Newsletter 2007 Nr. 10
INHALT
Veranstaltungen und Termine
Einladung zum Treffen der SHAN-Ortsgruppe Peking
Am 21. April lädt die Ortsgruppe zu einem Treffen aller Heidelberger Sinologen in Peking ein. Treffpunkt ist um 10 Uhr an der South German Bakery, No. 27 of Lucky Street, 29 Zaoying Road, Chaoyang District. Auch Nicht-Mitglieder sind herzlich willkommen! Insbesondere für Neulinge in Peking bietet sich hier die Gelegenheit, sich mit anderen Sinologen auszutasuchen und nette Leute kennen zu lernen.
SHAN lädt ein zum Ehemaligentreffen
Am 16. Juni 2007 veranstaltet SHAN das erste Ehemaligentreffen für Heidelberger Sinologen. Am Nachmittag findet in der Alten Aula ein Vortrag des Journalisten und Publizisten Tilman Spengler statt, zu dem wir alle interessierten Zuhörer willkommen heißen. Im Anschluss laden wir alle ehemaligen Studierenden, Mitarbeiter des Instituts für Sinologie und natürlich alle Vereinsmitglieder herzlich ein zu einer gemeinsamen Feier - ein Anlass für ein Wiedersehen mit alten Freunden und für neue Begegnungen und Kontakte.
SHAN bietet Mentoring: Wie man an die richtigen Praktika kommt
Um Studierende bei Bewerbung und Planung von Praktika und Auslandsaufenthalten zu unterstützen, hat SHAN im vergangenen Semester das Mentoring ins Leben gerufen. Wir bieten Informationen und Erfahrungswerte oder einfach die Möglichkeit zu einem vertraulichen Gespräch.
Illegale Organentnahmen an Falun Gong-Mitgliedern
Vor etwa zwei Jahren trug eine Menschenrechtsorganisation schwerwiegende Anschuldigungen an zwei kanadische Menschenrechtsexpertern heran: In China würden Falun Gong-Praktizierende systematisch und ohne deren Einwilligung für Organentahmen am lebendigen Leib benutzt. David Kilgour, ehemaliger kanadischer Parlamentsabgeordneter, Staatssekretär und Staatsanwalt sowie der international anerkannte Menschenrechtsanwalt David Matas gingen diesen Anschuldigungen nach. Nach mehreren Jahren Recherche sind sich die beiden sicher: die Anschuldigungen treffen zu. SHAN traf einen der Autoren, David Matas, zum Gespräch.
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Ein chinesisch-indisch-japanisches Gemeinschaftsprojekt mit deutscher Beteiligung: Der Kongreß gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus 1927
Vor achtzig Jahren - im Februar 1927 - inszenierte der KPD-Propagandist Willi Münzenberg in Brüssel den internationalen Kongreß gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus. Zu den Hauptrednern gehörte der "Delegierte des Zentral-Exekutiv-Komitees der Kuomintang" Liao Huanxing und der "Delegierte des Allindischen Nationalkongresses" Jawahar Lal Nehru, sowie der Japaner Sen Katayama. Auf dem gleichen Kongreß wurde die Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit gegründet; in das Exekutivkomitee wurden Liao, Münzenberg und Nehru gewählt.
Rezension: "Globale Rivalen – Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens" von Eberhard Sandschneider
Die Chinesen kommen - müssen wir uns ängstigen vor ihrer wirtschaftlichen Konkurrenz, ihrer wachsenden militärischen Stärke, ihren außenpolitischen Ambitionen? "China ist der Markt der Zukunft", hört man von allen Seiten, aber ist das tatsächlich so? Rivale oder Partner, diese Frage stellen sich viele, wenn sie an die boomende Wirtschaft in China denken. Eberhard Sandschneider diskutiert und analysiert genau diese Frage in seinem kürzlich erschienen Buch "Globale Rivalen - Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens".
