Newsletter Dezember 2007 Nr. 17
INHALT
Nacht der Wissenschaft
In der Nacht vom 10. auf den 11. November, zwischen 18 Uhr abends und 2 Uhr morgens, fand in Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen zum ersten Mal die "Nacht der Wissenschaft" statt. Dabei stellten sich die Universitäten und Forschungseinrichtungen der Region der Öffentlichkeit vor. Das buntgemischte Programm der Sinologie war sehr gut besucht. Insbesondere der Programmpunkt "Chinesisch lernen in 45 Minuten" lockte wahre Menschenmassen ins Institut.
An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal ganz herzlich bei SHAN-Vorstandsmitglied Lena Henningsen bedanken, die die Organisation der Nacht am Institut für Sinologie in die Hand genommen hat.
Interview: „In den kommenden Monaten wird sich das Konfliktpotential der Taiwan-Frage erhöhen.“
Vielen dürfte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ein Begriff sein. Immerhin berät die mittlerweile in Berlin ansässige Denkfabrik, die 1962 in München gegründet wurde, bereits seit Jahrzehnten den deutschen Bundestag und die Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. SHAN traf Dr. Sebastian Bersick, der neben Politikwissenschaft auch Sinologie studiert hat und heute in der SWP als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Asien tätig ist, zum Gespräch.
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SHAN-Schulteam bei der Kinderuni
Zum wiederholten Mal fand an zwei Wochenenden im November die Heidelberger Kinderuni statt, die Kindern auf altersgerechte Weise Einblicke in die Universität und die Wissenschaft bietet. Auch das Institut für Sinologie war wieder vertreten. Neben einem Vortrag von Prof. Barbara Mittler gab es einen vom SHAN-Schulteam veranstalteten Workshop unter dem Motto "Chinesisch in 90 Minuten". Mit einfachen Dialogen wurden die Kinder an die Sprache herangeführt. "Chinesisch ist einfach... und nicht nur Lernen, sondern auch Spaß!" - so fasst eine junge Teilnehmerin ihre ersten Erfahrungen mit der Sprache zusammen. Anschließend wurden einige einfache Schriftzeichen erklärt, eingeübt - und dann als bunte Scherenschnitte ausgeschnitten. Zum Abschluss haben die Kinder noch das Lied "Liang zhi laohu" einstudiert und den Eltern, die zum Abholen kamen, als vierstimmigen Kanon vorgesungen. Ein begeisterter Junge meinte zum Schluss: "Alles hat Spaß gemacht, nur nicht, dass es so schnell vorbeiging."
Wolfgang Bauer und die Wiederbelebung der Heidelberger Sinologie
Wolfgang Bauer gehörte zu den bekanntesten und einflussreichsten deutschen Sinologen des 20. Jahrhunderts; er wurde zwar als "Münchener" Sinologe berühmt, war jedoch Anfang der sechziger Jahre zunächst nach Heidelberg berufen worden. Mit Bauers Ankunft in Heidelberg wurde vor 45 Jahren das Fach wieder belebt und ein neues Institut aufgebaut. Zehn Jahre nach seinem Tod (1997) soll hier kurz an ihn erinnert werden.
Das erste große China-Alumni-Treffen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach 35 Jahren
Vom 30. November bis 1. Dezember trafen sich in Bonn zum ersten Mal frühere DAAD-Stipendiaten, die in den letzten 35 Jahren in der Volksrepublik China studiert hatten. 1972 war - kurz nach der Etablierung diplomatischer Beziehungen zwischen der Volksrepublik und der Bundesrepublik - die erste kleine Gruppe von Stipendiaten nach Hongkong geflogen und dann mit dem Zug in die Hauptstadt gefahren; Direktflüge gab es noch nicht.
Chinesische Menschenbilder: 18. Jahrestagung der DVCS
"Was ist der Mensch?", "Woher kommt er?", "Welche Rollenbilder verkörpert er?" und "Wie wird der Mensch in China gesehen?" - das waren die Leitfragen, zu denen man auf der 18. Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Chinastudien e.V. (DVCS) nach Antworten suchen wollte.
