Newsletter Januar 2007 Nr. 7
INHALT
Magisterfeier
Am 09. Februar veranstaltet SHAN zusammen mit dem Institut eine Magisterfeier für alle Absolventen des Instituts für Sinologie seit dem Sommersemester 2005!
Wir haben ein kleines Programm organisiert und freuen uns auf Ihr kommen. Falls Sie von uns keine Einladung bekommen haben und zwischen dem SS2005 und dem WS2006/07 euren Abschluß in moderner oder klassischer Sinologie abgelegt habt, meldet euch bitte umgehend bei uns! Vielen Dank!
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Institut für Sinologie, Akademiestraße 4-8, Heidelberg, Raum 136 im 1. Stock
„Sinologen werden gebraucht"
„Und was willst du nach dem Studium dann damit anfangen?“ – diese Frage müssen sich auch Sinologiestudenten häufig von sorgenvollen Eltern, Verwandten und Freunden anhören. Die Veranstaltungsreihe „Sinologen in den Beruf“ (SiB), die von SHAN in Gemeinschaftsarbeit mit der Fachschaft durchgeführt wird, soll helfen, Antworten auf diese Frage zu finden. Zuletzt im Rahmen einer dreitägigen Exkursion nach Berlin, bei der sich 18 Heidelberger Sinologiestudenten vom Zweitsemester bis zum Magistranden über verschiedenste Berufswege informieren konnten.
Die Eltern können beruhigt sein, denn der Grundtenor ist positiv: Sinologen werden gebraucht. Vom Bundestagsabgeordneten bis zum Bibliothekar stehen viele Berufswege offen.
"Wir haben nichts mehr zu verlieren"
Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh ist Taiwans Repräsentant und Quasi-Botschafter in Deutschland. Neben seiner Tätigkeit als Germanistikprofessor engagierte er sich seit den achtziger Jahren politisch, organisierte Wahlkämpfe, schrieb Reden und war Moderator einer Talkshow im Fernsehen. SHAN sprach mit ihm über seine Arbeit, die taiwanische Innenpolitik und China.
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Rezension: "Zur Lage der Chinesischen Bauern: Eine Reportage." von Chen Guidi und Wang Chuntao
Falls China im Jahre 2099 das einflussreichste Buch des Jahrhunderts wählen sollte, wird "Zhongguo nongmin diaocha" es ganz sicher auf die Kandidatenliste schaffen. Jetzt ist das Werk nun auch in deutscher Sprache bei Zweitausendeins erhältlich.
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Rezension: "Der China-Knigge. Eine Gebrauchsanweisung für das Reich der Mitte." von Yu-Chien Kuan und Petra Häring-Kuan
Was hat es mit dem langen Fingernagel am kleinen Finger mancher chinesischer Männer auf sich? Wieso ist es lustig, wenn Männer eine grüne Mütze tragen? Wie ist die Sitzordnung bei einem offiziellen Abendessen? Antworten auf diese Fragen findet der Leser im flüssig geschriebenen "China-Knigge".
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DGA Nachwuchstagung Asienforschung im Dezember 2006
Seit vielen Jahren gibt es in der angelsächsischen Wissenschaft die Tradition der "postgraduate workshops" bzw. der "postgraduate conferences". Das sind Tagungen und Workshops, die gezielt Magistranden und Doktoranden ein Forum bieten, auf dem sie ihre Arbeiten vorstellen und diskutieren können.
Eine solche Möglichkeit bot auch die Nachwuchstagung der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde, die letzten Dezember im idyllischen Schloss Buchenau bei Fulda stattfand.
Der Held des Xi'an Zwischenfalls starb auf Hawaii - General Zhang Xueliang (1901-2001)
Vor 70 Jahren, am 12. Dezember 1936, wurde der Führer der Nationalen Volkspartei (Kuomintang/KMT), ,Generalissimo' Chiang Kai-shek, von seinen eigenen Generälen in Xi'an festgenommen.
Im Mittelpunkt der Aktion stand Zhang Xueliang, der Sohn des berüchtigten Warlords Zhang Zuolin. Der Vater, der in den zwanziger Jahren die Mandschurei beherrschte, war 1928 einem japanischen Attentat zum Opfer gefallen.
Die Konferenz der European Association of Chinese Studies (EACS) in Slowenien
Vor genau dreissig Jahren fand in Paris - zur gleichen Zeit als Mao Zedong in der chinesischen Hauptstadt starb (1976) - die erste Tagung der kurz zuvor neu organisierten EACS statt. Aus einem kleinen Verein, dem vor allem klassische Sinologieprofessoren angehörten, ist inwischen eine große Organisation mit etwa 700 Mitgliedern geworden. Nach der erfolgreichen Tagung in Heidelberg vor zwei Jahren (August 2004) fand nun in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana die 16. Tagung der EACS statt.
„Sinologen werden gebraucht“
„Und was willst du nach dem Studium dann damit anfangen?“ – diese Frage müssen sich auch Sinologiestudenten häufig von sorgenvollen Eltern, Verwandten und Freunden anhören. Die Veranstaltungsreihe „Sinologen in den Beruf“ (SiB), die von SHAN in Gemeinschaftsarbeit mit der Fachschaft durchgeführt wird, soll helfen, Antworten auf diese Frage zu finden. Zuletzt im Rahmen einer dreitägigen Exkursion nach Berlin, bei der sich 18 Heidelberger Sinologiestudenten vom Zweitsemester bis zum Magistranden über verschiedenste Berufswege informieren konnten. Die Eltern können beruhigt sein, denn der Grundtenor ist positiv: Sinologen werden gebraucht. Vom Bundestagsabgeordneten bis zum Bibliothekar stehen viele Berufswege offen.
Die Exkursion begann mit einem Termin bei Thomas Gerberich, Ostasienreferent im Auswärtigen Amt, einem Traumberuf für viele Sinologiestudenten. Der studierte Sinologe schilderte seine überaus vielfältigen Karriere beim Auswärtigen Amt, die ihn über Europa und Afrika schließlich an die Konsulate in Guangzhou und Chengdu und schließlich wieder zurück nach Deutschland führte. Auf die Frage, worin deutsche Unterstützung für China in Zukunft bestehen sollte, antwortet Gerberich: „Die Entwicklungshilfe für China muss geändert werden. Man sollte sich mehr auf Menschenrechts- und Rechtsprogramme konzentrieren, in dem chinesische Anwälte in Seminaren erfolgreich ausgebildet werden“. Er betont den starken wirtschaftlichen Auftrieb und die Devisenreserven in China: „Der Status Chinas als Entwicklungsland sollte aberkannt werden!“ Nur indem Menschenrechtsfragen durch ausländische Gesprächspartner immer wieder thematisiert werden, könne die chinesische Führung dazu gebracht werden, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Gerberichs tiefes Verständnis der chinesischen Verhältnisse zeigt die Bedeutung sinologischer Kompetenz für den auswärtigen Dienst in China. Besonders hellhörig wurden die Teilnehmer, als Gerberich darauf hinwies, dass in mehreren Bereichen des Amtes bereits Chinawissenschaftler im Einsatz sind. Sinologie ist hier kein Fremdwort. Wer sich allerdings einen Platz im Auswärtigen Amt erhofft, muss ein anspruchsvolles Auswahlverfahren durchlaufen, nur ein kleiner Teil der Bewerber wird genommen. Außer fachlichem Wissen kommt es vor allem auf Flexibilität und Belastbarkeit an. Bewerbungen um Praktika seien immer erwünscht und auch oft erfolgreich.
