SHAN e.V. - SHAN Newsletter Mai Nr. 70

INHALT

SHAN-Ehemaligenfeier: Podiumsdiskussion "Zukunft der Sinologie - die nächsten 50 Jahre"

Am geschichtsträchtigen 4. Mai, ebenfalls Gründungstag von SHAN e. V, fand die diesjährige Feier der ehemaligen Absolventen des Instituts für Sinologie statt. Zudem bot das 50. Jubiläum unseres Instituts, das wir im letzten Jahr feierten, Anlass, im Rahmen einer Podiumsdiskussion einmal über die Zukunft der Sinologie nachzudenken.

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CATS - Zukunft der Heidelberger Sinologie?

Der Wissenschaftsrat hat die Förderung eines neuen Forschungsbaus empfohlen, der das Centre for Asian and Transcultural Studies beherbergen soll. Der endgültige Förderungsbeschluss durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern, der auch darüber entscheidet, wo die nächste Generation der Studierenden ihre Vokabeln lernen wird, steht noch aus.

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Sinologie aus chinesischer Sicht

Um eine erweiterte Perspektive zu bekommen, hat SHAN zwei chinesische Studentinnen zu ihrer Meinung zur Zukunft der Sinologie befragt. Die beiden Studentinnen Dong Bijuan 董碧娟 und Li Fangfang 李芳芳 erzählen über die Zeit ihres Studiums am sinologischen Institut und ihre Zukunftserwartungen.

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Sinologische Zukunftsplanungen - in der DDR

So wie die heutige Heidelberger Sinologie Zukunftspläne schmiedet, machten sich in den fünfziger Jahren auch die verantwortlichen Stellen der DDR Gedanken über die Zukunft der ostdeutschen Sinologie. Thomas Kampen wirft mit uns einen Blick hinter die Kulissen der wissenschaftlichen Planungen der DDR. Besonders interessant ist hierbei die von der ostdeutschen Sinologie vollzogene Gratwanderung, aufgrund der sich wandelnden Beziehung zwischen der DDR und der Volksrepublik China.

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Altern in China und Deutschland - zwischen Taiji und Pflegeheim

Das Problem der "Gesellschaft der Alten" ist kein ausschließlich deutsches. Auch im Land der Mitte kämpft man mit einer rapide alternden Bevölkerung. Wie die Regierungen, die Gesellschaft und die Senioren selbst damit umgehen, ob Alter als Chance oder Problem gesehen werden sollte, all diese Fragen wurden lebhaft bei einer Podiumsdiskussion des Konfuzius-Instituts debattiert.

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SHAN-Ehemaligenfeier: "Zukunft der Sinologie - die nächsten 50 Jahre"

Unter dem Motto „Sinologie – die nächsten 50 Jahre“ lud SHAN e. V. am Samstag, den 4. Mai 2013 zur diesjährigen Ehemaligenfeier in das Karl-Jaspers-Zentrum ein. Alle zwei Jahre veranstaltet SHAN eine Ehemaligenfeier, um den Austausch zwischen den Studierenden, den Dozenten und den Ehemaligen zu fördern.

Auf den Sektempfang zur Begrüßung der Gäste folgte eine kurze Vorstellung der aktuellen Projekte von SHAN durch den derzeitigen Vorsitzenden Max aus der Fünten.  Anschließend begann die Podiumsdiskussion „Sinologie – die nächsten 50 Jahre“. Hierfür konnten die SHAN-Gründungsmitglieder Oliver Radtke (Robert Bosch Stiftung), der die Diskussion moderierte, und JunProf. Dr. Lena Henningsen (Sinologie Freiburg), sowie  die Heidelberger Dozenten Prof. Dr. Enno Giele und PD Dr. Ylva Monschein und Prof. Dr. Iwo Amelung (Sinologie Frankfurt), gewinnen.

Der Einstieg in die Diskussion erfolgte durch eine persönliche Stellungnahme zum Satz „Ich bin Sinologe, weil…“. Es folgten Antworten, wie zum Beispiel „der Blick auf China kann helfen globale Probleme zu verstehen und zu lösen“ (Monschein), „die Vielfalt des Untersuchungsgegenstandes ist klasse“ (Henningsen), aber auch sehr persönliche Aussagen wie „die Faszination der chinesischen Zeichen hat mich zum Studium der Sinologie gebracht" (Monschein) oder „die Sinologen sind sehr menschlich" (Giele), was eine angenehme Studiums- und Forschungsumgebung erzeugt.

Weiterhin kam es auch zu Grundsatzfragen: Woraus besteht die Sinologie? Was sind die Kernkompetenzen eines Sinologen? Und inwiefern müssen die Inhalte der Sinologie, im speziellen die Inhalte des Studiengangs, hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit angepasst werden?