Rezension: "Maoismus, China und die Linke - Bilanz und Perspektive" von Henning Böke
Chinas eigener Weg des Sozialismus hat, insbesondere in den Sechziger und Siebziger Jahren, viele fasziniert. Dass diese romantische Sichtweise des Maoismus noch immer Anziehungskraft besitzt, beweist dieses Buch, herausgegeben von theorie.org. Die Publikationsreihe möchte "die zentralen Themen linker Debatten kritisch" aufgreifen, das aber "sachlich, nüchtern und ohne Nostalgie".
>> zur vollständigen Rezension
Veranstaltungskalender
Weihnachtsfeier der Sinologie
18.12.07, ab 18:30 Uhr in Raum 136 des Instituts für Sinologie: Das Propädeutikum lädt zur traditionellen Weihnachtsfeier.
Chinesischer Nationalzirkus: "Buddha"
30.12.07, 19 Uhr, Rosengarten, Mannheim: Den Zuschauern durch eine spektakuläre Show die Faszination und Einzigartigkeit der Kultur ihres Heimatlandes näher bringen - das ist das Konzept des chinesischen Nationalzirkus. Dabei beeindruckt vor allem die schier unglaubliche Perfektion der Artisten.
„In den kommenden Monaten wird sich das Konfliktpotential der Taiwan-Frage erhöhen.“
Vielen dürfte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ein Begriff sein. Immerhin berät die mittlerweile in Berlin ansässige Denkfabrik, die 1962 in München gegründet wurde, bereits seit Jahrzehnten den deutschen Bundestag und die Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. SHAN traf Dr. Sebastian Bersick, der neben Politikwissenschaft auch Sinologie studiert hat und heute in der SWP als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Asien tätig ist, zum Gespräch.
SHAN: Herr Dr. Bersick, vor einiger Zeit hat Bundeskanzlerin Merkel den Dalai Lama empfangen, worauf die Volksrepublik China mit heftigen Protesten reagierte. Wenig später hat sich Außenminister Steinmeier kritisch über Frau Merkels Vorgehen geäußert. Weiß die Bundesregierung nicht so recht, wie sie mit China umgehen soll?
Sebastian Bersick: Die Wahrnehmung Chinas in Europa befindet sich zurzeit im Wandel. Das Land wird zunehmend nicht mehr nur als Chance, sondern auch als Konkurrent wahrgenommen. Frau Merkel bringt kritische Themen wie die Menschenrechte deutlich öffentlichkeitswirksamer zur Sprache als ihr Vorgänger. Dieses Verhalten kann man auch im Kontext dieser neuen Wahrnehmung Chinas sehen. Andererseits hat Herr Steinmeier bisher, im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern, den Dalai Lama nicht empfangen.
Kann die Politikberatung hier eine Rolle spielen?
Den Dalai Lama zu empfangen war eine Entscheidung der Kanzlerin, dem Vernehmen nach auch gegen Ratschläge aus dem Kanzleramt. Nicht einmal das Außenministerium bzw. dessen Ministerbüro war darüber informiert. In solchen Fällen spielt Politikberatung naturgemäß nur eine geringe Rolle. Letztlich sind es eben die gewählten Politiker, die die Entscheidungen fällen, und das ist ja auch richtig so. Als Kanzler Schröder das Ende des Waffenembargos gegen China beschlossen hat, hat auch er dies gegen die Empfehlungen seiner Berater getan. Die Aufgabe der Politikberatung liegt eher in der Entwicklung langfristiger Strategien sowie deren Bewertung. Außerdem ist erfolgreiche Politikberatung in der Lage, Debatten anzustoßen oder zu begleiten und so auch Einfluss darauf auszuüben, was als politisch relevant betrachtet wird.
Sie haben als Wissenschaftler an Universitäten gearbeitet und nun als Politikberater an der SWP. Unterscheidet sich die Arbeit in diesen beiden Berufsfeldern grundlegend?
Die SWP betreibt wissenschaftliche Politikberatung. Deshalb habe ich auch große Freiheiten bei der Wahl meines jeweiligen Forschungsgegenstandes. Andererseits muss das Thema schon eine praxisbezogene Relevanz besitzen. Grundlagenforschung wird in diesem Sinne bei uns nicht betrieben.