Dass Sinologen Perspektive haben, wird auch in der Diskussionsrunde mit Fritz Kuhn, dem Fraktionsvorsitzenden und außenpolitischen Sprecher der Grünen, deutlich: „Sinologen werden gebraucht. Der Bedarf ist riesengroß, wenn die Ausbildung breit angelegt ist“, sagt er im Hinblick auf die wachsende Bedeutung Chinas. Sprache sollte nicht die einzige Kompetenz sein, sondern auch das Wissen in anderen Fachgebieten ist für die Karriere als Sinologe wichtig. Wie Gerberich äußerte sich auch Kuhn kritisch zu den Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik. Auf die Frage nach der Unterstützung Taiwans von deutscher Seite, weiß Kuhn: „Gute Beziehungen zu China sind im deutschen Interesse, dahinter muss die normative Unterstützung von Taiwan als Demokratie zurückstehen.“ Er räumte ein, dass auch eine Partei wie die Grünen, die von ihren Ursprüngen her ideelle Grundsätze habe, reale Bedingungen anerkennen und sich diesen anpassen müsse.
Im Berlinbüro der französischen Nachrichtenagentur AFP gab Mathias Heine, Ressortleiter für Multimedia- und Infografik einen ausführlichen Einblick in die Arbeit und die Abläufe in einer Presseagentur. Heine sieht für Geisteswissenschaftler generell und für Sinologen im Speziellen auf Grund von deren Flexibilität gute Chancen. Er schildert jedoch auch die in letzter Zeit sehr angespannte Jobsituation im journalistischen Arbeitsumfeld und betont, wie wichtig verschiedene Praktika für den erfolgreichen Berufseinstieg seien.
Nicht zuletzt mit Blick auf die wissenschaftliche Seite der Sinologie war auch ein Besuch in der Staatsbibliothek Teil des Programms. Der Leiter der Ostasienabteilung, Matthias Kaun, erläuterte Geschichte und Arbeitsweise einer der wichtigsten deutschen Bibliotheken. Er wies insbesondere auf die umfangreichen Onlinedatenbanken der Ostasienabteilung hin, die im Rahmen der Institute deutschlandweit kostenfrei genutzt werden können. Der Bibliothekar berichtete außerdem über seine berufliche Laufbahn, die ihn nach seinem Sinologiestudium zunächst als Referendar an die Bibliotheksschule in München und schließlich nach Berlin führte. Als weiteres Beispiel für eine erfolgreiche Sinologin im Bereich Bibliothekswesen nannte er Claudia Lux. Die promovierte Sinologen ist Generaldirektorin der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Heute fungiert sie außerdem als Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes und als Präsidentin des Weltverbandes der Bibliotheken.
Den Abschluss der Berlinfahrt bildete die Besichtigung des Museums für Ostasiatische Kunst in Dahlem. Für die Heidelberger Studierenden bot der Besuch in Berlin nicht nur ein abwechslungsreiches Programm, sondern vor allem einen informativen und motivierenden Einblick in die Berufswelt. Dank gilt an dieser Stelle vor allem Fabian Lübke für die Organisation der Berlin-Fahrt.
Kathrin Achenbach und Laura Jehl
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„Wir haben nichts mehr zu verlieren“
Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh ist Taiwans Repräsentant und Quasi-Botschafter in Deutschland. Er kam als Quereinsteiger in den diplomatischen Dienst. Neben seiner Tätigkeit als Germanistikprofessor engagierte er sich seit den achtziger Jahren politisch, organisierte Wahlkämpfe, schrieb Reden und war Moderator einer Talkshow im Fernsehen. SHAN sprach mit ihm über seine Arbeit, die taiwanische Innenpolitik und China.
Sie haben mehrere Jahre auch in Deutschland studiert und sind Germanistikprofessor. Wie kamen Sie dazu, Deutsch zu studieren und warum haben Sie sich für Deutschland entschieden?
In Taiwan musste man zu meiner Zeit, das war 1973, einer Aufnahmeprüfung an der Universität unterziehen, bevor man das Zeugnis, gleichbedeutend dem Abitur erlangt. Ich habe die Prüfung zwar bestanden, war aber nicht so gut, so dass mein erster Wunsch, Englisch, nicht berücksichtig werden konnte. Ich habe also nicht Deutsch gewählt, sondern Deutsch hat mich gewählt.
Sie waren in den achtziger Jahren in der Demokratisierungs- und in der Studentenbewegung sehr aktiv. Was war für Sie die Motivation, sich dort zu engagieren?
Daran ist Deutschland schuld. Als ich 1982 als DAAD-Stipendiat hierher kam, kannte ich keinen Unterschied zwischen Partei, Regierung und Staat. Alle diese Begriffe waren für mich ein und dasselbe. Ich wurde so erzogen, dass es keinen Unterschied dafür geben kann.
Als ich nach Deutschland kam, habe ich plötzlich mit eigenen Augen gesehen, dass erstens die Regierung kritisierbar ist, zweitens sie sich verteidigen muss und drittens dass die jetzige Regierung eine Opposition erlaubt und die Opposition die Möglichkeit hat, an die Macht zu kommen. Das sind alles Dinge, die uns unbekannt waren. Als ich nach Hause kam und an der Universität anfing zu arbeiten, habe ich mir gesagt: alles was ich jetzt erlebe und was ich in meiner Kindheit erlebt habe, dagegen möchte ich kämpfen. Ich hab es sehr bedauert, dass ich mich bis dahin nicht im Geringsten dafür interessiert habe.
Die ursprüngliche Demokratisierungsbewegung war auch eine sehr idealistische Bewegung und hat unter anderem die Korruption der KMT angeprangert. Der jetzige Präsident aus der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) und seine Frau, die aus dieser Bewegung hervorgegangen sind sehen sich massiven Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Sind Sie als Mitglied dieser Bewegung enttäuscht?
