Newsletter März 2010 Nr. 42
INHALT
Um zu lieben, leben und sterben wir Menschen
Mut zum Risiko bewiesen die Verantwortlichen des Heidelberger Stadttheaters mit der Entscheidung eine japanische Oper in Originalsprache "nur" mit deutschem Untertitel zu inszenieren. Das Ergebnis ist eine faszinierende Reise in das Japan des 8. Jahrhunderts und eine bewegend in Szene gesetzte Liebesgeschichte. Standing Ovations und ausverkaufte Vorstellungen bewiesen, dass es sich gelohnt hat als erstes europäisches Theater Ai-En in Heidelberg zu inszenieren. Die Oper wurde 2006 am Neuen Nationaltheater in Tokio uraufgeführt.
Chinesinnen in Deutschland: Song Qingling, Hu Langqi und Chen Qiying
Zwischen den beiden Weltkriegen hielten sich zahlreiche Chinesinnen aus verschiedenen Gründen in Deutschland und in den Nachbarländern auf. Einige studierten, einige arbeiteten, einige unternahmen Vergnügungsreisen, manche flohen vor den chinesischen Bürgerkriegswirren.
Ausländerinnen in China: Die amerikanische Journalistin Agnes Smedley und ihre chinesischen Freundinnen
Vor sechzig Jahren starb die amerikanische Journalistin Agnes Smedley (1892-1950), die in den zwanziger Jahren in Deutschland und in den dreißiger Jahren in China gelebt hatte. Über ihre westlichen Freunde und Kollegen - wie Egon Erwin Kisch, Edgar Snow und Richard Sorge - ist viel geschrieben worden, ihre chinesischen Freundinnen sind - abgesehen von Sun Yatsens Witwe Song Qingling - dagegen weitgehend unbekannt. Da sie die Biographien einiger mit ihr befreundeter Chinesinnen auch in ihren Reportagen verwendete, ist die Suche nach den tatsächlichen Personen sehr aufschlussreich.
Erzählen Sie mal ... Susian Stähle
Fast jeder am Institut für Sinologie hat schon einmal einen Kurs bei ihr belegt: Unsere Sprachlehrerin Susian Stähle. Im SHAN-Interview erzählt sie von ihrem Studium der Germanistik und ihren ersten Jahren in Deutschland.
Rezension: Xu Zechen - Im Laufschritt durch Peking
"Ich bin raus. Dunhuang wollte es gerade lauthals herausschreien, da erhob sich vor ihm ein Wirbelwind, der eine Wolke aus feinem Sand in seine Nase, seine Augen und seinen Mund trieb [.]" Mit diesen ersten Zeilen beginnt die mitreißende Geschichte des ehemaligen Häftlings Dunhuang, die Xu Zechen in seinem Roman "Im Laufschritt durch Peking" erzählt.
Um zu lieben, leben und sterben wir Menschen
Mut zum Risiko bewiesen die Verantwortlichen des Heidelberger Stadttheaters mit der Entscheidung eine japanische Oper in Originalsprache „nur“ mit deutschem Untertitel zu inszenieren. Das Ergebnis ist eine faszinierende Reise in das Japan des 8. Jahrhunderts und eine bewegend in Szene gesetzte Liebesgeschichte. Standing Ovations und ausverkaufte Vorstellungen bewiesen, dass es sich gelohnt hat als erstes europäisches Theater Ai-En in Heidelberg zu inszenieren. Die Oper wurde 2006 am Neuen Nationaltheater in Tokio uraufgeführt.
Es ist eine Geschichte über die Liebe und den Tod, über das Sterben für die Liebe, die Minoru Miki, einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten Japans, in der Oper „Ai-En“ erzählt. Er nähert sich der Thematik auf verschiedenen Ebenen, beschreibt die Liebe zwischen Mann und Frau, die Liebe zur Heimat, der Familie, den Freunden, der Musik und dem Leben selbst. Die Quintessenz dabei: Im Leben der Menschen dreht sich alles um dieses große Gefühl und doch gibt es keine Garantie dafür, wirklich glücklich zu werden, wenn man es gefunden hat.