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OpenCourseWare Consortium
Das OpenCourseWare Consortium stellt Lehrmaterial aus über 100 Universitäten weltweit kostenlos im Internet zur Verfügung. Man kann sich ohne Anmeldung über das Lehrangebot der Universitäten informieren und nach Materialien suchen. Eine deutsche Universität ist an diesem Projekt der Opensource-Gemeinde nicht beteiligt, in China allerdings so namhafte Einrichtungen wie die Beijing Normal University, die Fudan und die Nanjing University. Allein das amerikanische Massachusetts Institute of Technology, an dem das Projekt seinen Anfang nahm, bringt sich mit über 1550 Kursen ein.
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Wie man an die richtigen Praktika kommt
Gerade für Geisteswissenschaftler ist es wichtig, schon während des Studiums Praxis- und Auslandserfahrung zu sammeln, um sich nach dem Abschluss möglichst gut „verkaufen“ zu können – solches und ähnliches bekommt man als Sinologiestudent oft zu hören. Aber der Weg zur erfolgreichen Selbstvermarktung ist kein leichter...
Schon vor der Bewerbung für einen Stipendien- oder Praktikumsplatz stellen sich viele Fragen:
- Wo kann ich mich als ChinawissenschaftlerIn einbringen?
- Wie kann ich mich über entsprechende Möglichkeiten informieren?
- An welchem Punkt in meinem Studium ist es sinnvoll, ein Praktikum zu machen?
- Sollte ich unbezahlte Praktika boykottieren?
- Soll ich eine Praktikumsstelle annehmen, die gar nichts mit meinem Sinologiestudium zu tun hat?
Aber auch das Verfassen von Bewerbungsschreiben oder organisatorische Schwierigkeiten lassen so manchen in Verzweiflung geraten. Um Studierende bei Bewerbung und Planung von Praktika und Auslandsaufenthalten zu unterstützen, hat SHAN im vergangenen Semester das Mentoring ins Leben gerufen. Wir bieten Informationen und Erfahrungswerte oder einfach die Möglichkeit zu einem vertraulichen Gespräch. Eva Krumbiegel, die für das Mentoring bei SHAN zuständig ist, hat selbst mehrere Praktika absolviert, unter anderem sechs Monate bei der Firma Wild in Peking. Die Sprechstunde findet jede Woche zu einem festen Termin statt, der noch per Aushang bekannt gegeben wird, oder nach Vereinbarung. Das Mentoring ist ein Angebot von SHAN, das allen Studierenden der Sinologie kostenlos offen steht.
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Illegale Organentnahmen an Falun Gong-Mitgliedern?
Vor etwa zwei Jahren trug eine Menschenrechtsorganisation schwerwiegende Anschuldigungen an zwei kanadische Menschenrechtsexpertern heran: In China würden Falun Gong-Praktizierende systematisch und ohne deren Einwilligung für Organentahmen am lebendigen Leib benutzt. Die Praktizierenden würden im Verlauf der Operation oder direkt danach getötet, zudem profitierten weite Kreise von Militär und politischen Funktionsträgern von dieser Praxis. David Kilgour, ehemaliger kanadischer Parlamentsabgeordneter, Staatssekretär und Staatsanwalt sowie der international anerkannter Menschenrechtsanwalt David Matas, der eine private Kanzlei in Kanada führt, gingen diesen Anschuldigungen nach. Ein erster Bericht wurde im Juli 2006 vorgelegt, ein zweiter Ende Januar 2007. Nach mehreren Jahren Recherche sind sich die beiden sicher: die Anschuldigungen treffen zu.
Herr Matas, Sie waren ursprünglich als Anwalt tätig, ihre Hauptfelder waren Recht, Wirtschaftsrecht und ähnliches. Als jemand mit diesem Thema auf Sie zukam, woher kam Ihre Bereitschaft, so viel Zeit und Energie zu investieren?
Ich interessiere mich für Menschenrechte, und das hier ist offensichtlich eine schwere Menschenrechtsverletzung. Ein weiterer Punkt ist, dass bei diesem Thema sonst niemand etwas unternahm. Bei anderen Menschenrechtsverletzungen gibt es viele Akteure, und hier tat einfach niemand etwas. Somit ist mein persönlicher Beitrag diese Arbeit.
