Newsletter 2007 Nr. 9
INHALT
Wir gratulieren
15000 Euro für das Schulteam
Anlässlich des „Jahres der Geisteswissenschaften“ veranstaltete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Haus der Wissenschaften in Bremen einen Hochschulwettbewerb. Unter den mehr als 170 eingesendeten Anträgen konnten sich 15 durchsetzen – das Projekt des Schulteams des Vereins war eines davon.
Lena Henningsen, Leiterin des Teams und treibende Kraft hinter dem Antrag ist euphorisch: „Damit ist jetzt vieles möglich und der bereits erreichte Grad an Professionalität kann weiter ausgebaut werden.“ Auch der Vorsitzende von SHAN, Raoul Kubitschek, sowie die Institutsdirektorin, Prof. Dr. Barbara Mittler, gratulieren: „Das ist ein schöner Sieg für den Verein, das Institut und im besonderen für das Projekt.“
SHAN verbindet: Die Ortsgruppen stellen sich vor
SHAN spielt sich nicht nur in Heidelberg ab. Für Mitglieder und Interessierte gibt es mittlerweile auch in Beijing und Taibei Ortsgruppen, die sich regelmäßig treffen. Auf unserer Internetseite stellen wir Ihnen die einzelnen Ansprechpartner vor.
Ist China das Europa von morgen?
Dr. jur. Dr. h.c. mult. Manfred Osten studierte von 1959-1964 in Hamburg und München Rechtswissenschaften, Philosophie, Musikwissenschaften und Literaturwissenschaften. Nach seiner Promotion war er 25 Jahre lang im Auswärtigen Dienst tätig, davon unter anderem sieben Jahre in Japan. 1995 wurde er Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. SHAN sprach mit ihm über Chinas Bildungssystem und Gedächtniskultur.
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Bericht aus Taibei: Mehr als nur alte Vasen
Wie eine Heidelberger Studentin nicht nur Museumsführerin, sondern auch Dolmetscherin des Präsidenten wurde
Emily Mae Graf interessiert sich nicht nur für Chinesisch, sondern auch für Kunst. Während ihres Studienaufenthalts in Taiwan arbeitet sie als Museumsführerin im Nationalen Palastmuseum in Taibei. Dass sie im Rahmen dieser Tätigkeit auch ein Rede von Präsident Chen Shuibian synchron übersetzen muss, hätte sich die Heidelberger Sinologiestudentin im Vorfeld bestimmt nicht trämen lassen...
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Strictly NEIBU: Interne chinesische Übersetzungen umstrittener westlicher Bücher in den sechziger und siebziger Jahren
Die Kulturrevolution gilt allgemein als eine auslandsfeindliche und bildungsfeindliche Zeit. Dennoch waren die sechziger und frühen siebziger Jahre auch eine Zeit neuer westlicher Einflüsse, die auf ungewöhnlichen Wegen nach China gelangten: durch interne Übersetzungen ausländischer Bücher, die begeistert gelesen wurden. Der Dichter Bei Dao, der 1978 die Zeitschrift JINTIAN (Today) gründete, wies spüter wiederholt auf einige Werke hin, die ihn in den vorangegangen Jahren am meisten beeindruckt und beinflusst hatten, darunter: Becketts Warten auf Godot, Erenburgs Tauwetter, Kafkas Urteil, Kerouacs Unterwegs, Salingers Fänger im Roggen und Sartres Der Ekel.
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Rezension: "Welcome to Presence – Abenteuer Alltag in China" von Oliver Lutz Radtke
Wer reist, kommt oft mit einem ganzen Sortiment von Kuriositäten zurück. Jedes dieser Erinnerungsstücke erzählt eine Geschichte, und von so manchem mag man sich nur ungern trennen. Aber meistens verschwindet dann doch alles in der Schublade. SHAN-Mitglied Oliver Lutz Radtke hat seine Kuriositätensammlung nicht in der Schublade liegen gelassen und aus seinen China-Erfahrungen ein Buch gemacht.
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Rezension: "China – Aufstieg einer hungrigen Nation" von James Kynge
Chinas rasanter wirtschaftlicher Aufstieg und dessen Auswirkungen auf die zunehmend globalisierte Welt sind seit ein paar Jahren ein beliebtes Thema. Der Spiegel-Journalist Gabor Steingart verkündete in seinem kürzlich erschienen Buch einen „Weltkrieg um Wohlstand“, und sieht als einen der zentralen Kombattanten darin die neue Wirtschaftsmacht China. Was James Kynge gegenüber Autoren wie Steingart hervorhebt, ist seine intime Kenntnis des Landes. Wo viele nur mit dem Auge des fernen Beobachters über die Volksrepublik schreiben können, kann Kynge das Phänomen China von innen her betrachten.