Die schöne Sakurako liebt den jungen Adligen Kiyoko. Aber den Liebenden bleibt nur eine Nacht, da Kiyoko am nächsten Morgen als Gesandter nach China reisen muss, um das geheime Musikstück Ai-En nach Japan zu bringen. Doch sein Schiff sinkt und in dem Glauben, er wäre tot, ertränkt sich die schwangere Sakurako. Kiyoko hat jedoch überlebt, lässt sich von seinem Auftrag nicht abbringen und begibt sich auf die lange Reise zum Chinesischen Kaiserhof. Dort trifft er auf Ryurei, die Zofe der Kaiserin und Sakurakos Zwillingsschwester. Sie gehört zu den wenigen, die Ai-En beherrschen und erklärt sich dazu bereit, sie Kiyoko beizubringen, obwohl darauf die Todesstrafe steht. Der Kaiser möchte Kiyoko als seinen Untertan in China behalten und setzt deshalb einen Go-Wettkampf zu seinem Geburtstag an, der Gewinner bekommt Ryurei. Kiyoko wollte seine Teilnahme eigentlich verweigern, doch dann erreicht ihn die Kunde von Sakurakos Tod und er beschließt für Ryurei zu gewinnen. Als ihm sein Sieg sicher scheint, verrät sein Gegner Mouken, dass Ryurei die Kunst Ai-En zu spielen an Kiyoko weiter gegeben hat, worauf diese Gift schluckt. Aus Liebe folgt Kiyoko ihr in den Tod, auf dass sie in der Ewigkeit vereint sein mögen.
Nelly Danker, eine junge Regisseurin deutsch-japanischer Herkunft, greift bei ihrer Inszenierung immer wieder auf metaphorische Stilmittel zurück, um dem Publikum die besondere Tiefe der Story näher zu bringen. So symbolisieren, zum Beispiel, Kinderschauspieler die Vergangenheit der Hauptcharaktere. Mit Hilfe des Bühnen- und Kostümbildners Andreas Auerbach gelingt es ihr, die Zuschauer in eine faszinierende asiatische Gartenlandschaft zu entführen.
Die Hauptdarsteller sind sehr überzeugend: Der Koreaner Byoung Nam Hwang stellt als Kiyoko authentisch die Zerrissenheit zwischen seiner alten und neuen Liebe sowie den unbeugsamen Willen, trotz aller Hindernisse nicht aufzugeben, dar. Seine Partnerin Hye-Sung Na bewegt in ihrer Doppelrolle als Sakurako und Ryurei. Herausragend ist die Darstellung der Ryurei, die sich, traurig und vom Leben enttäuscht, doch der Liebe öffnet und sich am Ende selbstlos opfert. Auch die Nebendarsteller, fast nur Deutsche, begeistern das Publikum, indem sie die Gefühle trotz Sprachbarriere berührend darstellen.
Kritisiert wurde in einigen Medienberichten der Hang zum „überdrehten Bühnenspiel“, „unnötige Spielelemente“ und die Dauer von dreieinhalb Stunden. Doch in einem Aspekt waren sich die Kritiker einig: Der besondere Höhepunkt ist das Solo der Pipa-Spielerin Yang Jing. Ihr Spiel harmonisiert aufs Feinste mit dem Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Dieter Holm. Gemeinsam gelingt ihnen ein Brückenschlag zwischen westlichem Orchesterklang und fernöstlicher Musiziertradition. Die einfühlsame Komposition, gepaart mit der tragischen Handlung macht Ai-En zu einem außergewöhnlichen Opernerlebnis, dessen Hauptaussage berührt. Denn, wie die Darsteller am Ende singen, „um zu lieben, leben und sterben wir Menschen”.
Katja Modis, Viktoria Dümer
Fotos: Markus Kaesler
http://www.markuskaesler.de/
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Chinesinnen in Deutschland: Song Qingling, Hu Lanqi und Cheng Qiying
Zwischen den beiden Weltkriegen hielten sich zahlreiche Chinesinnen aus verschiedenen Gründen in Deutschland und in den Nachbarländern auf. Einige studierten, einige arbeiteten, einige unternahmen Vergnügungsreisen, manche flohen vor den chinesischen Bürgerkriegswirren.
