Newsletter Juli 2008 Nr. 24

INHALT

"Ich glaube nicht, dass mir eine Berufsbezeichnung bei der Arbeit helfen würde."

Dr. Tilman Spengler ist nicht nur Alumnus der Heidelberger Sinologie und Kuratoriumsmitglied von SHAN, sondern auch Autor und Herausgeber. Kürzlich wurde ihm der Literaturpreis der Stadt München verliehen. SHAN sprach mit ihm über seine Arbeit und seine Verbindung zu Heidelberg.

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Absolventenfeier

Am 17. Juli fand die Absolventenfeier des Instituts für Sinologie statt. Sechs AbsolventInnen konnten neben den Glückwünschen von Frau Prof. Müller-Saini auch eine Urkunde und den obligatorischen Heidelberger Studentenkuss in Empfang nehmen. Die Feier wird bereits seit zwei Jahren von SHAN organisiert, womit der Grundstein für eine schöne Tradition gelegt wurde.


Komplizierte Familienverhältnisse: Mao Zedongs Söhne, Schwiegertöchter und die geheimnisvolle Schwägerin

Im letzten Jahr starb Mao Zedongs vor 85 Jahren geborener zweiter Sohn Mao Anqing; in diesem Frühjahr ist nun auch dessen Witwe Shao Hua - kurz vor ihrem siebzigsten Geburtstag - gestorben. Maos erster Sohn, Mao Anying, war schon 1950 im Koreakrieg gefallen, dessen Witwe, Liu Songlin, lebt allerdings noch.

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"...wie ein Motorrad mit Beiwägele!"

Heidelberger Sinologen bringen Grundschülern Chinesisch bei. Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick in die Klassenzimmer.

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Veranstaltungskalender

Olympia (08. - 24.08.08)

Der Veranstaltungskalender fällt diesen Monat dem Sommerloch zum Opfer. Dafür bleibt jedem Interessierten mehr Zeit für die umfangreiche Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Peking.


"Ich glaube nicht, dass mir eine Berufsbezeichnung bei der Arbeit helfen würde."

Dr. Tilman Spengler ist nicht nur Alumnus der Heidelberger Sinologie und Kuratoriumsmitglied von SHAN, sondern auch Autor und Herausgeber. Kürzlich wurde ihm der Literaturpreis der Stadt München verliehen. SHAN sprach mit ihm über seine Arbeit und seine Verbindung zu Heidelberg.

SHAN: Vorneweg erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Münchner Literaturpreis! Mit dem Preis wurden Sie vor allem für Ihr Werk als Schriftsteller geehrt. Außer als Schriftsteller sind Sie unter anderem als Herausgeber, Journalist, Redenschreiber und Sinologe tätig – welche Berufsbezeichnung würden Sie für sich selbst wählen? Welche Ihrer Tätigkeiten üben Sie am liebsten aus, und warum?

Spengler: Ich glaube nicht, dass mir eine Berufsbezeichnung bei der Arbeit helfen würde, jedenfalls keine, die einem Arbeitsamt oder der Sozialstatistik einleuchtete. Ich hatte das Glück, aus allen diesen Tätigkeiten einen Beruf machen zu können - und übe auch gerne und mit großer Liebe Tätigkeiten aus, die nicht direkt mit den genannten Aktivitäten zu tun haben.

Der Münchner Literaturpreis wird nur an Autoren vergeben, die eine enge Verbindung zur Stadt München haben. Inwiefern fühlen Sie sich auch der Stadt Heidelberg verbunden?

Zum ersten Mal eine Sinologievorlesung gehört, zum ersten Mal einen Fluss durchschwommen, zum ersten Mal in einer Universitätsbibliothek gearbeitet, zum ersten Mal hoffnungslos verliebt - reicht das?

Einige Ihrer Bücher beschäftigen sich mit China. Wie hat es Sie beim Schreiben beeinflusst, dass Sie für deutsche Leser schreiben?

Besonders schwierig ist bei Romanen der Umgang mit Namen. Einmal, weil der Leser sie sich kaum merken kann, zum anderen, weil sie so unangenehm folkloristisch klingen, wenn man sie direkt überträgt. Zu schaffen macht einem auch die merkwürdige Welt, die andere Autoren geschaffen haben, dieser Brodeltopf von asiatischen Halbweisheiten.

Glauben Sie, Ihre Bücher könnten auch bei chinesischen Lesern Erfolg haben?

Diese Hoffnung lasse ich mir nicht nehmen. Man wird im Alter bekanntlich halsstarrig.