Nein, und zwar aus den folgenden Gründen: Solange sich die KMT nicht entschuldigt für das was sie den Taiwanern angetan haben - also viele hingerichtet, ermordet und ins Gefängnis gebracht -, ist die beste KMT immer noch schlechter als die schlimmste DPP. Ich kenne viele Menschen, die unter der KMT gelitten haben, angefangen mit dem Massaker 1947 bis in die achtziger Jahre hinein. Wenn man die Opfer dieses Zeitraums zusammenzählt, sind da ein Drittel der taiwanischen Bevölkerung direkt oder indirekt betroffen. Ohne diese Einsicht wird es in Taiwan nie eine richtige Versöhnung geben und das ist das Problem.
Zudem ist die KMT nach der Demokratisierung Taiwans immer noch die reichste Partei. Warum? Weil sie von den Japanern viel Eigentum, Unternehmen und Grundstücke direkt übernommen haben, die die Japaner wiederum den Taiwanern genommen hatten. Das ist Eigentum, das eigentlich wieder zurückgegeben werden sollte an die Republik China auf Taiwan und nicht in den Händen der KMT bleiben dürfte. Weder das eine noch das andere hat die KMT eingesehen. Die KMT ist heute immer noch so gut ausgestattet, dass sie in vielen Wahlkämpfen von vorneherein die größten Siegeschancen hat - das ist einfach unfair.
Es ging mir auch nicht darum, das zu vergleichen, sondern eher darum, dass Chen Shuibian und die DPP ursprünglich für „clean politics“ standen.
Ja, viele von damals, wir sind enttäuscht – und zwar enttäuscht nicht von ihm selbst, sondern durch diesen faux pas. Die jetzige Führung hätte doch einsehen müssen, dass viele Regeln, die für die KMT gegolten haben jetzt nicht mehr gelten dürfen. Der Präsident hat, das kommt aus der KMT-Zeit, Aufgaben im Bereich der Geheimdiplomatie. Als die KMT an der Macht war, musste man keine Rechnungen oder Quittungen dafür abgeben und man brauchte keine Rechenschaft abzulegen. Von Chen Shuibian wurde eben verlangt, was vorher unter der KMT nicht der Fall war. Bisher ist außerdem noch nicht bewiesen, dass er oder seine Frau das Geld in eigene Taschen gewirtschaftet hätten.
Seit den letzten Wahlen spricht man von einer gegenseitigen Blockade der beiden Lager im Parlament – sehen Sie die Gründe für diese Blockade bei den Parteien oder im politischen System verankert?
Beides. Allerdings ist es keine gegenseitige Blockade, denn es wird nicht gegenseitig blockiert, sondern geht ja nur von der KMT aus. Die haben schließlich die Mehrheit im Parlament. Ein Beispiel ist der Waffeneinkauf bei den Amerikanern: das sind Einkaufspläne, die die KMT vor längerer Zeit ins Parlament eingebracht hat. Jetzt ist sie nicht mehr an der Macht und sagt, das seien unnötige Dinge.
Das drängendere aktuelle Problem sehe ich aber eher darin, dass die KMT nach zwei Wahlniederlagen damit begonnen hat, mit den Kommunisten zu liebäugeln. Ein Beispiel ist der ehemalige Vorsitzende Lian Zhan, der nach der Verabschiedung des Anti-Abspaltungsgesetzes zwei Tage später aufs Festland gereist ist, die Demokratie von Taiwan beschimpft hat und - das kann ich ihm nicht verzeihen - die Kommunisten in der Verabschiedung des Anti-Abspaltungsgesetzes bestätigt hat. Das verbindet die KMT und die Kommunistische Partei Chinas: die sehen in der Demokratisierung hauptsächlich eine zu verdammende taiwanische Unabhängigkeitsbewegung und leider nicht eine Demokratisierung.
Ein Punkt, der auch in Deutschland kontrovers diskutiert wird ist die Frage, inwieweit die wirtschaftliche Öffnung auch eine graduelle politische Liberalisierung nach sich ziehen wird. Sehen Sie eine solche Entwicklung derzeit in China?
In diesem Fall würde ich dem deutschen Spruch „Wandel durch Handel“ nicht zustimmen. Das ist nur bis zu einem gewissen Grad korrekt, aber ich glaube nicht, dass ein solcher Spruch im Kern der Sache korrekt ist. Die Realität sieht einfach anders aus, als man sich das in Deutschland oder Europa wünscht. Die chinesische Regierung sieht sich dadurch bestätigt, dass die ganze Welt vor ihr einen Kotau macht, damit man Geschäfte machen und Markanteile erringen kann. Selbst wenn der Wunsch nach Wandel durch Handel im Hintergrund eine Rolle spielen mag – wenn man sich anschaut, wie deutsche Unternehmer und Politiker auf die innenpolitischen Entwicklungen in China reagieren, da sehe ich keine Grundlage für einen solchen Spruch. Obwohl unabhängig davon ich der Ansicht zustimme, dass allein durch den Kontakt mit dem Ausland China schon seine Tür für Liberalisierung oder Demokratisierung auch ungewollt etwas geöffnet hat.
Wie wichtig ist Japan für die Sicherheit Taiwans?
Japan ist für Taiwan insofern wichtig, als dass es für Taiwan einer der wichtigsten Handelspartner ist. Zudem ist Japan für die USA wichtig geworden, weil die Japaner sich ziemlich gut mit dem aufstrebenden Nationalismus in China auskennen. Japan hat früher Taiwan kolonialisiert und es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich dafür zu entschuldigen. Sie haben sich nie richtig offiziell entschuldig, weder gegenüber China, noch gegenüber Taiwan. Eines haben Sie aber gemacht als Ersatz für diese Entschuldigung: die Japaner schätzen die Demokratisierung Taiwans nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten. Sie machen das besser als viele in Europa, auch wenn Japan Taiwan nicht als selbständigen Staat anerkennt.
Man darf ebenso nicht übersehen, wie wichtig Taiwan für Japan ist. Das Regime in Peking hat keine Demokratie, und dieses Regime holt sich seine Legitimität von der Macht. Wenn Taiwan in die Hände von chinesischen Kommunisten fällt, würden sie diesen Zuwachs von Macht derart ausnutzen, dass es keinesfalls zum Frieden oder zur Sicherheit in der Region beitragen wird. Im Gegenteil, Taiwan hat eine geografische Schlüsselposition. Die ganze Küste und wichtige Handelswege würde ununterbrochen unter Chinas Kontrolle geraten, und das wäre ganz schlecht für Japan, aber eigentlich auch für die gesamte Region.
Wie chinesisch ist Taiwan Ihrer Ansicht nach?
