Newsletter Dezember 2010 Nr. 48

INHALT

Konferenzbericht: Wissen auf Wanderschaft

Im Juli 2010 veranstaltete der Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext“ der Universität Heidelberg eine Summer School, die sich mit den vielfältigen Ansätzen zu "Wissen auf Wanderschaft“ auseinander setzte. Nachwuchswissenschaftler aus 15 Ländern diskutierten über die vielfältigen Begegnungen zwischen europäischem und asiatischem Wissen seit der Frühen Neuzeit.    

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Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studenten in Heidelberg

Der Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studierenden in Heidelberg e.V. (Abkürzung VCWSHD e.V.) ist eine gemeinnützige Vereinigung, die nicht nur den Austausch der in Heidelberg lebenden Chinesen untereinander fördert, sondern insbesondere auch neue Kontaktmöglichkeiten für ein wachsenden Interesse an China von deutscher Seite bietet. SHAN hat dazu den neuen Vereinsvorsitzenden, Zhao Hongbo, interviewt. 

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Lock'n'Loll is here to stay: Popular Music in/of Asia

Der internationale Workshop des Exzellenzclusters „Asien und Europa im globalen Kontext“ der Universität Heidelberg setzte sich mit dem klischeehaften Bild der asiatischen Populärmusik auseinander. Musik- und Kommunikationswissenschaftler, Anthropologen und Kulturforscher diskutierten im August 2010 über einen transnationalen Komplex der populären Musik.

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Interview mit Guo Wei - "The Chinese Belly dance Star"

Ein männlicher chinesischer Bauchtänzer mit tibetischen Kostümen in Europa! SHAN ließ sich diese Chance nicht entgehen und hat den neuen internationalen Tanzstar im Rahmen eines internationalen Tanzfestivals in Duisburg interviewt. 

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Zurück aus Thaiwan

Viktoria Dümer, SHAN-Redakteurin, ist für Weihnachten aus Taiwan nach Deutschland zurückgekehrt. In ihrer Glosse berichtet sie von kleinen Verwirrspielchen zu Gunsten einer allseits harmonischen Vorweihnachtszeit: Denn wo studiert sie denn nun, in Taiwan oder Thailand? Asien!  

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"Ein komplizierter Mensch mit heftigen inneren Konflikten": Bei Lings Vortrag über seinen Freund Liu

Im Dezember war der chinesische Dichter und Publizist Bei Ling bereits zum dritten Mal in Heidelberg. Vor Dozenten und Studierenden erzählte Bei in einem zweistündigen Vortrag von seinem „alten Freund“ Liu Xiaobo. Lesen Sie im Weiteren wie Bei dessen Entwicklung vom harrschen Literaturkritiker zum Verfechter politischer Reformen schildert. 

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Bei Ling - Der Freiheit geopfert: Die Biografie des Friedensnobelpreisträgers

Die SHAN-Vorsitzende Lena Hessel hat bereits für diesen Newsletter eine Rezension des neuesten Buchs von Bei Ling verfasst: Der Freiheit geopfert ist eine sehr persönliche Biografie des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers. 

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Deutsche Architekten in Shanghai: Rudolf Hamburger und Richard Paulick

In den frühen dreißiger Jahren erlebten Nanjing, Shanghai und die ganze Provinz Jiangsu dank der Guomindang die erste Phase eines wirtschaftlichen Booms. Zur gleichen Zeit fehlte es in Deutschland auf Grund der Weltwirtschaftskrise an einer Perspektive. So war die Aussicht auf einen Neubeginn in der Ferne verlockend. Dr. Thomas Kampen schildert die Erlebnisse von zwei deutschen Architekten und deren Familien, die den Aufbruch nach China wagten.

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"Everlasting Moments": Interview mit Chen Wen-pin

Zum Start der Filmreihe gab es Rezensionen von Klassikern, aber auch Neuheiten aus der chinesischen Filmszene. Für diesen Newsletter hat Johann Platt den taiwanesischen Regisseur Chen Wen-pin (陳文彬) getroffen und mit ihm über seinen Film “Everlasting Moments” gesprochen. Die Dokumentation, die die Geschichte eines Stamms der Atayal-Ureinwohner Taiwans erzählt, wurde dieses Jahr beim Internationalen Filmfestival Mannheim Heidelberg gezeigt.

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Konferenzbericht „Wissen auf Wanderschaft“

„Wissen auf Wanderschaft“ lautete das Thema einer Summer School, die der Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext“ der Universität Heidelberg von 25. bis 29. Juli 2010 veranstaltete. Etwa 30 Nachwuchswissenschaftler aus 15 Ländern diskutierten über die vielfältigen Begegnungen zwischen europäischem und asiatischem Wissen seit der Frühen Neuzeit.

„Der globale Wissensaustausch ist keineswegs ein rein modernes oder gar postmodernes Phänomen. Wanderungen von Wissen haben zu allen Zeiten und in allen Weltgegenden eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Wissenskulturen gespielt“, führte der Organisator der Summer School, Prof. Joachim Kurtz, in das Thema ein. So war eine der zentralen Fragen der Summer School, wie sich das Wissen auf seinem Weg durch die verschiedenen Regionen, Kulturen und politischen Gemeinschaften veränderte.

Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Rivka Feldhay (Tel Aviv University) über den Wissensaustausch zwischen Russland und Israel. Sie erläuterte die Ausbreitung von Ideen der russischen Intelligentsia in Israel durch Literatur, Musik und andere Kulturgüter. Zwei weitere Vorträge am ersten Tag behandelten die „Verortung des Wissens“. Prof. Dhruv Raina (Jawaharlal Nehru University, Neu Delhi) sprach über den Dialog zwischen französischen Missionaren und indischen Astronomen. Prof. Henrique Leitao (University of Lisbon) befasste sich mit dem vergessenen Einfluss von den Kenntnissen, die durch die globale Expansion der portugiesischen Handelsschifffahrt nach Europa gelangten, auf die so genannte „wissenschaftliche Revolution“.

Am zweiten Tag beleuchteten die Wissenschaftler zum einen die „Agenten“ und zum anderen die „Medien“, die bei der Verbreitung von Wissen eine Rolle spielen. PD Dr. Dagmar Schäfer (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin) sprach über unterschiedliche Kommunikationsmethoden in Asien und Europa und Dr. Marcus Popplow (TU Berlin) über die Verbreitung von technischem Wissen, insbesondere mithilfe von Zeichnungen und Modellen. Später referierte Yu Li (Williams College, Williamstown), über gedruckte Medien und die vielfältigen Formen der Wissensvermittlung durch Bücher. Auch D r. Roland Wenzlhuemer (Universität Heidelberg) betonte das Zusammenspiel von Wissen, Information und Technologie. Er erklärte dieses Phänomen anhand der telegraphischen Informationsflüsse im 19. Jahrhundert.

Am dritten Tag stand die Rezeption von Wissen im Mittelpunkt. Unter dem Titel „Übersetzung und Domestikation“ fragte Dr. Benjamin Zachariah (Zentrum Moderner Orient, Berlin), wie man die Wege von Ideen über Sprachen und Kontinente verfolgen könne. Und Prof. Joachim Kurtz (Universität Heidelberg) beschrieb, wie europäische Philosophie in Ostasien adaptiert wurde. Dabei erläuterte er unter anderem, wie in diesem Prozess Übersetzungen strategisch eingesetzt wurden, um außerphilosophische Interessen durchzusetzen.

Ein besonderes Angebot war der Kurs „Digitale Erzählformen in der Wissensgeschichte“. Darin wurden neue Methoden der Präsentation von Wissenschaft und Philosophie mit Hilfe digitaler Erzähltechniken wie Podcasts und Kurzfilmen vorgestellt. Grace Yen Shen (York University, Toronto), illustrierte anhand eines Tanzvideos, wie sich Kunst und Wissenschaft ergänzen können. Hugh Shapiro (University of Nevada, Reno), forderte gar die Einbeziehung von Kurzfilmen bei der Präsentation von Forschungsergebnissen.

Zum Abschluss der Summer School wurde den Teilnehmern eine Gruppenaufgabe gestellt, in der sie ihre eigenen Forschungsvorhaben unter dem Aspekt der Mobilität von Wissen überdenken sollten. Die Darstellungsform der Ergebnisse war den Studierenden freigestellt. Eine Gruppe entschied sich, eine Performance aufzuführen, in der die verschiedenen Kräfte, die Wissen in Bewegung versetzen, künstlerisch dargestellt wurden. Der Beitrag war ein gelungenes Beispiel für eine neue Form wissenschaftlicher Präsentation.

Die Summer School „Wissen auf Wanderschaft“ stieß bei den Teilnehmern durchweg auf positive Resonanz. Besonders schätzten sie, dass die Referenten so unterschiedliche Disziplinen und Sichtweisen vertraten. Auch die Organisatoren waren mit der Summer School zufrieden. So sagte Prof. Joachim Kurtz zum Abschluss: „Wir sind hocherfreut über die hohe Anzahl an jungen und begabten Teilnehmern aus so vielen Ländern. Unsere Diskussionen hatten durchgehend ein hohes Niveau und eröffneten jedem von uns neue Perspektiven.”

Die nächste Summer School des Exzellenzclusters findet im Sommer 2011 statt.

Weitere Informationen über den Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext“ sind im Internet unter www.asia-europe.uni-heidelberg.de abrufbar.