Darüber hinaus wurde die Frage aufgeworfen, ob Sinologen sich in den Medien zu wenig zu Wort melden. Als aktuelles Beispiel wurde die Finanzkrise genannt, in der China auch eine wichtige Rolle eingenommen hat und einnimmt. Warum sich zu diesem Thema kein Sinologe in den Medien äußerte, wurde kritisch beleuchtet. Liegt es an den Medien, dass diese sich lediglich den ihnen bekannten Wirtschaftswissenschaftlern bedienen, ohne nach Regionalwissenschaftlern zu suchen? Oder ist es an den Sinologen sich aktiv in das Mediengeschehen einzumischen und die eigenen Kompetenzen besser einzubringen? Der Appell, dass sich alle Sinologen mehr einbringen sollten, erntete jedoch auch Kritik. So kam der Einwand von Enno Giele, dass Folgendes zu bedenken sei: „Wo Sinologe draufsteht, ist nicht immer der passende Sinologe drin.“ Um bei dem oben genannten Beispiel zu bleiben, heißt das, nicht jeder Sinologe ist Experte für die aktuelle Wirtschaft und Politik in China. Nicht jeder Sinologe kann sich in die Medien einbringen. Themen, die zum Beispiel das klassische China betreffen, sind im Tagesjournalismus rar gesät.

Desweiteren erörterten die Diskussionsteilnehmer Anregungen und Kommentare aus dem Publikum. Zur zentralen Frage wurde, ob das Bachelor/Master-System für Einbußen von Fachexpertisen verantwortlich sei. Dies wurde von Diskussionsteilnehmern verneint: „Nein, das System verkompliziert das Erlangen ausreichender Fachexpertisen lediglich“ (Henningsen), aber auch bekräftigt: „Ja, das Bachelor/Master-System führt dazu, dass die Studierenden nicht mehr zu den Vorträgen kommen. Das liegt daran, dass hierfür keine Leistungspunkte vorgesehen sind" (Amelung). Auch fehlt interessierten Studenten aufgrund von Leistungsdruck oft die Zeit, den eigentlich so wichtigen Vorträgen beizuwohnen.

Den Abschluss der Diskussionsrunde bildete die Frage „Warum soll jemand im Jahr 2013 anfangen Sinologie zu studieren?“ Hierbei waren sich die Teilnehmer einig, schnell bildete sich ein Konsens: „Ganz einfach, Sinologie macht Spaß!“ „Durch die Beschäftigung mit so etwas weit Entferntem muss man sich in alternative Gesellschaftsmuster hineindenken, das ist unglaublich spannend!“, war eine weitere Anmerkung. Schließlich kam noch die These auf, dass Chinesisch vielleicht einmal zur Lingua franca werden könnte. Wenn dem so wäre, kämen die Studenten vielleicht in Zukunft sogar schon mit Basissprachkenntnissen an die Universitäten und man könnte im ersten Semester mit der Übersetzung von Parteidokumenten oder Klassischem Chinesisch beginnen. „Sinologie – die nächsten 50 Jahre“ – man darf gespannt sein, wo die Reise der Sinologie hingeht.

Die Teilnehmer der Ehemaligenfeier folgten nach der Podiumsdiskussion, welche vom Pipa Spiel einer Heidelberger Studentin umrahmt wurde, der Einladung SHANs zum gemeinsamen Essen zu Mr. Wu. Dort knüpften einige in ihren Gesprächen an Punkte der Podiumsdiskussion an, andere genossen das ausgiebige Menü.

 

SHAN bedankt sich herzlich bei allen Beteiligten für die gelungene Feier!

 

Kira-Kristina Hülshoff

 

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CATS - Zukunft der Heidelberger Sinologie?

Die beengten Räumlichkeiten der Heidelberger Sinologie gewinnen weder Schönheitspreise, noch überzeugen sie durch Funktionalität. Daran konnte auch die Renovierung vor zwei Jahren nur geringfügig etwas ändern, es bleibt beengt, die Bibliothek platzt längst aus allen Nähten. Statt weiterer Auslagerung in Magazine, soll die Bereichsbibliothek Ostasien auch räumlich eine Bibliothek werden, die zum Studieren einlädt. Um sowohl dem Institut, als auch der Bibliothek geeignete Räume und genügend Platz bieten zu können, ist der Umzug in ein größeres Gebäude unabdinglich. Über Umzugspläne wird schon jahrelang geredet, doch wenn ein relativ kleines Institut einer großen Universität ein neues Gebäude benötigt, ist das ein langwieriger Prozess. Jetzt ist vielleicht tatsächlich eine Lösung ist Sicht!

In seiner Sitzung am 26. April 2013 hat sich der Wissenschaftsrat für einen Neubau für ein interdisziplinäres Forschungszentrum an der Universität Heidelberg ausgesprochen. Der Förderhöchstbetrag des Projektes beträgt 10,1 Mio. Euro, die aus Bundesmitteln an das Land fließen könnten, um das geplante Vorhaben zu unterstützen. Gemeinsam mit den Fördermitteln des Landes könnte so eine Summe von 20 Mio. Euro zusammenkommen.