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Praktika
AEE Hunan
Unsere Firma AEE (www.aee.com) sucht eine Praktikantin, die dem Unternehmen bei der Kommunikation mit unseren deutschen und auslaendischen Kunden (Englisch) behilflich ist.
Vorraussetzungen:
Sie sind an einem Praktikum von mindestens 6 Monaten interessiert- Sie sind eine aufgeschlossene, kontaktfreudige und zielstrebige Person, die mit viel Engagement und einem hohen Mass an Verantwortung selbstaendig Aufgaben erledigt.
Ihre Muttersprache ist Deutsch- Sie verfuegen ueber sehr gute Englischkenntnisse in Wort und Schrift- Sie sprechen Chinesisch (jedoch kein Muss). Computerkenntnisse: MS Office.
Dauer:
mind. 6 Monate
Bezahlung:
1500 RMB + Unterkunft + Mittagessen
Kontakt:
Frau Brigitta Hahn
Telefon: 00867322866888
Adresse: Furong Road
411101 Xiangtan
Hunan Provinz
China
Ist China das Europa von morgen?
Dr. jur. Dr. h.c. mult. Manfred Osten studierte von 1959-1964 in Hamburg und München Rechtswissenschaften, Philosophie, Musikwissenschaften und Literaturwissenschaften. Nach seiner Promotion war er 25 Jahre lang im Auswärtigen Dienst tätig, davon unter anderem sieben Jahre in Japan. 1995 wurde er Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. SHAN sprach mit ihm über Chinas Bildungssystem und Gedächtniskultur.
Herr Dr. Osten, woher kommt ihr Interesse für Asien?
In meinem Philosophiestudium bin ich sehr früh auf Leibniz gestoßen. Seine leider kaum bekannte „Novissima Sinica“ von 1697 hat mich außerordentlich fasziniert.
Später wurde die Auseinandersetzung mit China vor allem dadurch intensiviert, dass ich Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung wurde. China zählt heute zu den am stärksten expandierenden Wissenschaftsnationen, die auf dem Wege sind die anderen Nationen an die Wand zu drücken – von der Quantität und von der Qualität her. Da wir in der Humboldt-Stiftung keine Länder- oder Fächerquoten haben stellt sich die Frage, wie das bei dem zunehmenden Übergewicht der Chinesen gegenüber anderen Regionen weitergehen wird.
Glauben Sie, dass in Zukunft auch immer mehr deutsche Wissenschaftler an chinesische Universitäten gehen werden?
Vermutlich. Chinesische Universitäten wie die Qinghua und die Beida orientieren sich zunehmend an den amerikanischen Eliteuniversitäten. Dort wird eine sensationelle Eliteauswahl durchgeführt, die Aufnahmeprüfungen gehören ja mit zu den schwierigsten der Welt. Die Qualität der Wissenschaftler an diesen Universitäten ist so hoch, dass das zunehmend auch für deutsche Wissenschaftler von Interesse sein könnte.
Sie haben in einem Vortrag unter anderem die Frage „China als Europa des Ostens?“ gestellt. Inwieweit kann man China und Europa überhaupt miteinander vergleichen?
Das ist ein Zitat aus der Novissima Sinica. Damals war Leibniz überzeugt, dass aufgrund des hohen Wissensstandes ein „Europa des Ostens“ existiert. Leibniz war der Meinung, nicht wir sollten Missionare nach China schicken, sondern China sollte Missionare zu uns schicken. Chinesisch sollte die Wissenschaftssprache der Welt werden. Diese Überlegungen haben meines Erachtens heute eine erstaunliche Aktualität.
Inwiefern?
Dahinter stecken Zahlen, die hier noch nicht sehr bekannt sind. China baut sich seit 1979 eine Wissensgesellschaft auf. Die Zahl der Hochschulabsolventen wächst jedes Jahr um 20 Prozent. Seit den neunziger Jahren haben sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung aus dem chinesischen Bruttosozialprodukt vervierfacht. Statistische Interpolationen zeigen, dass die Investitionen in Forschung und Entwicklung in China weltweit zu den größten zählen werden. Hinzu kommen die enormen Anstrengungen der Privathaushalte für die Ausbildung ihrer Kinder. Schon mit vier Jahren verfügen die Kinder über 500 bis 600 Schriftzeichen Das ist notwendig, um die Aufnahmeprüfung in einen privaten Kindergarten zu schaffen. Im letzten Jahr sind über 90 Mrd. US-Doller gespart und in die Bildung investiert worden. Das konfuzianische Ideal der Bildung für den Nachwuchs ist in China vollständig erwacht.