Zur letzten Gruppe gehörte Song Qingling (1893-1981), die Witwe des KMT-Gründers Sun Yatsen (1866-1925). Als im Sommer 1927 die Einheitsfront von Kuomintang (KMT) und KP Chinas auseinanderbrach, wurden viele Kommunisten getötet, manchen KMT- und KP-Mitgliedern gelang die Flucht ins Ausland. Song Qingling besaß schon vorher viel Auslandserfahrung und sprach fließend Englisch; sie war mit ihren Schwestern Song Ailing (1888-1973) und Song Meiling (1897-2003) in den Vereinigten Staaten zur Schule gegangen. Daher war sie auch bei ihrer Ankunft in Moskau (1927) und Berlin (1928) in einer besseren Lage als viele andere chinesische Flüchtlinge. In Deutschland lernte sie viele Intellektuelle und Politiker kennen, darunter den KPD-Funktionär und Publizisten Willi Münzenberg. Während ihres Deutschlandaufenthalts besuchte sie Ende 1928 auch Heidelberg.
Zu den prominenten Flüchtlingen gehörte auch He Xiangning (1878-1972), die Witwe des 1925 ermordeten KMT-Politikers Liao Zhongkai. Sie lebte Ende der zwanziger Jahre mit ihrem Sohn Liao Chengzhi (1908-1983) und ihrer Tochter Liao Mengxing (1904-1988) in Deutschland. Mutter und Tochter wohnten in Berlin, der Sohn war meist in Hamburg, wo er mit chinesischen Seeleuten Kontakt hatte.
1929 traf auch die aus Chengdu in der Provinz Sichuan stammende Hu Lanqi (1901-1994) in Europa ein, ab 1930 lebte sie in Berlin. Ihr Vater war schon an der Revolution von 1911 beteiligt gewesen, sie selbst ging in den frühen zwanziger Jahren zu den Kommunisten und lernte damals den späteren chinesischen Außenminister Chen Yi kennen. In Berlin war sie unter anderem mit der Schriftstellerin und Sinologin Anna Seghers befreundet. Hu wurde 1933 von den Nazis verhaftet und dann ausgewiesen.
In Deutschland lernte Hu Lanqi auch Cheng Qiying kennen, die den ebenfalls aus Sichuan stammenden Xie Weijin (1900-1978) geheiratet hatte. 1925 wurde der Sohn Han Sen in Berlin geboren, doch kurz darauf verließ Cheng Qiying die beiden Männer und kehrte nach China zurück. In den dreißiger Jahren flohen Mann und Sohn vor den Nazis in die Schweiz, später nahm Xie Weijin am Spanischen Bürgerkrieg teil. Cheng Qiying kehrte zwar noch einmal nach Deutschland zurück, vermied aber den Kontakt mit ihrer Familie; sie starb in China in der Kulturrevolution. Der Sohn Han Sen fühlte sich als “Berliner” in China nicht wohl und bemühte sich um die Rückkehr nach Europa, was aber sehr schwierig war; er lebte lange in der Ukraine und konnte erst nach zahlreichen Visa-Anträgen in seine Geburtsstadt zurückkehren.
Bis 1934 hatten alle erwähnten Chinesinnen Deutschland verlassen. Hu Lanqi hatte in Paris noch mit Anna Seghers Kontakt und traf sie später noch einmal in China. Song Qingling lernte in den folgenden Jahrzehnten in China mehrere deutsche Frauen kennen, darunter Anna Wang, Eva Siao und Ruth Werner.
Literatur:
Hu Lanqi: Hu Lanqi huiyilu, Chengdu, 1985.
Lü Mingzhuo: Song Qingling zhuan, Shanghai, 1988.
Liu Jiaquan: Song Qingling liuwang haiwai suiyue, Beijing, 1994.
Han Sen: Ein Chinese mit dem Kontrabass, München, 2001.
Thomas Kampen: “Anna Seghers und Hu Lanqi – Die geheimnisvolle Freundschaft zweier junger
Kommunistinnen”, Das neue China, März 2001, 31-33.