Die Bewilligung des Antrages könnte den seit Jahren erhofften, doch immer wieder verschobenen Umzug des Instituts für Sinologie möglich machen. Auszahlen würde sich das lange Warten allemal: Der geplante Forschungsbau, in Nähe des Karl-Jaspers-Centers, soll das Centre for Asian and Transcultural Studies (CATS) beherbergen, in dem einmal asiatische und europäische Geisteswissenschaften zusammenarbeiten sollen. Herzstück des geplanten Zentrums soll eine gemeinsame Bibliothek des Zentrums für Ostasienwissenschaften (ZO), des Südasien-Instituts und des Instituts für Ethnologie werden. Der momentan in der Bibliothek der Sinologie herrschende Raummangel könnte somit bald der Vergangenheit angehören. Als förderungswürdig dürften sich auch das geplante Medienzentrum, sowie moderne Medialabs und eine Digital Humanities Unit erweisen, die das mittlerweile in die Jahre gekommene Sprachlabor adäquat ersetzen würden und eine Bereicherung für Forschende, Lehrende und Studierende der Heidelberger Geisteswissenschaften darstellen könnten. Der geplante Asiencampus soll den Methodenaustausch und Perspektivenwechsel zwischen Asienwissenschaften und den Sozial- und Geisteswissenschaften fördern.

Die endgültige Entscheidung darüber, ob Heidelberg-Bergheim – nach den Stationen Akademiestraße 1, Hans-Thoma-Platz 44, Hauptstraße 240, Sandgasse 7 und der aktuellen Akademiestraße 4-8 – zur nun sechsten Adresse der Heidelberger Sinologie wird, liegt bei der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern und soll bei deren nächster Sitzung, die vermutlich am 28. Juni 2013 stattfinden wird, getroffen werden. Bis dahin heißt es Daumen drücken, damit zukünftige Generationen von Studierenden ihre Vokabeln in interdisziplinärem Umfeld auf einem großen und modernen Campus lernen können!

Link zur Pressemitteilung des Wissenschaftsrats

 

Anna Schiller

 

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Sinologie aus chinesischer Sicht

Die beiden chinesischen Studentinnen Dong Bijuan 董碧娟 und Li Fangfang 李芳芳 sind zur Zeit im 4. Semster ihres Masterstudiums am sinologischen Institut und erzählen über ihre Eindrücke und Erfahrungen in Heidelberg.

SHAN: Erzählt doch zuerst mal kurz etwas über euch.

Dong Bijuan: Ich heiße Bijuan Dong-Barié und studiere im Moment Sinologie auf Master an der Universität Heidelberg. Ich habe in China meinen Bachelor in Sinologie absolviert. Ich bin seit 2006 in Deutschland, weil mein Mann hier arbeitet und ich auch in Deutschland studieren will. Mein Forschungsschwerpunkt ist chinesische Literatur bzw. chinesische Kultur.

Li Fangfang: Ich heiße Li Fangfang und komme aus der Stadt Chifeng 赤峰 in der Inneren Mongolei. Zur Zeit bin ich im 4. Semester meines Masterstudiums. Sinologie habe ich als Nebenfach gewählt. Mein Hauptfach ist Germanistik im Kulturvergleich mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft. Davor habe ich schon einen BA in Hohhot an der Technischen Universität der Inneren Mongolei in Germanistik gemacht. Im September 2011 bin ich dann zum Studieren nach Deutschland gekommen. Da ich vorher schon meinen BA in Germanistik gemacht hatte und das mit Schwerpunkt im technischen Bereich, bot es sich an, das Studium in Deutschland fortzusetzen. Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Vergleichenden Literaturwissenschaft, speziell der Imagologie. In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich also mit Phantasieliteratur aus der Romantik und ihren Vertretern, darunter Eichendorff, Heine oder E.T.A. Hoffmann.

Wieso habt ihr euch für das Sinologiestudium entschieden? Wieso in Heidelberg?

Dong Bijuan: Chinesische Literatur ist meine Leidenschaft. Ich finde es interessant, die chinesische Literatur auch aus westlicher Perspektive kennenzulernen. Heidelberg liegt in der Nähe meines Wohnorts Karlsruhe und ist eine schöne Studentenstadt. Die Sinologie in Heidelberg hat eine sehr gute Bibliothek.

Li Fangfang: Mich interessiert vor allem die Herangehensweise, wie die Deutschen sich mit China befassen und was sie über die chinesische Kultur denken. Ich habe mich unter anderem für ein Studium in Heidelberg entschieden, weil die Universität Heidelberg die älteste Universität in Deutschland ist. Zuvor habe ich auch überlegt nach Dresden oder Frankfurt zu gehen, aber ich mag lieber kleinere Städte, keine großen Wirtschaftszentren, die aber trotzdem ein großes kulturelles Angebot bieten.

Welche Berufschancen erhofft ihr euch von eurem Studium?