Kulturell ist Taiwan immer noch zu 80% Chinesisch, wenn nicht noch mehr. Aber politisch sind wir Taiwan und China. Taiwan ist kein Teil von China, auch wenn die ganze Welt davon offiziell ausgeht.
Zudem muss man eigentlich von den Kommunisten, nicht von China sprechen. Das ist ein Unterschied. Die Chinesen sind unsere Schwestern und Brüder, in Peking sitzt für mich eine Fremdherrschaft. Wir Taiwaner sind bedroht von diesem kommunistischen Regime und nicht weniger die Chinesen auch. Sie haben sicherlich mitbekommen, dass vor einem Monat mehrere Tibeter, die China in Richtung Indien verlassen wollten, einfach so erschossen wurden. Die bringen rund um die Uhr fast jeden Tag einen Regimekritiker ins Gefängnis.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der BRD und Taiwan sind recht eng. Gleichzeitig unterliegt die deutsche Außenpolitik gegenüber Taiwan strengen Beschränkungen. Worin sehen Sie die gravierendsten Mängel?
Wirtschaftlich und kulturell gibt es absolut keine Probleme, obwohl China immer versucht hat, jeden Kontakt zwischen Deutschland und Taiwan zu vereiteln. Zum Glück gelingt es nicht immer, aber manchmal schon. Zum Beispiel dürfen wir nicht im Namen der „Republic of China“ auftreten, ebenso aber auch nicht im Namen von Taiwan. Wir dürfen keinen Namen haben, wenn schon, dann Konstrukte wie „Chinese Taipeh“. Nach dem Wunsch des chinesischen Botschafters in Deutschland müsste ich sagen: ich bin der Repräsentant von Chinese Taipeh. Das finde ich ein wenig übertrieben. Auf meiner Visitenkarte habe ich daher geschrieben: ich bin Repräsentant von Taiwan, auch wenn die Botschaft Taipehvertretung heißt – das ist doch Quatsch! Wird Kaoshiung dann etwa nicht vertreten? Selbst wenn es irgendwann eine Vereinigung geben sollte: Man darf von einer Frau auch erst nach der Hochzeit verlangen, den Namen des Ehemanns zu tragen, nicht vorher. Da macht Deutschland mit, wir dürfen nicht den Namen Taiwan benutzen. Ich spreche in Deutschland auch Politikern gegenüber immer von Taiwan und ich merke, dass das denen überhaupt nicht mehr auffällt.
Das wird nicht als provokant aufgefasst von ihren deutschen Gesprächspartnern?
Die sprechen alle selber von Taiwan. Keiner sagt: ich habe Chinese Taipeh besucht, alle sagen selbstverständlich: ich war in Taiwan.
Dennoch gibt es ganz klare Vorraussetzungen, die wir nicht überschreiten dürfen. Ich zum Beispiel darf nicht eingeladen werden von Außenminister Steinmeier oder seinem Stellvertreter, ich bin nicht akkreditiert worden und führe eigentlich als Diplomat eine Schattenexistenz. Dennoch habe ich direkten Zugang zum Auswärtigen Amt, aber offiziell auch da nur bis zum Asienbeauftragten, nicht darüber hinaus.
Sie haben eben davon gesprochen, dass man sich als Vertreter Taiwans oft in der Rolle des Bittstellers wieder findet. Woraus schöpfen Sie Ihre Motivation, ist das nicht auch ein sehr frustrierender Job?
Nicht immer. Ich kenne Deutschland gut und glaube behaupten zu dürfen, es einigermaßen zu kennen. Deutschland hat, nachdem es im 20. Jahrhundert einen so hohen Preis gezahlt hat, den Anspruch, zum Frieden in der Welt beizutragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Deutschen sich wirklich mit dem System von China identifizieren können, mit einem System, das keine zweite Partei zulässt und Andersdenkende ins Gefängnis bringt. Viele Leute in Deutschland sind ja nicht gegen Taiwan, sondern eben für China und keiner glaubt, dass das ein demokratisches System ist. Das bedeutet, die Deutschen haben seit der Demokratisierung Taiwans ein schlechtes Gewissen gegenüber uns. Auf dieses schlechte Gewissen muss man beständig ansprechen.
Frustrierend ist das also weniger, eher enttäuschend. Aber wenn man bedenkt, dass die außenpolitische Lage von Taiwan bereits derart schlecht ist, dann hat man nichts mehr zu verlieren. Man kann nur noch etwas hinzu gewinnen. Außerdem besteht Deutschland ja nicht nur aus Politikern, und es macht auch nicht jeder Deutsche Geschäfte mit China. Ich bin immer vielen Menschen begegnet, die mir sagen: ich kann mich nicht damit identifizieren, wie Deutschland mit Taiwan umgeht.
2008 finden die Olympischen Spiele in China und Präsidentschaftswahlen in Taiwan statt. Wie werden sich diese beiden Ereignisse auf die Beziehungen auswirken?
Ich glaube nicht, dass damit eine Gefahr für Taiwan ausgeht. Die nächsten Präsidentschaftswahlen haben eine große Relevanz. Gewinnt die KMT, dann wird sie sich bei den Kommunisten anbiedern und Zugeständnisse machen. Ma Yingjiu, der Vorsitzende der KMT hat gesagt: Wenn sie keine Gewalt anwenden, dann wird es keine Unabhängigkeit geben. Das halte ich für Unsinn, denn dass Gewalt als Lösung angesehen wird, ist von vorneherein zu verdammen. Die Unabhängigkeit jedoch ist unser gutes Recht, auch wenn wir einsehen, dass wir das in den nächsten Jahren nicht schaffen werden.
Dennoch, auch wenn die KMT die Wahlen gewinnt, muss die KMT aufpassen, wenn sie Frieden mit dem kommunistischen Regime schließen will. Was sagen sie sonst den Dissidenten, zu den Tibetern, zu jedem Demokraten in China? Die Deutschen und die Europäer, die können das Regime anerkennen, das ist deren Sache. Aber wir Taiwaner dürfen nicht als normal betrachten, was sich in China abspielt. Wir werden uns wohl nicht für unabhängig erklären, aber ich würde nie mein Recht aufgegeben, zum Beispiel mit chinesischen Dissidenten zusammenzuarbeiten. Nicht um das Land ins Chaos zu stürzen, sondern um China zur Demokratie zu zwingen.
Wenn die DPP 2008 noch mal bestätigt wird, dann muss das chinesische Regime einsehen, dass das Volk zum dritten Mal eine Partei gewählt hat, der man immer aus dem Weg gegangen ist. Das kann sich das Regime dann nicht mehr leisten und sich dazu zu bequemen, mit der DPP ins Gespräch zu kommen. Ich würde mir sehr wünschen, dass es einen Dialog zwischen Taiwan und China gibt. Aber ebenso, wie von taiwanischer Seite sowohl Leute von der DPP als auch von der KMT kommen würden, müssen von chinesischer Seite auch mehr Leute als nur von der KPCh kommen. Da müssen auch andere Stimmen beteiligt sein, so dass man wirklich über eine gemeinsame Zukunft sprechen und diese gemeinsam gestalten kann.