Thomas Kampen: “Solidarität und Propaganda: Willi Münzenberg, die Internationale
Arbeiterhilfe und China”, Zeitschrift für Weltgeschichte, Jahrgang 5 Heft 2 (Herbst
2004), 99-105.
Thomas Kampen: Von Sichuan nach Deutschland und Spanien: Xie Weijin (1900-1978), SHAN
Newsletter, Juli 2008, (http://www.sino.uni-heidelberg.de/alumni/newsletter/08-06/xie.html )
Dr. Thomas Kampen
Quellen verwendeter Fotografien:
Song Meiling 1911 - Foto: www.cspecial.de
Hu Lanqi, Foto: www.chinalzs.com
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Ausländerinnen in China: Die amerikanische Journalistin Agnes Smedley und ihre chinesischen Freundinnen
Vor sechzig Jahren starb die amerikanische Journalistin Agnes Smedley (1892-1950), die in den zwanziger Jahren in Deutschland und in den dreißiger Jahren in China gelebt hatte. Über ihre westlichen Freunde und Kollegen – wie Egon Erwin Kisch, Edgar Snow und Richard Sorge – ist viel geschrieben worden (http://www.sino.uni-heidelberg.de/alumni/newsletter/08-05/kisch.html ), ihre chinesischen Freundinnen sind – abgesehen von Sun Yatsens Witwe Song Qingling – dagegen weitgehend unbekannt. Da sie die Biographien einiger mit ihr befreundeter Chinesinnen auch in ihren Reportagen verwendete, ist die Suche nach den tatsächlichen Personen sehr aufschlussreich.
Wegen fehlender Chinesischkenntnisse pflegte Agnes Smedley vor allem Kontakte mit Chines(inn)en, die Englisch oder Deutsch sprachen. Hierzu gehörte zum Beispiel Hu Lanqi, die wie Smedley einige Jahre in Berlin gelebt hatte und mit Song Qingling, dem Militärführer Chen Yi (späterer Außenminister) und dem Schriftsteller Mao Dun befreundet war.
Als Agnes Smedley den Schriftsteller Lu Xun traf, wurde sie von Cai Yongshang und ihrem Mann begleitet, die beide gut Englisch sprachen und Romane übersetzten. Cai hatte ihre Sprachkenntnisse beim Medizinstudium erworben, aber nicht als Ärztin gearbeitet.
Eine weitere Bekannte war Huang Junjue, die an der Shanghaier Fudan Universität studiert hatte, und als Journalistin und Agentin arbeitete. Ihr Bruder hatte in Deutschland studiert und kannte einige Kommunisten und KMT-Politiker.
Smedley traf außerdem Zhang Yiping, die im Büro des sowjetischen Agenten Richard Sorge arbeitete. Zhangs erster Mann war ein Kommunist, der kurz zuvor von der KMT hingerichtet worden war. Sie selbst lebte – zur Tarnung – mit einem anderen Chinesen zusammen, der vorher in Deutschland studiert hatte und mit einer Deutschen verheiratet war; diese Frau war auch mit Smedley und mit der deutschen Agentin Ruth Werner befreundet.
Da die amerikanische Journalistin die Lebensläufe ihrer kommunistischen Freundinnen nicht direkt verwenden konnte, vermischte sie die Biographien und änderte die Namen und Heimatprovinzen. So entstanden die Geschichten Shan-Fei, Communist (D: Schan Fei) und The Dedicated (Die Ergebenen), die schon 1933 in dem Band Chinese Destinies (China blutet) enthalten waren. Da Smedley die Biographien schon bald nach ihrer Bekanntschaft mit den jungen Kommunistinnen schrieb, wurden vor allem deren Kindheit und Jugend dargestellt.
Ungewöhnlich und tragisch war auch das Schicksal von Wang Ying, die in den dreißiger Jahren in Shanghai als Schauspielerin und Agentin tätig war und dabei andere linke Schauspielerinnen wie Jiang Qing kennen lernte. Sie ging in den vierziger Jahren in die USA und half dort Agnes Smedley bei der Arbeit an ihrem letzten Buch The Great Road, der Biographie des Generals Zhu De, das erst nach Smedleys Tod erschien. Wang Ying kehrte 1955 nach China zurück und starb in der Kulturrevolution.