Dong Bijuan: In China habe ich ein Lehrerzertifikat erworben. Ich hoffe mit dem Masterabschluss eine Möglichkeit für diesen Beruf in Deutschland zu erlangen. Ich schreibe regelmäßig für einige Zeitschriften und Zeitungen. Auch das könnte ich mir beruflich vorstellen.

Li Fangfang: Ich möchte später gerne etwas mit Interkultureller Komunikation machen und denke, dass das Studium mich gut darauf vorbereitet. Meine Kommilitonen beispielsweise kommen aus ganz unterschiedlichen Staaten. Außerdem bin ich besonders am Vergleich der beiden Sprachen Deutsch und Chinesisch interessiert und denke darüber habe ich viel gelernt. Ich hoffe, dass ich mal in einem globalen Unternehmen arbeiten kann, im Bereich Unternehmenskommunikation, wo man Chinesisch-Muttersprachler braucht, die aber auch fließend Deutsch sprechen.

Denkt ihr, dass das Studium der Sinologie auch zukünftig attraktiv sein wird?

Dong Bijuan: China besitzt eine alte Kutur und außerdem eine wunderschöne und vielfältige Literatur. Diese werden ihren Reiz nicht verlieren. Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung Chinas steigert zusätzlich die Attraktivität des Fachs.

Li Fangfang: Auf jeden Fall, denn es gibt immer mehr Möglichkeiten zur Zusammenarbeit der beiden Länder Deutschland und China. Ein Beispiel dafür wäre wie schon von mir beschrieben, der Bereich der Unternehmenskommunikation. Es gibt natürlich auch noch viele andere Bereiche. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass viele Deutsche jetzt auch in China arbeiten möchten, besonders in Großstädten wie Beijing oder Shanghai.

Was sind für euch die größten Schwierigkeiten im Studium?

Dong Bijuan: Es ist schwierig, das Studium gut zu planen und zeitgerecht fertig zu werden. Vor allem auf die Korrektur von Seminararbeiten muss man sehr lange warten, was zu Verzögerungen beim Studium führt.

Li Fangfang: Manchmal habe ich Probleme, die wissenschaftlichen Texte richtig zu verstehen. Oft ist es äußerst schwierig, die chinesische sprachwissenschaftliche Terminologie so ins Deutsche zu übersetzen, dass es von Deutschen gut verstanden werden kann. Auch in der Denkweise der deutschen Dozenten gibt es Unterschiede und manchmal ist es schwierig für Nicht-Muttersprachler diese nachzuvollziehen.

Wie bewertet ihr die Unterstützung von Seiten des Instituts und wie die Möglichkeiten zum Kontakt mit deutschen Studenten?

Dong Bijuan: Bisher habe ich alle notwendige Unterstützung durch das Institut erhalten. Es gibt viele Möglichkeiten zum Kennenlernen deutscher Studenten, was ich sehr gut finde.

Li Fangfang: Die Unterstützung finde ich ganz gut. Die Dozenten, mit denen ich zu tun hatte, haben mir sehr geholfen. Sie gehen auf die Studenten zu und geben gute Ratschläge, auch über das Studium hinaus. Außerdem habe ich in der Bibliothek der Sinologie viel nützliches Material auch auf Chinesisch gefunden. Im Unterricht ist mir aufgefallen, dass doch oftmals deutsche Kommilitonen mit Deutschen zusammensitzen und chinesische Kommilitonen mit anderen Chinesen. Aber das ist nicht ausschließlich der Fall. Die Kontaktmöglichkeiten finde ich allerdings doch eher beschränkt, außer Tandem gibt es nicht viele Möglichkeiten, auch langfristig in Kontakt zu bleiben.

Was würdest du dir wünschen?

Dong Bijuan: Ich fände es sehr gut, wenn man auch vom Deutschen ins Chinesische übersetzen müsste.

Li Fangfang: Ich fände es gut, wenn wir mehr Projekte mit China initiieren könnten, wie beispielsweise direkte Austauschprogramme, bei denen nicht nur deutsche Studenten zum Auslandssemester nach China gehen, sondern auch chinesische Germanistikstudenten nach Deutschland kommen, damit man sich direkt miteinander austauschen kann.

 

SHAN bedankt sich ganz herzlich für das Interview!

 

von Fabienne Wallenwein

 

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Sinologische Zukunftsplanungen – in der DDR

Die Beschäftigung mit der Wissenschaftsplanung in der DDR ist nicht nur im Zusammenhang mit der Erforschung der Asienwissenschaften interessant, sondern kann auch bei der Analyse des Wissenschaftssystems der Volksrepublik China nützlich sein, da DDR und VRCh vom gleichen sowjetischen Vorbild beeinflusst wurden. Auch nach dem Ende von DDR und Sowjetunion wurden in China manche alten Traditionen fortgeführt.  

