Newsletter September 2010 Nr. 46

INHALT

Chinese Labour Contract Law – A Bargain for Political Legitimacy? - Liisi Karindi

Die Sinologie ist ein weites Feld. Die Wahl eines geeigneten Themas für die Abschlussarbeit fällt da nicht leicht. So bewegen sich die Arbeiten der Sinologie zwischen Analyse klassischer Gedichte bis hin zu aktuellen Themen der chinesischen Wirtschaftspolitik. SHAN-Mitglied Liisi Karindi stellt mit ihrem Beitrag ihr Magisterthema aus einem der aktuellsten Bereiche der  Sinologie - dem Arbeitsrecht- vor.

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Der Richard Sorge-Kult und seine Autoren: Ruth Werner und Julius Mader

Spionage ist ein Thema, das immer wieder fasziniert. Nicht ohne Grund rangieren Agentenfilme immer ganz oben in den Kinolisten. Dabei werden die Hauptpersonen, Spione und ihre Gegenspieler, als schillernde, glamouröse Persönlichkeiten mit undurchschaubaren und geheimnisvollen Zügen. dargestellt. Richard Sorge, Top-Spion der Sowjetunion in Asien, war eine solche Persönlichkeit. Ein ganzer Kult entstand um seine Person. Eine fesselnde Lektüre, nicht nur für die Semesterferien.

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Der Zeitgeist Buchladen in Shanghai und die Buchhändlerinnen Irene, Isa und Ursula

Zu einem Spionagering, wie ihn Richard Sorge aufgebaut hatte, gehören immer auch Orte, die den Mitgliedern Treffen ermöglichen, in deren Umfeld man neue Mitglieder oder Helfer rekrutieren oder sich bei Bedarf verstecken kann. Ein solcher Ort war der Zeitgeist Buchladen in Shanghai. Lesen Sie mehr über diesen besonderen Buchladen!

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Zhang Fang und seine Memoiren : Richard Sorges chinesischer Assistent berichtet

Über die japanischen Helfer von Richard Sorge ist mittlerweile einiges bekannt. Über seine chinesischen Mitarbeiter dagegen kaum. Einige Erkenntnisse über den chinesischen Assistenten Richard Sorges hat Dr. Thomas Kampen für SHAN zusammengestellt.

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Rezension: Christian Y. Schmidt - Bliefe von dlüben

Über 5 Jahre schrieb Christian Y. Schmidt für das Satiremagazin Titanic seine Kolumne "Bliefe von dlüben". Sein gleichnamiges Buch beschreibt alltägliche, und vielen Sinologen bekannte, Lebenserfahrungen in China auf ironische und amüsante Art und Weise und stellt eine erholsame Alternative zum sonst so beliebten China-Bashing dar. Eine Lektüre, die auf jeden Fall ins Reisegepäck nach Peking sollte, findet unser Autor Oliver Lutz Radtke.

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Filmrezension: Eat, Drink, Man, Woman

Die Rubrik der Buchrezensionen ist schon lange ein fester Bestandteil des SHAN-Newsletters. Aber es gibt nicht nur Bücher, sondern auch eine Vielzahl an Spielfilmen, Dokumentationen oder Serien aus oder über China. Den Anfang dieser neuen Reihe macht ein absoluter Klassiker: "Eat, Drink, Man, Woman". Mehr über diesen, nicht nur optisch, empfehlenswerten Film erfahren Sie im Beitrag:

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Chinese Labour Contract Law – A Bargain for Political Legitimacy? - Liisi Karindi


“If this kind of law is going to be implemented,
we will withdraw our investments”


Die ursprüngliche Idee für meine Magisterarbeit bekam ich bereits in China, als ich an der Tsinghua University studierte und nebenbei ein Praktikum bei einer Unternehmensberatungsfirma absolvierte. Wie der scherzhafte Spruch 满清王朝 man Qing wangchao (ein Kaiserhof voller Qing) andeutet, ist die Tsinghua University 清华大学 vor allem auf Grund ihrer prominenten Absolventen auf der politischen Führungsebene bekannt, wie  Hu Jintao, Wu Bangguo,  oder Xi Jinping. So bekam ich die einmalige Gelegenheit, gemeinsam mit den chinesischen Führungskräften von morgen, unter Anleitung  von Experten der chinesischen Politik zu studieren und einen Einblick in deren Denkweise zu bekommen. Durch das Praktikum lernte ich wiederum die Interessen multinationaler Unternehmen in China kennen. So erfuhr ich, mit welcher Anspannung Geschäftsleute den Gesetzgebungsprozess des Arbeitsvertragsgesetzes verfolgten und wie vehement sie das neue Gesetz ablehnten, weil sie dadurch Nachteile für ihre Geschäfte in China fürchteten.