Eine solche Beschuldigung wie die, dass Falun Gong-Anhänger in China systematisch und gegen ihren Willen für Organentnahme missbraucht werden, ist sicherlich nicht einfach zu untersuchen. Wo und wie fingen Sie an?
Mein Kollege David Kilgour und ich hatten einige Forscher, die mit uns zusammenarbeiteten. Wir fingen einfach an, so viele Informationen wie möglich zu beschaffen, indem wir Spuren folgten, einzelne Fäden miteinander verknüpften, um dann zu sehen, wohin diese uns führen. Wir begannen außerdem damit, einen analytischen Rahmen zu schaffen um klar zu definieren, was wir beweisen und was wir widerlegen müssten und herauszufinden, wie wir das tun können.
Welchen Problemen sahen Sie sich dabei ausgesetzt?
Ein Problem war, dass wir nicht nach China reisen konnten, da wir keine Visa von der chinesischen Regierung bekamen. Außerdem gibt es das evidente Problem, dass keiner diese Vorgänge überlebt. Es gibt keine Autopsie, keine Opferleichen, keine Zeugen, keine Aufzeichnungen und nur unzuverlässige Beweise von Straftätern. Das ist eine Situation, in der wir uns die einzelnen Puzzleteile darüber, was passiert, aus anderen Quellen als denen, die normalerweise Primärquellen sind, zusammensuchen mussten. Natürlich war die Regierung Chinas so unkooperativ wie sie nur sein konnte und überhaupt keine Hilfe.
Bei so vielen Schwierigkeiten: Was sind ihre Hauptbeweise und woran machen Sie Ihre nun veröffentlichten Schlussfolgerungen fest?
Wir haben Beweise von begnadigten Opfern die aussagten, dass Falun Gong-Anhänger systematisch einem Bluttest unterzogen würden, andere Verurteilte jedoch nicht. Zudem gibt es eine große Gruppe von Nichtidentifizierten, die einfach verschwinden. Wir hatten Patienten die uns berichteten, dass die Operationen im Geheimen durchgeführt werden und dass das Militär darin sehr stark involviert ist. Wir haben außerdem Kliniken angerufen die zugaben, dass die Quellen für Organe Falun Gong-Praktizierende sind. Weitere Indizien sind die generelle Lage der Menschenrechte in China und die Verteufelung von Falun Gong-Praktizierenden. Zudem haben wir die Darstellung der Exfrau eines Chirurgen, der solche Operationen vornahm – das sind so einige der Informationen, die wir haben.
Ihr erster Bericht wurde vor einem halben Jahr im Juli 2006 veröffentlicht. Hat sich die Situation seitdem unabhängig von der Ablehnung des Berichts durch die chinesische Regierung geändert oder gar verbessert?
Nun ja, es gab Veränderungen in dem Sinne, dass die Kliniken gewechselt wurden – das haben wir in Indonesien in Erfahrung gebracht. Man zog von bekannteren Krankenhäusern zu unbekannteren um, von großen Stadtkliniken zu abgelegenen, um die Transplantationen geheim zu halten. Eine weitere Entwicklung ist, dass wegen des Berichtes letztes Jahr das Volumen des Organhandels mit Australien zurückgegangen ist. Zudem habe ich gehört, dass die Zahl der Transplantationen in China zurückgegangen ist, weil man sich auf die Olympischen Spiele vorbereitet. In Taiwan gab es auf der Basis unseres Reports eine Richtlinie, in der die Regierung die Ärzte angewiesen hat, keine Transplantationen mit chinesischen Organen vorzunehmen. Also ja, es gab durchaus etwas, das passiert ist.
Erwarten sie, dass sich durch öffentlichen Druck etwas ändern wird?
Natürlich hoffen wir das, darum machen wir das ja auch. Ich bin im Bereich der Menschenrechte schon seit Jahrzehnten aktiv, manchmal bedeutet es einfach sehr viel Arbeit ohne konkrete Ergebnisse. Aber mit der Zeit erzielen diese Anstrengungen eine Wirkung.
Sie erwähnten gerade, dass Sie keine Visa für China bekamen. Gab es andere Einschränkungen oder Druck von chinesischer Seite aus?