Text: Verena Vöckel

Weitere Informationen:

Programm der Summer School 

 

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Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studenten in Heidelberg

Als Alumni-Verein der Sinologie in Heidelberg sucht SHAN auch immer Kontakt zu anderen Alumni- oder Studentenvereinen oder Organisationen, Institutionen und Unternehmen mit China-Bezug. Einen für Sinologen besonders interessanten Verein möchten wir Ihnen in dieser Ausgabe des Newsletters vorstellen: Den Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studiernden in Heidelberg. SHAN hat Herrn Zhao Hongbo, den neuen Vorsitzenden des Vereins,  interviewt. Zhao Hongbo stammt aus Shanxi, China. Seit Oktober 2008 promoviert er an der Uni Heidelberg in der Fachrichtung Pflanzenmolekularbiologie. 2008 wurde er Mitglieder des Vereins, 2009 wurde er Vizepräsident und seit dem 1. Juni 2010 ist er nun Vorsitzender des Vereins chinesischer Wissenschaftler und Studenten in Heidelberg.

 

SHAN: Herr Zhao, erzählen Sie uns kurz, was den Verein chinesischer Wissenschaftler und Studenten ausmacht und welche Aufgaben der Verein sich zum Ziel gemacht hat.

Zhao Hongbo: Der Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studierenden in Heidelberg e.V. (Abkürzung VCWSHD e.V.) ist eine gemeinnützige Vereinigung, die die in Heidelberg lebenden Chinesen zum Beispiel beim Kontakt mit Institutionen wie der chinesischen Botschaft, der Universität Heidelberg und anderen unterstützt sowie den Austausch der in Heidelberg lebenden Chinesen untereinander fördert. Außerdem versuchen wir die in Heidelberg lebenden Chinesen bei ihrem Leben und Einleben in Deutschland zu unterstützen und den Kontakt mit deutscher Kultur und Gesellschaft zu fördern.
Unser Verein hat derzeit circa 800 Mitglieder. Wir widmen uns der Betreuung chinesischer Studierender und Doktoranten und unterstützen unsere Mitglieder beim kulturellen Austausch mit der deutschen Gesellschaft. Der Vorstand setzt sich zusammen aus Vorsitzendem, Vizevorsitzenden,Aufsichtsrat und Abteilungsleitern. Jedes Mitglied hat ein aktives und passives Simmrecht bei der Wahl des Vorstandes.


SHAN: Welche Aktivitäten veranstaltet der Verein regelmäßig für seine Mitglieder?
Zhao Hongbo: Der Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studierenden in Heidelberg e.V hat folgende Veranstaltungen organisiert: wissenschaftliche Vorträge zu diversen Themen, aber zum Beispiel auch Betriebsbesichtigungen. Er betreut und fördert den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch mit anderen Vereinen. Aber wir veranstalten natürlich auch Parties oder Karaoke Wettbewerbe, die bei unseren Mitgliedern und Gästen immer sehr beliebt sind. Außerdem organisieren wir Reisen in verschiedene deutsche Städte, aber auch ins Ausland oder veranstalten Basketball-, Fußball- und Badminton Turniere und haben eine Ausleihe chinesischer Zeitschriften usw. eingerichtet. Für unsere Absolventen und Jobsuchende haben wir auf unserer Homepage ein Forum zum Thema Stellenangebote eingerichtet, auch über aktuelle Veranstaltungen in Heidelberg können sich unsere Mitglieder in einem Forum informieren. Zu den Aufgaben des Vorstandes gehört die Zusammenarbeit mit der Abteilung Studienangelegenheiten des chinesischen Konsulats sowie anderen Vereinen und Institutionen, wie SHAN oder dem Konfuzius-Institut Heidelberg. Jedes Jahr veranstaltet der Verein eine große Gala zum Frühlingsfest und Mittherbst, die natürlich auch wieder im nächsten Jahr veranstaltet wird und bei chinesischen Studenten und unseren Gästen sehr beliebt ist.

 

SHAN: Wie stellt Ihr Euch eine Zusammenarbeit mit SHAN vor?

Zhao Hongbo: Es gibt große Unterschiede zwischen Deutschland und China in Bezug auf Sprache oder Kultur und die meisten Studenten und Wissenschaftler haben keine deutsche Basis. Viele deutsche Studenten, die in Heidelberg Chinesisch lernen, möchte auch ihr Sprachniveau verbessern und suchen nach Tandempartnern. Wir hoffen, mit SHAN zusammen ein Plattform zu errichten, die Studenten dabei hilft Tandempartner zu finden. Über das Lernen der  Sprache kann die Freundschaft beider Länder entwickelt und das Verständnis östlicher und westlicher Kultur verbessert werden. Die Vereine beider Seiten sollte einander dabei helfen und sich gegenseitig unterstützen. Außerdem können wir regelmäßig gemeinsame Veranstaltungen organisieren, wie zum Beispiel Parties, Reisen, Sportveranstaltungen und so weiter und uns gegenseitig über Veranstaltungen informieren. Auch in anderen Bereichen können wir einander helfen und zusammenarbeiten.

 

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„Lock‘n Loll is here to stay: Stereotyping, Domesticating and Inventing Popular Music in/of Asia"

Es war eindeutig ein buntes wissenschaftliches und musikalisches Programm, mit dem der internationale Workshop „Lock‘n Loll is here to stay: Stereotyping, Domesticating and Inventing Popular Music in/of Asia“ von  5. bis 8. August 2010 das Publikum und die Presse in Heidelberg begeistern konnte. Der Workshop wurde  von zwei Forschungsprojekten gemeinsam veranstaltet: „Creative Dissonances: Music in a Global Context “ und „Hidden Grammars of Transculturality: Migrations of Encypolopaedic Knowledge and Power“. Beide Projekte sind Teil des Exzellenzclusters der Universität Heidelberg „Asia and Europe in a Global Context“. 25 internationale Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungsbereichen kamen zusammen, darunter sowohl Musikwissenschaftler und -ethnologen, als auch Kommunikationswissenschaftler, Anthropologen und Kulturforscher. 

Schon der Titel des Workshops, mit seiner leichten Ironie, setzte sich mit dem klischeehaften Bild der asiatischen Populärmusik auseinander: „Asia ist the romping place of uncreative copy-cats!“ (Workshop Boucher). Oft werde in Bezug auf asiatische Popkulturproduktion von „Imitieren“, “Nachbilden“ und  „Kopieren“ gesprochen und dies kritisiert. Die Kulturforschung der Globalisierung zeigt anhand ihrer vielfältigen Beispiele allerdings, dass Ideen immer Grenzen überschreiten, dauernd in unterschiedlichen Kontexten variieren, die vorgeschriebenen Formen auflösen oder ihnen neue Kräfte verleihen. Die Betrachtung in einem zeitlichen Aspekt, zusammen mit der transkulturellen Forschungsperspektive, schwächt schließlich die Position des Originalen und stellt eine entscheidende Frage für dieses Zusammentreffen der Wissenschaftler, wie die Sinologin Barbara Mittler (Heidelberg) in ihren Begrüßungsworten bemerkte: Wie können wir schließlich im Zeitalter der Globalisierung den transnationalen Komplex der populären Musik zwischen Asien und Europa neu verstehen und interdisziplinär auffassen und erforschen? Aus dieser Frage heraus entfaltete sich der Aufbau des ganzen Workshops: Fünf „Panels“ und drei „Keynote Lectures“ kreisten um die Fragen: wo und unter welchen Umständen ist eine musikalische Idee aufgekommen; wo wird sie lokalisiert und praktiziert; wie wird sie neu erfunden, und schließlich in Hinsicht auf alle Aspekten, wann und wie findet ein Wissenstransfer über die Popmusik statt?    

Der japanische Populärkulturforscher und Musikwissenschaftler Mitsui Toru (Kanazawa) eröffnete den Workshop mit einem historischen Überblick über japanische populäre Musik. Er schilderte mit Hilfe von zahlreichen Musikbeispielen, wie der Begriff „Popmusik“ (die populäre Musik in MitsuisDefinition) aus westlichen Konzepten von der japanischen Gesellschaft zu unterschiedlichen Zeiten adaptiert und praktiziert wurde. Seine Analyse deutete auf eine wichtige Erkenntnis hin, dass auch die Entstehung der eigenen japanischen Popmusik immer in einem transnationalen Kontext zu lesen sein sollte.

Mit Mitsuis Forderung nach einer transnationalen Forschungsperspektive begann die erste Paneldiskussion mit der Überschrift „Stereotyping (in) Asian Popular Musics“. Sie befasste sich zunächst mit unterschiedlichen medialen Phänomenen, in denen die Stereotype (in) der asiatischen Popmusik global dargestellt und eingeprägt sind. Anhand der in London lebenden, sri-lankischen Künstlerin M.I.A. und ihres neuen radikalen Musikvideos "Born Free", in dem eine Verfolgung von Rothaarigen in den USA inszeniert wird, mit der Assoziation der staatlichen Unterdrückung gegen Tamil in Sri Lanka in der Lyrik, setzte John Hutnyk (London) mit den kontroversen politischen Aussagen der negativen Stereotypen in der Medien- und kultureller Präsentation auseinander und fragte nach deren nicht unproblematischen transnationalen Wirkungen in der Rezeption.

Im Gegensatz dazu zeigten zwei weitere Beträge über die frühe Entwicklung der japanischen Rock/Popmusik ab den 70er Jahren (am Beispiel des „Flower Travelin’ Band“ und des „Yellow Magic Orchestra“), vorgestellt von Mori Yoshitaka (Tokyo), und die Rückkehr des „Punjabi-Pop“ in Indien durch Medien und Migration, illustriert von  Patrik Frölicher (Heidelberg), die kreative Konstruktion von Stereotypen. Während westliche Künstler ihre Musikstile weltweit zu einer Art Monopol ausbauten, begriffen viele asiatische Musiker die Wege der „Selbst-Orientalisierung“ (Mori) als auch der „Turbanising Blackness“ (Fröhlicher) als gelungene Gegenkonzepte: Sie identifizieren sich mit den westlichen Stilen und verwenden sie als eine Art der musikalischen Innovation auf dem eigenem Markt.