Zurück in Heidelberg besuchte ich zwei interessante Seminare, die mich zu meinem Magisterarbeitsthema führten: Das Seminar „Neuere Entwicklung in der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik der VR China“ von Prof. Sebastian Heilmann und das Seminar „Wirtschaftsrecht Ostasiens“ von Dr. Urs Matthias Zachmann. In beiden Kursen habe ich für Referate und Seminararbeiten ein arbeitsrechtliches Thema gewählt und damit war die Entscheidung mehr oder weniger gefällt. Da ich zu einem aktuellen Thema forschen wollte, entschied ich mich, meine Magisterarbeit über das Arbeitsvertragsgesetz von 2008 zu schreiben. Allerdings je mehr Wissen ich mir über die Entwicklung des chinesischen Arbeitssystems und Arbeitsrechts aneignete und je besser ich den Gesetzgebungsprozess des Arbeitsvertragsgesetzes kennenlernte, desto faszinierender fand ich eine entscheidende Frage: Wieso war die chinesische Führung bereit, trotz heftigstem Widerstand von der Unternehmerseite das Arbeitsvertragsgesetz so rigoros durchzusetzen? Ich entwickelte daraus die These, dass der Gesetzgebungsprozess und die Implementierung des Arbeitsvertragsgesetzes im Kontext der sozialpolitischen Zielsetzung der kommunistischen Führung zu verstehen seien und damit dier Legitimierung ihrer eigenen Machtposition dienen würde. Der außergewöhnlich offene Gesetzgebungsprozess mit öffentlichen Konsultationen und Diskussionen ist wiederum als Teil des „sozialistischen Demokratisierungsprozesses“ zu sehen, mit dem Ziel eine „harmonische Gesellschaft“ aufzubauen.

Das Arbeitsvertragsgesetz hat das Ziel, die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer in China besser zu schützen. Bei der Erarbeitung des Gesetzes orientierte sich der chinesische Gesetzgeber an westlichen Arbeitsgesetzen und ließ sich von internationalen Experten, wie z.B. der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), beraten. Dementsprechend ähnelt das Gesetz dem europäischen bzw. deutschen Arbeitsgesetz. Für die Unternehmer, die wegen der billigen Arbeitskräfte und den flexiblen Arbeitsverhältnissen nach China gegangen waren, war eine solche Änderung inakzeptabel. Der chinesische Gesetzgeber betonte aber, dass das Gesetz auf lange Sicht die Arbeitsverhältnisse stabilisieren und „harmonisieren“ würde, was dann auch den Unternehmen zugute kommen würde. Interessant zu beobachten war, dass nicht nur ausländische Unternehmen, sondern auch die heimischen Staatsunternehmen gegen dieses Gesetz vorgingen. Die Auseinandersetzung nahm internationale Dimensionen an, als einige Vertretungen von Auslandsinvestoren und multinationalen Konzernen ihre Interessen mit heftiger Lobby-Arbeit durchzusetzen versuchten. Daraufhin schalteten sich internationale Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen ein und unterstützten die Bemühungen des chinesischen Gesetzgebers, sodass das Arbeitsvertragsgesetz am Ende doch in einer Form verabschiedet wurde, welche die Interessen und Rechte der Arbeitnehmer besser schützt.

Wie der vorangehende Abschnitt demonstriert, waren viele Unternehmen bereit China zu verlassen,  sollte das Arbeitsvertragsgesetz verabschiedet werden. Dies bedeutete keine unbedeutende Bedrohung in einem Land, dessen Wirtschaftswachstum hauptsächlich von Auslandsinvestitionen abhängig gewesen ist. Wirtschaftswachstum wiederum stellt die Grundlage für das Wohlergehen der Bevölkerung und damit für soziale Stabilität dar. Gerät die Gesellschaft aber in Unruhe, bleibt dies nicht ohne politische Konsequenzen, d.h. die Legitimität der Staatsführung könnte in Frage gestellt werden. Dieser Gefahr waren sich auch die chinesischen Führungskräfte bewusst, trotzdem haben sie das Arbeitsvertragsgesetz verabschiedet. Das Ergebnis war, dass viele Unternehmen sich tatsächlich aus China zurück zogen, was steigende Arbeitslosenzahlen, heftige Arbeitsstreitigkeiten und viele Unruhen mit sich brachte. Hatte die chinesische Führung also ihr Ziel verfehlt?

Zieht man die langfristige Zielsetzung der chinesischen Führung in Betracht, lautet die Antwort auf diese Frage: Nicht unbedingt. Zwar hat die globale Finanzkrise die Situation in China unerwartet verschlechtert, aber die Änderungen, die das Arbeitsvertragsgesetz mit sich brachte, passen zur langfristigen Planung der chinesischen Führung. Gemäß dem 11. Fünfjahresplan soll Chinas Wirtschaft aufgewertet werden. Dies bedeutet, dass sich die Regierung das Ziel gesetzt hat, die Zahl der umweltverschmutzenden, energieverschwendenden Unternehmen in China zu reduzieren. Stattdessen plant China High-Tech-Wirtschaftszonen und Forschungszentren in verschiedenen Regionen zu fördern und möchte bei jenen ausländischen Investoren Interesse wecken, die höherwertige Arbeitsplätze mit besseren Löhnen bieten und es ihren Mitarbeitern ermöglichen ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu erweitern. Diese Unternehmen, so die Vorstellung der chinesischen Regierung, sollen dann heimische (noch) arbeitslosen Absolventen in ihre Dienste nehmen. Andere Unternehmen werden zudem ermutigt ins Inland zu gehen, wo die Arbeitskosten im Vergleich zu den Küstenregionen niedriger sind. Seit Jahren hat es in den Küstenregionen Mangel an Arbeitskräften gegeben, sodass die Lohnkosten in die Höhe getrieben wurden. Dahingegen findet sich in den westlichen Regionen oft ein Überschuss an Arbeitskräften, die bereit sind für weniger Geld zu arbeiten. Da die „Go West“-Bewegung von der Regierung gefördert wird, können Unternehmen in den Genuss von Steuernachlässen und anderen  Begünstigungen kommen. Wenn wir das Arbeitsvertragsgesetz in diesem Kontext betrachten, entspricht es der Erfüllung der Ziele, wie sie sich die chinesische Führung gesetzt hat und damit wäre ihre Legitimität tatsächlich begründet.