Von den erwähnten Chinesinnen starben Cai Yongshang und Huang Junjue schon in den vierziger Jahren, die eine in Hongkong, die andere bei einem japanischen Angriff in Nordchina. Hu Lanqi und Song Qingling erlebten die ersten Jahrzehnte der Volksrepublik, Hu als weitgehend unbekannte Übersetzerin, Song als die prominente Witwe von Sun Yatsen.
Am längsten lebte Zhang Yiping, die eigentlich Zhang Wenqiu hieß und die ungewöhnlichste Familie hatte: Ihre beiden Töchter heirateten die beiden Söhne Mao Zedongs (Mao Anying und Anqing). Zhang Wenqiu starb – fast hundertjährig – im Jahre 2002.
Literatur:
Agnes Smedley: Chinese Destinies, New York, 1933.
Agnes Smedley: China blutet, Moskau, 1936.
Agnes Smedley: The Great Road, New York, 1956.
Agnes Smedley: Der grosse Weg, Berlin, 1958.
Janice und Stephen MacKinnon: Agnes Smedley, Zürich, 1989.
Ruth Price: The Lives of Agnes Smedley, New York, 2005.
Thomas Kampen: Es blühe die Weltrevolution: Ruth Werner, Meisterspionin und Erfolgsautorin, ist gestorben, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juli 2000.
Thomas Kampen: Komplizierte Familienverhältnisse: Mao Zedongs Söhne, Schwiegertöchter und die geheimnisvolle Schwägerin, in SHAN Newsletter, Juli 2008 ( http://www.sino.uni-heidelberg.de/alumni/newsletter/08-07/maoshao.html ).
Dr. Thomas Kampen
Quelle verwendeter Fotografien:
Portrait A. Smedley - www.asu.edu
Gruppenfoto - www.asu.edu
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Erzählen Sie mal ... Susian Stähle
Susian Stähle lebt seit 1970 in Deutschland und unterrichtet seit 1987 am Sinologischen Seminar beziehungsweise dem 2006 umbenannten Institut für Sinologie. Die meisten kennen sie aus dem Propädeutikum oder ihren Sprachkursen über Texte aus der VR China, Wirtschaftskommunikation und vieles mehr. Im Interview erzählt Frau Stähle, wie sie nach Deutschland gekommen ist und welche Erfahrungen sie im damals noch fremden Land gemacht hat.
SHAN: Frau Stähle, Sie haben zuerst Deutsch in Taiwan studiert.
Susian Stähle: Ich habe vier Jahre Germanistik in Taiwan studiert, aber wir haben wenig deutsche Literatur gelesen. Ich kannte nur klassische Werke, zum Beispiel von Goethe und Schiller. Erst als ich in Deutschland Germanistik studierte, kam ich mit moderner Literatur in Berührung.
Wieso haben Sie sich die deutsche Sprache ausgesucht?
Das ist eine lange Geschichte. Ich kannte Heidelberg schon zu meiner Schulzeit durch den Film „Xuesheng Wangzi – The Student Prince“, eine Verfilmung der amerikanischen Operette von Sigmund Romberg. Was mein Interesse an Deutschland geweckt hat, war die Architektur in den deutschen Filmen.
Im Jahr 1965 fing ich an Germanistik zu studieren. Im zweiten Studienjahr gab es einen „yanjiang bisai“, einen Vortragswettbewerb. Den Wettbewerb habe ich glücklicherweise mit dem ersten Preis gewonnen und bekam als Preis einen dicken Bildband über Deutschland. Darin waren schöne Aufnahmen von Häusern, Dörfern und Städten. Da sagte ich schon: „Dort will ich unbedingt hin“.