Gibt es trotzdem etwas, das uns Europäer dem gegenüber auszeichnen könnte?
Die Chinesen haben uns sehr genau beobachtet, wo wir möglicherweise Vorzüge aufzuweisen haben. Sie haben ein riesiges Reformprogramm der Bildung und Wissenschaft eingeführt, gemeinsam mit einer großen Zahl europäischer und vor allem angelsächsischer Bildungsforscher, die dort jetzt die Curricula schreiben – und zwar in Schulen und in Universitäten. Vor allem wird die Dialog- und Diskurskultur des Westens importiert. Sie haben gerade diesen Vorteil, den wir für eine unserer großen Stärken halten, längst ins Visier genommen. Das ist auch ein Punkt, von dem wir wenig wissen. Diese Nation ist von einer enormen Neugier und hat eine Bildungstradition, die schon bestand, als wir noch auf den Bäumen saßen.
Was könnte sich das deutsche Bildungssystem von China abgucken?
Nach den Ergebnissen der Hirnforschung kann das Chinesische zur Perfektion ja nur bis zum 4. Lebensjahr erlernt werden. Die Kompliziertheit dieser Sprache verlangt, dass man entweder überlebt oder untergeht. Dass die größte Plastizität des Gehirns in der Phase bis zum 4. Lebensjahr hundertprozentig genutzt werden muss, gehört in China zu den bewusstlos tradierten Inhalten seit Jahrtausenden. Meines Erachtens müssen wir in Deutschland auch viel früher anfangen. Außerdem muss eine ganz andere Priorität der Bildung stattfinden. Und zwar nach dem einzig möglichen Prinzip, nach dem man Eliten und Leistung erreichen kann: dass der Lehrer wieder ein soziales Ansehen hat. Das ist völlig erudiert bei uns. In Ostasien ist der „Sensei“ seit Jahrtausenden die höchste Respektsperson, weil er die eigene Zukunft gestaltet. Wir müssen den Lehrern eine andere Ausbildung geben, eine andere Bezahlung und einen ganz anderen Stellenwert im sozialen Gefüge.
In “Das geraubte Gedächtnis“ schreiben sie über den Verlust des kulturellen Gedächtnisses in Europa. Wie sehen Sie die Situation in China, in Anbetracht des allgegenwärtigen Verschwindens sichtbarer Zeugnisse von Tradition?
Die physischen Memorabilien dieser Kultur werden auch heute noch radikal dem Fortschritt geopfert. Aber die eigentlichen Inhalte, um die es in der Gedächtniskultur geht, sind die geistigen. China erlebt heute eine Renaissance seiner Tradition, die auch den Schulkindern immer wieder vor Augen geführt wird. China beruft sich darauf, dass es dort eine Hochkultur gegeben hat, die es heute wieder erreichen will. Das ist ein allgemeines Bewusstsein, das auch im Gespräch mit chinesischen Wissenschaftlern absolut gegenwärtig ist – ganz im Gegensatz zu uns, die wir es nicht fertig gebracht haben, in den Entwurf der Charta der EU auch nur ein einziges Parameter unserer eigenen Herkunft, z.B. die Entstehung des Abendlandes aus dem Christentum, auch nur mit einem Wort zu erwähnen. So etwas ist für Chinesen völlig unbegreiflich.
Wollen Sie damit sagen, dass Europa seine eigene Identität wieder stärken muss?
Das Gedächtnis ist die Bedingung der personalen und kollektiven Identität. Es gibt keine Person ohne Gedächtnis. Und es gibt keine Nation ohne Gedächtnis. Wenn wir diese gedächtnisgestützte Identität aufgeben, sind wir ein Spielball anderer Nationen und Kulturen, die eine solche Identität haben. Der Konfuzianismus ist eine neue Identitätsfindung Chinas. Es ist erklärtes Ziel der chinesischen Regierung, die kulturelle Identität durch Rückgriff auf das Gedächtnis des Konfuzianismus zu etablieren.
Inwieweit würden Sie hier die Gefahr sehen, dass diese Gedächtniskultur von der politischen Führung für den Nationalismus instrumentalisiert wird?