Liisi Karindi


Wer mehr über dieses Thema erfahren möchte, Liisi Karindi hält am 28. Oktober 2010 um 19.30 Uhr einen Vortrag mit dem Titel: "China's Arbeits(vertrags)gesetz" bei SinaLingua.

 

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Der Richard Sorge-Kult und seine Autoren: Ruth Werner und Julius Mader

Vor zehn Jahren - im Juli 2000 - starb in ihrer Heimatstadt Berlin die im Westen kaum, im Osten jedoch sehr bekannte Autorin Ruth Werner. Die am 15. Mai 1907 als Ursula Kuczynski geborene Kommunistin gehörte einer der prominentesten DDR-Familien an; ihr Bruder, Jürgen Kuczynski  (1904-1997), war nicht nur einer der bekanntesten  Intellektuellen der Republik, sondern auch einflußreicher Berater Erich Honeckers. Trotz ihres langen, aktiven und ereignisreichen Lebens wurde ihr Name vor allem mit einem Mann assoziiert, dem Sowjetspion Richard Sorge mit dem sie von 1930 bis 1932 in Shanghai zusammen gearbeitet hatte. Ihr größter Erfolg war wohl die Tatsache, daß ihre Spionagetätigkeit für die sowjetische Rote Armee niemals entdeckt und sie selbst nie verhaftet wurde. Daher war auch in den frühen Publikationen über Richard Sorges Spionagering nichts über sie zu erfahren. Erst durch die Veröffentlichung ihres Buches Sonjas Rapport hat Ruth Werner selbst ihren Anteil an der Arbeit des Sorgerings bekannt gemacht und damit auch einen wichtigen Beitrag zum osteuropäischen Sorgekult geleistet.

Ein Gutachten des Verlags Neues Leben zeigt, daß die Publikation von höchster Stelle gefördert wurde: "Im November 1976 teilte uns der Genosse [...] mit, daß er vom Büro Honecker beauftragt worden sei, uns davon in Kenntnis zu setzen, daß im Verlag Neues Leben das Manuskript ‚Sonjas Rapport' in einer möglichst hohen Auflage zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution herausgegeben werden soll. Wir bekamen das Manuskript Anfang Februar vom Ministerium für Staatssicherheit übermittelt. Es ist vereinbart worden, daß die Genossen dort den Umbruch zu lesen bekommen. Von diesem Ministerium wurden 18.000 Exemplare für den Direktbezug bestellt." (19.4.1977)

Ursula Kuczynski, eine Tochter des Wirtschaftswissenschaftlers René Kuczynski, hatte in Berlin eine Buchhändlerlehre gemacht und war 1926 der KPD beigetreten. 1929 heiratete sie den Architekten Rudolf Hamburger und ging mit ihm im Sommer 1930 nach Shanghai, wo ihm eine Stelle angeboten worden war. Noch im gleichen Herbst lernte sie dort die amerikanische Journalistin Agnes Smedley kennen, die zuvor mehrere Jahre in Berlin gelebt hatte.(>> Ausländerinnen in China: Die amerikanische Journalistin Agnes Smedley und ihre chinesischen Freundinnen) Sie hatte Smedleys Buch Eine Frau allein schon in Deutschland gelesen und war sehr erfreut, die Autorin zu treffen. Smedley stellte sie im November 1930 Richard Sorge (1895-1944) vor, der zu Beginn des Jahres in Shanghai eingetroffen war, um einen Spionagering aufzubauen. In den folgenden zwei Jahren unterstützte Ursula Hamburger Richard Sorge und seine Mitarbeiter vor allem indem sie ihr Haus für Treffen und die Lagerung von Waffen und Dokumenten zur Verfügung stellte. So begegnete sie 1932 auch Otto Braun, der kurz darauf als einziger Europäer am Langen Marsch teilnahm, und Manfred Stern, der im Spanischen Bürgerkrieg berühmt wurde (>> und später in einem sibirischen Lager starb). Im gleichen Jahr traf sie Egon Erwin Kisch, der gerade >> für sein Buch China geheim recherchierte, und feierte mit ihm und Agnes Smedley ihren 25. Geburtstag.