Freundschaft

Seit den fünfziger Jahren gab es in der DDR zahlreiche und kontinuierliche Bemühungen, Studenten-, Doktoranden- und Habilitandenzahlen sowie Berufswege zu planen. Schon mit dem Gründungstag der DDR war die SED-Führung mit dem Problem konfrontiert, mit der im Fernen Osten eine Woche zuvor gegründeten Volksrepublik China verbündet zu sein. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es frühzeitig - und besonders im Zuge der Chinareisen Grotewohls und Ulbrichts - das Bedürfnis, die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen schnell auszubauen. Daher wurden seit Mitte der fünfziger Jahre zahlreiche DDR-Student(inn)en nach China geschickt und die Sinologie - vor allem in Berlin - ausgebaut. An der Humboldt-Universität, an der es Anfang der sechziger Jahre zwei Sinologieprofessoren gab, war zum Beispiel für "die Fachrichtung Sinologie als die bedeutendste Disziplin der Asien- und Afrikawissenschaften [...] bis zum Jahre 1965, spätestens aber 1966 eine Verdoppelung des Lehrkörpers [...] vorgesehen".  (Perspektivplan [1960], MHF= Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, DR 3/2943.)

Konflikt

Kurz darauf brachte dann der sino-sowjetische Konflikt eine radikale Wende. In einem Bericht zur Lage der Sinologie vom 7. Mai 1963 heißt es: Aufgrund "der veränderten Beziehungen zwischen der DDR und der VR China" ist "der Bedarf an Sinologen außerordentlich stark zurück gegangen. Folgen: Das OAI Berlin mußte Ende 1962 ein ganzes Studienjahr umlenken. Nach Abschluß des jetzigen 5. Studienjahres wird die Ausbildung von Sinologen in Berlin überhaupt eingestellt. In Leipzig studieren noch 10 Sinologen, die Zahl soll aber auch reduziert werden. Keine Neuimmatrikulation in der Sinologie in den nächsten Jahren." (Zur Lage, den Problemen und zu den Entwicklungsmöglichkeiten der Fachrichtung Sinologie am Ostasiatischen Institut der Humboldt-Universität Berlin, MHF DR3/ AE 2946. S. 1)

Ähnliche Probleme gab es auch bei geplanten Dissertationen und Habilitationen. Anfang der sechziger Jahre wurde die Fertigstellung von 21 Dissertationen bis 1967 mit Namen und Themen geplant. Bei 11 der Genannten, die zu der Zeit gerade erst mit der Anfertigung ihrer Dissertationen begonnen hatten, waren schon Habilitationsschriften mit Abgabeterminen zwischen 1965 und 1967 eingeplant.

Die Aufteilung der Dissertationen/ Habilitationen nach Fachgebieten sah folgendermaßen aus:

Alte Geschichte:    5/2                                                                

Mod. Geschichte:    2/2

Alte Sprache:        3/2

Mod. Sprache:        4/1

Alte Literatur:        2/2

Mod. Literatur:        3/1

Philosophie:        1/1

Wirtschaftsgeographie:    1/-

(Perspektivplan [1960], MHF, DR 3/2943.)

Diese Pläne wurden nur zu einem kleinen Teil realisiert. Tatsächlich haben weniger als die Hälfte der Genannten promoviert und meist deutlich später als vorgesehen. Habilitiert wurden nur drei von 11, davon einer in den siebziger und zwei in den achtziger Jahren.

Einsame Professoren

Auch die Verdopplung des Lehrkörpers gelang nicht. Nach dem Tod von Professor Erkes in Leipzig (1958) blieb dessen Stelle für ein Vierteljahrhundert unbesetzt und nach der Emeritierung von Professor Ratchnevsky in Berlin (1964) war der nicht-habilitierte und international wenig bekannte Siegfried Behrsing für mehrere Jahre der einzige Sinologieprofessor in der ganzen DDR.

Die politisch bedingte Reduzierung der sinologischen Ausbildung und Forschung hat damals nicht nur zahlreiche Studierende endgültig aus der Sinologie vertrieben, sondern auch die weitere Laufbahn vieler übrig gebliebener stark beeinträchtigt. Besonders bemerkenswert ist, daß die im Geiste der DDR-chinesischen Freundschaft erzogenen Sinologen vom erneuten Ausbau der Chinawissenschaften in den siebziger Jahren kaum profitieren konnten; denn nun wurde eine neue Generation von Spezialisten ausgebildet, die sich im Kampf gegen den "antimarxistischen-antisozialistischen" Gegner, der mit USA und BRD verbündet war, bewähren sollte. In einer 1975 erarbeiteten Fünfzehnjahres-Planung des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen in Bezug auf Ost-, Süd- und Südostasien heißt es: "Die sich ständig erweiternden Aufgaben in diesem Länderbereich und die Notwendigkeit der Heranbildung von Nachwuchswissenschaftlern für diesen Länderbereich macht eine Erhöhung der Immatrikulationszahlen bis 1990 notwendig. [...] Bei der Auswahl der Kader ist ein strenger Maßstab anzulegen, der garantiert, daß diese Kader nach ihrer Ausbildung auch in der internationalen Arbeit eingesetzt werden können und einen hohen Grad der Disponibilität besitzen. Neben der Ausbildung von Regionalwissenschaftlern, Sprachwissenschaftlern und Sprachmittlern sind zielgerichtet Kader für die Gebiete Staat und Recht, Soziologie, Ökonomie, Geschichte, Philosophie, Kultur und Literatur auszubilden."   