Die Unterschiede zur Arbeit des Wissenschaftlers sind größer bei Think Tanks, die sich stärker mit Ereignisinszenierung beschäftigen. In Brüssel beispielsweise haben viele Veranstaltungen vor allem Eventcharakter. Die SWP besitzt vielen anderen Denk- und Beratungsfabriken gegenüber aber auch den großen Vorteil, aufgrund der Finanzierung durch den Bund nicht so sehr auf das Einwerben von Drittmitteln angewiesen zu sein.
Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Beziehung zwischen der EU und Ostasien. Kann die EU auf ein Land wie China Einfluss ausüben?
Auch wenn es momentan einen Wandel im europäischen Chinabild gibt, so wird die Volksrepublik doch noch immer stark als Chance wahrgenommen – anders als in den USA, wo ein Bedrohungsgefühl schon lange sehr präsent ist. Zudem sind die USA auch aufgrund ihrer Sicherheitsfunktion in Ostasien – man denke etwa an die Allianzen mit Japan oder Südkorea – in einer ganz anderen Situation als die EU.
Europa fördert seit 30 Jahren, vor allem aber seit Mitte der 90er Jahre, eine Politik der Regionalisierung in Südostasien und Einbindung Chinas in der Region, beispielsweise im ASEAN Regional Forum. Gleichzeitig ist das Interesse vieler asiatischer Staaten gestiegen, die EU in Asien einzubeziehen. Europa wird als Zone des Wohlstands und der Sicherheit gesehen, und dies macht es unter anderem für die ASEAN in vielerlei Hinsicht zum Vorbild.
Der Aufstieg Chinas hat zu deutlichen Machtverschiebungen in Ostasien geführt. Wie reagieren die anderen Staaten der Region auf China?
China geht mit seiner neuen Rolle sehr souverän um. Aber es ist ja auch auf ein stabiles regionales Umfeld angewiesen, wenn es seine Modernisierung nicht gefährden will. Die chinesische Politik des friedlichen Aufstiegs wird auch von den anderen Staaten der Region wahrgenommen.
Es gibt trotzdem Versuche, Chinas neues Gewicht auszubalancieren. So war es beispielsweise den Mitgliedern der ASEAN wichtig, neben China auch das große Indien als Teilnehmer der East-Asia-Summits gewinnen zu können. Dennoch setzen die kleineren Länder der Region, ähnlich wie die EU, vor allem auf eine Einbindung Chinas. Es gibt viele Versuche, eine ostasiatische Gemeinschaft aufzubauen. Gegenseitige Abhängigkeiten machen ernsthafte Konflikte unwahrscheinlicher. Auch hier ist die EU ein Vorbild, denn wenn diese Abhängigkeiten nicht durch politische Institutionen ergänzt werden, bleiben eventuell auftretende Konflikte nur schwer lösbar.
Nächstes Jahr stehen in Taiwan Wahlen an. Hu Jintao hat gesagt, dass 2008 ein gefährliches Jahr für Taiwan werden könnte. Sehen Sie diese Gefahr auch, und worin besteht sie?
Chen Shuibian hat die Präsidentschaftswahlen im März 2008 mit einem Referendum gekoppelt, in dem darüber abgestimmt werden soll, ob sich die Republik China, also Taiwan, um einen Sitz in der UNO unter dem Namen „Taiwan“ bewerben soll. Pekings Handlungsspielraum ist aufgrund der Olympischen Spiele eingeschränkt. Chen testet aus, wie weit er gehen kann. Gleichzeitig ist die taiwanesische Innenpolitik zurzeit äußerst nervös. So hat Chen etwa auf einer Wahlkundgebung kürzlich mit der Verhängung des Kriegsrechts gedroht, falls bis zu den Parlamentswahlen im Januar oder den Präsidentschaftswahlen keine Einigkeit zwischen der DPP und der KMT hinsichtlich spezifischer wahltechnischer Fragen erzielt werden kann. Die Drohung nahm er am darauffolgenden Tag zurück. Durch diese Politik wird aber nicht nur Peking, sondern auch Washington provoziert. Die USA haben ihre Opposition zum Referendum angekündigt. In den kommenden Monaten wird sich das Konfliktpotential der Taiwan-Frage erhöhen.