Natürlich waren die Chinesen absolut nicht hilfsbereit, aber es war nicht so schlimm, dass es uns von der Arbeit abgehalten hätte. Sie sagten, dass wir nicht unabhängig seien, was durchaus eine schwere Beleidigung ist. Sie haben außerdem einige Treffen mit gewissen Leuten unterbunden, und manchmal haben sie uns erfolgreich behindert. Unabhängig davon bemühen wir uns natürlich, diese Praxis der Organentnahme so gut wie möglich bekannt zu machen.
Die Chinesen haben einige banale Widersprüche im Bericht angekreidet, aber die waren so offensichtlich banal, dass unsere Position nicht wirklich untergraben wurde.
Sie haben in der Vergangenheit auch zwei Mal ein Forum zu dieser Problematik angeboten, das von Falun Gong/Falun Dafa organisiert wurde. Sehen Sie die Gefahr, dass Falun Gong Sie für ihre Zwecke benutzen könnte? Genau eine solche Parteinahme wurde Ihnen von den Chinesen vorgeworfen.
Wir waren von einer Gruppe mehrerer Organisationen eingeladen, auch von Falun Gong-Mitgliedern. Falun Gong ist keine eigennützige Organisation, es gibt keine Mitgliedschaft, keine Büros, keine Bankkonten.
Wenn man argumentiert, dass Falun Gong uns benutzt, dann denkt man von Falun Gong als einer Entität, einer Einheit – das ist es aber nicht. Es ist ein Glauben, den eine Gruppe von Menschen praktiziert.
Ein weiterer Punkt ist: Von welchem Nutzen könnten wir für Falun Gong sein außer dem, ihnen zu helfen, eine Menschenrechtsverletzung und Betrügerei zu beenden? Es gibt keinen besonderen Zweck, den wir verfolgen. Wir sind keine Falun Gong-Anhänger, wir bekehren niemanden dazu, Falun Gong-Praktizierender zu werden. Wir treiben keine Gelder für sie ein. Wir machen gar nichts für Falun Gong, außer sie vor Organentnahmen zu beschützen.
Seit dem ersten Report reisen Sie und Ihr Kollege um die halbe Welt, halten Vorträge, sprechen mit Nongovernmental Organizations (NGOs), sind ständig beschäftigt. Bereuen Sie, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?
Nein. Ich müsste nicht die ganze Zeit herumreisen, ich mache es aber weil ich denke, dass es das wert ist. Was ich bedauere ist, dass diese Praxis weitergeht. Und ich bedaure, dass nicht mehr Leute dieses Thema aufnehmen. Ich würde es gern sehen, dass die etablierten Organisationen das Thema aufnehmen, damit wir uns nicht mehr darum kümmern müssten. Aber es muss getan werden, und daher machen wir weiter.
Inwieweit sind Sie mit den Reaktionen von NGOs nicht zufrieden?
Ich habe mich sehr über die International Society for Human Rights (ISHR), eine deutsche Organisation, gefreut. Sie kümmern sich um dieses Thema und versuchen, da etwas zu unternehmen. Aber die internationalen Organisationen wie Human Rights Watch (HRW), Human Rights in China (HRIC) oder Laogai (Laogai Research Foundation) – keine dieser etablierten Organisationen, die ihren Fokus auf China gerichtet haben, hat wirklich etwas getan.
Herr Matas, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Benjamin Kemmler.