Nach dem Studium habe ich ein Jahr als Assistentin bei Professor Xiao gearbeitet. Der Professor fragte mich: „Wollen Sie denn nicht mal nach Deutschland zum Studium?“ Und ich sagte: „Natürlich! Aber ich kann das nicht selbst finanzieren.“ Vor 30 Jahren war das ja noch sehr teuer. Er riet mir ins Deguo Wenhua Zhongxin – das Deutsche Kulturzentrum zu gehen und mich bei dem Direktor nach einem Stipendium zu erkundigen. Ich ging hin, sprach mit dem Direktor, machte eine Prüfung und bestand. Dann konnte ich mit einem DAAD-Stipendium 1970 zum Studium nach Deutschland kommen. So ging ich nach München und studierte ein Semester Germanistik und Sinologie. Einmal kam ein Referent vom DAAD und erkundigte sich, wie das Studium in München verlief. Ich sagte, dass es eine große Universität sei. Außerdem habe ich keinen Kontakt zu den anderen ausländischen Studenten. Er schlug mir vor, nach Heidelberg zu gehen, weil es kleiner und gemütlicher sei, und dort könnte ich mit anderen ausländischen Studenten studieren.
Dann war ich für fünf Semester in Heidelberg im IDF (Seminar für Deutsch als Fremdsprachenphilologie). Dort machte ich eine Sprachdiplomprüfung und wechselte zum Germanistischen Seminar. Insgesamt habe ich fünf Jahre in Heidelberg studiert.
Wie war das damals mit der Internationalität in Heidelberg?
Vor 30 Jahren gab es nicht so viele ausländische Studenten. Aber innerhalb des IDF waren die meisten Studenten Ausländer. Im Germanistischen Seminar waren wenige ausländische Studenten.
Heutzutage gibt es sehr viele internationale Studenten, und die Angehörigen einer Nationalität haben vermehrt Kontakt untereinander. Dadurch haben sie oft Schwierigkeiten, sich der hiesigen Kultur anzunähern. Ich nehme an, Sie hatten diese Probleme damals nicht. Sie waren ja gezwungen, ihren Freundeskreis auf Deutsche auszurichten, oder?
Ich glaube, heute ist es einfacher, Kontakte zu knüpfen, denn das Interesse, Kontakte zu knüpfen, ist größer und manchmal notwendig, gerade für die Leute, die Fremdsprachen studieren. Damals waren die deutschen Studenten meist unter sich, Tandempartner waren auch unbekannt. In München saß ich einmal in einem Seminarraum, umgeben von 20 deutschen Studenten, keiner hat mit den anderen gesprochen. Ich war diejenige, die aktiv sein musste, ich habe die Leute angesprochen.
Auch nach 20 Jahren habe ich von den Erasmus -Austauschstudenten, die ähnliche Erfahrung hatten, die Frage gestellt bekommen: „Frau Stähle, wie können sie das denn hier so lange aushalten?“
Haben Sie eine besondere Erinnerung aus Ihren Heidelberger Studienzeiten?
Eine nette Geschichte ist, wie ich meine Schwiegereltern in Heidelberg kennenlernte.
Ich war erkältet und ging zu einem Hausarzt, der ganz in der Nähe der IDF seine Praxis hatte. Nach der Behandlung hat er mich ausgefragt. Er sammelte Asiatika, Skulpturen und anderes, und fragte mich zu Datierungen seiner Sammelstücken. Dadurch, dass mein Onkel auch Sammler war und mir immer erzählt hatte, wie man eine Antiquität einschätzt und die Echtheit prüft, konnte ich die Stücke aus der Sammlung tatsächlich ungefähr datieren.
Dabei habe ich meine Schwiegereltern kennengelernt. Sie waren mit dem Arzt befreundet.
War Ihr Mann der ausschlaggebende Grund, dass Sie dann in Deutschland bleiben wollten?
Sie haben zwei Kinder. Ich vermute, dass sich ihre Kinder mehr der deutschen Kultur zugehörig fühlen. Aber haben sie sich auch für Taiwan interessiert?
Selbstverständlich interessierten sie sich für Taiwan, zumal weil wir Verwandten dort haben und hin und wieder dorthin reisen. Nach dem Abitur haben sie dort Sprachkurse besucht. Mein Sohn hat während des Studiums einige Monate bei der Deutschen Wirtschaftsvertretung in Taipei ein Praktikum absolviert.
Wieso unterrichteten Sie zuerst in Darmstadt?