Inwieweit wurde die Freude über den Literaturpreis davon überschattet, dass das Kursbuch eingestellt wird, das Sie seit vielen Jahren herausgeben?

Es ist nicht das Kursbuch eingestellt worden, sondern die ZEIT hat ihre Zusammenarbeit mit dem Kursbuch beendet. Das ist natürlich ärgerlich, weil niemand gerne nach so kurzer Zeit der Kohabitation wieder umzieht und sich auf einen neuen Partner einstellt. Im Augenblick verhandele ich darüber, wie das Kursbuch sein eigener Nachfolger werden kann. Es wäre doch bedauernswert, wenn ein weiteres Organ vom Buchmarkt verschwände, in dem Nachdenkenswertes, Anregendes, bisweilen sogar Witziges veröffentlicht werden kann.

Mit dem Münchner Literaturpreis wurden Sie für Ihr Lebenswerk gewürdigt. Ist Ihr Tatendrang weiterhin ungebremst?

Bei jedem meiner Preise versuche ich, ihn für mein Lebenswerk zu bekommen. Das hat steuerliche Gründe, denn nur das Lebenswerk ist von der Einkommenssteuer befreit. Halten Sie es für möglich, dass ich diesen Preis als diskreten Hinweis verstehen sollte, endlich mit dem Schreiben aufzuhören?

Verraten Sie uns, woran Sie gerade arbeiten?

An der Fortsetzung meines Lebenswerkes, naturgemäß.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Laura Jehl

 

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Komplizierte Familienverhältnisse: Mao Zedongs Söhne, Schwiegertöchter und die geheimnisvolle Schwägerin

Im letzten Jahr starb Mao Zedongs – vor 85 Jahren geborener – zweiter Sohn Mao Anqing; in diesem Frühjahr ist nun auch dessen Witwe Shao Hua – kurz vor ihrem siebzigsten Geburtstag – gestorben. Maos erster Sohn, Mao Anying, war schon 1950 im Koreakrieg gefallen, dessen Witwe, Liu Songlin, lebt allerdings noch. Die jetzt verstorbene Shao Hua war die jüngere Halbschwester von Liu Songlin. Ihre Mutter, Zhang Wenqiu, starb vor sechs Jahren in ihrem 100. Lebensjahr.
Mao Zedong und seine Söhne

Mao Anying und Mao Anqing waren die Kinder von Mao und seiner ersten Frau Yang Kaihui, die 1930 von der Kuomintang (KMT) in Hunan ermordet wurde. Die Söhne wurden nach dem Tod ihrer Mutter nach Shanghai gebracht und kamen dort in einen von dem Untergrundkommunisten Dong Jianwu geleiteten geheimen Kindergarten in dem auch andere Kinder bekannter Kommunisten lebten. Aus Sicherheits- und Finanzgründen wurden Maos Kinder 1936 in die Sowjetunion gebracht und verbrachten mehrere Jahre in dem Internat von Iwanowo, wo sich auch andere Kinder von chinesischen Kommunisten befanden; die Unterrichtssprache war Russisch. Wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs dauerte ihr Aufenthalt weitaus länger als geplant.

Zhang Wenqiu und ihre Töchter

Zhang Wenqiu stammte aus der Provinz Hubei und war mit einem Kommunisten mit dem Familiennamen Liu befreundet. Durch ihn lernte sie 1927 in Hubei auch Mao Zedong kennen. 1929 wurden Liu und Zhang in Shandong verhaftet, Liu wurde wegen kommunistischer Aktivitäten hingerichtet, die schwangere Zhang Wenqiu freigelassen. Zhang ging dann nach Shanghai und begann trotz der großen Gefahren illegal für die KP zu arbeiten. Ihre kleine Tochter Liu Songlin war hierfür eine gute Tarnung. Die beiden kamen also ungefähr zur gleichen Zeit wie Maos Söhne nach Shanghai, kannten diese aber vermutlich nicht.

Als der 1930 in Shanghai eingetroffene kommunistische Agent Richard Sorge eine Sekretärin suchte, wurde ihm von Zhou Enlai, dem damaligen Verantwortlichen für den KP-Geheimdienst, Zhang Wenqiu vermittelt. In dieser Zeit lernte Zhang nicht nur den deutsch-russischen Agenten Sorge sondern auch die amerikanische Journalistin Agnes Smedley kennen; beide hatten auch mit der deutschen Kommunistin Ruth Werner Kontakt.  (Sonjas Raport) Daher wurde Zhang auch in verschiedenen Publikationen von und über Smedley, Sorge und Werner erwähnt.