Sie arbeitete auch gelegentlich in einem Buchladen und lernte den bekannten Schriftsteller Lu Xun kennen, mit dem sie eine Käthe Kollwitz-Ausstellung organisierte. Der Spionagering löste sich im Winter 1932-33 auf und die Wege trennten sich: Sorge wurde nach einem Aufenthalt in Moskau nach Japan versetzt (und dort 1944 getötet); Ursula Hamburger nahm in der Sowjetunion an einer Funkerausbildung teil. 1934 ging sie noch einmal für ein Jahr nach China und arbeitete in Shenyang, das von japanischen Truppen besetzt war, als Funkerin. 1935 wurde sie nach Polen versetzt und 1938 in die Schweiz. In den vierziger Jahren arbeitete sie (weiterhin für die sowjetische Militärspionage) in England, wohin auch ihre Eltern geflohen waren. Sie traf 1950 mit ihrem englischen Gatten und drei Kindern in der DDR ein. In Berlin arbeitete sie zunächst im Amt für Information, dann für die Presseabteilung der Kammer für Außenhandel und wurde schließlich zur Schriftstellerin Ruth Werner. Obwohl sie über ihre Spionagetätigkeit selbst nicht reden (und schreiben) durfte, hat sie immer wieder über China geschrieben und schon ihr erstes Buch Ein ungewöhnliches Mädchen (1957) wurde ein großer Erfolg. Ihr zweites Buch schilderte das tragische Leben von Otto Braun's früherer Freundin Olga Benario (1961), die ebenfalls für die sowjetische Militärspionage gearbeitet hatte und dann von den Nazis umgebracht wurde. Erst 1977 - mehr als zehn Jahre nach dem Ausbruch des Sorge-Kults und nach der Aufhebung des Schreibverbots - veröffentlichte sie ihr autobiographisches Werk Sonjas Rapport, das schnell zu einem Bestseller wurde. Hierin beschrieb sie ihre Zusammenarbeit mit Richard Sorge und ihre Aufenthalte in Polen, der Schweiz und Großbritannien. (Im gleichen Jahr wurde ihr von Honecker der Nationalpreis I. Klasse verliehen, schon in den dreißiger Jahren hatte sie im Kreml von Kalinin persönlich einen Orden erhalten.) Der Sorge-Kult war 1964 zum 20. Todestag Sorges in der Sowjetunion initiiert woren. In der DDR war vor allem der kürzlich im Alter von 71 Jahren verstorbene Julius Mader für die Propagierung Sorges verantwortlich. Mader war Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Ministeriums für Staatssicherheit und verfasste mehrere Bücher über westliche Geheimdienste, besonders den CIA. Schon 1966 veröffentlichte er im Militärverlag Dr. Sorge funkt aus Tokyo, dessen erweiterte Neuauflage später als der Dr. Sorge Report verbreitet wurde. Mader hatte mit einigen früheren Mitarbeitern Sorges wie >> Otto Braun und Max Christiansen-Clausen Gespräche geführt und zahlreiche Dokumente ausgewertet, die letzten Auflagen hatten einen Umfang von über 500 Seiten. Richard Sorge, der einen deutschen Vater und eine russische Mutter hatte, wurde zum Symbol für die deutsch-sowjetische Freundschaft und wurde gleichzeitig als Opfer des Faschismus verehrt. Daß die sowjetische Führung zu seinen Lebzeiten seine Berichte nicht besonders ernst genommen hatte und nach seiner Verhaftung keine Bemühungen um seine Freilassung unternahm, wurde nicht erwähnt. Auch die unrühmlichen Geständnisse von Sorge und Christiansen-Clausen, die noch für die Sowjetunion tätige Spione gefährdeten, wurden ignoriert. Während sich Sorge durch Mader und andere zum Vorbild für die Männer der Staatssicherheit entwickelte, wurde Ruth Werner bzw. ‚Sonja' das Modell für die Agentinnen. Beide spielten für die Legitimierung des MfS eine wichtige Rolle.


Dr. Thomas Kampen

 

Literatur zum Thema:

Charles Willoughby: "Sorge: Soviet Master Spy"

Julius Mader : "Dr. Sorge-Report"

Robert Whymant: "Richard Sorge - Der Mann mit den drei Gesichtern"

 

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Der Zeitgeist Buchladen in Shanghai und die Buchhändlerinnen Irene, Isa und Ursula

In vielen Büchern über Shanghai in der Republikzeit und vor allem in der Spionageliteratur wird der Zeitgeist Buchladen erwähnt; unklar blieb lange, wer die mysteriöse Buchhändlerin war. In MacKinnon's Buch über >> Agnes Smedley heißt es: "Von größerer Bedeutung für Smedley war Shanghais kleiner Kreis deutscher Linker, deren politische Ansichten ihr näher standen. Sie verkehrten alle im Zeitgeist-Buchladen in der Nähe von Soochow Creek, und die Geschäftsführerin des Zeitgeists, Irene Wiedemeyer, wurde >> Smedleys Freundin und Vertraute. "Die Österreicherin Ruth Weiss, die 1933 in Shanghai eintraf, berichtete von der Bekanntschaft mit einer deutschen Kommunistin: "sie leitete einen Buchladen, in dem man deutsche, englische und  >> russische fortschrittliche Bücher erstehen konnte."