(Maßnahmeplan zur Sicherung der Auswahl und Ausbildung sowie Weiterqualifizierung von Kadern für den Einsatz in den Ländern des Fernen Ostens, Süd- und Südostasiens [1975], MHF, DR 3/46)

In diesem Plan wurden Lehrstühle für Sinologie, Geschichte Chinas, Ökonomie Chinas und Philosophie Chinas sowie Dozenturen für Geschichte Chinas, Chinesische Sprache, Chinesische Literatur, Staat und Recht Chinas und Soziologie Chinas vorgesehen. Diese Planung wurde zwar nur teilweise realisiert, es kam aber zu einem deutlichen Ausbau der Stellen. In den folgenden Jahren zeigt sich auch ein deutliches Wachstum bei der Zahl der Diplomarbeiten und Dissertationen, die sich von den siebziger zu den achtziger Jahren fast verdoppelte (von 42 auf 82). Der erneute Ausbau war jedoch mit einer strengen Auswahl der Studienanfänger verbunden. Nach der Darstellung eines Südasienwissenschaftlers der Akademie der Wissenschaften "regelten Zulassungsbeschränkungen fachlicher, sicherheitspolitischer und ideologischer Art den Studienzugang. In den offiziellen Studienangeboten der siebziger Jahre waren die Studiengänge Regionalwissenschaften nicht enthalten. Viele Studenten erhielten durch Bekannte über die in der realen DDR so wichtigen Beziehungen davon Kenntnis und bewarben sich direkt bei den Hochschulen, viele waren auch sogenannte Delegierungskader, von den künftigen Arbeitsgebern des öffentlichen Dienstes bereits ausgewählt und mit einem Vorarbeitsvertrag versehen. Weder Westverwandtschaft noch negativer politischer Leumund waren akzeptabel für die später in den aus DDR-Sicht sensiblen Außenbereich Tätigen, denen sich durch die Auslandsaufenthalte auch günstige Möglichkeiten zur sogenannten Republikflucht boten."  (Dietrich Reetz, Entwicklung und Stand der Asienwissenschaften in der DDR, in ASIEN, Nr.38, 1991, S.83)

Institutionen

Für die Planung und Koordination der Ostasienwissenschaften waren in den achtziger Jahren mehrere Wissenschaftliche Räte zuständig, dazu gehörten:

- der Wissenschaftliche Rat für internationale Arbeiterbewegung (Sitz: AfG),

- der Wissenschaftliche Rat für Außenpolitische Forschung (Sitz: IIB),

- der Zentrale Rat für Asien- Afrika und Lateinamerikawissenschaften (ZENTRAAL).

Im Zentralen Forschungsplan wurde China unter dem Titel "Die sozialökonomische Entwicklung, die Innen- und Außenpolitik Chinas" aufgeführt. Hierfür waren die Räte für internationale Arbeiterbewegung und Außenpolitische Forschung zuständig. (Zentraler Forschungsplan [1986], S. 681-692)

Für die Koordination der gegenwartsbezogenen Chinaforschung in den Bereichen (Innen-) Politik, Gesellschaft und Ideologie war nach der Eskalation des sino-sowjetischen Konflikts der "Problemrat für aktuelle Chinaforschung" (Wissenschaftlicher Rat für internationale Arbeiterbewegung) gegründet worden. Der Leiter war Professor Helmut Peters, Lehrstuhlinhaber des Instituts für Internationale Arbeiterbewegung (IAB) der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED; daneben waren andere Wissenschaftler der ZK-Akademie und der Humboldt Universität beteiligt. Die Mitglieder hatten häufig Gelegenheit nach China, in die Sowjetunion und andere europäische Staaten zu reisen. Sie verfaßten Berichte für das Politbüro, entwarfen Forschungspläne, unterhielten Kontakte mit ausländischen Chinaforschern, und organisierten nationale und internationale Tagungen.

Die Schwerpunkte der Forschung und die Arbeitsteilung unter den verschiedenen Institutionen zeigt ein "Maßnahmeplan der aktuellen Chinaforschung" von 1973:

1. Entwicklung der Arbeiterklasse (IfG/IAB)

2. Wesen des Maoismus (IfG/IAB, HUB/FGNG)

3. Politische Struktur des heutigen China (HUB/FGNG, IfG/IAB)

4. Spaltertätigkeit der Maoisten in der internationalen kommunistischen Bewegung (IfG/IAB)

5. Europapolitik chinesischer Führer (IIB, IAB/FGNG)

6. Auseinandersetzung mit der reaktionären bürgerlichen Sinopolitologie, insbesondere der BRD und Westberlins (HUB/FGNG)

Bei Einzelthemen des 2. Schwerpunkts "Maoismus" werden zusätzlich weitere Institute der ZK-Akademie, die Sinologie der Humboldt-Universität, das Institut für Marxismus-Leninismus (IML), das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) und die Universitäten Leipzig und Rostock aufgeführt. Unter "Maßnahmen" werden hier fünf Dissertationsthemen (eine A-Dissertation und vier B-Dissertationen, d.h. Habilitationsschriften) genannt:

IfG/IAB: Lenin und Mao (B),

IfG/IAB: Der subjektive Charakter des Maoismus (B),

HUB/FGNG: Traditionelle Sozialutopien (B),

HUB/FGNG: Innenpolitische Auseinandersetzungen (A),

HUB/Sinologie: Die Darstellung der Arbeiterklasse (B).  

Einige der in den folgenden Jahren abgeschlossene Dissertationen lassen sich den obengenannten Schwerpunkten zuordnen.

Die Schwerpunktthemen gehörten zum Teil zu größeren Projekten an denen die meisten osteuropäischen Staaten beteiligt waren, wie z. B.:

"Klassen und Klassenbeziehungen",

"China und die sozialistischen Länder",

"Die Kampagne zur Kritik an Lin Biao und Konfuzius"

"Kritik der Ideologie und Praxis des Maoismus"

"Ideologisch-theoretische Prozesse im gegenwärtigen China"  

Darüber hinaus spielten Themen aus dem Zentralen Forschungsplan der Gesellschaftswissenschaften (Z), dem MHF-Plan (M), bzw. HU-Plan (H) eine wichtige Rolle. Hierzu gehörten unter anderem

- "Sozialismus in Asien" (Z),

- "Nationalismus in Asien" (Z),

- "Transkriptionssysteme asiatischer und afrikanischer Sprachen" (M),

- "Geschichte der internationalen Beziehungen in Asien" (M),

- "Philosophie und ideologische Prozesse in Asien" (H),

- "Untersuchungen zu Literaturen Asiens und Afrikas" (H).  

 

Literatur:

T. Kampen: Ostasienwissenschaften in der DDR und in den neuen Bundesländern, in: Krauth/Wolz: Wissenschaft und Wiedervereinigung - Asien- und Afrikawissenschaften im Umbruch, Berlin: Akademie Verlag, 1998, 269-306.

T. Kampen:  Sinologie im 20. Jahrhundert: Heidelberg - Deutschland - International. Heidelberg: Mattes Verlag, 2011.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Altern in China und Deutschland - zwischen Taiji und Pflegeheim

Altern -  was für Institutionen wie Institute oder Vereinigungen ein Alleinstellungsmerkmal, gar prestigeträchtig sein kann, wird bei Menschen oftmals als reiner "Verfall" gesehen. Institutionen "reifen", verfügen über "langjährige Erfahrung", werden "traditionsreich", Menschen werden "alt",  sprechen von den "guten alten Zeiten", werden "konservativ" - im besten Fall kann man sie als "jung geblieben" bezeichnen. Institutionen "verjüngen und erneuern sich", Menschen können höchstens auf eine neue Hüfte hoffen.

Am 30. April 2013 lud das Konfuzius Institut Heidelberg zu einer Podiumsdiskussion mit dem Thema: Age and Images of Ageing in Germany and China: Chances, Challenges, and New Perspectives. Nachdem im letzten Jahr eine ähnliche Veranstaltung zum Thema Erziehung und Bildung in Deutschland und China stattgefunden hatte, die vor allem die Lernprozesse der Jüngsten in den zwei Gesellschaften beleuchtete, sollte nun also auf das entgegengesetzte Spektrum der Gesellschaft geblickt werden. 

Nach ein paar Grußworten begann die Veranstaltung mit den Kurzvorträgen der vier geladenen Gäste. Die Zusammenstellung erschien umfassend und sinnvoll: Der Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse, der seine Perspektive in vielerlei Kommissionen auch politisch umzusetzen sucht, brachte eine fortschrittliche Interpretation des „Alters“ in den Diskurs. Sein besonderes Anliegen war „Alter“ als Chance zu begreifen: Dazu bedarf es einer Uminterpretation der Rollen dieser Menschen, so können sie als „Sorgende“, „aktive Alte“ eine spezifische Nische in einer Gesellschaft produktiv ausfüllen. Klar wurde außerdem, wie wichtig es ist, Verletzlichkeit als Stärke zu begreifen und ein System der geteilten Verantwortung zu entwickeln. Den Blick auf China eröffnete Chen Jie mit nüchterner Statistik und Managementansätzen. Bei ihr wurden die Realitäten und die daraus entstehenden physischen und monetären Zwänge des Problems deutlich. Hans van Ess beschäftigte sich mit den Implikationen von konstruierter „chinesischer“ Tradition und moralischen Zwickmühlen, die sich aus dem Gebot zu kindlicher Pietät und tatsächlichen Möglichkeiten der Angehörigen ergeben. Der besonderen Popularität des „chinesischen“ Konzeptes von Kindspietät setzte er dessen sehr späte Revitalisierung durch die Mandschu entgegen. Außerdem schlug er einen Bogen zu den Sorgen der heutigen Elterngeneration: Die „kleinen Kaiser“ könnten sich der Sorge um ihre Eltern unter Umständen verwehren! Der Humangeograph und Sozialgerontologe Ian Cook brachte eine internationalere Perspektive, die der Einordnung der Problematik zuträglich war.