Söhne und Töchter
Nachdem Richard Sorge Shanghai verlassen hatte und zahlreiche Kommunisten in Shanghai verhaftet worden waren, floh Zhang Wenqiu mit ihrer Tochter in den Nordwesten, wo sich die KP-Führung nach dem Langen Marsch befand. Dort lernte sie einen Kommunisten namens Chen kennen und bekam bald darauf eine zweite Tochter: Zhang Shaohua, die sich später Shao Hua nannte. Kurz darauf wurden sie nach Xinjiang geschickt, um im chinesisch-sowjetischen Grenzgebiet zu arbeiten. Anfang der vierziger Jahre wurden dort zahlreiche Kommunisten verhaftet, Chen wurde getötet. Zhang verbrachte mehrere Jahre im Gefängnis und bekam eine dritte Tochter. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte Zhang mit ihren Töchtern Xinjiang verlassen und kehrte nach Yan’an zurück. 1947 verliessen die Kommunisten ihren Stützpunkt und erreichten bald die Provinz Hebei, wo Zhang für die kommunistische Verwaltung arbeitete. Zu dieser Zeit kehrten auch Maos Söhne aus der Sowjetunion zurück. Mao Anying lernte Liu Songlin kennen und heiratete sie im Oktober 1949 – zwei Wochen nach der Gründung der Volksrepublik; im folgenden Jahr starb er in Korea. Der jüngere Bruder Anqing heiratete 1960 Shao Hua.

Zhang Wenqiu arbeitete nach der Gründung der VR China für die chinesische Blindenvereinigung, bekam während der Kulturrevolution aber erhebliche Probleme. Bis in die achtziger Jahre war über Zhang Wenqius abenteuerliches Leben nichts öffentlich bekannt; in ihren letzten Lebensjahren begann sie jedoch Interviews zu geben und selbst Memoiren zu schreiben.

„General Shao Hua“ und ihr Sohn Mao Xinyu

Shao Hua ging nach einem Universitätsstudium zur Volksbefreiungsarmee und wurde in China als „General Shao Hua“ berühmt; auf den meisten Photos trägt sie Uniform. Sie war gleichzeitig Mitglied im Schriftstellerverband und leitete den Verband der Photographen. Sie half ihrer Mutter beim Aufschreiben ihrer Erinnerungen und schrieb selbst über ihren kranken Mann und über Mao Zedong. 1970 wurde ihr Sohn Mao Xinyu geboren, der Maos ältester Enkel ist.

Literatur:
Wang Yifan: Mao Zedong de shige ernü, Zhibu jianshe, No.3, 2003, 46-47.
“Thousands attend funeral service for Mao Anqing”, http://english.people.com.cn/200704/03/eng20070403_363268.html
“Shao Hua reelected president of China’s Photographers Association”, http://www.china.org.cn/culture/2007-11/27/content_1233204.htm
“Daughter-in-law of Chairmen Mao Zedong dies in Beijing”, http://english.eastday.com/eastday/englishedition/nation/userobject1ai3676401.html

Dr. Thomas Kampen

 

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"...wie ein Motorrad mit Beiwägele!"

Heidelberger Sinologen bringen Grundschülern Chinesisch bei. Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick in die Klassenzimmer.

Die Grundschule findet sich in einer kleinen Straße, hinter Bäumen geschützt im idyllischen Dorf. Vom Lehrerzimmer hat man eine wunderbare Aussicht auf die Schwäbische Alb. „Toll, dass sie gekommen sind!“, strahlt die Schulleiterin die Sinologen aus Heidelberg an. Sie sind gekommen, um die Chinaprojekttage der Grundschule in Aichtal bei Stuttgart an drei Tagen mitzugestalten. Diese stehen unter dem Thema China, da lag es aus Sicht des Lehrerkollegiums nahe, sich universitäre Kompetenz als Unterstützung zu holen. Einerseits sollen mit den Grundschülern erste Schritte in der chinesischen Sprache gegangen werden, andererseits auch wichtige landesspezifische Kenntnisse vermittelt werden. Unter dem Vorzeichen der Ereignisse in den letzten Monaten erscheint das umso wichtiger: sehr deutlich tat sich da ein großer Graben auf zwischen der Wahrnehmung des Westens durch die chinesische Bevölkerung und dem Chinabild vieler Deutscher. Ein großes gegenseitiges Unverständnis war die Folge. Das aufstrebende und sich schneller als andere Länder wandelnde China wird hierzulande immer noch zu oft als dunkle, menschenverachtende Kommunistenmacht wahrgenommen. Ein Bild, zu dem nicht zuletzt auch die Berichterstattung seit dem März dieses Jahres beigetragen hat; eine Berichterstattung, die viele Experten zu Recht als bestenfalls unterkomplex kritisiert haben.