Schon früher konnte man in dem Buch "Richard Sorge" lesen, wie dieser (angeblich) seinen japanischen Mitarbeiter Ozaki Hotsumi kennen lernte: "Diese Bekannschaft hatte eine gewisse Frau Irene Wiedemeyer vermittelt, die die Buchhandlung "Zeitgeist" an der Soochow-Bucht betrieb. Derartige Darstellungen finden sich in vielen Büchern über Richard Sorges Spionagering und gehen größtenteils auf die Aussagen von >> Richard Sorge und seinen Mitarbeitern in Japan (nach deren Verhaftung 1941), sowie auf Akten des Shanghaier Polizeiarchivs zurück. Eine vollkommen andere Quelle sind die Werke Lu Xuns, die verschiedene Texte mit Bezug auf den Buchladen und die Buchhändlerinnen enthalten. Da Lu Xun Agnes Smedley und viele andere Ausländer kannte, waren solche Kontakte nicht überraschend, er hatte selbst dort schon 1931 Bücher gekauft. 1932 fand in dem Buchladen eine Ausstellung von Werken von Käthe Kollwitz statt. Lu Xun war an den Vorbereitungen beteiligt und erwähnt gelegentlich eine Hanbaojia furen - auf Deutsch: >> Frau Hamburger; ein Name, der Ähnlichkeit mit Wiedemeyer hat, ist jedoch nicht zu finden. Wer die Spionageliteratur kennt, weiss, dass auch Richard Sorge in den Verhören eine Frau Hamburger erwähnte, die aber damals nicht identifiziert werden konnte - manche Autoren vermuteten, daß es bei Hamburger und Wiedemeyer um die gleiche Person ging. Die Frage, wer Frau Hamburger war, lässt sich inzwischen leicht beantworten: die Frau von Rudolf Hamburger, die mit ihrem Ehemann 1930 in Shanghai eintraf. Erst als sie - in ihrem eigenen Buch - selbst ihre Identität preisgab, wurde das Geheimnis gelüftet: es handelte sich um die (spätere) Schriftstellerin Ruth Werner, die 1977 in der DDR das Buch ">> Sonjas Rapport" veröffentlichte. In dem Buch schrieb Ruth Werner auch über ihre Freundin Isa (!) in Shanghai: "Eines Tages kam ein junges Mädchen hier mutterseelenallein mit einigen Bücherkisten angereist. Sie eröffnete ein Lädchen voll radikaler deutscher, englischer und französischer Literatur.[...] Mir kribbelt es in den Fingern, ihr zu helfen." Damit wird deutlich, dass es um zwei Frauen ging und dass I.W. die Leiterin war. Ursula Hamburger, die gerade ein Kind bekommen hatte, unterstützte sie dabei.

Der Laden soll im Auftrag der Kommunistischen Internationale betrieben worden sein. Keiner der genannten Quellen ist besonders zuverlässig, es gibt sicherlich Übertreibungen und Fehlinterpretationen: so ist es unwahrscheinlich, dass westliche Kommunisten dort regelmäßig verkehrten, da sie immer ihre Verhaftung befürchten mussten. Außerdem kam I.W. wohl nicht allein nach Shanghai, sie war schließlich verheiratet. In Sonjas Rapport heisst es: "Isas Mann schloß sich einer trotzkistischen Gruppe an, es gab politische Streitigkeiten, und sie trennte sich von ihm." ObRuth Werner nicht mehr wusste oder nicht mehr schreiben wollte ist unklar. Das Ehepaar lebte offenbar in Shanghai noch zusammen und der Gatte, der in Deutschland studiert hatte, war ein Mitarbeiter von Richard Sorge und wird häufig in den Memoiren der damaligen Sekretärin >> Zhang Wenqiu erwähnt. In manchen Spionagebüchern steht auch dessen damals verwendeter Name: Wu Shao kuo, sonst war lange nichts über ihn bekannt. Inzwischen gibt es aus China mehr Informationen: tatsächlich hiess er Wu Jianxi, wurde später Universitätsprofessor und hatte in den fünfziger Jahren in der Volksrepublik wichtige Posten inne, er starb 1973; zu dieser Zeit lebte Ruth Werner in der DDR, ihre Freundin Irene, die eigentlich nicht Wiedemeyer sondern Weitemeyer hiess, soll 1978 in der BRD gestorben sein, Ruth Werner starb im Jahr 2000 in Berlin. Da die politischen Beziehungen zwischen BRD, DDR und der VR China oft problematisch waren, ist davon auszugehen, dass die drei in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens keinen Kontakt mehr miteinander hatten. Ozaki Hotsumi und Richard Sorge wurden kurz vor Kriegsende in Japan getötet, Agnes Smedley starb 1950 in England.


Literatur:

F.W. Deakin + G. R. Storry: Richard Sorge, Gütersloh, 1965.
J. + S. MacKinnon: Agnes Smedley, Zürich, 1989.
Ruth Weiss: Am Rande der Geschichte, Osnabrück, 1999.
Ruth Werner: Sonjas Rapport, Berlin, 1977.


Dr. Thomas Kampen

Weitere Literatur zum Thema:

An Instance of Treason: Ozaki Hotsumi and the Sorge Spy Ring.

 

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Zhang Fang und seine Memoiren : Richard Sorges chinesischer Assistent berichtet

Als der Sowjetspion Richard Sorge 1941 in Japan verhaftet wurde, waren viele chinesische Mitglieder seines Spionagerings noch aktiv. Dennoch blieben ihre Namen und Aktivitäten jahrzehntelang im Dunkeln. Sorge hatte zwar nach seiner Verhaftung in Tokyo genaue Angaben über seine europäischen und japanischen Mitarbeiter gemacht, die genaue Identität seiner chinesischen Assistenten jedoch nicht mitgeteilt. Die Andeutungen über die Herren „Wang“, „Pai“, „Li“, „Chiang“ und ein Ehepaar „Chui“ waren zu ungenau, um ihre Identifizierung zu ermöglichen. Auch in der umfangreichen Sekundärliteratur von Charles Willoughby („Sorge: Soviet Master Spy“), Julius Mader („Dr. Sorge-Report“) und Robert Whymant („Richard Sorge - Der Mann mit den drei Gesichtern“) wurde zwar ausführlich über Sorges westliche und japanische Mitarbeiter berichtet, über die Chinesen gab es jedoch keine genauen Informationen. Auch von chinesischer Seite wurde bis in die achtziger Jahre praktisch nichts über den Sorgering veröffentlicht: vor allem wegen des sino-sowjetischen Konflikts waren die sowjetischen Spionageaktivitäten in Ostasien ein äußerst heikles Thema. Im übrigen hatten chinesische Autoren auch kaum Zugang zu deutschen, japanischen und russischen Quellen über Sorge und seine Mitarbeiter.