Herr Dr. Bersick, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führten Johannes Lejeune und Kathrin Achenbach.
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Wolfgang Bauer und die Wiederbelebung der Heidelberger Sinologie
Wolfgang Bauer gehörte zu den bekanntesten und einflussreichsten deutschen Sinologen des 20. Jahrhunderts; er wurde zwar als "Münchener" Sinologe berühmt, war jedoch am 23. Februar 1930 in Halle geboren und Anfang der sechziger Jahre zunächst nach Heidelberg berufen worden. Mit Bauers Ankunft in Heidelberg wurde vor 45 Jahren das Fach wieder belebt und ein neues Institut aufgebaut. Zehn Jahre nach seinem Tod (1997) soll hier kurz an ihn erinnert werden.
Wolfgang Bauer hatte früh seine Eltern verloren und machte 1948 in München Abitur, zur Wehrmacht war er nicht mehr eingezogen worden. Er studierte neben Sinologie, Japanologie und Philosophie auch Mongolistik, Sanskrit und Tibetisch und promovierte schon 1953. Er blieb als Assistent in München und habilitierte sich 1959; danach verbrachte er mehr als ein Jahr in den Vereinigten Staaten. 1962 wurde Bauer – vier Jahrzehnte nach der Tätigkeit von Friedrich Ernst August Krause – nach Heidelberg berufen.
Seine Schülerin und Kollegin Käte Finsterbusch beschrieb die damalige Situation folgendermaßen: "Als im Jahr 1962 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg das Sinologische Seminar begründet und der junge Sinologe Wolfgang Bauer als erster Fachvertreter auf den Lehrstuhl für Sinologie berufen wurde, war ihm, gerade von einer Gastprofessur aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt, ein kleines Team sehr ergebener Schüler und Doktoranden dorthin gefolgt. [...] Studenten der Kunstgeschichte, die in Heidelberg von Dietrich Seckel in die ostasiatische Kunst eingeführt wurden, erhielten nun am Sinologischen Seminar die Möglichkeit, ergänzend das Studium der chinesischen Sprache aufzunehmen."
Hwang Shen-chang ergänzte: "von Anfang an mit von der Partie waren auch Rudolf Wagner, Lothar Ledderose, Helmut Brinker". Laut Rudolf Wagner schaffte es Bauer "zugleich Taoist und Konfuzianer zu sein". Lothar Ledderose schrieb über seinen Lehrer: "Die Facettenvielfalt der Persönlichkeit faszinierte uns, und sie prägte auch unser Selbstverständnis als angehende Wissenschaftler. Bauer lebte uns vor, wie sich Engagement und Ernsthaftigkeit eines Wissenschaftlers auch und gerade darin erweisen, dass er seine Wissenschaft zur Persönlichkeitsbildung nutzt."
1966 wechselte Bauer dann nach München, wo er – nur unterbrochen durch viele Forschungsreisen – bis zu seinem Tod blieb. Obwohl er nur knapp vier Jahre an der Universität Heidelberg lehrte, hatte seine Tätigkeit für das Fach und seine StudentInnen sehr große Bedeutung. Wenn man bedenkt, dass zu den damaligen Studenten auch die heutigen Professoren Lothar Ledderose und Rudolf Wagner gehörten, wird die "Nachhaltigkeit" seines Wirkens deutlich. Als er Heidelberg verließ, folgten ihm einige Schüler nach München, während Günther Debon, mit dem er dort zusammen studiert hatte, in Heidelberg sein Nachfolger wurde. Debon bemerkte: Bauer "baute das dort gegründete Sinologische Seminar tatkräftig aus. 1968 konnte ich dieses übernehmen, zunächst am Hans-Thoma-Platz in Handschuhsheim, schon bald in einer ehrwürdigen Villa im Osten der Stadt nahe dem Karlstor."