Ein Blick in das Klassenzimmer im ersten Stock zeigt: bei den Sechs- bis Zehnjährigen ist das Interesse riesig. Ganz gespannt sitzt eine Gruppe aus Kindern der ersten bis vierten Klasse da. Auch das ein innovativer Ansatz für die Projekttage, der im Unterricht gut funktioniert. Wan Li, selber in Deutschland studierende Chinesin, fängt mit der Begrüßung an. „Ni hao“ hört man kurze Zeit später alle Kinder sagen. Ein erster Dialog wird eingeübt und sogar die chinesische Version von „Bruder Jakob“ im Kanon gesungen. Hinten sitzt die Lehrerin der Klasse und macht sich ebenfalls eifrig Notizen, spricht ebenfalls die fremd klingenden Wörter nach.

„Meine Tochter konnte vor Aufregung gar nicht mehr schlafen, heute Morgen ist sie bereits kurz nach sechs Uhr durch das Haus gesprungen. Und seit gestern werde ich von ihr mit einer Lawine von Chinainformationen überschüttet“, beschreibt eine Mutter die Projekttage. Diese Dinge werden in einem zweiten, landeskundlichen Teil vermittelt. Dass in Chinas Osten 96 Prozent der Menschen leben und im westlichen Teil nur 4 Prozent der Bevölkerung lernen die Kinder dort und wissen damit bereits mehr als der Großteil der deutschen Zeitungsleser. Kreativ sind auch die Überlegungen für die Gründe dafür: „Sicherlich, weil dort die ganzen Reichen wohnen. Die haben größere Häuser, deswegen passen da weniger Chinesen hin“, mutmaßt eine Drittklässlerin. Ein anderer will wissen, was passiert, wenn sich ein Chinese am Flughafen als Deutscher verkleiden würde. Später fragt er beim Thema Ein-Kind-Politik nach, ob die Leute zur Strafe verkauft werden, wenn sie zu viele Kinder bekommen. Mehr als einmal muss die Lehrerin ein Lachen unterdrücken. Mareike Ohlberg legt dann eine Folie auf, auf der Chinas Form in einer Weltkarte farblich hervorgehoben ist. In China wird die Form für einen Hahn gehalten, sie fragt die Kinder: „Nach was sieht das für euch aus?“ „Ein U-Boot!“, kommt zurück, „Wie ein Flugzeug mit nur einem Flügel“ ebenso. Eine Drittklässlerin in bestem Schwäbisch: „Das sieht aus wie ein Motorrad mit Beiwägele!“ Später werden die kulturspezifischen Konnotationen von Farben in China angesprochen. Die Frage kommt auf, warum Chinas Flagge so rot sei. Jemand weiß die Antwort: „Die ist so rot, weil in China immer so viele Menschen sterben.“ Haha, man möchte grinsen, aber eigentlich ist das schon eine ernste Sache: zeigt es doch, wie bereits ein achtjähriger Deutscher China wahrnimmt. Kann ein Land, zu dessen wichtigsten Handelspartnern und Absatzmärkten China zählt es sich leisten, ausschließlich unter diesem Aspekt China zu betrachten? Für die Vermittlung eines differenzierten Chinabildes, eines, das weder verharmlosend noch schwarzmalend ist, muss offensichtlich zu Recht schon früh angesetzt werden.

Doch haben Sinologen überhaupt eine Ahnung davon, wie man ihr im „Elfenbeinturm“ erlangtes  Wissen überhaupt Kindern vermittelt? „Sehr gut ist der Unterricht“, lobt später die Lehrerin. „Vor allem auch sehr strukturiert und pädagogisch sinnvoll aufbereitet“. Das Projekt wird durch mehrere Drittmittel- und wissenschaftliche Projekte begleitet, um auch die pädagogische Qualität sicherzustellen. Und nicht zuletzt die Jungs der dritten Klasse sind zufrieden: „Endlich mal ein Mann!“ haben sie gerufen, als am zweiten Tag der mit zwei Kommilitoninnen angereiste Sinologe das sonst ausschließlich von Lehrerinnen dominierte Klassenzimmer betrat.

Benjamin Kemmler

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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