Der Unbekannte

Daher war die Veröffentlichung der Erinnerungen von Sorges chinesischem Stellvertreter Zhang Fang in den achtziger Jahren eine kleine Sensation, die jedoch nur von wenigen bemerkt wurde. Zhang, der vor fast 110 Jahren - im Sommer 1901 - geboren wurde, publizierte unter verschiedenen Pseudonymen mehrere Bücher und Artikel in denen er über seine Tätigkeit für Sorge und dessen Nachfolger berichtete, doch der Name Sorge tauchte in den relativ nichtssagenden Titeln seiner Werke nie auf. Außerdem erschienen die meisten Texte bei Provinzverlagen oder in schwer zugänglichen Zeitschriften. Die Geheimnistuerei hing wohl nicht nur mit der schwierigen Thematik zusammen, sondern auch mit der Tatsache, daß Zhang auch nach der Gründung der Volksrepublik China noch lange geheimdienstlich tätig war. Er starb erst 1995 im Alter von 94 Jahren.

Einstellung

Um zu verstehen warum gerade Zhang Fang eine führende Position im Sorgering einnehmen konnte, muß auf Sorges Anforderungen an seine chinesischen Mitarbeiter hingewiesen werden: sie sollten zwar überzeugte Kommunisten, aber nicht Mitglieder der chinesischen KP sein, denn Parteimitglieder hätten bei Verhaftung sowohl die KP als auch den Spionagering verraten können; da Sorge kein Chinesisch konnte, sollten sie möglichst Englisch oder Deutsch, aber - um keinen Verdacht zu erregen - auf keinen Fall Russisch sprechen (daher waren die zahlreichen in Moskau ausgebildeten Chinesen für diese Arbeit ungeeignet); außerdem sollten sie genügend politisch gebildet sein, um eigenständig Berichte und Einschätzungen abfassen zu können. Zhang Fang entsprach diesen Anforderungen sehr gut: er hatte Mitte der zwanziger Jahre an der Pekinger Yenching-Universität Englisch studiert und war dort 1927 der KP beigetreten, verlor dann jedoch in den Wirren des Bürgerkriegs den Kontakt zur Partei. Da er in Peking von Verhaftung bedroht war, floh er 1929 nach Shanghai, wo kurz zuvor auch die amerikanische Journalistin Agnes Smedley eingetroffen war, Richard Sorge kam im folgenden Winter dort an. Wahrscheinlich wurde der Kontakt zwischen Sorge und Zhang durch Smedley vermittelt, die damals - wie später auch Sorge - für die Frankfurter Zeitung schrieb. ( >> Ausländerinnen in China: Die amerikanische Journalistin Agnes Smedley und ihre chinesischen Freundinnen) Von 1930 bis Ende 1932 arbeitete Zhang für Sorge und nach dessen Abreise für Sorges Nachfolger. Sorge beauftragte Zhang damit, einen chinesischen Spionagering zu gründen und dafür zuverlässige Mitarbeiter aus seinem Bekanntenkreis zu suchen. Zunächst waren einige Dutzend, später über hundert „Agenten“ für den Ring tätig. Die meisten glaubten für die Komintern zu arbeiten, nur die wichtigsten Mitglieder wußten, daß der Ring für die sowjetische Rote Armee spionierte. Militärische und außenpolitische Fragen standen im Vordergrund, vor allem die japanischen Aktivitäten in China und die Beziehungen zwischen dem Kuomintang-Regime Chiang Kai-sheks und den wichtigsten westlichen Staaten. Besonders die Aktivitäten der deutschen Militärberater in China und deutsche Waffenexporte nach China waren von großer Bedeutung.

Arbeit

Da Zhang Fang viele Freunde und Kommilitonen aus Peking anwarb, bestand der Kern des sowjetischen Spionagerings in China aus Absolventen der amerikanischen Yanjing Universität. Gerade weil diese Universität unter ausländischer Leitung stand, waren linke Studenten dort sicherer als an den strenger kontrollierten chinesischen Universitäten. Die Studenten, die in Peking aktiv gewesen waren, waren in Shanghai, der KMT-Hauptstadt Nanking und im südchinesischen Kanton weitgehend unbekannt und nicht besonders gefährdet. Das von Sorge erwähnte Ehepaar „Chui“ gehörte zu Zhang Fangs und Agnes Smedleys engsten Freunden und der lungenkranke Mann wird auch in Ruth Werners „Sonjas Rapport“ erwähnt. Diese und andere Details bestätigen, >> daß sowohl Sorges Angaben bei den Verhören als auch Ruth Werners Berichte relativ wahrheitsgetreu waren.  Da Sorge in den ersten Monaten seines Aufenthalts vor allem an Kanton und Südchina interessiert war - sein Vorgesetzter „Alex“ war offenbar für Shanghai zuständig - spielte die dort aufgewachsene Frau „Chui“ eine wichtige Rolle. Eine weitere Mitarbeiterin namens Zhang Yiping >> soll ihm vom damaligen Leiter des chinesischen KP-Geheimdienstes, Zhou Enlai,  vermittelt worden sein.