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Ein chinesisch-indisch-japanisches Gemeinschaftsprojekt mit deutscher Beteiligung: der Kongreß gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus im Februar 1927
Vor achtzig Jahren – im Februar 1927 – inszenierte der KPD-Propagandist Willi Münzenberg in Brüssel den internationalen Kongreß gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus. Zu den Hauptrednern gehörte der „Delegierte des Zentral-Exekutiv-Komitees der Kuomintang“ Liao Huanxing und der „Delegierte des Allindischen Nationalkongresses" Jawahar Lal Nehru, sowie der Japaner Sen Katayama. Auf dem gleichen Kongreß wurde die Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit gegründet; in das Exekutivkomitee wurden Liao, Münzenberg und Nehru gewählt. Babette Gross, die Witwe Münzenbergs, schrieb in einer Biographie ihres Mannes: „Die Kuomintang besaß ein Büro in Berlin, mit dessen Sekretär, dem jungen und eifrigen Liau, Münzenberg befreundet war.“ (Babette Gross: Willi Münzenberg, Berlin, 1991, 287)
Vom Reich der Mitte nach Mitteleuropa
Liao Huanxing stammte wie Mao Zedong aus der Provinz Hunan und war zwei Jahre jünger als dieser: er wurde 1895 in Xincheng geboren. Liao kannte Mao schon zur Zeit der KP-Gründung – nach manchen Quellen waren sie entfernt verwandt – und trat 1922 der Partei bei. Im gleichen Jahr ging er zum Studium nach Europa und überbrachte dabei Mitteilungen der KP-Zentrale an die Kommunisten in Europa. Er „studierte“ etwa fünf Jahre lang an der Berliner Universität. Schon 1923 soll er eine deutsche Arbeiterin namens Dora geheiratet haben. Im Gegensatz zu anderen chinesischen Kommunisten wie Zhou Enlai und Zhu De, die er in Berlin traf, fiel Liao das Deutschlernen relativ leicht.
Journalismus für die Einheitsfront
In der Zeit der ersten chinesischen Einheitsfront (1925-27) führte Liao in Berlin ein politisches Doppelleben: er arbeitete sowohl für KP (und Kommunistische Internationale) als auch für die Kuomintang (KMT). In der Öffentlichkeit trat er als KMT-Repräsentant Liau auf, in der kommunistischen Presse publizierte er unter dem Pseudonym Tang Shin She (Xingqi). Er schrieb unter anderem für die Komintern-Organe Internationale und Internationale Pressekorrespondenz (Inprekorr), für Münzenbergs Arbeiter-Illustrierte Zeitung (AIZ), die Sächsische Arbeiter Zeitung, sowie für chinesische Zeitungen. Seine Broschüre Die ungleichen Verträge und die chinesische Revolution wurde in mehreren Sprachen veröffentlicht.
Flügelkämpfe
Zwischen den verschiedenen KMT-Flügeln entstanden jedoch – vor allem nach Sun Yatsens Tod (im März 1925) – scharfe Konflikte. Die amerikanische Journalistin Agnes Smedley, die sich damals mit dem Inder V. Chattopadhyaya in Deutschland aufhielt, erwähnt in ihrem Buch Der große Weg ein späteres Gespräch mit Zhu De: „Ich selbst hatte in der gleichen Periode auch in Berlin gelebt ... Als er von diesen Konflikten sprach, erinnerte ich mich an eine der chinesischen Versammlungen, in denen es zu Zusammenstößen gekommen war. Diese Versammlung, an der etwa fünfhundert Personen, darunter auch Deutsche, Inder und Chinesen teilnahmen, war von der örtlichen Kuomintanggruppe einberufen worden. General Tschu (Zhu) war einer der Führer diese Gruppe gewesen.“ (Agnes Smedley: Der große Weg, Berlin, 1958)
Im Juni 1925 wurden Zhu De und Liao Huanxing nach einer Studentenversammlung verhaftet. Zhu, der als Kommunist mehrfach aufgefallen war, wurde ausgewiesen (und ging im Juli nach Moskau). Liao bekam zunächst keine größeren Probleme – seine Kontakte zur Internationalen Arbeiterhilfe und zur sowjetischen Botschaft wurden von den deutschen Sicherheitsorganen allerdings aufmerksam beobachtet; er war als „eifriger Parteigänger der Russen bekannt“.