Wolfgang Bauer hat sich für zahlreiche Themen aus Geschichte, Kunst, Literatur, Philosophie, Religion und Sprache interessiert und sehr viele und sehr unterschiedliche Forschungsprojekte betreut. Ab 1953 veröffentlichte er zahlreiche Monographien und Aufsätze und hat außerdem die mehrbändige Bibliographie Das chinesische Deutschlandbild herausgegeben; besonders beliebt ist bis heute die von Herbert Franke und ihm übersetzte Novellensammlung Die goldene Truhe (1959). Wolfgang Bauer gehörte mit Herbert und Wolfgang Franke zu den ersten deutschen Nachkriegssinologen, die international bekannt wurden; er besuchte zahlreiche Konferenzen, viele seiner Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Vor dreißig Jahren (1977) war Bauer mit Debon, Ledderose und den beiden Frankes Mitglied der ersten Delegation von Sinologieprofessoren der Bundesrepublik, die die VR China besuchte.
Alle Zitate aus Li-Yun Bauer-Hsieh: Facies – Facetten, In Memoriam Wolfgang Bauer (1930-1997), Taipei, 2000.
Literatur:
Wolfgang Bauer:
Chang Liang und Ch’en P’ing, zwei Politiker aus der Gründerzeit der Han-Dynastie (Diss.), München, 1953.
Der chinesische Personenname (Habil.), Wiesbaden, 1959.
China und die Hoffnung auf Glück, München, 1971.
Das Antlitz Chinas, München, 1990.
Li-Yun Bauer-Hsieh:
Facies – Facetten, In Memoriam Wolfgang Bauer (1930-1997), Taipei, 2000.
Helwig Schmidt-Glintzer:
Das andere China, Festschrift für Wolfgang Bauer zum 65. Geburtstag, Wiesbaden, 1995.
Thomas Kampen:
Der erste Sinologe: Friedrich Ernst August Krause, Heidelberg, 2007. (http://www.sino.uni-heidelberg.de/alumni/newsletter/07-07/krause.htm).
Dr. Thomas Kampen
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Das erste große China-Alumni-Treffen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach 35 Jahren
Vom 30. November bis 1. Dezember trafen sich in Bonn zum ersten Mal frühere DAAD-Stipendiaten, die in den letzten 35 Jahren in der Volksrepublik China studiert hatten. 1972 war – kurz nach der Etablierung diplomatischer Beziehungen zwischen der Volksrepublik und der Bundesrepublik – die erste kleine Gruppe von Stipendiaten nach Hongkong geflogen und dann mit dem Zug in die Hauptstadt gefahren; Direktflüge gab es noch nicht. Einer der Pioniere, der Jurist Ulrich Manthe, der heute Professor in Passau ist, gehörte zu den mehr als hundert Teilnehmern des Treffens und berichtete von seinen Erlebnissen. Er hatte sich ursprünglich für Taiwan beworben, nutzte dann aber spontan die erste Möglichkeit, in Beijing zu studieren.
Neben einem Dutzend Alumni-Referent(inn)en berichteten etwa ebenso viele DAAD-Mitarbeiter und Referatsleiter – darunter die weithin bekannte Birgitt Böhme – über ihre langjährige Arbeit und ihre Vorstellungen zum Ausbau der Alumniarbeit, die der DAAD erst spät begonnen hat. Sie erinnerten auch an die frühe Gründung des DAAD vor mehr als achtzig Jahren (1925) und die Taiwanaktivitäten vor 1972. Ausserdem sprachen Vertreter der chinesischen Botschaft und des ehemaligen Spracheninstituts Beijing (yuyan xueyuan). Abends gab es noch ein kleines Guqin-Konzert des früheren Stipendiaten Manfred Dahmer (Frankfurt).