Flucht

Zhang Fang arbeitete zunächst für Sorge, dann für dessen Nachfolger „Paul“ (Karl Rimm, der auch von Sorge, Mader und Ruth Werner erwähnt wurde) und - als dieser eine neue Aufgabe in Nordchina übernahm - für Joseph Walden. Im Frühjahr 1935 wurde dieser jedoch verhaftet und dadurch die Spionagetätigkeit in Shanghai zeitweise unterbrochen. Die wichtigsten chinesischen Mitarbeiter konnten in China untertauchen oder in die Sowjetunion fliehen, einige wurden verhaftet und hingerichtet. Da Walden jedoch keinerlei Aussagen machte, ihm kaum etwas nachgewiesen werden konnte und die KMT-Regierung an einer Verbesserung der Beziehungen zu Moskau interessiert war, ließ man ihn bald in die Sowjetunion ausreisen. Nach Zhangs Darstellung war der KMT nicht bekannt, daß sie einen Spion der sowjetischen Armee gefaßt hatte, sondern hielt ihn für einen Kominternagenten. Auch Karl Rimm und Ruth Werner, die zu dieser Zeit als Funkerin Shenyang arbeitete, konnten unentdeckt China verlassen. Zhang Fang floh 1935 mit Frau und Kindern nach Moskau und wurde dann im nordwestchinesischen Xinjiang eingesetzt. Nachdem er dort knapp der Verhaftung entkommen war, setzte er seine Spionagetätigkeit in Nordchina fort. Dort wurde er von den Japanern verhaftet, konnte jedoch aus dem Gefängnis entfliehen und ging dann in das kommunistische Zentrum Yan'an. Damit war seine Tätigkeit für die Sowjetunion beendet und er übernahm Aufgaben in der chinesischen KP. Einige seiner in den dreißiger Jahren angeworbenen Mitarbeiter hatten ebenfalls bis in die vierziger Jahre für die sowjetische Militärspionage gearbeitet. Da sie meist nicht der chinesischen KP beigetreten waren, brachte ihnen der Sieg der Kommunisten und die Gründung der Volksrepublik China häufig eher Probleme als Vorteile. Manche traten in den fünfziger Jahren noch der KP, andere den kleinen „Blockparteien“ bei. Mit der Verschlechterung der sino-sowjetischen Beziehungen galten sie oft als Agenten des Gegners und bekamen vor allem in der Kulturrevolution erhebliche Schwierigkeiten. Hierbei war besonders fatal, daß sie vorher nicht - wie sie oft selbst angenommen hatten - für die Komintern sondern für die sowjetische Armee gearbeitet hatten. Auch Zhang Fang bekam in dieser Zeit Probleme, wurde aber - wahrscheinlich von Zhou Enlai - geschützt und überlebte die Kulturrevolution unbeschadet.

Dr. Thomas Kampen

 

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Rezension:Christian Y. Schmidt - Bliefe von dlüben

Der Mann hat ordentlich Wut im Bauch. Eine waschechte Bielefelder Schnauze. Und jede Menge Humor, vor allem sich selbst gegenüber. Diese dreifache Erkenntnis stellt sich früh ein bei der Lektüre von Christian Y. Schmidts Sammelband „Bliefe von dlüben – Ein China-Crashkurs“. Christian Y. Schmidt ist kein Unbekannter. 5 Jahre lang schrieb er für das Satiremagazin Titanic seine gleichnamige Kolumne aus dem Reich der Mitte. Und hat dabei manches gesehen, das ihm nicht schmeckt – zum Beispiel den Unsinn, den selbsternannte deutsche China-Experten in Dauerschleife über seine zweite Heimat (Schmidt lebt mit seiner chinesischen Frau in Beijing) zu Papier bringen.

Gründe für ein erneutes Kompendium zum chinesischen Alltagsleben gibt es angesichts der eklatanten Wissenslücken hierzulande eigentlich genug. Der Autor liefert einen weiteren, ganz Titanic-Korrespondent, hinzu: „Das in diesem Buch versammelte höchst disparate Wissen ist eher dazu gedacht, den Leser in die Lage zu versetzen, auf Partys zu glänzen.“ Es handele sich um „typisches Angeber- und Aufschneiderwissen“, dass für Stehempfänge in Berlin oder Beijing vielfältig einsetzbar sei, schreibt Schmidt und stellt damit sein eigenes Licht unter den großen Schemel der Chinaschreiberlinge. Denn dem Autor ist es trotz der gewählten satirischen Form ernst mit dem Gegenentwurf zum China-Bashing der Mainstream-Presse.