Ähnliche Strategien waren auch ein Aspekt in Christine R. Yanos (Honolulu) Vortrag über Jeros, eines Afro-amerikanischen Sängers, der als „Enka-Sänger“ im Jahr 2007 einen großen Erfolg in Japan hatte. Der große Kontrast – gegenüber der inzwischen nicht ungewöhnlichen Einführung afro-amerikanischer Elemente des Black Hip Hops in die eigene Musikkultur, was beispielsweise auch im Punjabi-Pop zu sehen ist, –  die sogenannte Identifizierung und Stereotypisierung der Japanischen Tradition Enka von „außen“ erschüttert schließlich viele festgelegte Vorstellungen über Ethnizität und Konventionen der Musik.

Das zweite Panel „Domesticating Popular Musics in Asia“ setzte sich weiter mit den transnationalen Einflüssen auf die Popmusik in ihrer lokalen Praxis auseinander. Es wurde eingeleitet von zwei  koreanischen Fallstudien: In ihrem Vortrag schilderte Son Min-Jung (Daejeon) die alltägliche Umsetzung der koreanischen urbanen Musik „T’urot’u“ und ihre symbolische Wandlung von einer exportierten populären Musik zu einem in den Alltag der ‚Arbeiterklasse‘ integrierten Kulturgut. Shin Hyun-joon (Seoul) erläuterte den Erfolg eines jungen koreanischen Künstlers, Jang Gi-ha, und seiner Indie-Rock Band im Jahr 2007, indem er die „alten“, „uncoolen“ Campus Volkslieder aus 70er/80er in einen modernen Popmusikstil umsetzte. Beide Beispiele zeigten verschiedene Aneignungsprozesse der westlichen Popmusik in der koreanischen Gesellschaft, die mit der Zeit wiederum auf neue Interpretationen und Umsetzungen Einfluss haben. Ihr sozialer, bzw. musikalischer Umgang mit Klischees, sowohl in Hinsicht auf die innovative Einstellung als auch die Art der Reproduktion der imitierten „westlichen“ Elemente im eigenen Stil, stellte ein vielseitiges Bild dar.  Auch Jeroen de Kloet (Amsterdam) veranschaulichte in seinem Beitrag einen kreativen Umgang mit kulturellen Klischees in der visuellen Präsentationen der chinesischen Popmusik und fragte dabei, ähnlich wie Mori und Fröhlicher, „whether the employment of stereotypes and cultural clichés can be a powerful and productive tool to negotiate the burden of representation that haunts cultural production in non-Western contexts”.

Unterschiedliche westliche Musikgenres mit bestimmten Vorstellungen werden nicht nur in Asien direkt übernommen und räumlich und zeitlich für einen temporären musikalischen Erfolg zusammengebracht. Neue Formen mit neuen Identitäten, sogar Ideologien werden auch inspiriert und erschaffen, wie das dritte Panel des Workshops „Inventing New Forms of Poplar Music in Asia“ vorführte. In seinem Beitrag schilderte Chow Yiu-fai (Amsterdam/Hong Kong), anhand des Beispiels der Mode „China Wind“(中國風) und dessen Verwendung in der Hong Konger Popmusikszene, wie die Begegnungen der chinesischen Popmusik mit Modernität und Globalisierung die Sehnsucht nach ihrer „chinesischen Wurzel“ („the Chineseness“) verstärkte. Maria Grajdian (Heidelberg) erläutert am Beispiel des japanischen Frauentheaters Takarazuka Revue, wie die Tourismusindustrie und der folgende Aufbau der Infrastruktur sich mit der Einführung bestimmter westlicher Erzählungen von Mode und Musik in die japanischer Gesellschaft verbinden, die schließlich zu einem Teil der „japanischen Identität“ werden. Anschließend beleuchtete Anjali Gera Roy (Kolkata) den Prozess der „Hybridisierung der Bhangra“ in Großbritannien und untersuchte, in wieweit die religiösen Zeremonien und Symbole des ‚Punjabi Tanz‘ durch die fortschreitende Kommerzialisierung verloren gehen. Sie stellte schließlich die Frage, ob es nicht zu einem Prozess von „festishizing of Punjabi music and body“ komme, in dem jedes Individuum die Tradition beliebig aufgreifen könne, um seine hybriden Identitäten darzustellen.

Während unterschiedliche musikalische Stile und ihre kulturellen Wurzeln oft isoliert in ihrem universalen Anspruch untersucht werden, demonstrierten alle Beiträge in diesem Workshop einen Paradigmenwechsel und stellen die Rolle von Staat, Markt und Medien viel mehr in das Zentrum der Diskussion. Dies zeigte sich noch deutlicher in der zweiten Key Note Lecture von Kulturwissenschaftler Iwabuchi Koichi (Tokyo). Er wies in seinem Vortrag darauf hin, dass, um das Verhältnis zwischen Globalisierung und Popmusik zu verstehen, ein binäres System von Osten und Westen schließlich an faktische und analytische Grenzen stoße. Die aufblühende, hoch intraregional vernetzte und verflochtene Medienindustrie, der kulturelle Konsum, sowie die intensive Kollaboration zwischen Medien, Staat und Markt in Ostasien stelle nicht nur die euro-amerikanische Dominanz in der Popkulturbranche in die Frage. Diese Phänomene erforderten auch einen ’entwestlichten‘ Betrachtungswinkel für die Medien- und kulturelle Globalisierungsforschung.

Das vierte Panel „Between Nationalism and Universalism: Asian Popular Musics in a Gobal Context” ging weiter auf den transkulturellen Umgang mit Musik und der Identität der Akteure ein. Wie gehen Menschen heute mit der Musik um, wie identifizieren sie sich selbst mit ihren Idolen? Im Zeitalter der Globalisierung, in dem Künstler und Musikproduzenten oft versuchen mit einer „universalen Marke“ einem globales, möglichst breites Publikum anzusprechen, bestimmten oft eher die lokalen sowie globalen Fans/Fanclubs nach konkreten Regeln und Konventionen, wer daran teilnehmen darf und wer nicht. Michel Fuhr (Heidelberg) stellte dazu den Medienskandal des in den USA aufgewachsenen, koreanischen Popstars Park Jaebeom und den Streit um seine Nationalität dar. Die „non-native Korean“ Fanclubs lösten schließlich eine patriotische Gegenbewegung in der Öffentlichkeit aus: ein überzeugendes Beispiel. Ein anderes, treffendes Beispiel führte der Kommunikationswissenschaftler Anthony Fung (Hong Kong) an, indem er schilderte, wie die lokale TV-Castingshow „Supergirl“ in China das Idol Chris Li erschuf. Er fragte, inwiefern ein vom Publikum selbst mitbestimmter Medienerfolg der staatlichen Zensur ausweichen könne. Zwei weitere Beiträge in dem Panel führten zu einer anderen Szene der japanischen Popmusik, deren Existenz nicht aus Massenkonsum sondern aus einer kleinen Fangemeinschaft resultiert. Alain Müller (Neuchatel) veranschaulichte die Hardcore Punkszene in Tokyo und deren internationale jugendliche Subkultur und zeigte deren Auseinandersetzung mit der Grenzziehung, bzw. den hoch aktiv performativen Charakter der Identität in der Musikpraxis zwischen “doing being Japanese” und “doing being hardcore”. Einen ähnlichen Prozess präsentierte Oliver Seibt (Heidelberg) in seiner sozialpsychologischen Analyse über die Vernetzung des Fanclubs der Visual-kei und der emotionalen Identifizierung und Verbundenheit von deren Fans mit ihren Idolen. Während der Handlungsprozess der kollektiven Identität mit festgeregelten Attributen in Visual-kei sich deutlich ein vielseitiges Feld von Ambivalenz zwischen den Rollen von Männer und Frauen, Hardcore und nicht Hardcore zeigt, sei dieser Prozess, laut Seibt, schließlich nicht ohne Anspannung zwischen Realität, Imagination und Begier des Individuums zu verstehen.

Medium, Performanz und Praxis seien drei wichtige Anschauungsbereiche der Musik, worauf die Forscher in diesem Workshop bisher mit ihren musikalischen Beispielen hingedeutet haben. Die „Musik“ sei aber auch eine Art von „Wissen“ und „Macht“. Diese Aussage wurde im letzten Panel „The Modes and Politics of Knowledge Transfers of Western Popular Music to Asia and Vice Versa“ präsentiert. Dieses begann mit einem Rückblick auf einen historischen Prozess, in dem ein gewisses „Wissen“ selektiert, gesammelt, übersetzt und archiviert wurde. Die Bespiele enthielten sowohl die begriffliche Geschichte des Konzepts „Volkslieder“ in japanischer Sprache im 19. Jahrhundert, vorgeführt von Tsuboi Hideto (Nagoya), als auch die historische Erläuterung der Imagination des „Westen“ in dem bereits im Grajians Beitrag dargestellten Frauentheater „Takarazuka Revue“ am Anfang des 20. Jahrhunderts, vorgetragen von Hakamata Mayuko (Yokohama), sowie die Geschichte von Liu Yuan und seiner privaten Musikkollektion ab 1949, präsentiert von Babara Mittler (Heidelberg) und Andreas Steen (Aarhus). Alle Beiträge zeigten deutlich, dass sich die Terminologie der „Musik“ als kultureller Besitz viel tiefer in einem multiplen Komplex von Modernisierungsprozessen einerseits und in der Gründung eines nationalen Bewusstseins andererseits versteckte. Dabei spielten die Intellektuellen mit ihrer transkulturellen Mobilität sowie der sprachlichen Fähigkeit als Vermittler eine unübersehbare Rolle. Schließlich reflektierte Marc Schilling (Tokyo) seine eigene Rolle als Autor des Buches „Encyclopedia Japanese Popculture“, welches in 1997 veröffentlicht wurde. Anhand dieses Werks veranschaulichte er den Prozess einer Wissenserschaffung, die sich dauernd in einem Handlungsprozess zwischen Geschichte, Personen, populärem Trend und Produktion befindet.