Im Verlaufe der Diskussion wurde sehr deutlich, wie sehr die Herangehensweisen an das "Problem Alter" abhängig von dem Entwicklungsstand des jeweiligen Landes sind. Kann sich ein Land die Grundversorgung Pflegebedürftiger leisten, so fällt es leichter, Alter als Chance zu interpretieren. Stellt aber schon die Befriedigung der Primärbedürfnisse eine Herausforderung dar, so kann Alter nur schwer als Chance, gar Ressource betrachtet werden. Hier wurde ein Unterschied zu den Ergebnissen bezüglich Erziehung aus der letzten Veranstaltung dieser Art augenscheinlich: Während China in PISA Studien mit Deutschland konkurrieren kann, man selbstbewusst und auf Augenhöhe spricht, so wird bei Fragen der Altersversorgung wiederholt Chinas Status als "Entwicklungsland" betont. Dies mag als Spiegel der Mächteverhältnisse der jeweiligen Bevölkerungen gedeutet werden. Deutschlands Politik kümmert sich um eine alternde Wählerschicht - China taumelte nicht unschuldig in die Tiefen der Urnenform der Bevölkerungspyramide, kümmert sich aber zunächst um die Kinder und Zukunft des Landes und damit auch um das Wohlwollen der Bevölkerungsschicht, die das System erhalten soll.

Ein besonderer Schwerpunkt soll nach Wunsch des Sponsors - der Robert Bosch Stiftung - bei diesen Veranstaltungen auf der Erkenntnis der Möglichkeiten des Voneinander Lernens und damit verbundener Zusammenarbeit liegen. Gerade aufgrund der Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen und Entwicklungsstadien fiel diese Aufgabe schwer. Die Sprecher blieben oftmals in ihren jeweiligen Kontexten beziehungsweise Deutungsansätzen verhaftet. Einige Chancen klangen jedoch implizit an:

Für China kann vor allem die deutsche Infrastruktur der Altersvorsorge ein Vorbild sein. Noch sind in China nicht-staatliche Institutionen die Hauptträger der Verantwortung für ältere und pflegebedürftige Menschen. Will China effektiv staatliche Verantwortung übernehmen, muss zunächst eingestanden werden, welche Folgen die Ein-Kind-Politik auf die Bevölkerungspyramide Chinas hat, dass Angehörige alleine nicht mehr für die älteren Generationen sorgen können, und dass institutioneller Aufbau schnell stattfinden muss. Stattdessen schien eine gewisse pragmatische Rechnung im Raume zu stehen. Chen Jie waren die Ausmaße des Problems natürlich bewusst. Genauso bewusst aber wohl die fehlende Bereitschaft des chinesischen Staates sofort genug Geld zu investieren, um Familien zu entlasten. Die Selbstmordrate unter über Fünfzigjährigen, männlichen Chinesen vom Land ist erschreckend hoch. Dass Menschen diese letzte Konsequenz wählen, um ihrer Familie nicht zur Last zu fallen, wurde nicht erwähnt.

Doch aus der Diskussion wurde auch klar, dass genau diese Not kreative Lösungen hervorbringt, die für Deutsche vorbildhaft sein können. Chinas Großeltern-Generation ist aktiv: Sie sind oft stark an der Erziehung ihrer Enkelkinder beteiligt, gründen (natürlich teils aus existenzieller Not) neue Unternehmen, üben Taiji und bilden kleine Zivilgesellschaften in lokalen Parks. So übernehmen sie häufig die Funktion als Sorgende, die Herr Kruse so empfohlen hatte.

Die Veranstaltung regte zum Nachdenken an, auch wenn viele Fragen wegen der Kürze der Fragerunde unbeantwortet blieben. Die Reziprozität des Diskurses sollte bei weiteren Veranstaltungen nicht zu Gunsten der aus mangelnder Absprache zwischen den Vortragenden resultierenden Repetition von Statistiken vernachlässigt werden.

Der von Barbara Mittler, die die Podiumsdiskussion leitete, geäußerte Vorschlag, sich in einer nächsten Veranstaltung dem Dialog zwischen den Generationen zu widmen, erschient im Lichte der Wortmeldung einer jungen Chinesin, die eindrucksvoll ihre persönlichen Zweifel im Umgang mit der Elterngeneration schilderte, wünschenswert.

 

Odila Schröder

Fotos: Marcel Hasübert (mit freundlicher Genehmigung des Konfuzius-Instituts an der Universität Heidelberg e. V.)

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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