J. Nehru und V. Chattopadhyaya
Im Winter 1926-27 herrschte bei den kommunistischen Parteien und der Komintern große Euphorie wegen der ersten Erfolge der chinesischen Einheitsfront und des Nordfeldzugs. In dieser Zeit veranstaltete der KPD-Reichstagsabgeordnete Willi Münzenberg, der auch die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) leitete, in Brüssel den Kongreß gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus. (s.a. Willi Münzenberg: Solidarität – Zehn Jahre Internationale Arbeiterhilfe, Berlin, 1931) Nach dem im gleichen Jahr veröffentlichten Kongreßbericht nahmen über 170 Delegierte aus mehr als zwanzig Ländern teil; die Delegationen aus China und Deutschland waren die größten. Viele nicht-europäische Teilnehmer, darunter auch die meisten Chinesen, studierten oder arbeiteten schon in Europa und waren nicht extra wegen des Kongresses angereist. Neben Liao kamen noch verschiedene andere chinesische Kommunisten nach Brüssel, die sich jedoch als Studenten, Gewerkschaftsmitglieder oder Kuomintangrepräsentanten ausgaben. Unter den Indern waren J. Nehru und Smedleys „Gatte“ Chattopadhyaya. Der im Februar 1927 noch als erfolgreich eingeschätzte „Freiheitskampf des chinesischen Volkes“ war das Haupthema der Konferenz. Liao war der erste Redner und begann mit den Worten: „Im Namen des Zentral-Exekutiv-Komitees der Kuomintang ...“, machte aber auch deutlich, welchem Flügel der Partei er zuneigte: „Wenn auch unsere Partei, die Kuomintang, im Kampf gegen die Fremdenherrschaft alle Klassen in sich vereinigt, so spielt doch die Bauern- und Arbeiterschaft, die mehr als 80% der chinesischen Bevölkerung ausmacht, die Hauptrolle.“
Gegen Imperialismus – für Unabhängigket
Das Hauptergebnis des Kongresses war die Gründung der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit. Liao, Münzenberg und Nehru wurden Mitglieder eines siebenköpfigen Exekutivkomitees; die Zentrale war in Berlin.
Interessant ist vor allem, daß in Brüssel eine enge Zusammenarbeit von Indern und Chinesen (gegen Großbritannien) gefordert wurde, dies war vor allem im sowjetischen Interesse. In diesem Bereich haben Smedley und Liao wohl regelmäßig zusammengearbeitet. In der Biographie Agnes Smedley von Janice und Stephen MacKinnon (Zürich, 1989) heißt es: „Schon bald nach der Gründung der Liga gegen den Imperialismus machte sich Smedley an die Umsetzung eines ihrer Hauptziele: Nachrichten über China in der indischen Presse zu lancieren. Die Chinesische Nationalistische Partei (Kuomintang) hatte ein Informationsbüro in Berlin eingerichtet. Die Artikel dienten dem Ziel, daß sich Chinesen und Inder als gemeinsame Opfer des britischen Imperialismus vereinigten, um sich der Briten zu entledigen.“ (S.164) Die Kontakte mit Liao und anderen Chinesen haben Smedley vielleicht auch zu ihrer eigenen Chinareise inspiriert.
Spätestens 1927 lernte der kommunistische Chinese Liao Huanxing auch den kommunistischen Sinologen Karl August Wittfogel kennen – beide nahmen am Brüsseler Kongreß teil. Da Liao zu dieser Zeit die von Sun Yatsen gegründete KMT repräsentierte und Wittfogel schon 1927 eine Auswahl der Werke Sun Yatsens auf Deutsch herausgab, ist jedoch anzunehmen, daß beide schon vorher zusammengearbeitet hatten. Beide waren mit Münzenberg befreundet und beide publizierten in den gleichen Zeitschriften. Zu den letzten deutschsprachigen Artikeln Liaos gehört ein Bericht über die Brüsseler Tagung in der AIZ, sowie ein Beitrag über den Verrat Chiang Kaisheks in der Internationalen (Mai 1927).