Die Alumni selbst diskutierten nicht nur ihre Chinaaufenthalte, sondern auch ihre spätere Tätigkeit in vielen verschiedenen Bereichen und Institutionen (BMBF, DFG, MPG, Lufthansa, Siemens und Universitäten). Seit den achtziger Jahren sind viele Rückkehrer – darunter Monika Schädler (Bremen) und Volker Klöpsch (Köln) – als Dozent(inn)en an Universitäten und Fachhochschulen tätig. Einer – Klaus Birk – wurde selbst Referatsleiter beim DAAD. Einige wenige blieben in China, wie z.B. Kosima Weber-Liu; andere kehrten nach einigen Jahren nach Beijing zurück, wie Eva Sternfeld.
Da bei so vielen Teilnehmern und Themen vieles nicht diskutiert werden konnte, gab es immer wieder Forderungen nach einem weiteren Treffen und besserer Kommunikation. Daher ist schon bald mit weiteren Aktivitäten und auch Veröffentlichungen zu rechnen.
weitere Informationen:
DAAD
Alumni-Seiten des DAAD
DAAD: Spuren in die Zukunft – Der Deutsche Akademische Austauschdienst 1925-2000, Bonn 2000.
Dr. Thomas Kampen
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Chinesische Menschenbilder: 18. Jahrestagung der DVCS
Im Frühjahr 1990 wurde in Berlin die Deutsche Vereinigung für Chinastudien e.V. (DVCS) gegründet, um die Chinastudien in Deutschland durch einen intensiveren Dialog zwischen Chinaforschern und Chinainteressierten zu fördern. Zu diesem Zweck finden jedes Jahr Tagungen mit verschiedenen Themen statt, bei denen neue Forschungsergebnisse im Rahmen der Chinastudien vorgestellt und diskutiert werden. Vor allem dem sinologischen Nachwuchs soll ein Diskussionsforum geboten werden, um Forschungsprojekte zu präsentieren und Publikationsmöglichkeiten zu schaffen.
Die 18. Jahrestagung fand vom 23. bis 24. November 2007 in den Räumen der Ruhr-Universität in Bochum statt und trug den Titel "Chinesische Menschenbilder"
Die Tagung wurde eröffnet vom DVCS-Vorsitzenden, Herrn Dr. Klöpsch, der in seiner Begrüßungsansprache darauf hinwies, dass die Frage nach der menschlichen Natur eine der faszinierendsten Fragen überhaupt sei. "Was ist der Mensch?", "Woher kommt er?", "Welche Rollenbilder verkörpert er?" und "Wie wird der Mensch in China gesehen?" - das waren die Leitfragen, zu denen man auf der Tagung nach Antworten suchen wollte.
Nach Ansicht von Heiner Roetz, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, gewinnt der Faktor Kultur, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht, immer mehr an Bedeutung und wirkt sich auch auf aktuelle Themen wie die Menschenrechtsfrage in China aus. Daher sollte das Menschenbild nicht isoliert betrachtet, sondern in einem größeren Zusammenhang gesehen werden.
In den Vorträgen wurden die chinesischen Menschenbilder von der frühen Zhou-Zeit bis heute beleuchtet. Die weiteren Vorträge befassten sich mit unterschiedlichen Menschenbildern in Literatur, Gesellschaft, Kultur, Psychologie und in der Werbung.
Auch Lena Henningsen von der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg bereicherte die Tagung mit ihrem Vortrag "Totgesagte Leben länger - Der Autor in der gegenwärtigen populären chinesischen Literatur" , in dem es unter anderem um die Selbstdarstellung junger Autoren in ihren Romanen und in der Öffentlichkeit ging.
Abschließend können wir sagen, dass die Exkursion nach Bochum und die Teilnahme an dieser Tagung sehr lohnend und informativ für uns Studierende war. In diesem Zusammenhang möchten wir auch auf die Tagung für junge Chinaforscher im Februar nächsten Jahres in Leipzig hinweisen.
