischen Kriegsgefangenenwesens auf dem Territorium der Ukraine, ihr rechtlicher Status und Arbeitseinsatz. Ziel ist es, die Politik des Arbeitseinsatzes von gefangenen Armeeangehörigen in verschiedenen Besatzungszonen der Ukraine, in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und zu unterschiedlichen Zeitabschnitten des Zweiten Weltkriegs zu analysieren.
Das deutsche System der Kriegsgefangenschaft auf den besetzten ukrainischen Territorien im Zweiten Weltkrieg stellt nach wie vor ein kaum bekanntes Kapitel dar. Einer der Gründe hierfür ist die Quellenlage. Unterlagen der zuständigen deutschen Institutionen sind nur teilweise überliefert. Die Quellen zu diesem Thema sind sehr vielfältig und werden sowohl in ukrainischen als auch in deutschen Archiven aufbewahrt. Augenzeugenberichte sind dabei von großer Bedeutung. Eine weitere wichtige Quelle für die Rekonstruktion des NS-Lagersystems, die für ukrainische Forscher längere Zeit unzugänglich war, sind Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg. Es handelt sich um Materialien aus den Ermittlungen gegen verschiedene Kommandos von Stalags und Dulags auf dem Territorium der Ukraine.
Während meines Forschungsaufenthalts im Archiv Ludwigsburg im November 2021, gefördert durch die Universität Heidelberg, konnte ich Dokumente zu 25 Lagerkommandos, insgesamt 98 Akten, einsehen und kopieren. Diese Akten enthalten detaillierte Informationen über das deutsche Personal, die Organisation der Lager und das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen. Die erforschten Materialien sowie oral history, Erinnerungsberichte, Memoiren, Strafakten aus dem Archiv des Sicherheitsdienstes der Ukraine ermöglichen es, die Lebenswege der gefangenen Rotarmisten zu rekonstruieren. Das beinhaltet den Aufenthalt in den Lagern, Tod, Überlebensmethoden, Kollaboration und Beteiligung am Widerstand. Individuelle Schicksale gefangener Rotarmisten dienen nicht nur zur Veranschaulichung der allgemeinen Politik der nationalsozialistischen und sowjetischen Führung gegenüber diesen Kriegsteilnehmern, sondern werden zu einer bedeutenden Quelle, um individuelle Überlebensstrategien der Menschen im Krieg und die Wiedereingliederung in die Nachkriegsgesellschaft aufzuarbeiten.
Bei meinen Forschungsaufenthalten in den Jahren 2021-2022 konnte ich in verschiedenen Archiven in Deutschland arbeiten und zahlreiche Vorträge und Workshops zum Thema präsentieren. So habe ich im Militärarchiv Freiburg wichtige Berichte im Bestand des Wirtschaftsstabs Ost entdeckt. In den Tätigkeitsberichten des Wirtschaftskommandos für die Gebiete Poltawa, Sumу, Donezk, Saporischja, Dnipropetriwsk sind viele Informationen zum Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen auf dem Territorium der Ukraine enthalten. Im Archiv der Zentralen Stelle in Ludwigsburg habe ich Unterlagen von 37 Stalag- und 40 Dulag- Kommandos entdeckt. In den Arolsen Archives fand ich eine Reihe von Akten zu Militärgerichtsprozessen gegen ehemalige sowjetische Kriegsgefangene, die Angehörige verschiedener Hilfseinheiten der Wehrmacht und der Polizei waren. Im visuellen Archiv der Shoah Foundation habe ich 67 Interviews mit ehemaligen Kriegsgefangenen gefunden, die noch ausgewertet werden müssen.
Das Phänomen der verbrannten Dörfer in der Ukraine unter nationalsozialistischer Besatzunggefördert durch die Volkswagenstiftung, Juni 2022 - Mai 2023 bearbeitet von Dr. Olena Lysenko |
Das Problem der verbrannten Dörfer in der Ukraine ist in der nationalen und internationalen Geschichtsschreibung unzureichend erforscht und insbesondere in Europa kaum Teil des öffentlichen Bewusstseins. Angesichts dieser Tatsache liegt der Schwerpunkt des Forschungsprojekts auf den Ursachen, der Durchführung und der Statistik von Massenverbrechen dieser Art, die von Polizeieinheiten der militärischen und zivilen Besatzungsverwaltung, sowie militärischen Einheiten der Wehrmacht begangen wurden. Die hier angestrebte Rekonstruktion der Ereignisse beruht auf einer komparativen Analyse von Materialien der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission für die Feststellung und Untersuchung der Gräueltaten der deutsch-faschistischen Aggressoren und ihrer Komplizen“ mit kürzlich freigegebenen Dokumenten aus Untersuchungen der NS-Verbrechen in ehemaligen Geheimdienstarchiven der Ukraine, sowie mit Erinnerungen von Überlebenden dieser Verbrechen.
Dieser komparative Ansatz erlaubt es, die Motive und Gründe für das Niederbrennen von Dörfern und die Ermordung ihrer Bewohner zu untersuchen und die Rollen der Hauptakteure – der Organisatoren und direkten Täter, der Komplizen und der Augenzeugen – zu klären. Die häufigsten Gründe für die vollständige oder teilweise Zerstörung der Dörfer waren die Aktionen von Partisaneneinheiten (also deren militärische Zusammenstöße mit Besatzungseinheiten), unabhängig von Kampfhandlungen durchgeführte Antipartisanenoperationen der Besatzungstruppen, angebliche Verstöße der Dorfbewohner gegen Regeln und Vorschriften der Besatzungsmacht, sowie die Taktik der „verbrannten Erde“ auf dem Rückzug befindlicher Wehrmachtseinheiten.
Anhand konkreter Beispiele wird das Zusammenwirken der Besatzungspolizei, deutscher und ungarischer Armeeeinheiten mit verschiedenen Kollaborateuren (Schutzmannschaften, lokale Hilfspolizei) bei solchen Strafaktionen nachgezeichnet. Die Motive, die die Einheimischen dazu brachten, sich an der Tötung und Zerstörung von Dörfern zu beteiligen, werden analysiert. Darunter fallen Rache an Vertretern des Sowjetregimes, der Wunsch, unter der Nazi-Besatzung zu überleben, Karrieremotive (das Naziregime wurde als Chance für einen sozialen Aufstieg gesehen) und materielle Vorteile durch Plünderung und Entlohnung.
Der transnationale Charakter der Verbrechen der Dorfverbrennung hatte und hat einen bedeutenden Einfluss auf das kollektive historische Gedächtnis und die Gedenkpolitik in der heutigen Ukraine. Besonderes Augenmerk wird in diesem Zusammenhang auf die Problematik der Statistik der verbrannten Dörfer gelegt.
Dr. Dmytro Tytarenko |
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Donezk |
Georg-Foster-Stipendiat |
Februar 2017 - 2018 |
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Dr. Ivan Sablin |
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Sankt Petersburg |
Stipendiat der Universität Heidelberg |
Januar - Februar 2017 |
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Dr. Nargis Tashpulatova |
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Taschkent |
Stipendiatin der Philipp-Schwarz-Initiative |
Mai 2016 - April 2018 |
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Dr. Tetiana Pastuschenko |
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Kyjiw |
Research Fellowship |
November 2021 |
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Dr. Krisztián Ungváry |
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Budapest |
Research Fellowship |
November - Dezember 2021 |
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Irina Makhalova |
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Moskau |
Research Fellowship |
November - Dezember 2021 |