Wie verstehen wir dann die Popmusik weltweit? Wo erfassen wir ihre Definition, Entwicklung und Veränderung in Hinsicht auf ihre globale Vielfältigkeit von Formen und Stilen? Die Abschlussdiskussion „Encyclopedias as a Means of Knowledge Transfer of (Popular) Music”, eingeleitet von zwei Verfassern der „Garland Encyclopedia of World music“, Alison Arnold (Raleigh) und Andrew Killick (Sheffield), führte das Publikum schließlich zur Reflektion über die neue Herausforderung einer Musikenzyklopädie, die versucht, die Vielfältigkeit der populären Kulturen und Musikformen zeitlich und räumlich zu begreifen und die daraus entstehenden, umfangreichen Kenntnisse über Weltmusik in einer Gemeinschaftarbeit zu „verwissenschaftlichen“. Neue Medien und Techniken seien dabei ein ausschlaggebender Faktor: Während das Internet den Künstlern und deren Fans einen neuen Spielraum ermöglichen, indem sie ihre Ideen, und Vorführungen sichtbar machen können, wie wir von vielen vorherigen Beträgen gesehen haben, fordert die neue Gestaltung einer „Online-Enzyklopädie“ mit ihrer „open-end“ unbeschränkten, gemeinsamen Redaktion eine Revision über die Konvention eines solchen Nachschlagwerkes. Dies gibt auch Anlass zu der Hoffnung, dass, durch eine offene Internetplattform den Wissenschaftlern neue Möglichkeiten angeboten werden, den eurozentrischen Blickwinkel in der Weltmusik zu überwinden. 

Alle Beträge zeigten schließlich, dass zwischen neu und alt, westlich und östlich, global und lokal ein Raum von Künstlern und Publikum selbst eröffnet wird, in dem sie sowohl den Konventionen neue Bedeutungen verleihen, als auch eigene Rahmen und neue Regelungen für die Entstehung einer komplexen, musikalischen „hybriden“ Identität im Globalisierungsprozess bestimmen. Es wird hinterfragt, ob die Performanz der Hybridität als ein machtvolles Instrumentarium der Politik, Ökonomie und der Kultur dienen könne. Während es spannend und bedeutend sei, zu reflektieren, ob Stereotypen und Klischees in diesem Sinne als Treibkraft der Kreativität in  der Musikszene dienen könne, sei es ebenso wichtig, die mächtige soziale Wirkung der in der Musik enthaltenen und durch Massenmedien ausgebreitete Vorstellungen anzuerkennen.

Li Hsiyin

 

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Interview mit Guo Wei 郭伟 - „The chinese Belly dance Star“

Guo Wei (郭伟), ein junger chinesischer Pioneer-Bauchtänzer wurde von der Gastgeberin Leyla Jouvana des 18. Bauchtanzfest Europas in Duisburg als Gasttänzer eingeladen. Seine Workshops wurden von zahlreichen Tänzern besucht und bei der Abendgala am 27. und 28. November in der Reihnhausenhalle begeisterte er mit das Publikum mit einem Tanzstück, das Elemente des traditionellen Bauchtanzes mit tibetischen Tanzelementen verband. Ein männlicher chinesischer Bauchtänzer mit tibetischen Kostümen in Europa! SHAN ließ sich diese Chance nicht entgehen und hat diesen neuen internationalen Tanzstar im Zuge des Festivals interviewt.

 

SHAN: Herr Guo, wir wissen dass Sie früher Sportwissenschaft studiert haben und auf Volleyball spezialisiert waren. Wie sind Sie zum Bauchtanz gekommen?
Guo: Ich habe 2002 nach dem Studium in Beijing angefangen im Fitnessstudio als Fitnesslehrer zu arbeiten. In den Studios gab es viele Tanzkurse wie Latin-Steps, Hip Hop und so weiter. Bevor ich mit Bauchtanz angefangen hatte, habe ich verschiedene andere Tanzstile ausprobiert. Aber ich wollte immer was besonderes machen, was noch nicht alle anderen bereits durchgekaut haben. Ich habe damals nur gehört, dass es Bauchtanz gibt, fand aber fast keine Materialien zu diesem Tanzstil. Zufälligerweise hatte ich einen Freund, der bei der Xinhua Presse (新华社) arbeitet. Er schrieb damals gerade einen Bericht über Bauchtanz in Ägypten und kannte deswegen einige Bauchtanzlehrer dort. Er meinte, dass er mich vorstellen könnte, wenn ich an Bauchtanzausbildung interessiert bin. Diese Chance wollte ich nutzen. Ich dachte mir, auch wenn ich nicht Bauchtanz lerne, lohnt es sich trotzdem dorthin zu reisen. Ich war noch nie in Ägypten. Das ist so ein mysteriöses Land für mich und hat mich immer fasziniert. So bin ich zum Bauchtanz gekommen.

 

SHAN: Wie war die Tanzausbildung in Ägypten?

Guo: Ich war an einer staatlichen Tanzschule. Die Lehrer waren top. Es gab Kurse für Anfänger und für Fortgeschrittene. Die Schüler waren hauptsächlich Frauen. Ich war der einzige chinesische Tänzer dort. Ich begann mit dem Anfängerkurs, bin aber ganz schnell zum fortgeschrittenen Kurs gewechselt. Am Ende hat mein Lehrer gefragt, ob ich dort bleiben und als Dozent arbeiten wollte. Ich dachte, in China gibt es in diesem Bereich noch eine große Lücke. Der Markt ist riesig. Deswegen wollte ich zuerst in China anfangen. Ich war ungefähr zwei Monaten an dieser Schule, dann bin ich wieder nach China zurückgekehrt.

 

SHAN: Sie waren früher Fitnesslehrer. Die Bewegungen in vielen Fitnesskursen sind sehr hart und kräftig. Beim Bauchtanz sind die Bewegungen relativ weich. War es am Anfang schwer für Sie die Bewegung richtig hinbekommen?

Guo: Ja. Sie haben völlig Recht. Beim Bauchtanz muss man die Kraft in sich zurückziehen. Am Anfang war das echt ein Problem für mich. Als Mann ist es schwer die Kraft zu kontrollieren. Aber das kann man durch Übung überwinden.

 

SHAN: Als ich vor drei Jahren in China war, wurde Bauchtanz noch nicht richtig auf offiziellen Bühnen gezeigt. Die Tänzerinnen traten nur in Bars oder Restaurants auf. Wie sieht es denn jetzt aus?

Guo: Vor drei Jahren wurde Bauchtanz in China noch nicht systematisch gelehrt. Seit 2009 gibt es einige große Bauchtanzstudios, wie mein eigenes, in Beijing. Wir laden ausländische Dozenten ein und unterrichten die Schüler in traditionellem Bauchtanz. Wir organisieren auch Bauchtanzfestivals. In diesem Jahr ist es schon das vierte Mal.

 

SHAN: Haben sie auch Auftritte in großen Theaterhäusern?
Guo:  Ja, zum Beispiel Beizhan-Theater (北京展览馆), Baoli-Theater (保利剧院). Wir kontaktieren jetzt auch das neue Nationaltheater. Nächsten Monat, im Dezember, haben wir einen großen Auftritt mit einer Gruppe von 12 Tänzerinnen aus den USA.

 

SHAN: Wie teuer sind die Tickets? Können sich normale Leute solche Tickets leisten?
Guo: Ja.  Die Tickets kann man sich leisten. Am teuersten sind die VIP Tickets, die kosten 500 Yuan.

 

SHAN: Welches Feedback bekommen Sie von den Zuschauern?
Guo: Die Shows sind sehr beliebt. Diesen Juli hatten wir unseren alljährigen großen Auftritt mit internationalen Stars aus den USA, Russland, Mexico, Frankreich, usw. Alle Karten waren ausverkauft.

 

SHAN: Man hat beim Bauchtanz relativ wenig an? Wie kommen Ihre Schüler damit zurecht? Finden sie das nicht unangenehm?
Guo: Am Anfang waren alle nur neugierig. Als ich Bauchtanz im Fitnessstudio gelehrt habe, waren alle Frauen im Studio in meinem Tanzkurs und alle Männer haben ihre Krafttrainingsmaschinen verlassen und zugeschaut. Meine Schülerinnen sind sehr motiviert. Sie ziehen sogar beim Training professionelle Kostüme an. Die älteren Damen haben ihre Kostüme sogar selbst genäht. Die sind noch motivierter. In meinem Kurs stehen in der ersten Reihe immer Damen über 50.

 

SHAN: Wie viele Schüler haben Sie schon gelehrt? Gibt es darunter auch männliche Schüler?
Guo: Ich habe bisher ungefähr 3000 Schüler unterrichtet. Es gibt auch Männer, aber sehr wenig, ungefähr zwei Prozent.

 

SHAN: Gibt es in China auch eine offizielle Zertifikation für Bauchtanz?
Guo: Noch nicht. Bauchtanz wird in China immer noch diskriminiert. Wenn Bauchtänzer in zentralen Sendungen auftreten, dürfen sie den in China üblichen Namen „Dupiwu (肚皮舞)“ nicht benutzen. Sie müssen auch bestimmte Bewegungen weglassen und Kostüme ändern.

 

SHAN: In China gibt es zur Zeit sehr viele sogenannte Bauchtanzmeister oder Queen of Bauchtanz? Scheinbar ist dieonkurrenz sehr groß, oder täuscht der Eindruck?

Guo: Es gibt sehr viele sogenannte regionale“ Bauchtanzmeister, die sich in ihren Städten als „Meister“ bezeichnen. Die Leute haben wenig Ahnung und gehen wegen des Namens dorthin. Aber heutzutage gibt es immer mehr Leute, die sich gut auskennen. Sie kommen direkt zum Studio und fragen, ob wir bestimmte Stile lehren.