Mein Mann hat in Darmstadt studiert. Nach dem Studienabschluss war er an der TH Darmstadt als Assistent tätig. Wir haben geheiratet. Er bat mich nach Darmstadt zu ziehen. Ich schrieb mich an der TH Darmstadt ein. Dort habe ich angefangen, Chinesisch an der TH Darmstadt und später auch an der VHS zu unterrichten.
Die Sinologie in Heidelberg war noch winzig und machte eher einen privaten Eindruck, richtig?
Ja, das Institut war zu meiner Studentenzeit noch am Ende der Hauptstraße, kurz vor dem Karlstor. Professor Debon war Institutsleiter. Es gab wenige Studenten, es war alles sehr persönlich.
Müssen die Studenten heute mehr leisten als die Studenten damals?
Klar, aber die damaligen Studenten wussten, was sie wollten und machen mussten. Heutzutage ist das nach der Studienreform mehr mit Zwang verbunden, es ist alles anders. Man wird gefüttert.
Demnach hat sich wohl auch der Unterrichtsstil an die Zeit angepasst. Gibt es in Ihrer langen Geschichte als Dozentin einen Kurs, von dem Sie sagen, dass er Ihnen besonderen Spaß gemacht hat?
Es gibt viele Kurse, die mir Spaß gemacht haben. Früher hatte ich viele Fortbildungskurse für den Sprachunterricht besucht und neue Methoden ausprobiert, zum Beispiel die Superlearning Methode habe ich oft im Ting Shuo Du Xie Unterricht angewandt.
Aber wenn man die ganze Periode betrachtet fällt mir auf: Bevor das Propädeutikum eingeführt wurde, waren die Gruppen klein, jede Gruppe hatte ca. 15 Studenten, jede Gruppe bekam eine feste Lehrkraft für zwei Jahre, und es gab einen intensiven Austausch zwischen Lehrern und Studenten. Die Gruppendynamik war damals anders. Einige Studenten halten auch heute noch E-Mail Kontakt zu mir. Ich glaube, dass alle Lehrer sagen würden, dass die erste Klasse, die man unterrichtet, einem am tiefsten in Erinnerung bleibt.
Sie sind Dozentin und arbeiten auch mit Übersetzungen. Vor ein paar Jahren haben sie ein Lehrbuch mit VR-Texten zusammengestellt. Was für Projekte stehen bevor?
Ich schreibe an einem Wörterbuch, mit Beispielsätzen in Pinyin-Angabe. 300 Seiten sind fertig, katalogisiert nach Fachgebieten.
Welchen Tipp geben Sie Studienanfängern, sich die Zeichen leichter einzuprägen?
Chinesische Schriftzeichen zu erkennen, zu lesen und wiederzugeben erfordert Geduld und Zeit. 90 Prozent der Zeichen kann man sich nur mit wiederholtem Schreiben einprägen.
Es gibt also immer noch keinen Trick, schneller zu lernen?
Ich kenne keinen.
Herzlichen Dank Frau Stähle! Es war mir ein Vergnügen!
Susian Stähles Lebenslauf findet sich auch auf der Seite unseres Insitutes: http://sun.sino.uni-heidelberg.de/staff/staehle/
Das Interview für SHAN führte Kristina Bodrozic-Brnic.
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Rezension: Xu Zechen – Im Laufschritt durch Peking
„Ich bin raus. Dunhuang wollte es gerade lauthals heraus schreien, da erhob sich vor ihm ein Wirbelwind, der eine Wolke aus feinem Sand in seine Nase, seine Augen und seinen Mund trieb […]“
Mit diesen ersten Zeilen beginnt die Geschichte von Dunhuang und sein Umherwandern durch die Straßen Pekings, als er unmittelbar nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis in einen gewaltigen Sandsturm gerät, der jeden Winkel der Hauptstadt erfasst.
So wird eine Szenerie geschaffen, in der nur noch wenige, verlorene Menschen durch die Pekinger Straßen irren. Dunhuang begegnet so Xiaorong, die unterwegs ist, um durch den Verkauf von DVD-Raubkopien ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Ihr größter Wunsch besteht darin, endlich in ihre Heimat zurück zu kehren und dort eine Familie zu gründen.