Das würde bedeuten, dass die KPCh ihren Alleinvertretungsanspruch aufgegeben müsste. Wie real schätzen Sie die Chancen dafür ein?
Die KMT hat sich in den vergangenen 50 Jahren nie einverstanden erklärt, ihre Alleinherrschaft aufzugeben. Die haben 40 Jahre lang ohne Kompromisse regiert. Und warum haben die dann mitgemacht? Die wurden dazu gezwungen – von der taiwanischen Bevölkerung, von der Welt außen. Genauso, meine ich, muss das auch mit China laufen. Die Europäer gehen einen falschen Weg. Wenn Politiker in China sind und von Menschenrechten sprechen, dann meinen sie immer, dieser oder jener Menschenrechtler muss aus dem Gefängnis. Als ob es kein Thema wäre, dass eine Partei so ein riesiges Land allein vertritt. Grundlage für eine Demokratie ist eine andere Stimme. Ich bin der Meinung, dass eine zweite Partei – egal ob eine Abspaltung der KPCh oder neugegründet - irgendwann entstehen wird, die dann die Demokratie ins Rollen bringt.
Herr Prof. Dr. Shieh, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führten Wan Li und Benjamin Kemmler.
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Chen Guidi und Wang Chuntao - Zur Lage der Chinesischen Bauern: Eine Reportage.
Falls China im Jahre 2099 das einflussreichste Buch des Jahrhunderts wählen sollte, wird „Zhongguo nongmin diaocha“ es ganz sicher auf die Kandidatenliste schaffen. Trotz des Verbotes kurz nach dem Erscheinen begegnete einem der grellgelbe Einband, wo immer man sich bewegte: Schwarzmarkthändler boten das Buch vor den Augen der Sicherheitspolizei am Eingang von U-Bahnstationen feil oder verhökerten es für einen Euro vor den Universitäten der Großstädte. Sogar in den Kreisstädten des durch das Werk zu trauriger Berühmtheit gelangten Nordens der Provinz Anhui zogen Bedienstete der staatlichen Xinhua-Buchläden ein Exemplar unter dem Ladentisch hervor, wenn man sie nett darum bat. Jeder Kader scheint das Buch gelesen, jeder andere Bewohner des Landes zumindest schon davon gehört zu haben. Kurz nach dem Erscheinen der englischen Übersetzung („Will the boat sink the water?“) ist das Werk unter dem Titel „Zur Lage der Chinesischen Bauern – Eine Reportage“ nun auch in deutscher Sprache bei Zweitausendeins erhältlich.
Anhui als Beispiel für die fortgeschrittene Entfremdung zwischen Staat und Gesellschaft
Bekannt wurde das Buch vor allem durch seine ersten vier Kapitel, in denen ausgezeichnet recherchierte und deshalb so schockierende Fälle von lokaler Despotie, Folter, einem Vizedorfchef im Blutrausch, bäuerlichem Widerstand und Vertuschungsversuchen höherer Ebenen detailliert und gleichzeitig einfühlsam wiedergegeben werden. Der Leser soll nun aber nicht verleitet sein zu glauben, dass Mord und Totschlag die Realität des bäuerlichen Lebens in China darstellen, denn die zwei Gräueltaten wurden in einem einzigen Bezirk des armen Nordens der Provinz Anhui in einem Zeitraum von fünf Jahren begangen. Diese Geschehnisse stellten jedoch den Endpunkt einer Entwicklung dar, die sich in unterschiedlichen Stadien in vielen chinesischen Dörfern vollzieht. Der in Kapitel drei geschilderte Steuerboykott, der von den Dorf- und Gemeindefunktionären mit der Verhaftung eines halben Dorfes beantwortet wird, ist Indikator für ein recht fortgeschrittenes Stadium der Entfremdung zwischen Staat und Gesellschaft. Beinahe schon alltäglich dagegen ist das in Kapitel vier beschriebene Schicksal einer Delegation von Petitenten, deren Marsch durch die Institutionen ebenfalls mit der Stürmung ihres Dorfes durch die Kreispolizei beantwortet wird.
Hilfe nur möglich, wenn Vorfälle ans Licht der Öffentlichkeit gelangen
Die ersten vier Kapitel vermitteln, dass Chinas Bauern fast ohnmächtig sind gegen die Willkür der lokalen Behörden. Sie zeigen aber auch, dass die sonst recht untätige Zentralregierung zum Eingreifen bewegt werden kann, wenn sie ihre Legitimität gefährdet sieht. Dies war der Fall, als eine Delegation verzweifelter Bauern am Platz des Himmlischen Friedens vor der Landesfahne niederkniete, oder als ein Dorfbewohner sich nicht weit davon entfernt das Leben nahm. Chen und Wang deuten an, dass es nicht unbedingt die vielbeachteten Massenproteste sind, die die Zentralregierung letztlich zum Eingreifen bewegen, sondern häufig die mutigen Taten einzelner Menschen. Sie berichten von Bauern, die drohenden Demütigungen und Strafen zum Trotz wieder und wieder nach Peking fuhren und ihre Beschwerden so lange hervorbrachten, bis sie endlich gehört wurden. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Rolle von Journalisten, die trotz der Versuche der Lokalregierungen, Vorfälle zu vertuschen und die Medienberichterstattung zu lenken, Fälle von Korruption und Rechtsbeugung aufdecken und so in die öffentliche Aufmerksamkeit rücken. Das ist aber nur möglich, so vermitteln es zumindest die Autoren, weil die Zentralregierung auf Seiten der Bauern steht und diese gegen die selbstsüchtigen und korrupten Dorf- und Gemeindekader und die Kreisführung verteidigt.
Lokalkader nicht nur Täter, sondern auch Opfer
Trotzdem sind Chen und Chun weit davon entfernt, ein einseitiges Bild der Probleme zu zeichnen. In den Kapiteln fünf bis acht, die sich der Frage nach den systemischen Ursachen der die Bauern bedrückenden Steuern und Gebühren widmen, portraitieren sie die Lokalkader nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer. Natürlich haben die Kader den Kontrollverlust der Zentralregierung über die Lokalebene nach den Dezentralisierungsmaßnahmen der Reform- und Öffnungspolitik seit 1978 ausgenutzt und trotz anderslautender Vorgaben munter überflüssiges Personal eingestellt. Natürlich haben sie den Verboten der Zentralregierung getrotzt und mit perverser Kreativität immer absurdere Abgaben von den Bauern eingefordert. Auf der anderen Seite aber war die Erhebung solcher Abgaben auch notwendig. Die Steuerreform des Jahres 1994 erhöhte den Anteil der Zentralregierung am Gesamtsteueraufkommen um über 30 Prozent, vor allem auf Kosten der Gemeinden. Gleichzeitig hing die politische Karriere der Gemeindeführungen an der Erfüllung von Vorgaben, die die Zentralregierung ohne Kenntnis des lokalen Kontextes zunehmend über die Lokalregierungen des ganzen Landes verhängte. Wie diese teuren Ziele trotz des gerade erwähnten Einnahmeverlusts finanziert werden sollten, wurde jedoch nicht geregelt.