Ich bin überzeugt, dass China heute eine eindeutige kulturelle Identität proklamiert, und dass die Akzentsetzungen sehr viele Möglichkeiten eröffnen für eine Gängelung von Seiten der Regierung. Wie weit das im Einzelnen geschieht, kann ich nicht sagen. Aber die Gefahr ist natürlich da. Doch glaube ich nicht, dass durch den bewussten Rückgriff auf den Konfuzianismus die Zentralparameter des Konfuzianismus vollständig geleugnet werden. Dazu zählt die absolute Priorität der Bildung.
Welche Verantwortung hat man als angehender Geisteswissenschaftler in einer Welt, die vom Gedächtnisverlust bedroht ist?
Die Geisteswissenschaften, die Künste, die Religion, die Kultur überhaupt ist das große Gedächtnisreservoir der Nation und auch der Menschheit. Wir verstehen Bildung heute nur noch als bolognaprozess-beschleunigten Erwerb von Zukunftskompetenz ohne Herkunftskenntnisse. Die gesamte Orientierung der Funktionseliten, die über die Zukunft unserer Bildung entscheiden, springt natürlich auf die Fortschrittsfächer. Außerdem sieht sie das Ganze natürlich unter dem Aspekt der Akkumulierung von Kapital. Wer sich dabei nicht legitimieren kann, wird abgeschafft.
Was würden Sie angehenden Sinologen mitgeben?
Sie haben die ungeheure Chance, sich mit einem Land zu beschäftigen, das vor riesigen Problemen steht, aber auch vor großen Chancen. Und ich glaube, dass sie ein Transmissionsriemen sein könnten, um Dinge zu verbreiten und zwar nach dem Prinzip des Apostels Paulus, der gesagt hat: „Prüfet alles, doch das Beste behaltet!“
Herr Dr. Osten, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führten Laura Jehl und Benjamin Kemmler.
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Mehr als nur alte Vasen
„Kommen Sie ruhig näher, damit Sie es deutlicher sehen“, fordert Emily Mae Graf die Teilnehmer ihrer Führung auf. Die Studentin geht dabei selbst ganz nahe heran: „Sehen Sie ihn, diesen leichten rosa Schimmer“, fragt Graf in fließendem Englisch. Die Besucher des Nationalen Palastmuseum in Taipeh stehen in diesem Moment vor einem Meisterwerk der Porzellankunst. Es ist eines von fünfzig Exponaten des Ju-Ware-Porzellanes, das im Rahmen der Sonderaustellung „Malerei, Kalligraphie und Ju-Ware-Porzellan aus der Nördlichen Song-Dynastie und Buchraritäten aus der Song Dynastie“ gezeigt wird. Die Einundzwanzigjährige fährt mit Faszination fort zu erklären, dass dieses Stück das einzig bekannte ist, das keine Risse aufweist, die charakteristisch für damaliges Porzellan und auch für das aus daurauffolgenden Dynastien waren. Das Rezept für die legendäre blau-grüne Glasur der Ju-Ware ging in den Jahrhunderten verloren. Es gibt bis heute weniger als 70 bekannte Exemplare, die in nur einem einzigen Brennofen in der chinesischen Provinz Henan hergestellt wurden.
Desweiteren führt Graf durch die insgesamt zehn wichtigsten Dynastien Chinas: Über Audiogeräte vernehmen die Besucher ein chinesisches Gedicht des berühmten Dichters, Li Bo, aus der Tang-Zeit mit nachfolgender Übersetzung ins Englische und werden von der Studentin zur „Mona Lisa“ des Palastmuseums geführt, einem aus Jade gefertigten Chinakohl mit zwei Grashüpfern.
Doch all dies mag der jungen Studentin in Anbetracht der Aufgabe, die sie in der vorigen Woche zu bewältigen hatte, als Kleinigkeit vorkommen. In das kalte Wasser sprang Graf als Leistungsschwimmerin für ihren früheren Verein TG-Gaislingen schon des öfteren. Jedoch als sie mit der deutschen Übersetzung des Präsidenten dastand, die sie wenige Minuten später über ihr Headset an ihre deutsch-östereichische Delegation übertragen sollte, Präsident Chen Shui-bian und Museumsdirektorin Lin Mun-lee den Saal betraten, um vor 500 geladenen Gästen aus aller Welt zu sprechen; plötzlich das Licht ausging und nur noch die beiden angeleuchtet wurden, wurde ihr etwas frisch um die Ohren. Schnell eilte sie – wie ihre Kolleginnen auch – zu der in Bodennähe eingelassenen Sicherheitsbeleuchtung. Auf diese Weise entfernte Graf sich allerdings zu weit von ihrer sechzehnköpfigen Gruppe, was mit einem Rauschen in deren Ohren endete. Verzweifelt nahm sich die Schwäbin ein Herz, vorbei an den Sicherheitsleuten des Präsidenten, stellte sich die Heidelberger Studentin direkt bei ihrer Delegation auf und konnte somit ohne Rauschen die Übersetzung liefern.