In ihr findet der zu Anfang skeptische Dunhuang eine Gefährtin und Partnerin, mit der er in den anschließenden Wochen gemeinsam durch den Stadtteil Zhongguancun streicht und DVDs an den Mann bringt. Mit der Zeit übernimmt Dunhuang den Verkauf von pornographischen Filmen, um so Geld anzuhäufen und seinen Freund Baoding aus dem Gefängnis frei zukaufen. Xiaorong erwirbt diese Filme zwar, schämt sich jedoch vor deren Weiterverkauf.
Die gemeinsame Zeit der beiden und ihre Beziehung, die zwischen Zweckverbindung und aufkeimender Liebe hin und her schwankt – Xiaorong wurde gerade von ihrem langjährigen Freund verlassen, Dunhuang ist frisch aus dem Gefängnis entlassen, all seine Bezugspersonen sind noch hinter Gittern -, endet abrupt mit der Rückkehr von Xiaorongs Ex-Freund Shan.
Von nun an widmet sich Dunhuang ganz dem Verkauf seiner pornographischen Raubkopien und der Suche nach Qibao, Baodings Freundin. Nachdem er über viele Umwege, in denen er immer wieder auch auf Xiaorong und Shan trifft, Qibao findet, beginnt er beinahe übergangslos eine chaotische und exzessive Beziehung mit ihr.
Mit sehr knappen, oftmals schroffen Ausdrücken und Sätzen, schildert Xu Zechen das Leben auf den Straßen Pekings, indem er sich ganz der Perspektive derer widmet, die am Rande der Gesellschaft stehen und illegal ihren Lebensunterhalt bestreiten. Diese Menschen sind getrieben von einer ständigen Unruhe und Rastlosigkeit, die sich auch im Schreibstil des Autors äußert. Nichts wird beschönigt, verschnörkelt oder umschrieben. Die unbarmherzige Betonung der Gegensätze steht im Vordergrund der Darstellung und lässt die Hauptcharaktere des Romans letztendlich allein auf den Straßen zurück.
Auch wenn die einzelnen Charaktere in diesem Kurzroman nur angedeutet und wenig vielschichtig dargestellt werden und die Schilderungen des Autors mehr wie ein Fragment als ein abgerundeter Text wirken, beeinträchtigt dies keineswegs das Verständnis der Darstellung. In den Kulissen einer Stadt, in einem Viertel, das ständig in Bewegung bleibt, wo nichts still steht und bleibt wie es ist, wirkt Xu Zechens Kurzroman wie ein Abriss, ein Ausschnitt aus den unruhigen Leben derer, die nicht wissen wohin, ständig umherirren, niemals für längere Zeit an einem Ort verweilen: Die einen mit dem sehnlichen Wunsch nach Beständigkeit und Stabilität, die anderen ohne Hoffnung, für die ein Leben in gefestigten Verhältnissen nicht einmal in ihren Träumen zu existieren scheint. Oder doch?
Die Tatsache, dass auf den letzten Seiten ziemlich viel Information in sehr wenig Text gedrängt wird, wirkt zwar ein wenig überladen, hat jedoch auch einen enormen Effekt auf den Leser: Nachdem Xu Zechen den Leser anfangs mitten in das Geschehen, hinein in den Sandsturm geworfen hat, der das Chaos und die Verlorenheit der Hauptperson widerspiegelt, reißt er ihn schließlich ebenso abrupt wieder aus der Handlung heraus. Der Eindruck einer tickenden Zeitbombe, von der sicher ist, dass sie irgendwann losgehen wird, nur keiner weiß, wann genau, besteht von Anfang an und wird mit dem Verlauf der Handlung immer dringlicher und präsenter, bis sie am Schluss explodiert.
Es handelt sich – trotz einiger Ungereimtheiten und vielleicht sogar gewollter Oberflächlichkeiten – um einen durchaus interessanten Kurzroman, der eine gewisse Rastlosigkeit auf den Leser überträgt und Wort wörtlich in einem Atemzug gelesen werden sollte!
Xu Zechen (2009): Im Laufschritt durch Peking (dt. Übersetzung: Marc Hermann) ISBN: 3833305991 Originaltitel: Paobu chuanguo Zhongguancun 跑步穿过中关村 BvT, Berlin
Nadja Becker
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