Landbewohner tragen Hauptlast der Modernisierung Chinas
Weiterhin legen die Autoren sehr deutlich dar, wie die Modernisierung Chinas von seinen Bauern geschultert wurde. Sie mussten zum einen die Städte ernähren, zum anderen wurde der im Agrarsektor erwirtschaftete Mehrwehrwert abgezwackt, um die Entwicklung des Industriesektors zu finanzieren. Unter solchen Umständen wirkte die Strategie der Zentralregierung, die Provinzführung für illegale Abgaben auf der Lokalebene in Kollektivschuld nehmen, kontraproduktiv. Sie diente nicht als Anreiz, präventive Maßnahmen gegen das Abgabenunwesen einzuleiten, denn es war effizienter, in der Vertuschung solcher Fälle zu kolaborieren.
Führungskader haben keine Ahnung von Chinas Landleben
Kapital neun bis elf liefern die mit Abstand beste Beschreibung, die es von der Entstehung und Umsetzung der in China als „dritte ländliche Revolution“ gefeierten ländlichen Steuer- und Abgabenreformen bisher gibt. Das Ziel der Reformen war die signifikante Erhöhung der Agrarsteuer, wofür aber sämtliche anderen regulären und irregulären Abgaben bis auf sehr wenige Ausnahmen abgeschafft werden sollten. Trotz der großen Probleme, der sich Anhui durch den Wegfall von Einnahmen vor allem in fiskalischer Hinsicht ausgesetzt sah, wurden die Reformen auf Beschluß der Zentrale im Jahr 2003 in ganz China implementiert. Chen und Chun stützen sich in ihrer beinahe minutiösen Beschreibung der Reform vor allem auf interne Dokumente und zahlreiche Interviews und zeigen so, dass wiederum gesellschaftliche Vorreiter eine sehr wichtige Rolle für den Reformprozess spielten. Sie verdeutlichen aber auch den Schritt für Schritt-Charakter der Politikgestaltung (Inkrementalismus) und zeigen, wie wenig sich die Führungskader der Lebensumstände im ländlichen China bewusst sind.
Nach dem Wegfall der Agrarsteuer haben sich die Probleme lediglich verlagert
Der Wert der Studie besteht neben ihrer Informationsfülle und Detailtreue vor allem darin, das Netz der Ursachen aufzuzeigen, in dem die übermäßige Belastung der Bauern begründet liegt. In diesem Punkt ist sie auch nach den jüngsten Reformen, die keinen Einzug mehr in das Buch halten konnten, nach wie vor von großem Wert. Denn obwohl die Agrarsteuer seit Anfang des Jahres abgeschafft und die Vielzahl an Gebühren stark reduziert wurde, bestehen diese Ursachen fort, die Probleme haben sich lediglich verlagert. Die sich mehrenden Berichte über illegale Landenteignungen für kommerzielle Zwecke geben hierüber beredtes Beispiel.
Das gesamte System krankt
Letztendlich, und das ist wohl der Grund, warum das Buch in China verboten wurde, entlarven Chen und Chun die „ländlichen Probleme“ als Defizite des gesamten Systems, in dem die Kosten des wirtschaftlichen Aufschwungs und des politischen Überlebens der Partei von Chinas Bauern geschultert werden. Sie zeigen, dass dieses System von den lokalen Funktionären getragen wird, die damit gleichzeitig die Rollen von Missetätern und Opfern, von Feldsoldaten und Sündenböcken tragen. Die Zentralregierung beschränkt sich darauf, Richtliniendokumente zu verabschieden und Petitenten zu empfangen, um sie gleich wieder nach Hause zu schicken. Politische Führer rühren bei ihren Landbesuchen die Bauern mit Versprechungen zu Tränen, doch gehen sie den potemkinschen Dörfern der Lokalfunktionäre auf den Leim, die beispielsweise für viel Geld einen Getreidespeicher füllen lassen, weil der Premierminister zu Besuch kommt.
Lobenswerte Übersetzung mit Schönheitsfehlern
Hans-Peter Hoffmann legt eine ausgezeichnete Übersetzung dieses wichtigen Werkes vor. Ihm ist es gelungen, den Text in flüssiges, sehr gut lesbares Deutsch zu übertragen. Vor allem die geschickte Handhabung der umgangssprachlichen Idiome und Phrasen, mit denen das 460 Seiten lange Original gespickt ist zeigt, dass Hoffmann sein Handwerk versteht. Trotzdem finden sich vereinzelte Übersetzungsfehler dort, wo Zeichen, Ausdrücke und vor allem Zahlen leicht zu verwechseln sind. So liegt der Protagonist der ländlichen Steuer- und Abgabereformen nicht im Kreis „Woyang“ (S. 362 ff.), sondern in Guoyang (das Wort „Strudel“ (wo) und der Fluss Guo in der Provinz Anhui teilen sich ein chinesisches Zeichen), und es war kein „Nichtparteimitglied“, „das diese Stinktiere vom Fernsehen geholt hat“, sondern „einzelne Parteimitglieder“ (gebie de dangyuan, S. 92, im Original: S. 54). Besonders Milliardenbeträge sind, seltsamerweise nur in der ersten Hälfte des Buches, oft falsch dargestellt. So lag zum Beispiel die Getreideernte 1960 nicht bei „2.870 Milliarden Pfund“, sondern bei 287 Milliarden Pfund (S. 198; im Original: S. 141), das Defizit der Kreise und Gemeinden im Jahre 1993 betrug nicht „4221 Milliarden Yuan“, sondern 4,221 Milliarden Yuan und stieg bis 1995 nicht auf „82.770 Milliarden Yuan“, sondern auf 82,77 Milliarden Yuan (S. 233, im Original: S. 168). Auch bei den von den Bauern erhobenen Gesamtsteuern (S. 209) müssen die Dezimalpunkte durch Kommas ersetzt werden. Dies schmälert aber weder den Wert des Werkes noch die ansonsten sehr gelungene Übersetzung. Wer sich mit dem ländlichen China beschäftigt, hat das Buch wahrscheinlich schon gelesen, und für alle anderen, die einen Blick auf die Schattenseite des chinesischen Booms werfen möchten, ist es Pflichtlektüre.