Es war Graf bewusst, dass sie bei der anschließenden Führung es mit Experten zu tun hatte und sie bis dahin noch einen weiten Weg zu bestreiten hat. Doch wenn sie nur annähernd soviel Begeisterung wie bei ihren sonstigen Führungen herüber brachte, ist ihr dies sicherlich meisterlich gelungen.
Zur Person: Emily Mae Graf wurde 1986 in Göppingen geboren. Aufgewachsen ist sie in Gaislingen a. d. Steige. Als Tochter einer amerikanischen Mutter und eines deutschen Vaters besitzt sie die doppelte Staatsbürgerschaft. Während ihrer Schulzeit betätigte sie sich im Leistungssport Schimmen und unterrichtete Kinderschwimmen. Ihre Begeisterung gehört der Kunst. Grafs Kunstlehrerin wollte, dass sie Kunst studiert, sie kann 15 Punkte im Abiturszeugnis vorweisen. Doch Mutter Graf meinte die Tochter sollte etwas ordentliches studieren, zumal sie sich gut im Business-Zweiteiler machen würde. In der Folge entschied sich die Studentin zunächst für Volkswirtschaftslehre und Moderne Sinologie und zog in das Europahaus in Heidelberg ein. Nach bestandenem Propädeutikum ging sie im August 2006 als Austauschstudentin der Universität Heidelberg an die National Taiwan University in Taipeh. Noch bevor es losging, erkundigte sich Graf beim Nationalen Palastmuseum und beim Fine Arts Museum. Erst als sie bereits angekommen war, meldete sich das Palastmuseum, eine mehrwöchige Ausbildung zur Museumsführerin folgte. Ihre Fächerkombination änderte die Studentin – ihren Neigungen entsprechend – in Moderne Sinologie, Ostasiatische Kunstgeschichte und Englische Literatur um.
Weitere Informationen: Nationales Palastmuseum
Dagmar Karlson
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Interne chinesische Übersetzungen umstrittener westlicher Bücher in den sechziger und siebziger Jahren
Die Kulturrevolution gilt allgemein als eine auslandsfeindliche und bildungsfeindliche Zeit. Dennoch waren die sechziger und frühen siebziger Jahre auch eine Zeit neuer westlicher Einflüsse, die auf ungewöhnlichen Wegen nach China gelangten: durch interne Übersetzungen ausländischer Bücher, die begeistert gelesen wurden. Der Dichter Bei Dao, der 1978 die Zeitschrift JINTIAN (Today) gründete, wies später wiederholt auf einige Werke hin, die ihn in den vorangegangen Jahren am meisten beeindruckt und beinflusst hatten, darunter: Becketts Warten auf Godot, Erenburgs Tauwetter, Kafkas Urteil, Kerouacs Unterwegs, Salingers Fänger im Roggen und Sartres Der Ekel. Die mit dem Vermerk NEIBU versehenen Bände wurden zwar nicht offen verkauft, waren aber dennoch - vor allem für Parteikader und ihre Kinder - relativ gut zugänglich. Diese Bücher waren vor allem bei den aufs Land verschickten Schülern und Studenten beliebt, die sich fern der Grosstädte nach geistigen Anregungen sehnten. Einzelne Exemplare wurden oft von hunderten Leserinnen und Lesern verschlungen und zum Teil vollständig handschriftlich abgeschrieben. Dies erklärt warum einzelne Werke auch bei relativ geringer Auflage sehr bekannt wurden. Im folgenden werden einige wichtige, in autobiographischen und literarischen Texten häufig erwähnte Werke aus dieser Zeit vorgestellt, die alle in einer 1988 erschienen Bibliographie interner Bücher enthalten sind; dieses umfangreiche Werk nennt etwa 18.000 Titel von denen viele Übersetzungen westlicher Bücher sind. (Quanguo Neibu Faxing Tushu Zongmu 1949-1986, Beijing, 1988)
Nachdem in den fünfziger Jahren der chinesische Buchmarkt mit Übersetzungen sowjetischer - und vor allem stalinistischer - Literatur überschwemmt worden wurde, änderte sich Anfang der sechziger Jahre die politische und kulturelle Lage. Die Verschlechterung der chinesisch-sowjetischen Beziehungen führte in der Volksrepublik China auch zu einer Suche nach neuen politischen und kulturellen Ideen und Inspirationen. In Folge der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Frankreich (1964) wuchs auch das Interesse an Westeuropa und im Zuge der Annäherung an die USA - Anfang der siebziger Jahre - an Nordamerika.