 

SHAN: Was ist ihrer Meinung nach das Spezielle am chinesischen Bauchtanz? Ich weiß, dass Sie viele Fusionen zwischen chinesischen Tanzelementen und Bauchtanz gemacht haben. Können Sie bitte ein bisschen mehr davon erzählen?

Guo: Die chinesischen Tänzer, insbesondere die Tänzerinnen, haben eigentlich nicht die idealen Figuren für den Bauchtanz. Sie sind relativ dünn. Wenn sie weltweit anerkannt werden wollen, müssen Sie etwas Besonderes in den Bauchtanz einbringen. Europäer und Araber haben Jahrhunderte, Jahrtausende lang Bauchtanz getanzt. In China fängt es gerade erst an. Aber wir haben unsere Vorteile: Wir haben 56 Völker und damit sehr viele Tanzelementen. Man kann einfach irgendein Element nehmen und es mit dem Bauchtanz fusionieren. So entsteht etwas Neues. Letztes Jahr habe ich bei diesem Festival Bauchtanzelemente mit Dunhuang Feijing (敦煌飞天) Tanzelementen fusioniert. Morgen bei der Show werde ich ein Stück zeigen, in das ich tibetischen Tanzelementen hinein gebracht habe. Mein Stil ist eigentlich ägyptisch geprägt. Aber ich bevorzuge jetzt Fusionen. Heutzutage ist Fusion der Trend im Bauchtanzbereich. Denn ohne Kreativität gibt es keine Entwicklung.

 

Xu Miao

 

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Zurück aus Thaiwan

Nein, ich lebe nicht in Thailand. Aber ich tue so. Das Ganze ist nämlich so:  Ich bin für Weihnachten zurück nach Deutschland gekommen, alle freuen sich darüber. Meine Familie, Freunde, die Nachbarn, alte Mitschüler. Egal, wo man ist, im Supermarkt, im Kino – die Leute entdecken einen und nehmen Anteil. Mit der Frage: „Na, frisch aus Thailand zurück?“ Das passiert mir ständig. Am Anfang habe ich gesagt: „Taiwan. Aus Taiwan bin ich gerade gekommen.“ – „Oh, ja. Ist es dort nicht schrecklich? Ohne Menschenrechte? Mit der ganzen Kontrolle?“ (Seit dem Friedensnobelpreis sind die Menschen in Norderstedt, meiner Heimatstadt, sensibilisiert.) „Nun“, sagte ich, „Das ist wohl eher auf dem Festland so.“ Stille. Themenwechsel. Enttäuschung in der Luft. Meine Oma bat mich, die Menschen nicht zu irritieren. Das störe die Weihnachtsfreude.

Also rede ich über Thailand. Wo ich noch nie gewesen bin. Aber das macht nichts. Ich bestätige, dass es dort wunderschöne Strände gibt (davon hat man ja gelesen), die politischen Unruhen dort mein alltägliches Leben nicht sehr beeinträchtigen (was der Wahrheit entspricht) und dass die Menschen ausgesprochen freundlich sind (das bin ich ihnen wohl schuldig). Ich höre zu, lächele und versuche, angemessen zu reagieren. Zum Beispiel bei der Stadtschlachterei Rohlff neulich, da sagte die Verkäuferin sehnsuchtsvoll: „Thailand… Achja. Da essen Sie dann wohl sehr oft Saté-Spießchen? Die sollen köstlich sein.“ „Oh ja“, sagte ich, aus Shanghai mit thailändischem Essen vertraut, „Die könnte ich täglich essen.“ Die Verkäuferin strahlte. Meine Oma auch. Alle waren glücklich.

Es ist schon irgendwie unglaublich. Für einige Leute ist Asien ein einziger großer Riesenfleck auf der Landkarte, wo Menschen mit Mandelaugen leben, die alle gleich aussehen. Dass es dort zwei Länder mit einer gleich klingenden Anfangssilbe geben soll, ist un-vor-stell-bar. Und Thailand kennt man ja, als himmlisches Urlaubsland! Ein beliebtes Thema ist auch der Reis. „Die essen da nur Reis, oder?“, werde ich gerne gefragt. „Ziemlich oft“, antworte ich meistens, „Aber wir essen ja auch häufig Kartoffeln und Pasta.“ „DAS ist aber etwas ganz anderes!“ Da sind sich alle einig. Und sie empören sich, wenn ich erzähle, dass sich viele Taiwaner für unsere kohlenhydrathaltigen Beilagen ebenso wenig begeistern können wie wir für ihren Reis. Aber das spielt auch keine Rolle, denn ich studiere ja in Thailand.

Viktoria Dümer

 

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Bei Ling präsentiert sein neuestes Werk

Am 15. Dezember kam der Dichter und Publizist Bei Ling 貝嶺 zum mittlerweile dritten Mal nach Heidelberg. Sein erster Besuch liegt über zwölf Jahre zurück; der letzte nur etwas mehr als ein Jahr, damals kam er anlässlich der Buchmesse und des Vortrags von Jeffrey Wasserstrom. Er zeigte sich dabei als lebendiger Erzähler; und gab uns ein anschauliches Bild von der Lage der Exilschriftsteller. Diesmal war er hier, um sein neustes Buch vorzustellen: Der Freiheit geopfert, die Biografie des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Den versammelten Dozenten und Studierenden erzählte Bei in einem zweistündigen Vortrag von seinem „alten Freund“ Liu, von dessen jüngsten politischen Aktionen, dem Nobelpreis, und von Lius Leben im Gefängnis.

Bei Ling und Liu Xiaobo lernten einander im März 1989 kennen. Sie waren beide für einige Zeit als Gastwissenschaftler in New York. In seinem Buch schreibt Bei: „Liu Xiaobo und ich waren zu jener Zeit von morgens bis abends beisammen, wir sprachen über alles und hielten nichts voreinander verborgen.“ (Bei Ling, Der Freiheit geopfert, S.78.) Ende April kehrte Liu nach Peking zurück. Die Demokratiebewegung schlug bereits heftige Wellen und Liu Xiaobo wurde Teil von ihr. Bei blieb damals in New York. Im Laufe der Jahre riss der Kontakt zwischen ihnen nie ab, zu diesem Zeitpunkt jedoch trennten sich ihre Lebenswege. Liu wurde vom Literaturkritiker zum politischen Aktivisten, Bei blieb Literat im Exil. Er zählt sich heute zwar zu Lius Freunden, aber nicht mehr zu seinen Vertrauten.

Manchmal führten gemeinsame Unternehmungen sie wieder zusammen: So die Gründung des chinesischen PEN Clubs im Juni 2001, oder die Verbreitung der Schriften Václav Havels in China. Die von Havel mitverfasste „Charta '77“, die in der damaligen Tschechoslowakei großen Einfluss haben sollte, war auf Bei Lings Betreiben ins Chinesische übersetzt worden. 1994 brachte Bei Ling eine Ausgabe als Geschenk für Liu Xiaobo nach Peking. Und Liu diente der Text als Anregung und Vorbild für die „Charta '08“. Dieses Dokument verfasste er zusammen mit anderen Schriftstellern und Aktivisten im Sommer 2008, die Veröffentlichung war für den 10. Dezember 2008 geplant, den Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Zwei Tage zuvor jedoch wurde Liu Xiaobo festgenommen und in einem Prozess am 23. Dezember 2009 zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seinem Gefängnisaufenthalt 1989 – 1991, einem Hausarrest 1995 und drei Jahren Arbeitslager 1996 – 1999 ist er damit zum vierten Mal inhaftiert.

Es war Václav Havel, der sich für die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo einsetzte. Von der Verleihung erfuhr Liu am 10. Oktober durch seine Frau Liu Xia. Es war das vorerst letzte Mal, dass sie ihn besuchen durfte; sie steht seitdem unter Hausarrest. Zur Reaktion Chinas auf die Preisvergabe meinte Bei Ling, er habe die chinesische Regierung noch nie so wütend gesehen. Es sei ungewiss, ob der Preis größere Auswirkungen haben werde. Kleine Folgen seien aber bereits spürbar: Zunächst für Liu Xiaobo selbst, seine Behandlung im Gefängnis habe sich nach der Preisvergabe verbessert. Aber auch die chinesische Öffentlichkeit bliebe nicht unberührt. Zwar zeigten die Medien nur Unverständnis angesichts der Preisverleihung an einen Mann, der als Verbrecher verurteilt sei. Es bliebe aber festzuhalten, dass Lius Name bereits aus Büchern und Zeitungen getilgt gewesen war, nun aber sei er 20% der Bevölkerung erneut ein Begriff.

Wie Liu Xiaobo kam auch Bei Ling für seine Tätigkeit ins Gefängnis. Die Sicherheitspolizei nahm ihn im August 2001 für die illegale Herausgabe seiner Literaturzeitschrift Tendency fest. Im Gegensatz zu Liu wurde er jedoch bald ins Exil entlassen. Schon seit 1995 war er zwischen Boston, Kanton, Taibei und Hongkong gependelt, nach seiner Abschiebung 2003 lebte er ganz im Ausland. Heute ist er in New York und Taibei zu Hause.

Die räumliche Entfernung allein war es allerdings nicht, die seine Recherche für Lius Biografie erschwerte. Der Verlag war mit dem Projekt erst nach der Preisvergabe an ihn herangetreten, Bei Ling hatte also knappe acht Wochen Zeit. Mit Liu oder seinen Angehörigen konnte er überdies keinen Kontakt aufnehmen. Diese Umstände und sein persönliches Verhältnis zu Liu spielten eine Rolle für die Art, wie Bei Ling sein Buch schließlich anlegte.