Christian Göbel
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Yu-Chien Kuan und Petra Häring-Kuan - Der China-Knigge. Eine Gebrauchsanweisung für das Reich der Mitte.
Was hat es mit dem langen Fingernagel am kleinen Finger mancher chinesischer Männer auf sich? Wieso ist es lustig, wenn Männer eine grüne Mütze tragen? Wie ist die Sitzordnung bei einem offiziellen Abendessen?
Antworten auf diese Fragen findet der Leser im flüssig geschriebenen „China-Knigge“. Das deutsch-chinesische Ehepaar Petra Häring-Kuan und Yu-Chien Kuan vermitteln den Lesern in ihrer „Gebrauchsanweisung für China“ ein Verständnis für das Leben in China und chinesische Denkweisen. Die einzelnen Kapitel umfassen die wichtigsten Lebensbereiche, mit denen man im chinesischen Alltag konfrontiert wird, zum Beispiel die Beziehung zur Familie, Umgangsformen und die Bedeutung des Essens.
Grundlagen der chinesischen Geschichte und Philosophie werden ebenso behandelt wie Feiertage, religiöses Leben und die Bedeutung von Guanxi, dem Netzwerk persönlicher Beziehungen. Durch unterhaltsame Episoden aus dem Leben der beiden Autoren wird der eher sachliche Stil aufgelockert.
Das Buch hält was es verspricht. Es gibt den Lesern einen Einblick in die „Sitten und Gebräuche der Chinesen, in ihre Mentalität und Gewohnheiten“, wie es in der Nachbemerkung heißt. Die Autoren, beide Sinologen, fühlen sich in der chinesischen und der deutschen Kultur zu Hause. Mit dieser Vertrautheit und ihrem fundierten Wissen geben sie den Lesern einen Kompass für einen Aufenthalt in China an die Hand. „Der China-Knigge“ ist für alle zu empfehlen, die beruflich oder privat mit Chinesen zu tun haben – nicht nur in China.
Sarah Lüdecke
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DGA Nachwuchstagung Asienforschung 8.-10. Dezember 2006 im Schloss Buchenau
Seit vielen Jahren gibt es in der angelsächsischen Wissenschaft die Tradition der „postgraduate workshops“ bzw. der „postgraduate conferences“. Das sind Tagungen und Workshops, die gezielt Magistranden und Doktoranden ein Forum bieten, auf dem sie ihre Arbeiten vorstellen und diskutieren können. Eine solche Möglichkeit bot auch die Nachwuchstagung der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde, die letzten Dezember im idyllischen Schloss Buchenau bei Fulda stattfand. Etwa 30 „Nachwuchswissenschaftler“ waren dabei; neben ein paar Sino- und Japanologen vor allem Süd- und Südostasienwissenschaftler.
Diese Mischung führte dazu, dass das Themenspektrum sehr weit gefächert war und damit Einblicke in Bereiche und Ansätze erlaubte, mit denen man sich als Sinologe normalerweise selten beschäftigt.
Die sechs Panels waren in fünf Bereicht unterteilt: vom Panel „Akteure in der Entwicklungspolitik“ (mit Beiträgen über NGOs im Entwicklungsbereich und Ethnotourismus), über „Trends in der Entwicklung“ (u.a. „public space in Hanoi“, „tax reform in rural China“), „Transformation und Sicherheit“ (politologische Analysen Nordkoreas, der ASEAN und Afghanistans), „Wissensdiskurse“ (u.a. chinesische Strategielehre, indische Wahrnehmung des Faschismus in den 30ern und 40ern) bis hin zum Panel „Identität und Identitätspolitik“ (mit Beiträgen über die rituelle Souveränität in Indonesien und die kulturelle Transformation der Hmong).
Nach den Panels, bei Mittag- und Abendessen oder Spaziergängen in der Umgebung blieb viel Zeit zum Austausch und zur Diskussion oder einfach nur zum gemütlichen Beisammensein.
Die zwei Tage in dem abgelegenen Ort glichen einem „mini think tank“ und haben die etwas mühselige Anreise auf alle Fälle wettgemacht. Eine dritte Nachwuchstagung wird voraussichtlich im Januar 2008 stattfinden.
Die DGA-Nachwuchsgruppe sieht sich als Forum für Studierende, Promovierende, Habilitanden aus asien-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Ziel soll die Pflege des fachlichen Austauschs sein: über laufende Projekte, Abschlussarbeiten, Dissertationen und Habilitationen.
Jennifer Altehenger
Informationen zur DGA finden sich unter http://www.dga-ev.de/.
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Der Held des Xi’an Zwischenfalls starb auf Hawaii General Zhang Xueliang (1901-2001)
Vor 70 Jahren, am 12. Dezember 1936, wurde der Führer der Nationalen Volkspartei (Kuomintang/KMT), ‚Generalissimo’ Chiang Kai-shek, von seinen eigenen Generälen in Xi’an festgenommen. Im Mittelpunkt der Aktion stand Zhang Xueliang, der Sohn des berüchtigten Warlords Zhang Zuolin. Der Vater, der in den zwanziger Jahren die Mandschurei beherrschte, war 1928 einem japanischen Attentat zum Opfer gefallen.
Zhang Xueliang wurde am 3. Juni 1901 in der nordostchinesischen Provinz Liaoning geboren und war in den zwanziger Jahren vor allem als drogensüchtiger Playboy bekannt. Nach der Ermordung seines Vaters entwickelte er sich jedoch zu einem einflußreichen General und Politiker. Er hatte damals – abgesehen von seiner antijapanischen Haltung – keine klaren politischen Vorstellungen; zeitweilig sah er die deutschen und italienischen Faschisten als Vorbilder an. Als er Mitte der dreißiger Jahre von Chiang Kai-shek nach Xi’an geschickt wurde, um die chinesischen Kommunisten zu bekämpfen, änderte sich seine Haltung: er nahm Kontakte zu den KP-Führern auf und verhandelte mit Ihnen über die Bildung einer antijapanischen Einheitsfront. Als Chiang Kai-shek von diesen Kontakten erfuhr, flog er erzürnt nach Xi’an – und wurde festgenommen.
Der Ausgang des Xi’an-Zwischenfalls war ebenso überraschend wie die Aktion selbst. Obwohl die meisten Beteiligten und Beobachter die Hinrichtung Chiang Kai-sheks erwarteten (und größtenteils auch wünschten), wurde Chiang nach wenigen Tagen freigelassen. Hintergrund war eine klare Anweisung Stalins: er befürchtete, daß die Aktion vor allem den japanischen Besatzern (in Nord- und Nordostchina) nützen würde, und behauptete, China könne sich nur unter Chiang Kai-sheks Führung gegen die Japaner zur Wehr setzen. Stalin setzte sich mit seiner Meinung gegen die chinesischen Kommunisten und deren Repräsentanten in Moskau durch.