Moskau und Peking
Nachdem im Sommer 1927 die Einheitsfront in China gescheitert war und KP und Komintern Ende des Jahres beim Kantoner Aufstands eine bittere Niederlage erlitten hatten, wurde die Strategie der kommunistischen Parteien radikaler. Dies führte auch zur Ablösung Liaos in Berlin; er wurde nach Moskau versetzt und arbeitete nun im Exekutivkomitee der Komintern (EKKI). Ruth Werner, die Anfang der dreißiger Jahre für den Sowjetspion Richard Sorge in Shanghai gearbeitet hatte, ging 1933 zu einer Schulung nach Moskau. Sie traf dort ihre Shanghaier Freundin, Agnes Smedley, wieder: „Agnes und ich besuchten den chinesischen Genossen Liau. Er war mit einer Arbeiterin aus einer süddeutschen Industriestadt verheiratet. Das Ehepaar Liau hatte einen reizenden, vielleicht sechsjährigen Jungen.“ (Ruth Werner: Sonjas Rapport, Berlin, 1977, 130) Liao Huanxing wurde 1938 verhaftet und verbrachte mehr als zehn Jahre in sibirischen Lagern. V. Chattopadhyaya starb während der Säuberungen in der Sowjetunion während J. Nehru ein berühmter Politiker wurde. Liao durfte erst 1951 nach China ausreisen, konnte jedoch aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands kaum noch arbeiten. Er starb 1964, seine Frau Dora kurz nach ihm. In den folgenden zwei Jahrzehnten wurde über seine Aufenthalte in Deutschland und in der Sowjetunion fast nichts bekannt. Weder in der DDR noch in der Volksrepublik wollte man sich mit dem Opfer der stalinistischen Säuberungen befassen. Erst als in den achtziger Jahren die europäischen Aktivitäten chinesischer Kommunisten und die Deutschlandbesuche von Zhou Enlai und Zhu De genauer erforscht wurden, erschienen in China einige seiner Artikel sowie biographische Informationen. Die frühen Kontakte von linken Chinesen, Indern und Japanern in Deutschland sind jedoch noch nicht systematisch untersucht worden.
Dr. Thomas Kampen
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22 :: Eberhard Sandschneider – "Globale Rivalen – Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens"
Die Chinesen kommen – Als Rivalen oder Partner?
Müssen wir uns ängstigen vor den Chinesen, ihrer wirtschaftlichen Konkurrenz, ihrer wachsenden militärischen Stärke, ihren außenpolitischen Ambitionen? „China ist der Markt der Zukunft“, hört man von allen Seiten, aber ist das tatsächlich so? Rivale oder Partner, diese Frage stellen sich viele, wenn sie an die boomende Wirtschaft in China denken. Eberhard Sandschneider diskutiert und analysiert genau diese Frage in seinem kürzlich erschienen Buch „Globale Rivalen – Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens“. Als Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Inhaber des Lehrstuhls für Politik Chinas und Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin ist Sandschneider Experte für deutsche Außenpolitik. Die Grundfrage, der er sich stellt, lautet: Kann China zu einer machtpolitischen Herausforderung werden, der der Westen nicht gewachsen ist? Zwar lassen uns die Informationsfluten, die uns aus China erreichen, dieses Bild mit China assoziieren, vermitteln aber dadurch nicht unbedingt mehr Wissen über das bevölkerungsreichste Land der Erde. Gegensätzliche Infos, fragwürdige Einschätzungen und Zahlenfluten verfälschen unser Bild. Sandschneider gibt einen kurzen vergleichenden Überblick über die politische und wirtschaftliche, wie auch geschichtliche Situation von Ost (China) und West (Europa und die USA) bis in die nahe Zukunft, bevor er ins Detail geht. Das Jahr 1989 stellt aus seiner Sicht sowohl für den Westen als auch für den Osten eine Wende dar. In Deutschland fiel die Mauer, in Mittel- und Osteuropa brachen alle kommunistischen Systeme zusammen. Der westliche Traum von Demokratie und Marktwirtschaft war in Erfüllung gegangen und man blickte aus im Westen euphorisch in die Zukunft. In China wurden zur gleichen Zeit Proteste laut, die Demokratie forderten, aber ohne Erfolg blieben. Am 4. Juni 1989 wurden die friedlichen Demonstrationen junger Menschen von chinesischen Panzern niedergeschlagen. Gerechtfertigt wurde die Niederschlagung mit dem Diktum der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), Instabilität und Chaos vermeiden zu müssen. Hinter diesem Ziel müssten alle anderen Interessen zurückstehen, so hieß es von chinesischer Seite. Sandschneider benutzt dieses einschneidende Ereignis bewusst, um den Leser schon am Anfang seine kritische Sichtweise auf China näher zu bringen.