Seine Perspektive ist die des „alten Freundes“, des Kollegen. Er betonte, er habe kein Lei Feng Zhuan schreiben wollen, sondern das Porträt einer „komplizierte[n] Mensch[en] mit heftigen inneren Konflikten zwischen hehrer Sehnsucht und weltlichem Verlangen.“ (S.7) Bei Ling erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Freiheit geopfert ist ein „Halbprofil“ – das „Halbprofil“ eines politischen Intellektuellen, der seine Anfänge als Literaturkritiker nahm. Bei Ling bejahte zwar, dass sich die Rollen von Literaten und politischen Denkern in China traditionell schwer trennen ließen. Und auch heute gingen beide Kategorien oft ineinander über, so etwa bei Ai Weiwei und seinem Werk (der übrigens mit zu Lius und Beis Freundeskreis in New York gehörte). Für Liu Xiaobo liegen die Dinge aber anders. Bei Ling stellt einen klaren Wandel bei ihm fest, in Einstellung und Tätigkeiten. In gewisser Weise bedauert Bei Ling diesen Wandel; er bedauert, dass Liu sein Talent als Schriftsteller ungenutzt lässt und sich ganz dem politischen Engagement verschrieben hat. Diese Entwicklung ist es, die Bei in seinem Buch erfassen möchte. Der Eindruck entsteht, Der Freiheit geopfert ist auch Bei Lings Versuch, seinen Freund Liu zu verstehen und wiederzufinden.

 

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Bei Ling – Der Freiheit geopfert: Die Biografie des Friedensnobelpreisträgers

 

Der Dichter und Publizist Bei Ling 貝嶺 (geb. 1959) hat seine Biografie über Liu Xiaobo, den diesjährigen Träger des Friedensnobelpreises, gerade erst veröffentlicht (als Erscheinungsjahr gilt bereits 2011). Der Freiheit geopfert ist eine chronologische Darstellung der wichtigsten Lebensstationen Liu Xiaobos, von seiner Jugend in der Kulturrevolution bis zum Leben im Gefängnis heute.

Bei Ling beschreibt sein Buch als „ein Porträt im Halbprofil, […]“ (S.7). Der Blickwinkel, von dem aus Liu Xiaobo hier betrachtet wird, ist der des Kollegen, des „alten Freundes“ (S.6), der Liu eine Zeit lang gut kannte und über diese Zeit Genaues berichten kann; der sich jedoch später von ihm entfernt hat und heute nur noch aus der Ferne beobachtet.

Für einen Teil seiner Kindheit, für die gemeinsame Zeit in New York und für die Ereignisse 1989 (S.91 – S.212) gelingt es Bei Ling, ein klares und detailreiches Bild von Lius Persönlichkeit zu zeichnen. Wir sehen ihn vor uns in schwarzer Jeans und Lederjacke durch die Straßen Manhattans ziehen, Camus, Rousseau und Hegel im geistigen Gepäck; im Gespräch mit Bei Ling; im Flugzeug nach Peking. Wir stehen mit ihm unter den demonstrierenden Studenten, fühlen seine Sorgen, seine Angst. Hier ist Liu dem Leser greifbar nah.

Aber danach beginnen die Konturen leicht zu verschwimmen. Bei Ling wird zum Beobachter aus der Ferne: Die dramatische Schilderung weicht mehr und mehr einem nüchternen Bericht. Er beschreibt kaum noch Szenen, sondern Ereignisketten und Äußerungen, er beschreibt nicht mehr das Verhalten eines Augenblicks, sondern Gewohnheiten. Die zehn folgenden Jahre sind jene Zeit, in der sich Liu Xiaobo endgültig vom Literaten zum politischen Aktivisten wandelt, vom enfant terrible des Univeritätsbetriebs zum Einzelkämpfer für politische Ideen, aber auch vom Revolutionär zum Reformer, vom Frauenhelden zum pflichtbewussten, treuen Ehemann. Als Leser erleben wir aber den Wandel nicht mit; wir merken nur, er ist da.

Dennoch gelingt Bei Ling insgesamt eine abgerundete Darstellung. Er stützt sich auf reiches Quellenmaterial, Liu Xiaobos und Liu Xias zahlreiche Schriften und Interviews, und er kennt Lius Umgebung, seine Freunde und Bekannten. Schließlich blieb er auch selbst stets mit Liu Xiaobo in Kontakt, obwohl beide sich nicht mehr so nahe stehen wie vor zwanzig Jahren.

Der Blickwinkel Beis ist insgsamt nicht der des politischen Historikers, der Lius Rolle in der Demokratiebewegung untersucht oder gar seinen Einfluss auf die chinesische Gesellschaft und Politik – mit einer Ausnahme, die Ereignisse von Mai bis Juni 1989 betreffend. Hier liegt auch eindeutig der Schwerpunkt des Buches: Ein Drittel des Buches dreht sich ganz um die Zeit von April bis Juni 1989, von dem Zeitpunkt, da Liu sich entscheidet, New York zu verlassen, um in Peking an den Demonstrationen teilzunehmen (beginnend auf S.91), bis zu seiner Inhaftierung im Gefängnis Qincheng im Juni 1989 (endend auf S.212).

Demgegenüber behandelt das erste Drittel einige Kindheitserinnerungen Liu Xiaobos und seinen Aufstieg als Literaturkritiker, im Ganzen die Zeit von 1955 bis 1989. Den zwanzig Jahren seit 1989 ist das letzte Drittel des Buches gewidmet. Großen Raum nehmen dabei Lius Aufenthalte im Gefängnis, im Arbeitslager, und wieder im Gefängnis ein (S.195 – S.205, S.238 – S.254, S.297 – S.307), sowie seine Ehe mit Liu Xia (S.251 – S.254, S.309 – S.322, und andernorts am Rande). Im Gegensatz zur breit angelegten Schilderung dieser Erfahrungen (sowie zuvor der Ereignissse von 1989) werden die späteren politischen Aktivitäten vergleichsweise knapp und zügig abgehandelt, so z.B. Lius Unterstützung der „Mütter des Tiananmen“ (S.255 – S.258, S.263 – S.270, S.273 – S.275), aber vor allem seine Eingaben beim Nationalen Volkskongress (S.237 – S.238), die Gründung des chinesischen PEN (S.281 – S.283) und die Erstellung der „Charta 08“ (S.285 – S.295). Bei Ling spricht zwar von zahlreichen Publikationen Lius, er geht aber nur auf wenige ein; und er hebt vor allem hervor, wie Liu die Ereignisse 1989 und sein eigenes Verhalten rückblickend bewertet (S.259 – S.263, S.234 – S.236). Lius Schriften und Meinungen, seine Projekte und Aktionen kommen damit zwar vor, treten aber hinter seine persönlichen Erfahrungen zurück. Wer die Biografie insbesondere liest, um etwas über die politische Aktivität des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers zu erfahren, wird vom letzten Drittel des Buches wohl etwas enttäuscht sein.

Die Anlage des Textes ist zum Teil das Ergebnis seiner Entstehungsweise: Der Verlag gab die Biografie erst in Auftrag, als Liu den Nobelpreis erhalten hatte. Zum Schreiben hatte Bei Ling nur acht Wochen. Der Verlag wies ihn an, auf Fußnoten zu verzichten. Eine Bibliographie ist zwar beigefügt, aber für genaue Recherche und historische Untersuchungen blieb keine Zeit. Bei Ling selbst mag ein wichtiger Zeitzeuge sein, er ist jedoch kein Historiker, sondern Dichter und Publizist.

Die Biografie tendiert zur groß angelegten Charakterstudie, und das ganz bewusst: „Manche kommen ins Gefängnis“, schreibt Bei Ling, „und hinterlassen draußen vor allem ihre Taten und Meinungen […] Aber er, ein Mensch mit solch starken Meinungen, hinterlässt bei uns draußen vor allem seinen Charakter, seine Geschichten, seinen Geist […]“ Es ist Liu Xiaobos Persönlichkeit, nicht so sehr sein Wirken, das Bei Ling hier zu fassen versucht. Denn die Persönlichkeit Lius scheint ihm Metapher für das Land, aus dem er kommt: S.7 „Indem ihn die Welt als Andersdenkender begreift, seine Leiden und seine geistige Entwicklung erkennt, wird sie auch das heutige China begreifen.“

Bei seinem Vortrag in Heidelberg sagte Bei Ling, er wolle in seinem Buch den Wandel Liu Xiaobos zeigen, den Wandel vom Literaten zum politischen Führer. Dabei geht es nicht nur um eine Änderung des Tätigkeitsbereichs. Der Freiheit geopfert beginnt mit Erinnerungen an die Kulturrevolution. Der erste Eindruck, den der Leser von Liu Xiaobo erhält, ist der eines Jungen, der die anarchische Zeit als Zeit der Freiheit erlebt und in der Schule Marx und Engels auswendig lernt; der entgegen dem Verbot der Eltern heimlich raucht; und der mitleidlos seine grausamen Späße mit einem alten Mann namens Yan treibt. Der mit dem Rest seiner Generation an die wieder geöffneten Universitäten eilt, die Aufbruchstimmung im Land miterlebt und sich für Westliches begeistert – in seinem Fall westliche Literatur und Philosophie. Als junger Literaturkritiker lehnt er sich dann gegen die Autoritäten der Zunft ebenso auf wie als Junge gegen die Eltern. Er übt harsche Kritik und fordert Revolution. Er protestiert vor allem gegen etwas: die Regierung, das Sytem. Aber das ist anscheinend heute nicht mehr Liu Xiaobo. Er schaut heute mit tiefer Reue auf sein Verhalten gegenüber dem alten Yan. Er kritisiert die Studentenbewegung von 1989 für ihre Kompromisslosigkeit. Er ist weniger Revolutionär als Reformer. Er ist vor allem für etwas: politische Reformen im Sinne der „Charta '08“. Er verkündet in seiner Verteidigungsrede vor Gericht 2009, er habe keine Feinde. – Und den Wendepunkt in dieser persönlichen Entwicklung scheint die Studentenbewegung von 1989 zu markieren.  