Der deutsche Kommunist Otto Braun schrieb hierzu 1973 in seinen Chinesischen Aufzeichnungen: ‚Buchstäblich über Nacht trat eine entscheidende Wende ein, wie ich vertraulich erfuhr, durch einen Funkspruch des EKKI (Exekutivkomitee der Komintern) aus Moskau. Es wurde sogar gemunkelt, Stalin habe persönlich eingegriffen und Mao eine Art Ultimatum gestellt. [...] Das Politbüro trat in aller Eile zusammen. Nach längerem Hin und Her beschloß es, die Forderung nach einer Aburteilung Tschiang Kai-scheks durch ein Volksgericht fallen zu lassen. [...] Unzweifelhaft steht fest, daß Mao dem EKKI seine sektiererische, abenteuerliche Politik aufdrängen wollte und sie zuerst auch noch nach Eingang des Funkspruchs verteidigte, während Bo Gu (Qin Bangxian) und Lo Fu (Zhang Wentian) sofort auf die Linie des EKKI umschwenkten. Mao stellte sich erst um, als er einsehen mußte, daß er mit dieser Ansicht nicht durchdrang.’
Diese Darstellung wird durch die heute zugänglichen Dokumente weitgehend bestätigt. In den vor wenigen Jahren veröffentlichten Tagebüchern Dimitroffs (2000) wird ein mitternächtlicher Anruf von Stalin erwähnt, in dem er gegen die Festnahme Chiangs protestierte: ‚Das ist der größte Nutzen, den man Japan erweisen konnte.’ Zwei Tage später wurde von Stalin und Dimitroff im Kreml das Telegramm entworfen, das zur Freilassung Chiangs führte. Dieser Vorgang verdeutlicht auch, daß die chinesischen Kommunisten 1936 keineswegs unabhängig waren, sondern sich nach den Anweisungen Moskaus richteten.
Für die meisten Beobachter war mit der Freilassung Chiangs die Aktion gescheitert, in späteren Jahren sprach man in China jedoch von der ‚friedlichen Lösung’ des Zwischenfalls und rühmte die Weisheit der KP-Führer, ohne auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao und den übrigen Politbüromitgliedern einzugehen. Tatsächlich entstand 1937 die antijapanische Einheitsfront von Kuomintang und KP, die zum Teil bis heute von kommunistischer Seite als Vorbild für die Wiedervereinigung mit Taiwan zitiert wird.
Das Schicksal Zhang Xueliangs war ebenso ungewöhnlich: er wurde nach dem Xi’an Zwischenfall unter Hausarrest gestellt, dann 1947 nach Taiwan gebracht und erst nach dem Tod Chiang Kai-sheks (1975) freigelassen. In den neunziger Jahren konnte er in die Vereinigten Staaten ausreisen. Er starb am 14. Oktober 2001 – wenige Monate nach seinem 100. Geburtstag - auf Hawaii.
Quellen:
Bernhard H. Bayerlein (Hg.): Georgi Dimitroff Tagebücher 1933-1943, Berlin, 2000.
Otto Braun: Chinesische Aufzeichnungen, Berlin, 1973.
Dr. Thomas Kampen
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Die Konferenz der European Association of Chinese Studies (EACS) in Slowenien
Vor genau dreißig Jahren fand in Paris - zur gleichen Zeit als Mao Zedong in der chinesischen Hauptstadt starb (1976) - die erste Tagung der kurz zuvor neu organisierten EACS statt. Aus einem kleinen Verein, dem vor allem klassische Sinologieprofessoren angehörten, ist inwischen eine große Organisation mit etwa 700 Mitgliedern geworden, die sich mit Geschichte und Politik, Ökonomie und Geographie, Literatur und Film, Internet und Ökologie befasst. Nach der erfolgreichen Tagung in Heidelberg vor zwei Jahren (August 2004, http://www.sino.uni-heidelberg.de/eacs2004/) fand nun in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana die 16. Tagung der EACS ( http://www.soas.ac.uk/eacs/) statt.
Etwa 250 Teilnehmer aus den meisten europäischen und einigen ostasiatischen Ländern besuchten das erst vor fünfzehn Jahren unabhängig gewordene Land.
Das umfangreiche Programm, das auch online zugänglich ist (http://www.ff.uni-lj.si/oddelki/azafr/eacs/index.html), enthielt neben den gewohnten geistes- und sozialwissenschaftlichen Themen auch Vorträge über Intercultural Approaches, Environment und Ecology. Den Eröffnungsvortrag hielt Harriet Zurndorfer (Leiden) über das Thema China und Global History. Neben den wissenschaftlichen Veranstaltungen gab es noch ein attraktives Kulturprogramm, zu dem auch Vorführungen der Sichuan-Oper gehörten.
Der Young Scholar Award (http://www.soas.ac.uk/eacs/ysaward.htm) wurde an Rossela Ferrari (London) für ihren Beitrag "Pop - Goes the Avant-garde
- Meng Jinghui and the Latest Developments in Chinese Avant-garde Theatre" vergeben. Auch auf der nächsten Tagung soll wieder ein Preis für eine(n) Nachwuchswissenschaftler(in) vergeben werden.
Bei den Vorstandswahlen wurden die Präsidentin Brunhild Staiger
(Hamburg) wiedergewählt, der neue Secretary ist Roel Sterckx (Cambridge) (http://www.soas.ac.uk/eacs/addresse.htm). Weitere Details werden demnächst im EACS Newsletter veröffentlicht (http://www.soas.ac.uk/eacs/newsl/index.htm).
Im September 1976 fand in Paris die erste Tagung der kurz zuvor neu organisierten EACS statt (http://www.sino.uni-heidelberg.de/staff/kampen/eacs.htm), seit 1948 hatten sich die Junior Sinologues jährlich getroffen.
Die nächste Tagung der European Association of Chinese Studies soll im August 2008 im südschwedischen Lund stattfinden.
Heidelberg war durch viele Vortragende gut vertreten (N. Frisch, J. Gross, L. Henningsen, T. Kampen, E. Kaske, N. Kim, U. Middendorf, N. Statu), dazu noch mehrere Alumni und die offiziellen SHAN- und Fachschaftsrepräsentantinnen (M. Rudyak, S. Lüdecke).
Siehe auch: http://www.sino.uni-heidelberg.de/talkpubl/talk06.htm
Dr. Thomas Kampen
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