Sozialistische Alternativen
In den frühen und mittleren sechziger Jahren waren vor allem kritische Darstellungen der sowjetischen Geschichte und Politik beliebt, die verdeutlichten dass Stalinismus und Kommunismus nicht identisch waren. Hierzu gehörten verschiedene ältere Werke Trotzkis wie dessen Biographie Stalins und Die Verratene Revolution. Auch Die neue Klasse des Jugoslawen Milovan Djilas spielte eine wichtige Rolle. Dazu kamen mehrere Bücher über Chruschtschow und den „Chruschtschowismus“. In dieser Zeit erschienen auch Übersetzungen von Ilja Erenburgs Tauwetter und Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch von Alexander Solschenizyn.
Neues aus dem Westen
Gleichzeitig erschienen einige historische und politische Werke westlicher Autoren, die die bis dahin in chinesischen und sowjetischen Büchern verbreiteten Interpretationen der Weltgeschichte in Frage stellten; hierzu gehörten Friedrich Hayeks Der Weg zur Knechtschaft, William Shirers Aufstieg und Fall des Dritten Reiches und Arnold Toynbees Der Gang der Geschichte. Schon in den frühen sechziger Jahren erschienen auch französische und amerikanische Romane wie Der Fremde von Albert Camus, Jack Kerouacs Unterwegs und J. D. Salingers Fänger im Roggen. Dazu kamen auch Theaterstücke wie Samuel Becketts Warten auf Godot und John Osbornes Blick zurück im Zorn.
Die meisten der bisher erwähnten Werke erschienen kurz vor der Kulturrevolution, waren jedoch wegen der strengen Kontrolle der Vertriebswege nur für wenige zugänglich. Erst durch die chaotischen Verhältnisse der Jahre 1966, 1967 und 1968 gelangten die Übersetzungen in die Hände zahlreicher Schüler und Studenten. Aufgrund des damaligen Mangels an interessanten offiziellen Neuerscheinungen und der Diskreditierung älterer chinesischer und sowjetischer Werke, war die Nachfrage nach den „verbotenen“ Büchern besonders gross.
Die zweite Phase
Kurz nach dem sino-sowjetischen Grenzkonflikt am Ussuri (1969), der Kontaktaufnahme mit den USA und der Aufnahme der Volksrepublik China in die Vereinten Nationen (1971) begann ein zweiter Boom der Übersetzungen. Zunächst wurden noch einige Werke jüngerer und kritischer Sowjetautoren gedruckt, die im Westen weniger bekannt waren, wie zum Beispiel Die Mär von Direktor P. von Wil Lipatow und mehrere Romane von Wsewolod Kotschetow, aber auch Der weisse Dampfer von Tschingis Aitmatow. Dann erschienen verschiedene Darstellungen der amerikanischen Politik, darunter Memoiren des Präsidenten Harry S. Truman und Bücher über Richard Nixon, sowie Henry Kissingers Die Entscheidung drängt. Schon 1971 erschien eine chinesische Fassung der Tagebücher von Che Guevara.
Bei den einflussreichen Übersetzungen der damaligen Zeit gab es kaum neuere deutschsprachige Literatur. Dies mag sowohl am Mangel geeigneter Werke als auch am Fehlen von Übersetzern gelegen haben. Immerhin erschienen zwischen 1973 und 1977 schon Übersetzungen von Büchern über Konrad Adenauer, Willy Brandt und Franz Josef Strauss, sowie Heinrich Bölls Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass 1978 die erste Ausgabe der oben erwähnten Zeitschrift JINTIAN auch einen Beitrag von Heinrich Böll über Trümmerliteratur enthielt. Schon 1973 war eine interne Zeitschrift namens ZHAIYI gegründet worden, die auschliesslich Übersetzungen ausländischer Literatur abdruckte. Bis Ende 1976 erschienen hier zahlreiche Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke von amerikanischen, japanischen und sowjetischen Autoren.
Es gab also ab 1976 keine plötzliche Öffnung Chinas; die in chinesischen politischen und literarischen Werken der späten siebziger und frühen achtziger Jahren feststellbaren ausländischen Einflüsse gehen zum grossen Teil auf die in der Kulturrevolution verbreiteten inoffiziellen Übersetzungen zurück.