Als geschichtliche Schilderung leidet das Buch zwar etwas an der unausgewogenen Darstellung von Lius politischen Aktivitäten einerseits und seinen persönlichen Erfahrungen andererseits. Bei Ling geht über manche, ereignisreiche Lebensabschnitte recht schnell hinweg. Als Charakterstudie ist es jedoch angenehm zu lesen, einfühlsam geschrieben und schön komponiert. Der Freiheit geopfert stellt uns die Persönlichkeit Liu Xiaobos vor, es zeigt uns den Menschen hinter dem Friedensnobelpreis.

 

Lena Hessel

 

Bei Ling

Der Freiheit geopfert

Riva (2011)

ISBN: 978-3-86883-134-4

EUR 19,95

 

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Deutsche Architekten in Shanghai: Rudolf Hamburger und Richard Paulick

In den frühen dreißiger Jahren gingen viele Deutsche in den Fernen Osten. Die erste Welle wurde durch die Weltwirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland ausgelöst. Da die Nationale Volkspartei (Kuomintang/KMT) kurz zuvor Nanjing zu ihrer Hauptstadt gemacht hatte, boomten auch Shanghai und die Provinz Jiangsu. Architekten und Stadtplaner wurden dringend gesucht. Die zweite Welle kam mit dem Sieg der Nazis 1933 und betraf vor allem politische Flüchtlinge. Ende der dreißiger Jahre kamen viele österreichische, polnische und tschechische Emigranten hinzu. (Vgl. SHAN-NL Nr. 47, November 2010)

Rudolf Hamburger (1903-1980) reiste 1930 mit seiner Frau durch Sibirien nach China. Ihr Sohn Michael, der 1931 in Shanghai geboren wurde, sagte in einem - kürzlich veröffentlichten - Interview: "Rudolf Hamburger wurde 1903 in Landeshut in Schlesien geboren. Sein Vater, ein Textilfabrikant,verkehrte mit Gerhard Hauptmann [...] Mein Vater liebte die Künste und studierte Architektur bei Poelzig. Er traf dann in Berlin meine Mutter." Er hatte durch die Vermittlung eines Freundes eine Stelle bei der Stadtverwaltung von Shanghai bekommen. ( Vgl. SHAN-NL Nr. 47, November 2010 ) Da der neue Arbeitgeber die Anfahrt nicht zahlte, konnte das Paar nicht entspannt mit dem Dampfer durch den Indischen Ozean reisen, sondern wählte die billigere Eisenbahnfahrt.

In einem Buch von T. Warner über deutsche Architektur in China findet sich ein Photo (S.138) des Victoria Nurses Home, das 1933 gebaut wurde; als Architekt wird angegeben: Dipl.-Ing. Hamburger, Beamter des Shanghai Municipal Council. (Ein Photo von 1993 zeigt das Gebäude im Bauhaus-Stil mit dem Kommentar: das Gebäude ist gut erhalten.)

1933 half Hamburger auch seinem Bekannten Richard Paulick (1903-1979)bei dessen Ausreise nach Shanghai. Paulick war Sohn eines
SPD-Politikers, der wiederholt Probleme mit verschiedenen Regimengehabt hatte (und später in das KZ Buchenwald kam). Auch der Sohn hatte schon vor 1933 mit den Nazis Auseinandersetzungen. Er machte in Dessau
Abitur, studierte in Dresden und Berlin und arbeitete für Hans Poelzig und Walter Gropius. Er verließ Deutschland im Mai 1933 und reiste auf
dem Seeweg nach China. Paulick arbeitete dort als Innenarchitekt für die Firmen The Modern Home / Modern Homes, später kam auch noch sein Bruder Rudolf (1908-1963) hinzu. Richard Paulick interessierte sich auch für das Theater und machte viele Bühnenbilder. In den vierziger Jahren unterrichtete er außerdem an einer Shanghaier Universität.

Späte Enthüllungen

Hamburger blieb mehr als fünf Jahre in Shanghai, Paulick ungefähr fünfzehn Jahre. Über das Leben der beiden Architekten war etwa etwa ein halbes Jahrhundert lang kaum etwas bekannt, erst in den späten siebziger Jahren gab es auf einmal mehrere DDR-Publikationen in denen ihr Name auftauchte. 1975 erschien das Buch "Das Leben eines Architekten" in dem wor allem Richard Paulicks berufliche Tätigkeit beschrieben wurde: " 'Ich kam nach China als ein unbeschriebenes Blatt', erinnert sich Paulick.
Was wußte man in Schanghai schon vom Stahlhaus in Dessau [...] was konnte man dort vom Bauhaus und von Gropius und gar erst von einem jungen Mitarbeiter namens Richard Paulick wissen. Natürlich nichts. Ausgenommen sein Freund Hamburger hatte in China niemand auf Paulick gewartet. Der Architekt Hamburger arbeitete bei der Schanghaier Stadtverwaltung und war, wie da so üblich, an einem kleinenUnternehmen beteiligt, daß sich mit Inneneinrichtungen von Gebäuden beschäftigte. Dort fand Paulick als Architekt ein recht auskömmliches Einkommen." (S.80)

In diesem Buch werden auch politische und publizistische Aktivitäten z. B. Kontakte mit der linken Amerikanerin Agnes Smedley und dem Polen M.G. Shippe (Asiaticus) erwähnt. (Allerdings kann man hierbei nicht - wie in dem DDR-Buch angedeutet - von kommunistischen Aktivitäten sprechen, die meisten Beteiligten waren keine KP-Mitglieder.) Da Paulick aus politischen Gründen Deutschland verlassen hatte, waren diese neuen Informationen nicht überraschend. Weitere Details enthielt dann 1979 ein Reclam Buch über Exil in den USA und in Shanghai. Hier werden Paulicks Kontakte mit den jüdischen Emigranten dargestellt.

Inwischen gab es auch über Rudolf Hamburger überraschende Neuigkeiten. In "Sonjas Rapport" (Vgl. SHAN-NL Nr. 4, Oktober 2006) von Ruth Werner wurde 1977 enthüllt, daß die Autorin die Gattin des Architekten war. Außerdem war zu lesen, daß nicht nur Frau Hamburger, die ursprünglich Ursula Kuczynski hieß, sondern auch der Gatte für die sowjetische Militärspionage tätig war. Auch nach ihrer Trennung haben beide weiter für Moskau gearbeitet. Allerdings hatte "Sonja" das Glück nie verhaftet zu werden, während ihr Mann etwa zehn Jahre inhaftiert war. Im oben erwähnten Interview ergänzte Michael Hamburger: "Rudolf wurde in China verhaftet, er verbrachte ein Jahr in verschiedenen Gefängnissen, er wurde auch gefoltert. Vom Herbst 1941 arbeitete er auf Anweisung der Zentrale in Teheran, das damals unter west-allierter Kontrolle stand. Dort wurde er denunziert und abermals verhaftet, diesmal von den Amerikanern, später an die Engländer überstellt, die ihm mit Folter drohten. [...] Er floh in die Sowjetunion, wo seine Auftraggeber ihn sofort wieder festnahmen. Wegen angeblicher Spionage für die Amerikaner wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt. [...] 1955 gelang es ihm, in die DDR überzusiedeln."

Hamburger und Paulick starben 1979 und 1980; während Paulick in der DDR relativ bekannt wurde, blieb Hamburger ein Provinzarchitekt, der vor allem in Sachsen tätig war. Dort traf er noch eine Schriftstellerin: Brigitte Reimann. Sie hat ihn in einigen Texten erwähnt, allerdings wurden diese erst viel später veröffentlicht. Ruth Werner lebte nicht nur zwanzig Jahre länger als ihr erster Mann, sie konnte auch Ende der achtziger Jahre noch einmal nach China fahren und sah sogar in Shanghai ihr altes Haus wieder.


Literatur

Manfred Müller: Das Leben eines Architekten, Porträt Richard Paulick, Halle (Saale), 1975.
Ruth Werner: Sonjas Rapport, Berlin, 1977.
Exil in den USA, mit einem Bericht "Schanghai - Eine Emigration am Rande", Leipzig, 1979.
Torsten Warner: Deutsche Architektur in China, Berlin, 1994.

Interview in: Ruth Werner: Sonjas Rapport, Berlin, 2006. (Neuauflage)

Thomas Kampen: Chinesen in Europa - Europäer in China: Journalisten, Spione, Studenten, Gossenberg, 2010.
Thomas Kampen: "Walter" Woidt - ein ungewöhnlicher Geschäftsmann in China, SHAN Newsletter 47, November 2010.
Thomas Kampen: Der Zeitgeist Buchladen in Shanghai und die Buchhändlerinnen Irene, Isa und Ursula, SHAN Newsletter 46, September 2010



Dr. Thomas Kampen

 

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China Underground - Chinesische Independent-Filme in Heidelberg

Zur jährlichen Chinaveranstaltung China Time 2010 in Hamburg wurden dieses Jahr chinesische Independent-Filmemacher nach Deutschland eingeladen. Vom 28. bis zum 30. September 2010 wurden einige von ihnen nach Heidelberg eingeladen, ihre Filme im Karlstorkino in Heidelberg zu zeigen. Die Filmveranstaltung unter dem Namen China Underground – Ein kritischer Blick von unten, zeigte spezielle Wahrnehmungen der Regisseure zur chinesischen Gesellschaft und bot Betrachtungsperspektive, die in Mainstream-Filmen über China selten zu sehen sind. SHAN interviewte während der Veranstaltung den chinesischen Organisator Herrn Ni Kun (倪昆) und beiden Regisseure, Frau Wang Bang (王梆) und Herrn Ma Zhandong (马占冬). 