Zwei Welten, die aufeinander treffen
Sandschneider wirft seinen Blick hier nicht nur auf Reibungspunkte der chinesischen, sondern auch der deutschen Politik. Denn auch dem Westen sind Fehlwahrnehmungen zu attestieren. Seit der Wende 1989/1990 und dem Ende des Ost-West-Konfliktes sollte sich nach westlicher Sicht Demokratie in Verbindung mit Marktwirtschaft weltweit durchsetzen. Dieses „Erfolgsrezept“, wie Sandschneider es nennt, hatte sich im Westen bestätigt und etabliert. Die „garantierte Sicherheit“, die herrschte, veranlasste die meisten dazu, diese Strategie als universell perfekt anzusehen. Wünschenswert erschien diese Kombination also auch für China - immerhin hätten Taiwan und Südkorea es vorgemacht. Doch warum sollte China seine Politik ändern, nur weil der Westen es so will? China hat sich auch ohne diesen zu dem Wirtschaftswunder entwickelt, das es heute ist. Sandschneider diskutiert dabei auch die Rezeption von Chinas Aufstieg durch den Westen, insbesondere die Frage, in welchem Maße China in sicherheits- und wirtschaftspolitischer Hinsicht eine Bedrohung für die USA und Europa darstellt. Diskussionen über Chinas Aufstieg fallen in Amerika weitaus negativer aus als in Europa. Auf wichtige Fragen über den Umgang mit China geben die USA und Europa sehr unterschiedliche Antworten, was für China eine offensichtliche Spaltung der Meinung im Westen darstellt. Aus diesem strategisch ungünstigen Defizit im Auftreten des Westens gegenüber China könnte es früher oder später seine Vorteile ziehen. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht attestiert Sandschneider den Chinesen ein geschicktes Vorgehen. Reformen, die Schritt für Schritt zum Erfolg führen sollen, ermöglichten nach chinesischer Aussage die vorsichtige wirtschaftliche Öffnung Chinas nach außen. Sandschneider hingegen vermutet dahinter das Eingeständnis, dass es an wirtschaftlicher Stärke für den direkten Wettbewerb mit dem Ausland noch fehle. China öffnet sich nur da, wo es sich einen eigenen Vorteil erschleichen könne.
Wird China also Partner oder Rivale des Westens?
China handele zu seinem eigenen Vorteil und ist nicht auf eine internationale Kooperation, beispielsweise zur möglichen Verstärkung des aktuellen Kampfs gegen den Terrorismus, angewiesen. Chinesischer Waffenhandel mit dem Nahen Osten und die zielgerichtete, eigennützige Suche nach Energiequellen in Afrika oder Lateinamerika sind dafür nur einige Beispiele. Aus politischer Sicht versucht Sandschneider, West und Ost gleichwertig zu behandeln, indem er Entwicklungen wie die Öffnung der Küstenstädte Chinas lobt, gleichzeitig aber die Schere zwischen Arm und Reich in Ost- und Westchina kritisch sieht. Er versetzt sich in die Lage der Chinesen und versucht die Position der Kommunistischen Partei nachzuvollziehen. Dabei ist der Aufstieg Chinas zur Weltmacht vielleicht weniger sicher, als im Westen oft angenommen wird. Sandschneider sieht eine ganze Reihe schwerer Fehler der KPCh, die zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch führen könnten. Da in China, anders als im Westen, der gesamte Apparat von einer einzigen Institution, der Kommunistischen Partei, abhänge, sei das Land für solche Fehler deutlich anfälliger.
Sandschneider empfiehlt, den Aufstieg Chinas zur Weltmacht nüchtern zu sehen. Überzeugt gibt er zu verstehen, dass nur, wer es verstehe, China an seinen Interessen zu packen, erfolgreich mit dem Land kooperieren könne. Seine Antwort auf die Frage lautet somit: „Es liegt an uns, ob aus drohender Rivalität produktiver Wettbewerb entstehen kann.“
Kathrin Achenbach und Benjamin Kemmler
E-Mail senden
Eberhard Sandschneider
Globale Rivalen - Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens
Hanser Wirtschaft
ISBN: 3446409343
EUR 19,90
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