Dr. Thomas Kampen
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Oliver Lutz Radtke – Welcome to Presence. Abenteuer Alltag in China.
Wer reist, kommt oft mit einem ganzen Sortiment von Kuriositäten zurück. In diversen Taschen finden sich Fahrscheine, Eintrittskarten, Zuckertütchen und das Tape, das man an einem sonnigen Tag einem Straßenmusikanten abgekauft hat. Jedes dieser Erinnerungsstücke erzählt eine Geschichte, und von so manchem mag man sich nur ungern trennen. Aber meistens verschwindet der Krempel dann doch in irgendeiner Schublade.
Oliver Lutz Radtke hatte den Mut, seine Kuriositätensammlung nicht in der Schublade liegen zu lassen. Sein Erstling „Welcome to Presence“ ist eine Schatzkiste voller Erfahrungen und Beobachtungen, die der Autor während seiner Studien- und Arbeitsaufhenthalte in der Volksrepublik China gesammelt hat. Der Untertitel „Abenteuer Alltag in China“ trifft dabei ins Schwarze: denn jedes der kurzen Kapitel lässt den Leser die Fazination spüren, mit der Oliver Radtke in die chinesische Welt eintaucht. In lockerem journalistischem Schreibstil schildert er Anekdoten aus dem chinesischen Alltag, die an die Veröffentlichungen des ehemaligen China-Korrespondenten Kai Strittmatter erinnern. Aber „Welcome to Presence“ will auch Wissen vermitteln. Das Buch ist zwar keine Gebrauchsanweisung für China, bietet aber dennoch viele nützliche Informationen. Der Leser erfährt, ob Chinesen wirklich gelb sind, bekommt einen Kurzabriss der neueren chinesischen Geschichte, dargestellt aus der Sicht einer Shanghaier Comicverkäuferin, und kann herausfinden, wie man in China Schach spielt oder welchem Tierkreiszeichen er angehört. Nützlich sind sicherlich auch die illustrierte Abhandlung über Unterschiede der Gestik von Chinesen und Deutschen oder die Liste der zehn Fragen, die man in China lieber nicht stellen sollte.
Selbstverständlich sollte man nicht alles wörtlich verstehen. Die wichtigste Zutat in Oliver Radtkes China-Mix ist eine gehörige Portion Humor und Selbstironie. Er ist sich seiner Langnasen-Perspektive sehr wohl bewusst und macht dem Leser immer wieder deutlich, dass es sein eigenes China ist, welches hier beschrieben wird. Diese Einsicht ist es wiederum, die dafür sorgt, dass auch „alte Hasen“ das Buch mit großem Vergnügen lesen werden. Die einzelnen Kapitel, die nur lose aufeinander aufbauen, laden den chinaerfahrenen Leser ein, sich immer wieder an verschiedenen Stellen ein Häppchen herauszupicken. Oftmals wird man sich schmunzelnd an eigene Erlebnisse erinnern – etwa an die Sockenverkäufer im Zug oder die eigene Tätigkeit als Film- oder WerbedarstellerIn. Aber auch für Chinakenner gibt es viel Neues zu entdecken, denn schließlich erlebt jeder dieses Land auf seine Weise – und bei weitem nicht jeder mit einer solchen Intensität und Bereitschaft zur Kommunikation quer über alle kulturellen, sozialen, Alters- und sonstigen Grenzen hinweg, wie hier dargestellt. Und am Ende wird man feststellen, dass man doch das ganze Buch gelesen und seine Straßenbahnhaltestelle schon lange verpasst hat.
Laura Jehl
Oliver Lutz Radtke
Welcome to Presence. Abenteuer Alltag in China.
Dryas Verlag, 2007
ISBN: 978-3-9811327-0-0
EUR 12,95
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James Kynge – China. Aufstieg einer hungrigen Nation
Chinas rasanter wirtschaftlicher Aufstieg und dessen Auswirkungen auf die zunehmend globalisierte Welt sind seit ein paar Jahren ein beliebtes Thema. Der Spiegel-Journalist Gabor Steingart verkündete in seinem kürzlich erschienen Buch einen „Weltkrieg um Wohlstand“, und sieht als einen der zentralen Kombattanten darin die neue Wirtschaftsmacht China. Was James Kynge gegenüber Autoren wie Steingart hervorhebt ist seine intime Kenntnis des Landes. Wo viele nur mit dem Auge des fernen Beobachters über die Volksrepublik schreiben können, kann Kynge das Phänomen China von innen her betrachten.