Shan: Herzlich willkommen in unserer Universitätsstadt Heidelberg. Herr Ni (倪昆), Sie sind einer der Organisatoren dieser chinesischen Filmveranstaltung und kennen sich im Bereich der Independentfilme in China aus . Können Sie bitte kurz darstellen, wie sich die Independentfilme in China in der letzten Zeit  entwickelt haben?

Ni: Der erste Höhepunkt in der Entwicklung der Independentfilme in China war im Jahr 2002. Es lag an der Verbreitung der Videotechnik. Aber es ist sehr interessant zu sehen, dass dieser Trend in den Jahren 2003 und 2004 wieder zurückgegangen ist. Viele Filmmacher, die nur für eine kurze Zeit Interesse hatten, sind nicht mehr in diesem Bereich geblieben. Diejenigen die bleiben, können wir als richtige Independentfilmmacher ansehen.

Shan: Arbeiten die Independent-Filmemacher in einigen bestimmten Großstädten in China?

Ni: Nein. Die Festivals oder Austauschprogramme für Independentfilme sind normalerweise in Großstädten, aber  die Regisseure sind überall in China verteilt.

Sind die meisten Independent-Filmemacher Studenten?

Ni: Das kann man so sagen. In China haben heutzutage fast alle Künstler der bildenden Kunst eine akademische Ausbildung. Entweder waren sie, oder sind sie, Kunststudenten oder Literaturstudenten. Zum Beispiel war der berühmte Independent-Filmemacher Zhu Wen (朱文) früher ein Schriftsteller, hat aber später Filme gedreht, wie z.B. Meeresfrüchte (海鲜 Haixian), und dafür auch einen Preis bekommen (Venice International Film Festival 2001, Cinema of The Present-Special Jury Prize). Der Film ist eine andere Ausdrucksmöglichkeit für die Literaten. Die Independentfilmmacher versuchen ihre Filme auf den nicht-staatlichen Filmveranstaltungen oder bei den Austauschprogrammen im Ausland zu zeigen. So wie diesmal in Heidelberg. Das ist sehr wichtig für diese Regisseure.

In welchen Ländern findet ein Austausch mit den Independent-Filmemachern statt?

Ni: Europa ist jetzt so zu sagen der Fokus des Austausches. Im Mittelpunkt stehen Länder wie Frankreich, England und Deutschland.

Finanzieren die chinesischen Independentfilmmacher  ihre Filme immer selbst?

Ni: In der frühen Phase ihrer Filmkarriere finanzieren sie sich fast alle selbst. Danach kommt es darauf an, wie gut sie sind. Manche bekommen Sponsoren für ihre nächsten Filme.

Und warum haben die deutschen Partner diesmal diese Filme ausgewählt?

Ni: Wir glauben, dass diese Filme die individuelle Einstellung und eine individuelle politische Haltung gut zeigen. Wenn man einen der Filme für sich betrachtet, ist das noch nicht so auffällig. Betrachtet man sie aber zusammen, merkt man das sofort. Diese Filme unterscheiden sich stark von den chinesischen Mainstream-Filmen, die man in Deutschland sonst sehen kann. Wenn die deutsche Presse über China berichtet (oft negativ), sind kaum Stimmen von einzelnen Chinesen zu hören. Die Filme der aktuellen Veranstaltung zeigen, wie einzelne Chinesen in schwierigen Situationen handeln. Unsere deutschen Partner glauben, dass diese Filme das Mainstream-Image über China in Deutschland ein Stück weit verändern können.

Diese Filmveranstaltung heißt China Underground- Ein kritischer Blick von Unten (中国地下电影节 – 批判的视角). Ich weiß, dass sich die deutschen Organisatoren diesen Titel ausgedacht haben. Der Begriff Dixia (地下 Underground) klingt auf Chinesisch eher negativ. Wie finden Sie diesen Titel? Und wollten Sie beim Drehen der Filme wirklich irgendwas kritisieren? Oder wollten Sie nur dokumentieren?

Ma: Ich persönlich finde, dass es egal ist welchen Namen die Veranstaltung hat. Wichtig ist, unsere Filme von  den Mainstream-Filmen zu unterscheiden.

Shan: Herr Ma, Sie haben den Film über das Erdbeben in Sichuan gedreht. War es aus einer kritischen Perspektive?

Ma: Ich wollte nicht unbedingt irgendetwas kritisieren. Aber ich drücke natürlich meine eigene Einstellung damit aus. Es gibt sehr viele offizielle Berichte über dieses Erdbeben. Ich habe mich auf die ignorierten, einzelnen Personen konzentriert, die meistens nicht beachtet werden.  Eine Familie, eine  Person und so weiter.

Das war damals ihr Anlass, das Erdbeben zu filmen? Im Internet steht, dass Sie zuerst den Leuten dort helfen wollten und Ihnen dann die Idee kam den Film zu machen. Stimmt das?

Ma: Nicht ganz. Ich wohne in Chengdu. Als das Erdbeben kam, war ich im 13. Stock. Ich habe das Erdbeben sehr stark gespürt. Am Tag danach bin ich mit meiner Frau direkt in das Katastrophengebiet gefahren. Wir haben ein Auto gemietet und sind überall herum gefahren, wo wir mit Auto hinfahren konnten und haben immer dabei gefilmt.  Die Idee, einen Film aus diesen Video-Stücken zu machen, kam mir erst Ende Mai. Die "Hauptfiguren" haben wir auch zufällig getroffen. Der Film dreht sich hauptsächlich um eine Familie, ein junges Ehepaar. Sie haben ein Kind, das in der Stadt zur Schule geht. Die beiden arbeiten ziemlich hart, um das Kind zu finanzieren. Ihr Kind ist im Erdbeben gestorben. Als ich sie getroffen habe, wollten die beiden ihre traurige Geschichte erzählen, um ihre Trauer zu erleichtern. Deswegen haben wir ihre Geschichte dokumentiert.

Wie lange waren Sie insgesamt im Katastrophengebiet?

Ma: Von Mai bis Oktober.

Wenn man jetzt spontan fragen würde, was ihr größter Eindruck von diesem Erdbeben ist, was würden Sie sagen?

Ma: Man kann gar nicht nachvollziehen und nachspüren, welche Schmerzen die Leute dort empfunden haben, egal wie man für sie weint, egal wie man ihnen hilft.

 Frau Wang, ihre beiden Filme sind vom Thema und Stil her sehr unterschiedlich. Haben Sie die beiden Filme in einem bestimmten Kontext zusammen gedreht?

Wang: Die beiden Filme sind meine neuesten Filme, ungefähr aus dem letzten Jahr. Ich habe mehr als zehn Jahre in Guangzhou gelebt. Mit den beiden Filmen möchte ich verschiedene Seiten von Guangzhou zeigen: Ein Guangzhou mit Konflikten zwischen der Regierung und den Bauern, ein anderes Guangzhou als internationale Metropole, wo Menschen aus vielen Kulturen aufeinander treffen. Man kann in den Filmen die Spuren der Urbanisierung Guangzhous sehen. 

Frau Wang, eine Frage über den Film University City Savages: Wussten Sie am Anfang schon, dass das Thema sehr sensibel ist?

Wang: Am Anfang dachte ich gar nicht, dass das Thema sensibel ist. Als ich angefangen habe, den Aufbau der Universitätsstadt zu filmen, waren die Bauarbeiten noch nicht sehr weit fortgechritten- Das war im Jahr 2004. In China schenkte man damals dem Dingzihu (钉子户)-Problem nicht so große Beachtung. Es gibt zwar auch offizielle Berichte draüber. Aber es war (oder ist) kein so großes Thema. Ich wollte damals nur einem Freund helfen, der Anwalt für diesen Fall in Guangzhou war. Er hat mich gebeten, Fotos von den demonstrierenden Bauern zu machen. Ich dachte, dass das kein Problem wäre. Aber im Jahr 2009 wurde dieser Fall ernsthaft, weil die Regierung von Guangzhou die Stadt zu einer Art „zivilisierten Stadt" (文明城市) bauen wollte. So wie damals die Regierung Beijing für die Olympischen Spiele umgebaut hat, wollte die Regierung diesmal Gaungzhou für die Asian Games (亚运会) umbauen. Das Dingzihu-Problem, bleibt normalerweise unter der Oberfläche. Aber weil es solche Großevents, spitzt sich die Sitation immer öfter zu und es ist es zu einem ernsten Problem geworden, das man dringend lösen muss. Die Regierung hat viel Polizei eingesetzt um die Bauern wegzutreiben, die dort zelteten und demonstrierten. Nach den Großevents beruhigt sich die Situation dann wieder. Aber beim nächsten Großevent, wird das Problem wieder aufkommen. So geht es hin und her.

Zelten die Bauern jetzt immer noch da?

Wang: Nein, sie wurden weggetrieben und haben keine Zelte mehr, sie mieten jetzt Appartements. Aber das Gerichtsverfahren läuft immer noch.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Independentfilme in China in der Zukunft entwickeln?

Ni: Ich denke in den nächsten zehn Jahren werden viele gute Regisseure auftauchen. Jetzt gibt es schon ziemlich gute. Wie ich gesagt habe, traten viele Jung-Regisseure erst 2000 auf die Bildfläche. Sie müssen erst einmal  „erwachsen“ werden, müssen auch ihre Technik und ihren Ausdruck verfeinern.

Wang:  Ich stimme dem zu. Ich sehe es auch optimistisch.

Ma: Ich stimme auch zu. Ich persönlich versuche mehr Filme zu drehen.

Wir freuen uns auf ihre neuen Filme. Vielen Dank für das Gespräch.

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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