Zwar verheißt der ausgelutschte Witz im Titel des Buches zunächst nichts Gutes. Auch ist Skepsis angebracht angesichts der Tatsache, dass hier eine aufpolierte Kolumnensammlung herausgebracht wird. Doch schon die Widmung zeigt, dass der Leser dieses Buch – neben den fleißig recherchierten Infoblöcken und dem generellen Anliegen des Autors – nicht immer ernst nehmen darf: „Für Walter Myna“ steht dort. Damit widmet Schmidt das Buch seinem Alter Ego, unter dessen Namen er jahrelang seine „Bliefe“ für die Titanic verfasste. Und auch das Vorwort macht Laune auf mehr: Schmidt gibt freimütig zu, dass der Titel rein aus Gründen der besseren Vermarktung gewählt worden sei, um dann seine aktualisierten „Bliefe“ in einer ungewöhnlichen Form zu präsentieren: in fünf Abteilungen wird der Leser auf das „große China-Abitur“ vorbereitet. Den Lehrplan en detail zu beschreiben ist unnötig, denn oft sei die Zuordnung des Stoffes, „so ähnlich wie im echten Leben“, völlig willkürlich und an den Haaren herbeigezogen.

Eines muss man dem Joschka Fischer-Biograf lassen: Schmidt hat sich zu einem Zeitpunkt für das Leben im Reich der Mitte entschlossen, da andere schon langsam für das Campingmobil im Ruhestand zu sparen beginnen. Der Autor – und das macht seine Kolumnen amüsant und lesenswert – schreibt sich hier in oft unmittelbarer Nähe zum Erlebten die eigenen Erfahrungen vom Leib. Die Leidenschaft für China, die Herausforderungen als dauernder Fremdkörper, aber auch der Stolz über die eigenen Verständnis- und Lernerfolge des Autors sind den Crash-Kurs hindurch spürbar. Schmidt schreibt von Ayis, Gongbao Jiding, Pandas oder Falun Gong – seine Themen sind nicht neu, der Charme seiner Ausführungen liegt im wie. Das Gleiche gilt auch für sein „Praktisches Chinesisch – die wichtigsten Sätze“, darunter: „Beim Einkaufen: Diese Qualitätsfake-Rolex ist mir zu teuer. Haben Sie keine normalen Kopien?“ oder „Auf der Straße: Nein, ich will in keine Lady-Bar!“

Schmidts Bilanz nach den ersten fünf Jahren: Es wird langsam Zeit, dass Deutschland einen chinesischen Bundeskanzler erhält.  Denn immer da, wo Chinesen an der Macht seien, boome auch die Wirtschaft. Hier, wie zu Beginn und an vielen Stellen des Buches, spricht wieder der Schalk aus ihm, der oft auch Kritik an seiner alten Heimat übt. Das macht Schmidt und seine täglichen Abenteuer im Reich der Mitte sehr sympathisch. Fazit: Ein Buch über China, in dem die Revolutionäre Marxistische Allianz genauso vorkommt wie Schwäbisch Gmünd oder Fahrstuhlknopfdrückerinnen, gehört in jedes Handgepäck nach Beijing.

Christian Y. Schmidt
„Bliefe von dlüben – Der China-Crashkurs“
224 Seiten
ISBN-13: 978-3871346583
Rowohlt
14,90 €

Rezension von Oliver Lutz Radtke

 

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Filmrezension: Eat, Drink, Man, Woman

Zu Beginn der neuen Newsletter-Rubrik  “Filmrezension”, ein Klassiker: “Eat, Drink, Man, Woman” (饮食男女) von Ang Lee (李安) aus dem Jahre 1994.  Sicherlich ein, nicht nur unter Sinologiestudenten und sonstigen China-Liebhabern,  bekannter Film und allgemein sehr zu empfehlen.  Visuell ansprechend (besonders in der Anfangssequenz des Films in der Herr Zhu, ein Meisterkoch gespielt von Lang Xiong, das Sonntagsessen fuer sich und seine Familie vorbereitet), abwechselnd lustig und traurig mit einer Prise Romantik, so ist dieser frühe Film des Staregisseurs stets kurzweilig und mitreißend.

Ang Lees dritter Spielfilm behandelt, wie die meisten seiner frühen Filme, das Zusammenleben in einer Familie, sowie die Spannungen zwischen verschiedenen Generationen im Wandel der Chinesischen/Taiwanesischen Gesellschaft, ausgelöst durch den wachsenden Einfluss Westlicher Kultur und Werte.  Der Hauptankerpunkt in “Eat, Drink, Man, Woman” ist das Essen und dessen Zusammenhang mit Liebe und Familie.
 

“Eat, Drink, Man, Woman” spielt im modernen Taipei.  Herr Zhu, ein verwitweter Meisterkoch, und zwei seiner drei erwachsenen Töchter leben gemeinsam in einem alten Haus mitten in der Stadt, umringt von Hochhäusern.  Die Kommunikation zwischen Vater und Töchtern verläuft nicht immer reibungslos, jedoch tauscht man sich jeden Sonntag Abend beim gemeinsamen Essen über das Leben, das Liebesleben, und die Suche nach dem passenden Partner aus.  Langsam lösen sich die Töchter aus ihrem stellenweise autoritären Elternhaus, und Zhu muss feststellen, dass ihm allmählich der Geschmackssinn verloren geht.  Abwechselnd werden der Handlungsstrang des Vaters, sowie die der einzelnen Töchter gezeigt, bis alle Stränge (besonders der von Herrn Zhu selbst, und seiner zweitältesten Tochter Zhu Jiaqian) am Ende des Filmes, nicht ohne den sogenannten twist, zusammengeführt werden. 

Rundum ein schöner Film, bietet “Eat, Drink, Man, Woman”, 1995 für den Oscar als Bester fremdsprachiger Film nominiert, zwei Stunden empfehlenswerten Filmspass die keinsfalls als vergeudet zu bezeichnen wären.

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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