Kynge, der in Edinburgh Chinesisch und Japanisch studiert hat, kam erstmals 1982 als Student in die Volksrepublik. Nach seinem Studium war er 19 Jahre lang als Berichterstatter in Asien tätig, davon 14 Jahre in China, wo er von 1998 bis 2005 das Büro der Financial Times in Peking leitete. Hinzu kommt, dass er für die Recherchen zu diesem Buch eine Reihe von Reisen nach Europa und in die USA unternommen hat, um vor Ort die Folgen von Chinas Wandel zu beobachten. Herausgekommen ist ein Werk, das zwar nicht unbedingt neue Ansätze bietet, dieses oftmals emotionsgeladene Thema aber kenntnisreich und weitgehend unvoreingenommen behandelt. Durch starke Elemente der Reportage und Beschreibungen persönlicher Erfahrungen bleibt das Buch dabei immer spannend zu lesen.
Um festzustellen, welchen Einfluss die Entwicklungen in China auf die Welt haben, nimmt Kynge den Leser zunächst mit auf eine Reise durch die westlichen Industrienationen. An Beispielen wie dem italienischen Ort Prato, der über Jahrhunderte für seine Textilindustrie berühmt war und nun dem Ansturm chinesischer Produzenten kaum noch Stand halten kann, dem in Deutschland abgebauten und am Unterlauf des Yangzi wieder aufgebauten Stahlwerks aus Dortmund-Hörde oder dem von der Maschinenbauindustrie abhängigen und nun in die Krise geratenen Ort Rockford im Mittleren Westen der USA verdeutlicht der Autor, dass China begonnen hat, das Leben der Menschen auf der ganzen Welt zu beeinflussen. Fast scheint es, als sei der Westen der Herausforderung aus Fernost in keiner Weise gewachsen, als wäre ein unaufhörlicher Abfluss von Wohlstand aus den entwickelten Ländern nach China unabwendbar.
In China stellt Kynge dem Leser die Träger des Wirtschaftswachstums vor, vom Firmenchef, der nach der Kulturrevolution sein Unternehmen aus dem Nichts aufbaute, bis zur Wanderarbeiterin, der ein lokaler Kader ihre guten Prüfungs- ergebnisse aus der Schule und somit jegliche Karriereperspektiven stahl. Aber auch andere Vertreter des neuen China kommen zu Wort, etwa der Vertreter einer Lobbygruppe oder ein Wirtschaftsfachmann, der sich bei der Regierung seit Jahrzehnten für eine vollständige Privatisierung einsetzt. En passant werden dabei Einblicke in das chinesische Wirtschaftssystem gegeben, das in vielen Belangen trotz des Beitritts Chinas zur WTO noch weit von einer Marktwirtschaft nach westlichem Verständnis entfernt ist. Man beginnt zu verstehen, wie es China gelungen ist, zur Werkbank der Welt geworden zu sein.
Im zweiten Teil des Buches beschäftigt sich Kynge mit den Hypotheken, die Chinas Aufstieg belasten. Die lange Liste von Problemen, mit denen das Land zu kämpfen hat – angefangen bei den drückenden Umweltproblemen über steigende Rohstoffabhängigkeit und Korruption bis hin zu dem Ungleichgewicht zwischen politischer und wirtschaftlicher Entwicklung – lässt ihn den Determinismus, mit dem Chinas Entwicklung oft betrachtet wird, anzweifeln. Doch auch wenn Kynge Chinas Schwächen für beinahe ebenso schwerwiegend hält wie seine Stärken sieht er der zukünftigen Entwicklung der Volksrepublik doch optimistisch entgegen.
China wird von den Menschen in den Industrienationen oft als Bedrohung angesehen, und tatsächlich bedeutet der Aufstieg des Landes für viele ein Risiko. Die Chancen und Vorteile jedoch werden oft vergessen. Auf der anderen Seite ist auch die Volksrepublik selber nicht unschuldig an ihrem schlechten Ruf. China und der Welt wird nichts anderes übrig bleiben als zu lernen, miteinander umzugehen. Rezepte hierfür kann auch Kynge nicht anbieten. Doch zumindest trägt sein Buch ein wenig dazu bei, die Problematik zu verstehen.
Johannes Lejeune
James Kynge
China - Der Aufstieg einer hungrigen Nation
Murmann Verlag
ISBN 3-938017-60-0
EUR 19,50
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