My Linh Lam, Ilka Sagner
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Henning Böke: "Maoismus, China und die Linke – Bilanz und Perspektive"
Chinas eigener Weg des Sozialismus hat viele fasziniert. Am sichtbarsten war das in der Zeit der großen sozialistischen und antiautoritären Bewegungen, wie beispielsweise ein Blick auf Deutschland in den späten Sechziger und Siebziger Jahren zeigt. Moskau, so meinten damals nicht wenige, gehe verdeckt den kapitalistischen Weg, der wahre Kommunismus aber werde in China verwirklicht. Dass diese romantische Sichtweise nichts von ihrer Anziehungskraft verloren hat, beweist dieses Buch, herausgegeben von theorie.org. Diese Publikationsreihe möchte „die zentralen Themen linker Debatten kritisch“ aufgreifen, das aber „sachlich, nüchtern und ohne Nostalgie“. Dass das dem Autor gelingt, darf getrost bezweifelt werden. Herausgekommen ist dennoch ein Buch, das einen Blick wert ist, interessant insbesondere für diejenigen, die wichtige Kernpunkte des Maoismus nachvollziehen möchten.
Mao und seine Ideen bleiben für viele ein Rätsel. Zu unterschiedlich erscheinen die politischen Konsequenzen, die er im 20. Jahrhundert für China und die Welt gehabt hat und zu irrational die großen Kampagnen. Kaum würde man jedoch anzweifeln, dass sich hinter all dem ein umfangreiches theoretisches Konstrukt und politisches Kalkül verbirgt. Dankbarerweise schafft es der Autor, beides - also theoretische Weiterentwicklungen des Marxismus-Leninismus durch Mao und politische Geschehnisse - miteinander zu verknüpfen. Chronologisch werden die Ereignisse geschildert. Häufig stellt der Autor dabei der Schilderung einzelner Konflikte innerhalb der chinesischen Führung und der Darstellung ideologischer Prämissen der chinesischen Führung eine Erläuterung der ursprünglichen Ideen von Marx und deren Weiterentwicklung von Lenin zur Seite. Anschaulich wird etwa erklärt, aus welchen Überlegungen heraus Mao Widersprüche in antagonistische sowie nichtantagonistische unterteilte und wie sich diese theoretische Nuance in der Praxis auswirkte. Ausführlich werden alle wichtigen Geschehnisse in der politischen Geschichte Chinas des 20. Jahrhunderts, die Rezeption bei den Linken Westeuropas sowie die Reformpolitik der letzten 20 Jahre aufgezeigt. Auch Details finden sich wieder.
Getrübt wird all das jedoch von der ideologischen Brille, durch die der Autor permanent auf sein Untersuchungsobjekt schaut.
Sichtweise und Rhetorik bleiben im gedanklichen Gefängnis des Marxismus verhaftet und mögen manchen Leser sicherlich hier und da zum Schmunzeln anregen. Jung Changs vor zwei Jahren erschiene, durchaus kritisierbare Mao-Biografie ist bei Böke nichts weiter als „antikommunistischer Geschichtsrevisionismus“, der „die Zerstörung eines Mythos“ anstrebt. Katastrophale politische Großereignisse wie der Große Sprung werden zwar ausführlich in ihren kapitalen Fehlern und Auswirkungen geschildert; aber immerhin, so der Autor, ging es „mit guten Vorsätzen in die Hölle“. Umständliche Abschweifungen, die zumindest der rhetorischen Abmilderung menschlicher Katastrophen dienen, erscheinen dabei zusätzlich fragwürdig.
Trotz seiner offensichtlichen Mängel scheint das Buch gut recherchiert und greift auf umfangreiches Material zurück. Angesichts der Tatsache, dass dem Verlag zu den Referenzen des Autors nicht mehr einfällt als „Publikationen in diversen linken Zeitungen und Zeitschriften“, scheint das doch immerhin erstaunlich. Ebenso das Kapitel über die Rezeption und die Wirkungsgeschichte des Maoismus auf linke Kreise im Westen gehören zu den Stärken des Buches.
Fazit: Ein für den interessierten Leser sehr nützliches Buch, dass einen brauchbaren Überblick über die maoistische Ideologie, deren Besonderheiten sowie Abweichungen vom Marxismus und Leninismus gibt. Für den Sinologen, der sich mal eben mit wenig Aufwand einlesen möchte, allemal die Lektüre wert.
Benjamin Kemmler
Henning Böke
Maosimus
Schmetterling Verlag
ISBN 978-3896575968
EUR 10,00
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